Die ‚heißen Themen’ zwischen den Jahren 2019 und 2020

23. Dezember 2019 in Interview


Ein umfangreiches Kamingespräch mit Gerhard Kardinal Müller. Teil 1: das Glaubensmanifest; ‚Amoris laetitia’ – eine ‚never ending story’; die Missbrauchskrise; ‚synodaler Weg’ wohin? Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Das zu Ende gehende Jahr 2019 – ein bewegtes Jahr, zwischen Missbrauchsskandalen, vatikanischen Finanzskandalen und einer in vielerlei Hinsicht heftig diskutierten Lokalsynode für Amazonien (wo nicht wenige gezögert haben, von einer Räubersynode) zu reden. Es kommt keine Ruhe in die Kirche, jeder Versuch, zu dieser Ruhe im Sinn einer „tranquillitas animi“ durch die Wiedergewinnung eines substantiellen Bodens zu gelangen, scheint zum Scheitern verurteilt zu sein. Leichter haben es da gewisse in Santa Marta sehr rege Einflüsterer mit ihrer neuen theologischen Mathematik „2+2 kann im gegebenen Fall auch 5 ergeben“, schwerer der Theologe und Hirt, der in Sorge um das Seelenheil des Menschen und das Wohl der Kirche Substanz einfordert und sich mit dieser auseinandersetzen will.

Der Beginn dieses Jahres war gezeichnet von dem, was in die Geschichte dieser Jahre als das „Glaubensmanifest“ eingehen wird. Dieses Glaubensmanifest ist ein Skandal, so wie dies 1968 das Buch eines Theologen war, das es wagte, den Titel „Einführung in des Christentum“ anzunehmen. 1968 Jahre nach Christus – eine Einführung in das Christentum? So weit war es gekommen also, dass dies nötig war, so weit war es gekommen, dass Papst Paul VI. zum Abschluss des Heiligen Jahres des Glaubens im Juni 1968 ein „Credo des Gottesvolkes“ verfassen musste.

Und jetzt das Manifest des Glaubens von Gerhard Kardinal Müller. Ein Kamingespräch mit der Eminenz – es ist immer ein Ereignis, weil sich in ihm in drängender, intensiver nicht loslassender Weise „amor intellectualis“, „libertas intellectus“ und die wahre „Parrhesia“ des Christen vereinen, dessen Ziel eindeutig ist: die eine und absolute Wahrheit Jesu Christi zu verkünden.

Eminenz, fangen wir doch noch einmal bei ihrem Manifest des Glaubens an. Sie schrieben: „Angesichts sich ausbreitender Verwirrung in der Lehre des Glaubens, haben viele Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien der katholischen Kirche mich um ein öffentliches Zeugnis für die Wahrheit der Offenbarung gebeten. Es ist die ureigene Aufgabe der Hirten, die ihnen Anvertrauten auf den Weg des Heils zu führen. Dies kann nur gelingen, wenn dieser Weg bekannt ist und sie ihn selber vorangehen. Dabei gilt das Wort des Apostels: ‚Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe’ (1 Kor 15,3)“. Im Oktober 2019 wurde dann in den USA auch eine DVD mit dem Ziel veröffentlicht, dieses Manifest als Grundlage einer Evangelisierung zu betonen und zu nutzen.

Wie würden Sie nun am Ende des Jahres und auch im Hinblick auf viele andere Geschehnisse erklären, was die Grundlinien der Schrift sind? Was hat Sie dazu geführt, die Notwendigkeit zu einem derartigen Dokument von internationaler Verbreitung und Tragweite zu erkennen (das einzig und allein auf den Füßen des Katechismus und des Lehramtes steht)? Hat es Sie überrascht, von aktuellen „Neo-Papisten“ der „bergoglian pressure-group“ angegriffen worden zu sein, weil sie etwas „Katholisches“ zusammengefasst hatten und daher als „Papst-Gegner“ qualifiziert wurden?

