Das katholische Priestertum

16. Jänner 2020 in Aktuelles


Vorabdruck aus dem Buch "Aus der Tiefe des Herzens" von Kardinal Sarah - In voller Länge auf kath.net - Von Benedikt XVI.


Rom (kath.net)
Das katholische Priestertum

1 Die Gestaltwerdung des neutestamentlichen Priestertums
in der christologisch-pneumatischen Exegese

Die Bewegung, die sich um Jesus von Nazareth gebildet hat, war – jedenfalls in der vorösterlichen Zeit – eine Laienbewegung. Darin ähnelt sie der Bewegung der Pharisäer, weshalb die ersten Ausei-nandersetzungen sich wesentlich auf die pharisäische Bewegung beziehen. Erst beim Letzten Pascha Jesu in Jerusalem ist die priesterliche Tempelaristokratie – die Sadduzäer – auf Jesus und seine Bewegung aufmerksam geworden, was zum Prozeß und zur Hinrichtung Jesu geführt hat. Dementsprechend konnten auch die Ämter in der um Jesus sich bildenden Gemeinschaft nicht dem Bereich des alttestamentlichen Priestertums zugehören: Priestertum war erblich. Wer nicht aus einer Priesterfamilie stammte, konnte auch nicht Priester werden.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die wesentlichen Amtsstrukturen der frühen Gemeinschaft Jesu.

1) Apostel

In der griechischen Welt ist das Wort Apostel terminus technicus der Staatssprache (ThWNT, I, S. 406). Im vorchristlichen Judentum wird das Wort in seiner Verbindung von profaner Gesandtschaft und Verantwortung Gott gegenüber und religiöser Bedeutung aufgenommen. Es bezeichnet nun auch den von Gott beauftragten und bevollmächtigten Boten.

2) Episkopos

bezeichnet im profanen Griechisch Amtsstellungen mit technischen und finanziellen Obliegenheiten, hat aber doch auch einen religiösen Gehalt, insofern es meist Götter sind, die als Episkopos, das heißt als Schutzpatrone bezeichnet werden. „Die Septuaginta wendet den Begriff Episkopos in der gleichen doppelten Weise an, in der er in der heidnischen Gräzität gebraucht wird, als Bezeichnung Gottes und in der allgemeinen, profanen Bedeutung ‚Aufseher’ über allerlei Bereiche“ (ThWNT, II, S. 610, Zeile 16-19).

3) Presbyteros

Während im heidenchristlichen Bereich als Bezeichnung für Amts-träger das Wort Episkopos überwiegt, ist für den vom Judentum ge-prägten Bereich das Wort Presbyteros kennzeichnend. Die jüdische Tradition von Ältesten als eine Art Verfassungsorgan hat sich offen-bar in Jerusalem schnell zu einer ersten christlichen Amtsgestalt entwickelt. In der Kirche aus Juden und Heiden hat sich daraus die dreifache Amtsgestalt von Episkopen, Presbytern und Diakonen entwickelt, die am Ende des ersten Jahrhunderts bei Ignatius von Antiochien deutlich entwickelt vorliegt und sprachlich und inhaltlich bis heute die Amtsstruktur der Kirche Jesu Christi gültig ausdrückt.

