Eine echte Kulturrevolution!

15. November 2019 in Aktuelles


Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: Albertus Magnus – der große Bischof von Regensburg. Alles, was wirklich vernünftig ist, ist mit dem in der Heiligen Schrift offenbarten Glauben vereinbar. Die Theologie – affektive Wissenschaft. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) „Hier liegt eines der großen Verdienste des hl. Albert: Mit wissenschaftlicher Strenge studierte er die Werke des Aristoteles, dies in der Überzeugung, dass alles, was wirklich vernünftig ist, mit dem in der Heiligen Schrift offenbarten Glauben vereinbar ist. Mit anderen Worten hat der hl. Albertus Magnus auf diese Weise zur Ausbildung einer selbständigen Philosophie beigetragen, die von der Theologie unterschieden und mit ihr allein durch die Einheit der Wahrheit vereint ist.“

In seiner Reihe der großen Glaubensgestalten des Mittelalters beschäftigte sich Papadst Benedikt XVI. am 24. März 2010 mit dem bedeutenden Theologen der Scholastik Albertus Magnus (1200-1280). Der Beiname „der Große“ „weist auf die Weite und Tiefe seines Wissens hin, die Albertus mit innerer Friedfertigkeit und einem überaus tugendhaften Leben verband“.

Eine echte Kulturrevolution: „Der hl. Albertus Magnus hat die Tür zu einer vollständigen Rezeption der Philosophie des Aristoteles in der mittelalterlichen Philosophie und Theologie geöffnet“, so der Papst, „eine Rezeption, die dann vom hl. Thomas endgültig ausgearbeitet wurde.

Diese Rezeption einer – sagen wir – heidnischen, vorchristlichen Philosophie war für jene Zeit eine echte Kulturrevolution. Dennoch fürchteten viele christliche Denker die Philosophie des Aristoteles, die nichtchristliche Philosophie, vor allem auch deshalb, weil sie von ihren arabischen Kommentatoren vorgelegt und so auf eine Weise interpretiert worden war, daß sie zumindest in einigen Punkten als völlig unvereinbar mit dem christlichen Glauben erschien. Es stellte sich also ein Dilemma: Stehen Glaube und Vernunft in Gegensatz zueinander oder nicht?“.

Albert, um 1200 in Lauingen an der Donau geboren, began sich als junger Mann zum Studium nach Padua, „und hier begegnete er dem Ordensmeister der Dominikaner Jordan von Sachsen. Von ihm wie auch von der dominikanischen Spiritualität zutiefst beeindruckt, trat Albert 1223 in diesen Orden ein. Dort erkannte man schnell seine hohe Begabung und schickte ihn nach Lehrtätigkeiten an verschiedenen Ordensschulen zum Weiterstudium an die Universität von Paris, dem damals geistigen Zentrum des Abendlandes, wo er schließlich auch als Dozent wirkte. Später wurde er von der Ordensleitung beauftragt, ein Studium generale, eine Art theologische Hochschule, in Köln zu gründen. Bei dieser Aufgabe begleitete ihn sein Schüler Thomas von Aquin“.

„Seine Qualitäten wurden auch von Papst Alexander IV. erkannt, der ihn 1260 zum Bischof von Regensburg ernannte. Albertus gelang es mit unermüdlichem Eifer den Frieden in seinem Bistum herzustellen und die Verhältnisse in Klöstern und Pfarreien zu ordnen. Einige Zeit später legte er jedoch sein Amt nieder und kehrte nach Köln zurück. Im Alter war Albert noch an der Vorbereitung des Zweiten Konzils von Lyon beteiligt, bevor er 1280 in Köln verstarb. Albert widmete sich unter anderem der Zusammenschau von Wissen und Glauben, von Naturerkenntnis und Theologie.“

In der Theologie „verbinden sich für Albert Verstand und Wille. Sie ist ‚affektive Wissenschaft’: sie leitet das Streben der Menschen dahin, sich mit Gott zu vereinigen, dem Ursprung der Welt und dem Ziel alles geordneten Handelns“.


Benedikt XVI., Katechese zur Generalaudienz am 24. März 2010:

Albertus Magnus

Liebe Brüder und Schwestern!

Einer der größten Lehrer der mittelalterlichen Theologie ist der hl. Albertus Magnus. Der Beiname »der Große« (Magnus), mit dem er in die Geschichte eingegangen ist, weist auf die Weite und Tiefe seiner Gelehrsamkeit hin, die er mit der Heiligkeit des Lebens verband. Aber schon seine Zeitgenossen zögerten nicht, ihm herausragende Titel zuzuschreiben. Einer seiner Schüler, Ulrich von Straßburg, bezeichnete ihn als »das Staunen erregende Wunder unserer Zeit«.