Kardinal Müller: Wer einen katholischen Bischof und Kardinal der römischen Kirche, „mit der wegen ihrer Gründungsautorität (= propter potentiorem principalitatem) jede andere Kirche (im Glaubensbekenntnis) übereinstimmen muss“ (vgl. Irenäus von Lyon, Gegen die Häresien III, 3,2) als „Papstgegner“ diffamiert, handelt offensichtlich nach dem Motto „Haltet den Dieb!“

Die genannte pressure-group ist kein Teil des Papstamtes, sondern höchstens eine Belastung für die Kirche. Wer sie theologisch ernst nimmt, dem kann nicht mehr geholfen werden. Jeder gute Fußballtrainer weiß, dass er nicht mit seinen Fans, sondern nur mit erstklassigen Profis die Meisterschaft gewinnt. Entweder kennt man die verbindliche Glaubenslehre des I. und II. Vatikanums über „Einrichtung, Dauer, Gewalt und Sinn des dem Bischof von Rom zukommenden heiligen Primates sowie über sein unfehlbares Lehramt“ (Lumen gentium 18) nicht oder diese Profiteure missbrauchen absichtlich das öffentliche Prestige des Papstes, um heterodoxe Lehren und eine pastorale Praxis einzuführen, die der „Wahrheit des Evangeliums“" (Gal 2, 14) widersprechen.

Das Papsttum und die Kirche beginnen mit Christus und nicht erst heute, wenn manche Ideologen auch meinen, mit Papst Franziskus seien nun sie an den „Schalthebeln der Macht“ und ein größeres Glück könnte der Kirche nicht passieren, als ausgerechnet von ihnen beraten zu werden. Das einzige, was diese Leute unfehlbar glauben ist doch ihr Mantra, dass ausgerechnet auf sie die Kirche 100 Jahre lang sehnlichst warten musste, um endlich dank ihrer Weitsicht in der modernen Welt anzukommen. Ein Protagonist in dieser Richtung hat gemeint, in der Pastoral, wo es also um das ewige Heil des einzelnen Menschen geht, könne man auch einmal die Regel gelten lassen: 2+2=5. Das Beispiel verrät das Reflexionsniveau solcher Ratgeber und die Verwirrung, die sie unter den Gläubigen anrichten.

Im Grund sind hier Voluntaristen am Werk, die den Willen Gottes als Willkür missverstehen und dann meinen, auch sie könnten die Offenbarung willkürlich interpretieren und sich an der Offenbarung in Christus und der dogmatischen Lehre der Kirche vorbei direkt auf den Heiligen Geist berufen. Sie vergessen dabei nur eins, dass der Heilige Geist der Geist des Vaters und des Sohnes ist und dass Er (und nicht sie) die Kirche in der Wahrheit Christi erhält. Gott handelt niemals aus innerer oder äußerer Notwendigkeit. Aber in seinem Handeln folgt er seiner Weisheit und nicht dem Kalkül menschlicher Willkür. Er lässt sich auch durch unsere Spitzfindigkeiten nicht in Widersprüche verwickeln.

Dass 2+2 ausnahmslos in der Summe immer 4 und niemals 5 sind, ergibt sich daraus, dass die formalen Gesetze der Logik, Geometrie und Arithmetik (Mathematik) die Prinzipien sind, von denen die Essenz der Dinge abhängt, so wie Gott sie geschaffen hat. Darum wäre ein Handeln Gottes gegen die Prinzipien, durch welche die von ihm geschaffene Welt und die von ihm eingerichtete Heilsordnung bestehen, nicht ein Beweis seiner absoluten Freiheit, sondern nur ein unmöglicher Widerspruch zwischen dem Wesen und Handeln Gottes. Der hl. Thomas von Aquin weist auf diese Weise die falsche Meinung vom Willkür-Willen Gottes zurück (Summa contra gentiles II, cap. 125).

Aber um zu wissen, dass in der Mathematik und folglich in der Pastoral 2+2=4 sind, braucht man nicht die größten Denker der Menschheit zu bemühen. Das weiß schon jedes Kind. Und als Kinder Gottes verstehen wir auch ohne Universitätsbesuch die Logik der Sakramente. Erschütternd ist es aber, wenn ein bestellter Diener des göttlichen Wortes (=Logos), nämlich Christi (Lk 1,2; Apg 6,4), die Logik des Glaubens verwirrt, weil er nicht einmal 2 und 2 richtig addieren kann. Theo-Logisch ist es: Wer sich im Stande der Todsünde befindet, kann nicht ohne vorherige Reue und Buße fruchtbar und heilbringend denselben Christus in der hl. Kommunion empfangen, dem er durch die schwere Sünde diametral widerspricht (Konzil von Trient, Dekret über die Eucharistie, Kanon 11).