Aus dem bisher Gesagten ist deutlich geworden, daß der laikale Charakter der frühen Jesus-Bewegung und der nicht kultisch-priesterlich verstandene Charakter der frühen Ämter keineswegs notwendig auf einer antikultischen und antijüdischen Entscheidung beruht, sondern der besonderen Situation des alttestamentlichen Priestertums folgt, wonach Priestertum an die Familie Aaron-Levi gebunden ist. Bei den beiden anderen „Laienbewegungen“ der Zeit Jesu ist das Verhältnis zum Priestertum unterschiedlich aufgefaßt: Die Pharisäer scheinen im Prinzip im positiven Einvernehmen mit der Tempelhierarchie gelebt zu haben – abgesehen von der Kontro-verse um die Auferstehung des Leibes. Bei den Essenern, der Qum-ran-Bewegung, ist die Situation schwieriger. Jedenfalls in einem Teil der Qumran-Bewegung war der Gegensatz zum herodianischen Tempel und zu seinem Priestertum schroff, aber gerade nicht um das Priestertum zu verneinen, sondern um es in seiner reinen und richtigen Gestalt wieder herzustellen. Auch in der Jesus-Bewegung geht es nicht einfach um „Entsakralisierung“, Entgesetzlichung und Ablehnung von Priestertum und Hierarchie, wohl aber wird die Kult-kritik der Propheten aufgenommen und zu einer unerwarteten Einheit mit der Überlieferung von Priestertum und Kult geführt, die wir zu verstehen versuchen müssen. In meinem Buch „Der Geist der Liturgie“ habe ich die kultkritische Linie der Propheten dargestellt, die von Stephanus aufgenommen und vom heiligen Paulus mit der neu-en Kulttradition des Letzten Mahles Jesu verbunden wird. Jesus selbst hatte die prophetische Kultkritik vor allen Dingen im Zusammenhang mit dem Streit um die rechte Auslegung des Sabbat aufge-nommen und bejaht (vgl. Mt 12, 7).

Betrachten wir zunächst das Verhältnis Jesu zum Tempel als Aus-druck der besonderen Anwesenheit Gottes inmitten seines auser-wählten Volkes und als Ort des von Mose geregelten Kultes. Die Ge-schichte vom zwölfjährigen Jesus zeigt, daß seine Familie observant war und daß er an der Frömmigkeit seiner Familie selbstverständlich teilgenommen hat. Das Wort an die Mutter „Ich muß in dem sein, was meines Vaters ist“ (Lk 2, 49) ist Ausdruck der Überzeugung, daß der Tempel in besonderer Weise der Ort ist, an dem Gott wohnt und so der richtige Aufenthalt für den Sohn ist. Auch in der kurzen Periode seines öffentlichen Auftretens hat Jesus die Wallfahrten Israels zum Tempel mitgemacht, und nach seiner Auferstehung hat sich seine Gemeinde offenbar regelmäßig im Tempel zur Lehre und zum Gebet versammelt.

Dennoch hat Jesus dem Tempel gegenüber grundlegend einen neu-en Akzent mit der Tempelreinigung gesetzt (Mk 11, 15 ff; Joh 2, 13 – 22). Die Deutung, Jesus habe nur Mißbräuche abgewehrt und insofern mit dieser Geste den Tempel bestätigt, ist ungenügend. Bei Jo-hannes erscheint ein Deutungswort für diese Handlung, die als Vor-zeichen für die Zerstörung des steinernen Baus gedeutet wird, an dessen Stelle sein Leib als der neue Tempel treten werde. Dieses Deutungswort Jesu erscheint im Prozeßbericht der Synoptiker im Mund von Falschzeugen (Mk 14, 58). Die von den Zeugen vorgetra-gene Fassung ist verzerrt und daher für den Prozeßausgang nicht zu verwerten. Aber es bleibt bestehen, daß Jesus ein Wort dieser Art gesprochen hat, dessen Wortlaut freilich nicht für den Prozeß si-cher genug festgelegt werden konnte. Die werdende Kirche hat da-her mit Recht die johanneische Fassung als wirklich jesuanisch aufgenommen. Das bedeutet, daß Jesus die Zerstörung des Tempels als Folge der verfehlten Haltung der waltenden Priesterhierarchie ansieht. Gott aber nutzt die verfehlte Haltung der Menschen wie an allen Eckpunkten der Heilsgeschichte zu einem Modus seiner größe-ren Liebe. Insofern sieht Jesus offensichtlich die Zerstörung des jet-zigen Tempels letztlich als Schritt göttlichen Heilens an und deutet sie als endgültige Neugestaltung des Kultes. In diesem Sinn ist die Tempelreinigung Ankündigung einer neuen Form der Verehrung Gottes und betrifft damit das Wesen von Kult und Priestertum überhaupt.