Er wurde zu Beginn des 13. Jahrhunderts in Deutschland geboren und begab sich noch in ganz jungen Jahren nach Italien, nach Padua, Sitz einer der berühmtesten Universitäten des Mittelalters. Er widmete sich dem Studium der sogenannten »artes liberales« (Freien Künste): Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik, das heißt der allgemeinen Bildung, wobei er jenes typische Interesse für die Naturwissenschaften bekundete, das schon bald zum Lieblingsgebiet seiner Spezialisierung werden sollte. Während seines Aufenthalts in Padua besuchte er die Kirche der Dominikaner, denen er sich dann mit der Ablegung der Ordensgelübde anschloß. Die hagiographischen Quellen lassen erkennen, daß bei Albert diese Entscheidung schrittweise heranreifte.

Die innige Beziehung zu Gott, das Beispiel an Heiligkeit der Dominikanerbrüder, das Hören der Predigten des sel. Jordan von Sachsen, des Nachfolgers des hl. Dominikus in der Leitung des Predigerordens, waren die entscheidenden Faktoren, die ihm halfen, jeden Zweifel zu überwinden und dabei auch Widerstände in der Familie zu bewältigen. Oft spricht in unseren Jugendjahren Gott zu uns und zeigt uns den Entwurf unseres Lebens. Wie für Albert sind auch für uns alle das vom Wort des Herrn gespeiste persönliche Gebet, die Teilnahme an den Sakramenten und die geistliche Begleitung erleuchteter Menschen die Mittel, um die Stimme Gottes zu entdecken und ihr zu folgen. Er empfing das Ordensgewand aus der Hand des sel. Jordan von Sachsen.

Nach der Priesterweihe bestimmten ihn die Oberen für die Lehre in verschiedenen theologischen Studienzentren, die an die Konvente der Dominikanerpatres angeschlossen waren. Die hervorragenden intellektuellen Qualitäten gestatteten ihm, das Studium der Theologie an der berühmtesten Universität der Zeit, der Universität von Paris, zu vervollkommnen. Von da an nahm der hl. Albert jene außerordentliche Schriftstellertätigkeit auf, die er dann sein ganzes Leben lang fortsetzen sollte.

Es wurden ihm prestigereiche Aufgaben übertragen. 1248 erhielt er den Auftrag, ein theologisches Studium in Köln zu eröffnen, einer der wichtigsten Hauptstädte Deutschlands, wo er wiederholt lebte und die zur Stadt seiner Wahl wurde. Aus Paris brachte er einen herausragenden Schüler mit sich nach Köln, Thomas von Aquin. Allein das Verdienst, Lehrer des hl. Thomas gewesen zu sein, würde genügen, um eine tiefe Bewunderung für den hl. Albert zu hegen. Zwischen diesen beiden großen Theologen entstand eine Beziehung gegenseitiger Hochachtung und Freundschaft, menschliche Haltungen, die für die Entwicklung der Wissenschaft sehr hilfreich sind. Im Jahr 1254 wurde Albert zum Provinzial der »Provincia Teutoniae« der Dominikanerpatres gewählt, die in einem weiten Gebiet Mittel- und Nordeuropas verbreitete Kommunitäten umfaßte. Er zeichnete sich durch den Eifer aus, mit dem er dieses Amt ausübte, besuchte die Kommunitäten und ermahnte die Mitbrüder ständig zur Treue, zu den Lehren und den Beispielen des hl. Dominikus.

Seine Begabungen entgingen dem Papst jener Zeit, Alexander IV., nicht, der Albert eine Zeit lang bei sich in Anagni – wohin sich die Päpste häufig begaben –, in Rom und in Viterbo haben wollte, um von seiner theologischen Beratung zu profitieren. Derselbe Papst ernannte ihn zum Bischof von Regensburg, einer großen und berühmten Diözese, die sich jedoch in einer schwierigen Lage befand. Von 1260 bis 1262 übte Albert dieses Amt mit unermüdlicher Hingabe aus, wobei es ihm gelang, Frieden und Eintracht in die Stadt zu bringen, Pfarreien und Konvente neu zu organisieren und den karitativen Tätigkeiten neuen Impuls zu geben.