Dieses Dogma ist also keine willkürliche Bestimmung Gottes oder einer (in den Pharisäismus zurückgefallenen) Kirche, von dem Gott augenzwinkernd auch einmal dispensiert, weil es ihn reut, immer so streng zu sein. Es ist vielmehr die Logik des guten Arztes, der zuerst mit dem richtigen Medikament die Gesundung des Patienten bewirkt, bevor dieser sich wieder sich erheben und sich mit normaler Speise ernähren kann.

Und wegen dieser fahrlässigen oder inkompetenten Verwirrung der Logik des Glaubens war das Glaubensmanifest notwendig, um an das kleine Einmaleins der Grundwahrheiten des katholischen Katechismus zu erinnern. Es entspricht dem Apostolischen Glaubensbekenntnis mit den Geheimnissen der Dreifaltigkeit und Menschwerdung Gottes, der Wesensnatur der Kirche als Sakrament des Heils der Welt in Christus, den sieben Sakramenten als Gnadenmitteln zum göttlichen Leben, die Einheit von Glaubensbekenntnis und christlicher Lebensführung und die Hoffnung auf Gott und das ewige Leben.

Was Papsttreue angeht, gilt auch der logische Umkehrschluss: wer Johannes Paul II. und Benedikt XVI. als Personen verachtete und ihre dogmatischen Erklärungen ablehnte (etwa: zur Unmöglichkeit, dass eine Frau das Weihesakrament gültig empfängt; oder dass es Handlungen gibt, die in jeder Hinsicht böse sind, wie z. B. die Tötung eines Kindes im Mutterleib), kann kein wahrer Freund des jetzigen Papstes sein. Denn jeder Papst ist Petrus, der – nachdem er sich bekehrt hatte – seine Brüder im Glauben an Jesus Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, stärken soll ( Lk 22, 32; Mt 16,16).

Man kann nicht katholisch sein, ohne die volle Gemeinschaft mit dem Papst und den Bischöfen. Aber niemand ist katholisch durch den Papst, sondern allein durch die Gnade Christi in Glauben, Hoffnung und Liebe, im Bekenntnis des Glaubens, der Taufe und der Teilhabe an allen Sakramenten und zwar in der Weise, dass man in Gemeinschaft steht mit den Nachfolgern der Apostel und ihr Lehr- und Hirtenamt anerkennt (Lumen gentium 14). Die Bischöfe und Priester spenden nicht die Gnade der Sakramente, sondern nur (instrumentaliter) die Sakramente der Gnade (Thomas von Aquin, Summa theologiae, Suppl. q. 36 a.3).

Das Lehramt steht nicht über dem Wort Gottes, sondern dient ihm (Dei verbum 10). Papst und Bischöfen kommt keine Kompetenz zu, die eschatologische Offenbarung Gottes in ihrer Fülle und Unüberbietbarkeit zu ergänzen, zu relativieren, zu korrigieren oder seine Kirche und ihre Lehre zu „modernisieren“, d.h. den Bedürfnissen der Welt anzupassen. Es gibt die absurden Buchtitel, die Papst Franziskus nicht nur als Reformer der Kirche publizistisch hochjubeln, sondern die von einer Bekehrung der Kirche durch den Papst sprechen oder den allein richtigen Ausdruck „Kirche Christi“ durch den Begriff „Kirche des Franziskus“ ersetzen, wodurch der Papst aus dem Verkünder des Glaubens zu einem Gegenstand des Glaubens würde. Luther hätte sich bei solch unerleuchteter Papstverehrung bestätigt gefühlt.

In Wirklichkeit ist es nur Gott allein, der die Herzen bekehrt. Die Apostel und ihre Nachfolger sind durch die Verkündigung und das gute Beispiel nur Werkzeuge Christi als „Diener und Verwalter von Geheimnisse Gottes“ (1 Kor 4,1) und seine „Mitarbeiter“ (2 Kor 6,1). Die Reihenfolge und Kausalität von Herr und Diener ist unumkehrbar: „Gott hat uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen“ ( 2 Kor 5, 18)

Viele kritische und Verwirrung stiftende Sachverhalte stehen nach wie vor im Raum. Noch vier Jahre nach dem Ende der sogenannten Familiensynoden besteht die Notwendigkeit den lehramtlichen Charakter eines diese zusammenfassenden nachsynodalen Schreibens zu unterstreichen.