Entscheidend für das Verständnis dessen, was Jesus mit Kult gewollt und nicht gewollt hat, ist selbstverständlich das Letzte Abendmahl mit der Gabe von Leib und Blut Jesu Christi. Es ist hier nicht der Ort, in den inzwischen entstandenen Disput um die rechte Auslegung dieses Geschehens und der Worte Jesu einzutreten. Wichtig ist, daß Jesus einerseits die Sinai-Tradition aufnimmt und so sich selbst als den neuen Mose darstellt, andererseits aber die besonders bei Jeremia formulierte Hoffnung des neuen Bundes aufnimmt und damit eine Überschreitung der Sinai-Tradition ansagt, in deren Mitte er selber steht als der Opfernde und Geopferte zugleich. Es ist wichtig zu bedenken, daß derselbe Jesus, der unter den Jüngern steht, sich selbst ihnen in seinem Fleisch und Blut übergibt und damit Kreuz und Auferstehung vorwegnimmt. Ohne Auferstehung wäre das Ganze sinnlos. Die Kreuzigung Jesu ist in sich kein Kultakt, und die sie ausführenden römischen Soldaten sind keine Priester. Sie führen eine Hinrichtung aus, denken aber nicht von ferne daran, ei-nen Kultakt zu setzen.

Daß Jesus im Abendmahlssaal für alle Zeiten sich selbst als Speise schenkt, bedeutet die Antizipation seines Todes und seiner Auferstehung und die Umwandlung eines Aktes menschlicher Grausamkeit in einen Akt der Hingabe und der Liebe. So vollzieht Jesus selbst die grundlegende Erneuerung des Kultes, die für alle Zeiten maßgebend bleibt: Er wandelt die Sünde der Men-schen in einen Akt der Vergebung und der Liebe um, in den die künftigen Jünger durch ihr Teilnehmen an der Stiftung Jesu eintre-ten können. So erklärt sich auch, was Augustinus den Übergang vom Abendmahl zum Morgenopfer in der Kirche genannt hat.

Das Abendmahl ist Hingabe Gottes an uns in der vergebenden Liebe Jesu Christi und ermöglicht der Menschheit, nun ihrerseits die Gebärde der Liebe Gottes aufzunehmen und an Gott zurückzugeben.

In alledem ist nichts direkt über das Priestertum gesagt. Aber es ist doch klar, daß die alte aaronitische Ordnung damit überschritten ist und Jesus selbst als der Hohepriester dasteht. Wichtig ist auch, daß so die prophetische Kultkritik und die von Mose ausgehende kultische Tradition sich verschmelzen: Die Liebe ist das Opfer. In meinem Jesusbuch (II, 54 – 56) habe ich dargestellt, wie diese neue Gründung des Kults und damit des Priestertums bei Paulus schon vollständig durchgeführt ist. Es ist eine grundlegende, durch den Tod und die Auferstehung Jesu vermittelte Einheit, die zwischen der paulinischen Verkündigung und ihren Gegnern offenbar umstrittig war.

Die vom Menschen verschuldete Zerstörung der Tempelmauern wird von Gott positiv aufgenommen: Es gibt keine Mauern mehr, sondern der auferstandene Jesus Christus ist der Raum der Verehrung Gottes für die Menschen geworden. So bedeutet das Niederbrechen des herodianischen Tempels auch dies, daß zwischen den beiden Sprach- und Lebenswelten der mosaischen Gesetzgebung und der Sammlungsbewegung Jesu nichts Trennendes mehr dazwischen liegt. Die christlichen Ämter (Episkopos, Presbyteros, Diakonos) und die vom mosaischen Gesetz geregelten (Hohepriester, Priester, Leviten) stehen nun offen nebeneinander und können so auch nun in neuer Offenheit miteinander identifiziert werden. In der Tat ist die terminologische Gleichsetzung (Episkopos = Hohepriester, Presby-teros = Priester, Levit = Diakonos) verhältnismäßig früh erfolgt.