In den Jahren 1263–1264 predigte Albert im Auftrag von Papst Urban IV. in Deutschland und Böhmen, um dann nach Köln zurückzukehren und seine Sendung als Dozent, Gelehrter und Schriftsteller wieder aufzunehmen. Da er ein Mann des Gebets, der Wissenschaft und der Nächstenliebe war, genoß sein Eingreifen in verschiedene Angelegenheiten der Kirche und der Gesellschaft der Zeit großes Ansehen: Er war vor allem ein Mann der Versöhnung und des Friedens in Köln, wo der Erzbischof in einen harten Kontrast mit den Institutionen der Stadt getreten war; er setzte sich 1274 während des von Papst Gregor X. einberufenen II. Konzils von Lyon ein, um nach der Spaltung des großen Schismas von 1054 die Union zwischen der lateinischen und der griechischen Kirche zu fördern; er erläuterte das Denken des Thomas von Aquin, das Gegenstand von Widerständen und sogar gänzlich ungerechtfertigter Verurteilungen gewesen war.

Er starb 1280 in der Zelle seines Konvents vom Heiligen Kreuz in Köln und wurde sehr bald von seinen Mitbrüdern verehrt. Die Kirche schlug ihn mit der Seligsprechung im Jahr 1622 und mit der Heiligsprechung im Jahr 1931, als ihn Papst Pius XI. zum Kirchenlehrer erklärte, zur Verehrung der Gläubigen vor. Es handelte sich um eine zweifellos angemessene Anerkennung für diesen Mann Gottes und berühmten Gelehrten nicht nur der Glaubenswahrheiten, sondern auch sehr vieler anderer Wissensbereiche. Wirft man nämlich einen Blick auf die Titel seiner so zahlreichen Werke, wird einem klar, daß seine Bildung etwas von einem Wunder an sich hat und daß seine enzyklopädischen Interessen ihn dazu führten, sich nicht wie andere Zeitgenossen allein mit Philosophie und Theologie, sondern auch mit jeder anderen damals bekannten Disziplin zu beschäftigen, von der Physik zur Chemie, von der Astronomie zur Mineralogie, von der Botanik zur Zoologie. Aus diesem Grund ernannte ihn Papst Pius XII. zum Schutzpatron der Naturwissenschaftler, und er wird gerade wegen des Umfangs seiner Interessen und seines Wissens auch »Doctor universalis« genannt.

Gewiß sind die vom hl. Albertus Magnus angewandten wissenschaftlichen Methoden nicht jene, die sich in den nachfolgenden Jahrhunderten durchsetzen sollten. Seine Methode bestand einfach in der Beobachtung, in der Beschreibung und in der Klassifizierung der untersuchten Phänomene, aber so hat er die Tür für die künftigen Arbeiten geöffnet.

Er hat uns noch viel zu lehren. Vor allem zeigt der hl. Albert, daß zwischen Glaube und Wissenschaft kein Gegensatz besteht – trotz einiger Episoden des Unverständnisses, die in der Geschichte zu verzeichnen sind. Ein Mann des Glaubens und des Gebets, wie es der hl. Albertus Magnus war, kann mit Gelassenheit das Studium der Naturwissenschaften pflegen und in der Erkenntnis des Mikro- und Makrokosmos durch die Entdeckung der Gesetze der Materie Fortschritte machen, denn all dies trägt dazu bei, den Durst nach Gott und die Liebe zu ihm zu nähren. Die Bibel spricht von der Schöpfung als der ersten Sprache, durch die Gott – der höchste Vernünftigkeit ist, der Logos ist – uns etwas von sich offenbart. Das Buch der Weisheit zum Beispiel sagt, daß die mit Schönheit und Größe ausgestatteten Naturphänomene wie die Werke eines Künstlers sind, durch die wir auf den Schöpfer schließen können (vgl. Weish 13,5).

Mit einem im Mittelalter und in der Renaissance klassischen Sinnbild kann man die natürliche Welt mit einem von Gott geschriebenen Buch vergleichen, das wir auf der Grundlage der verschiedenen Herangehensweisen der Wissenschaften lesen (vgl. Ansprache an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften, 31. Oktober 2008). Denn wie viele Wissenschaftler haben im Fahrwasser des hl. Albertus Magnus ihre Forschungen vorangebracht, inspiriert von Staunen und Dankbarkeit gegenüber der Welt, die ihren Augen als Gelehrte und Gläubige wie das gute Werk eines weisen und liebevollen Schöpfers erschien und erscheint! Die wissenschaftliche Forschung verwandelt sich so in ein Loblied.