So erklärte Papst Franziskus während seiner Reise nach Thailand im November 2019 in einem privaten Gespräch mit der dortigen Jesuitenkommunität auf die Frage, wie katholische Seelsorger mit wiederverheirateten Geschiedenen umgehen sollten: „Ich könnte auf zwei Weisen antworten: auf kasuistische Weise, die nicht christlich ist, auch wenn sie kirchlich sein kann. Oder gemäß dem Lehramt der Kirche, wie es im achten Kapitel von ‚Amoris laetitia’ geschrieben ist“. Dort gehe es darum, einen Weg der Begleitung zu gehen, um „in geistlichen Entscheidungen Lösungen zu finden“. – Eine „never ending story“. Was kann das bedeuten?

Kardinal Müller: Es ist klar, dass niemand die hl. Kommunion empfangen kann, der nicht im Stand der heiligmachenden Gnade ist. Wer sich einer Todsünde bewusst ist, muss (aus der Natur seiner sakramental vermittelten Gottbeziehung heraus) seine Sünden bereuen, den Schaden nach Kräften wieder gutmachen und in der Beichte und Buße die Absolution durch einen Priester erlangen (bzw. nach vollkommener Reue die nächste Gelegenheit suchen, einem Priester seine Sünden zu beichten).

Es ist wichtig, auf dieser dogmatischen Grundlage nachfolgende moraltheologische Argumentationen (z. B. über Sinn und Grenzen der Kasuistik) oder pastoralpsychologische Vorgehensweisen aufzubauen. Geistliche Entscheidungen beziehen sich doch darauf, ob ich innerhalb der für alle geltenden moralischen Prinzipien und der dogmatischen Wahrheiten des Glaubens einem persönlichen Ruf zu einem Leben nach den evangelischen Räten folge oder ob ich nicht lieber eine Ehe eingehe. Etwas anders ist die Grundordnung der Sakramente, über die die Kirche nicht verfügt und die sich keiner nach seinen „geistlichen Unterscheidungen“ selbst zurechtbiegen kann. Hier liegen die Grenzen kirchlicher Vollmacht.

Bezüglich der Ehe besteht nur die Vollmacht unter Umständen festzustellen, dass die Bedingungen für einen gültigen Eheabschluss nicht gegeben waren. Es geht also nur insofern um den zu berücksichtigenden Einzelfall. Falsch wäre es zu sagen, dass neben der bestehenden sakramentalen Ehe eine Zivilehe möglich ist, deren sexueller Vollzug entgegen den Worten Christi nicht Ehebruch wäre (Mk 10, 11) und dass man diese sexuelle Gemeinschaft einem zweiten Ehepartner zugestehen könnte, weil dem Betreffenden eine sexuelle Enthaltsamkeit nicht zumutbar wäre (1 Kor 7, 10f).

Durch die m. E. inhaltlich absurde und persönlich beleidigende Polemik gegen die Verteidiger der Lehre Christi und der Kirche von der Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe werden die Spannungen in der Kirche nicht gelöst. Es ist auch unrealistisch zu meinen, dass diese einmal aussterben oder durch Personalpolitik aus dem Episkopat verschwinden. Jedem nachdenkenden Gläubigen und erst recht einem theologisch ausgebildeten Lehrer des Glaubens springen die Ungereimtheiten zwischen dem ehrlichen Willen, den Menschen in schwierigen Ehesituation geistlich zu helfen und der ungeklärten sakramenten-theologischen Grundlage dazu ins Auge.

An das Steinchen im Schuh gewöhnt man sich nicht. Der Fuß wird ewig rebellieren, solange bis das störende Element beseitigt, d.h. hier objektiv der Widerspruch in den Prinzipien ausgeräumt ist. Wir müssen wieder anerkennen, dass die Lehre und Praxis des Glaubens zusammengehören und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.
Anfang des Jahres fand das von Papst Franziskus persönlich gewollte Treffen im Vatikan von Vorsitzenden und Exponenten der Bischofskonferenzen statt. Thema: die Missbrauchskrise, die vor allem durch die Geschehnisse in den USA und in Deutschland eine weltkirchliche Dimension angenommen hatte. Es entstand der Eindruck, dass sich Rom und der Papst schwer tun, wesentliche Aspekte der Katastrophe zu erkennen.

Im April veröffentlichte dann Benedikt XVI. seine Anmerkungen über die Kirche und den Skandal sexuellen Missbrauchs, die während des römischen Treffens ignoriert worden waren. „Ein Gespenst geht um in der Welt. Der Popanz ist das Schreckgespenst einer Umkehr, schlimmer noch, einer drohenden Bekehrung Europas, das sich gerade mit einem Aufschrei der Entrüstung über Benedikt XVI. entlädt und Luft macht“, so Albert Christian Sellner in einem Vorwort zur Druckausgabe: „Denn der Papa emeritus hat es gewagt, wenige Tage vor seinem 92. Geburtstag die 68er für die sexuelle Verwilderung des Zeitgeists verantwortlich zu machen! Soweit ich das überblicken kann, hat der Ex-Pontifex recht“.

Wie dem auch sei: die hitzigen Reaktionen in der Kirche und auch außerhalb zeigten nur eines: Benedikt XVI. hatte, wie das immer zum Stil Ratzingers gehörte, die Finger in viele eitrige Wunden gelegt, von denen man gerade und besonders in den letzten Jahren so getan hatte, als gäbe es sie nicht.

Was ist das also für ein Text? Die „letzte Enzyklika“ des 92jährigen Emeritus oder eine neue Form von Lehrschreiben, mit dem Benedikt XVI. einen Weg in die Zukunft eröffnet? Inwiefern und inwieweit können Sie den Analysen Benedikts XVI. folgen?

Kardinal Müller: Der Text ist eine persönliche Sicht der Dinge, die aber ein hohes Gewicht hat wegen des hohen Niveaus der theologischen Reflexion und der jahrzehntelangen Erfahrung als Bischof, Präfekt der Glaubenskongregation und als Papst.

Sexuellen Missbrauch hat es schon seit jeher gegeben wie wir auch aus der verwilderten Situation der alten Heiden wissen, wo nicht einmal ihre genialsten Denker die Pädophilie als schwerstes Unrecht gegenüber Heranwachsenden erkannten. Paulus zählt diese Sünde des sexuellen Kontaktes zwischen Jugendlichen und Erwachsenen aber auch zwischen Personen gleichen Geschlechtes zu den schwersten Lastern, die vom Reich Gottes ausschließen (1 Kor 6,9) und die in sich Zeichen der Rebellion gegen Gott und seine Ordnung in der Schöpfung der Ehe von Mann und Frau sind (Röm 1,26ff).

Das trifft auch zu auf die Bestrebungen, die Pädophilie zu entkriminalisieren, wie es in den 1980-Jahren einige Parteien sogar in Deutschland und Österreich wollten. Das war auch die Zeit, wo diese verheerende Denkweise bis in den katholischen Klerus vorgedrungen war.

Die katholische Morallehre hat zu jeder Zeit, sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Heranwachsenden als Todsünde deklariert, wie sich aus jedem „Beichtspiegel“ in den Gebet- und Gesangbüchern jener Zeit nachweisen lässt. Die schärfste Polemik gegen die von Benedikt XVI. lediglich festgestellten und statistisch erwiesenen Tatsachen kamen von einer innerkirchlichen Lobby, deren Dauerthema und Hauptziel es ist, homosexuelle Handlungen moralisch salonfähig zu machen. Ihnen passt es nicht in die Strategie, dass über 80% der Opfer solcher Untaten von Geistlichen Jungmänner im pubertären und postpubertären Alter sind.

Es ist das unbeherrschte sexuelle Lustbegehren, das die einzelnen Kleriker oder Nichtkleriker zu Verbrechern an ihren Opfern macht. Das sündige Abreagieren der ungeordneten sexuellen Begierde war nicht das Instrument, um seine Macht über das Opfer zu demonstrieren (wie es perverse Triebtäter bei Vergewaltigungen ihrer wehrlosen Opfer empfinden), sondern umgekehrt war es die geistliche Autorität oder die Überlegenheit des Erwachsenen über das Kind, die als Zugang zu egoistischen Lustbefriedigung dienten, um das Opfer zu instrumentalisieren und so zu entwürdigen.

Die Absenkung der öffentlichen Moralempfindens und das „System“ von Kirche, Schule, bürgerlicher Familie etc. können auf keinen Fall zur Entschuldigung der Täter führen, weil bei einem zurechnungsfähigen Erwachsenen und erst recht bei einem Priester, dem Lehrer des Glaubens und der Moral, das Gewissen unmittelbar ist zum Guten als Richtmaß all unseres sittlichen Handelns (Röm 2,15).

Das Märchen vom bösen Klerikalismus glauben nur seine Erfinder. Es ist nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver von der wahren Ursache, dass die Sexualität nur als sinnliche egoistische Triebbefriedigung gesehen und nicht in ihrem tragenden Zusammenhang mit der personalen Liebe in der Ehe erkannt wird. Manche nutzen die günstige Gelegenheit des schlechten Rufes des zölibatären Klerus, um ihre antiklerikalen Aggressionen abzureagieren. Man hört oft die Formulierung : „Zölibat ist wider die Natur, die Entscheidung zum Priesteramt kommt aus Unreife und lenkt Priester und Ordensleute zwangsläufig auf minderjährige, statt auf erwachsene Sexualobjekte ab“.