Das hatte ein großer Astrophysiker unserer Zeit gut verstanden, dessen Seligsprechungsprozeß eingeleitet worden ist, Enrico Medi, der geschrieben hatte: »Oh, ihr geheimnisvollen Galaxien…, ich sehe euch, ich berechne euch, ich verstehe euch, ich studiere und entdecke euch, ich durchdringe euch und sammle euch. Von euch nehme ich das Licht und betreibe damit Wissenschaft, ich nehme die Bewegung und mache daraus Weisheit, ich nehme das Glänzen der Farben und mache daraus Poesie; ich nehme euch Sterne in meine Hände, und in der Einheit meines Seins erzitternd erhöhe ich euch über euch selbst, und im Gebet bringe ich euch dem Schöpfer dar, den ihr Sterne nur durch mich anbeten könnt« (Werke, Hymnus auf die Schöpfung).

Der hl. Albertus Magnus ruft uns in Erinnerung, daß zwischen Wissenschaft und Glaube Freundschaft besteht und daß die Wissenschaftler durch ihre Berufung zum Studium der Natur einen echten und faszinierenden Weg der Heiligkeit einschlagen können.

Seine außerordentliche Offenheit des Geistes offenbart sich auch in einer kulturellen Maßnahme, die er erfolgreich unternahm, das heißt in der Aufnahme und Erschließung des Denkens des Aristoteles. Zur Zeit des hl. Albert wurde nämlich die Kenntnis zahlreicher Werke dieses großen griechischen Philosophen aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert verbreitet, vor allem im Bereich der Ethik und der Metaphysik. Sie bewiesen die Kraft der Vernunft, erklärten klar und deutlich den Sinn und die Struktur der Wirklichkeit, ihre Einsehbarkeit, den Wert und das Ziel des menschlichen Handelns. Der hl. Albertus Magnus hat die Tür zu einer vollständigen Rezeption der Philosophie des Aristoteles in der mittelalterlichen Philosophie und Theologie geöffnet, eine Rezeption, die dann vom hl. Thomas endgültig ausgearbeitet wurde.

Diese Rezeption einer – sagen wir – heidnischen, vorchristlichen Philosophie war für jene Zeit eine echte Kulturrevolution. Dennoch fürchteten viele christliche Denker die Philosophie des Aristoteles, die nichtchristliche Philosophie, vor allem auch deshalb, weil sie von ihren arabischen Kommentatoren vorgelegt und so auf eine Weise interpretiert worden war, daß sie zumindest in einigen Punkten als völlig unvereinbar mit dem christlichen Glauben erschien. Es stellte sich also ein Dilemma: Stehen Glaube und Vernunft in Gegensatz zueinander oder nicht?

Hier liegt eines der großen Verdienste des hl. Albert: Mit wissenschaftlicher Strenge studierte er die Werke des Aristoteles, dies in der Überzeugung, daß alles, was wirklich vernünftig ist, mit dem in der Heiligen Schrift offenbarten Glauben vereinbar ist. Mit anderen Worten hat der hl. Albertus Magnus auf diese Weise zur Ausbildung einer selbständigen Philosophie beigetragen, die von der Theologie unterschieden und mit ihr allein durch die Einheit der Wahrheit vereint ist. So ist im 13. Jahrhundert eine klare Unterscheidung zwischen diesen beiden Wissensbereichen, der Philosophie und der Theologie, entstanden, die im Dialog miteinander harmonisch bei der Entdeckung der echten Berufung des nach Wahrheit und Seligkeit dürstenden Menschen zusammenwirken: Und es ist vor allem die vom hl. Albert als »scientia affectiva« (affektive Wissenschaft) definierte Theologie, die dem Menschen seine Berufung zur ewigen Freude zeigt, einer Freude, die aus der vollen Annahme der Wahrheit hervorquillt.

Der hl. Albertus Magnus besaß die Fähigkeit, diese Begriffe auf einfache und verständliche Weise zu kommunizieren. Als echter Sohn des hl. Dominikus predigte er gern vor dem Volk Gottes, das von seinem Wort und vom Beispiel seines Lebens eingenommen wurde.

Liebe Brüder und Schwestern, bitten wir den Herrn, daß es in der heiligen Kirche niemals an gelehrten, frommen und weisen Theologen wie einem hl. Albertus Magnus fehle und er einem jeden von uns helfe, sich die »Formel der Heiligkeit « zu eigen zu machen, der er in seinem Leben folgte: »All das, was ich will, zur Herrlichkeit Gottes wollen, so wie Gott für seine Herrlichkeit all das will, was er will«, das heißt, sich immer dem Willen Gottes gleichgestalten, um alles allein und immer ob seiner Herrlichkeit zu wollen und zu tun.

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