Andere melden umgekehrt gerade jetzt ihre klerikalen Ambitionen an (d.h. der sonst so verschmähten Macht), weil man sich als Laientheologin oder verheirateter Theologe von den Ehren des Weihesakramentes bisher zu Unrecht ausgeschlossen fühlte.

Stichwort „synodaler Weg“, „Synodalität“: was kann man sich darunter vorstellen? Wie beurteilen Sie das, was im Vorfeld und nun gleich zu Beginn des deutschen „synodalen Weg“ zutage tritt und was man verkürzt, aber griffig so zusammenfassen könnte: „es gibt nichts Absolutes in der Lehre, angefangen bei dem, was Priestertum und Kirche sind, um dann weiter in die Neubestimmung der katholischen Sexuallehre zu gehen?“.

Kardinal Müller: Der synodale Weg ist eine Tautologie. Die Kirche pilgert auf dem Weg zur ewigen Vollendung und sie bekennt, dass Jesus, ihr Herr und Haupt, in seiner Person „Weg und Wahrheit und Leben“ (Joh 14, 6) ist.

Der christliche Agnostizismus, der ein dogmenfreies Christentum als Humanitätsreligion anzielt oder eine Kirche, die sich Zivilreligion anbietet, ist nichts Neues. Nur dass er sich auf unglaublich primitiverem Niveau als der Modernismus zu Beginn des letzten Jahrhunderts jetzt als national-deutsche Kirche etablieren will, zeigt deutlich den inneren Glaubensverlust, ja den Nihilismus seiner Protagonisten. Eine solche Ignoranz kann nur frech das Haupt erheben, wo die gesamte Entwicklung von Kirche und Theologie der letzte 300 Jahre verschlafen worden ist.

Das einzige fundamentum inconcussum, das sie noch anerkennen, ist der materielle Reichtum der deutschen Diözesen. Das Kirchenvermögen ist aber nicht dazu da, um Funktionäre zu mästen und Mietlingen eine Plattform für ihre Eitelkeiten zu bieten, sondern um die materiellen Bedingungen für den Heilsdienst der sichtbaren Kirche in Martyria, Leiturgia und Diakonia zu gewährleisten.

Gott ist die erste Wahrheit und alle Artikel des Glaubensbekenntnisses und die Dogmen der kirchlichen Lehre vermitteln uns Anteil an der Erkenntnis Gottes im Glauben und die Teilnahme an seinem dreifaltigen Leben in der Liebe.

Die von Ihnen oben beschriebene Haltung von Apostaten, die zwar den Glauben der Kirche aufgegeben haben und ihre selbst gebastelten gedanklichen Wirrnisse für modern-katholisch halten und anderen noch verbindlich auferlegen wollen, sind von einer so abgründigen Hohlheit, dass jede Diskussion auf dieser Ebene verlorenen Liebesmüh ist. Da kann man nur noch auf ein Wunder hoffen. "Denn es ist – nach menschlichem Ermessen – unmöglich, jene, die einmal erleuchtet worden sind, die von der himmlischen Gab genossen und Anteil am Heiligen Geist empfangen haben, die das gute Wort Gottes und die Kräfte der kommenden Weltzeit gekostet haben, dann aber abgefallen sind, erneut zur Umkehr zu bringen; da sie den Sohn Gottes noch einmal für sich ans Kreuz schlagen und zum Gespött machen“ (Hebr 6,4-6f). Kein ernsthafter und geistig wacher Katholik sollte sich entmutigen lassen von denen, die leugnen, dass „durch Jesus Christus die Gnade und die Wahrheit in die Welt gekommen ist“" (Joh 1,17).

Vom Standpunkt der Vernunft lässt sich die oben genannte Position als Non-sense abtun. Vom Standpunkt des Glaubens ist sie ein Ärgernis und ein Aufruf „die Geister zu prüfen, ob sie aus Gott sind“ (1 Joh 4, 1). Wer Gott nicht glaubt, hat ihn zum Lügner gemacht, weil er nicht an das Zeugnis glaubt, das Gott von seinem Sohn abgelegt hat“ (1 Joh 5,10).

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