Ganz selbstverständlich begegnet sie uns in den Taufkatechesen des heiligen Ambrosius, die aber sicher auf ältere Vorlagen zurückgehen. Was hier geschieht, ist einfach die christologische Auslegung des Al-ten Testaments, die auch die pneumatologische Auslegung genannt werden kann und die Weise ist, in der das Alte Testament zur Bibel der Christen werden und bleiben konnte. Wenn diese christologisch-pneumatologische Auslegung von der Literaturgeschichte her auch „allegorisch“ genannt werden konnte, so ist doch die innere Neuheit und die klare Begründung der christlichen Neuinterpretation des Al-ten Testaments ohne weiteres sichtbar: Allegorie ist hier nicht ein literarischer Trick, um den Text neuen Zwecken dienstbar machen zu können, sondern Ausdruck eines geschichtlichen Schrittes, der der inneren Logik des Textes entspricht.

Das Kreuz Jesu Christi ist der Akt der radikalen Liebe, in dem sich die Versöhnung zwischen Gott und der sündigen Welt real vollzieht. Deswegen ist dieses an sich auf keine Weise kultisches Geschehen dennoch die höchste Verehrung Gottes. Im Kreuz ist die katabatische Linie des Absteigens Gottes und die anabatische Linie der Hin-gabe der Menschheit an Gott zu einem einzigen Akt geworden, der den neuen Tempel seines Leibes in der Auferstehung ermöglicht hat. In der Feier der Eucharistie wird immer wieder die Kirche, ja die Menschheit, in diesen Vorgang hineingezogen.

Im Kreuz Christi ist die prophetische Kultkritik ein für alle Mal an seinem Ziel angekommen. Zugleich aber ist der neue Kult begründet. Die in der Eucharistie immerfort gegenwärtige Liebe Christi ist der neue Akt der Anbetung. Dementsprechend sind die priesterlichen Ämter Israels „aufgehoben“ in den Dienst der Liebe hinein, der zugleich immerfort Anbetung Gottes bedeutet. Diese neue Einheit von Liebe und Kult, von Kultkritik und Verherrlichung Gottes im Dienst der Liebe ist freilich ein unerhörter Auftrag an die Kirche, der in jeder Generation neu bestanden werden muß.

Die pneumatische Überschreitung des alttestamentlichen Buchstabens in den Dienst des Neuen Bundes hinein erfordert so immer neu den Aufbruch vom Buchstaben zum Geist. Im 16. Jahrhundert hat Luther aufgrund einer völlig anders gearteten Lektüre des Alten Testaments diesen Überschritt nicht mehr vollziehen können. Deswegen konnte er den alttestamentlichen Kult und das ihm zugeordnete Priestertum nur noch als Ausdruck des „Gesetzes“ ansehen, das für ihn nicht Teil des Gnadenweges Gottes war, sondern ihm entgegenstand. So mußte er einen radikalen Gegensatz zwischen den neutestamentlichen Dienstämtern und dem Priestertum als solchem sehen.

Mit dem II. Vaticanum ist diese Frage vollends auch für die katholische Kirche unausweichlich geworden. Die „Allegorie“ als pneumatischer Überschritt vom Alten zum Neuen Testament war nicht mehr verständlich. Während das Dekret über das Priestertum die Frage allerdings noch kaum berührt, ist sie nach dem Konzil mit einer ungeheuren Dringlichkeit auf uns hereingestürzt und ist bis heute zur anhaltenden Krise des Priestertums in der Kirche geworden.

Zwei persönliche Anmerkungen mögen dies verdeutlichen. Mir ist unvergessen, wie mein Freund, der große Indologe Paul Hacker, bei seiner Konversion vom überzeugten Lutheraner zum überzeugten Katholiken diese Frage mit der bei ihm gewohnten Leidenschaft be-handelt hat. Er betrachtete die „Sacerdoten“ als eine ein für alle Mal im Neuen Testament überwundene Realität und hat sich zunächst mit leidenschaftlicher Empörung dagegen gewandt, daß im deut-schen Wort Priester, das vom griechischen Wort Presbyter herkommt, faktisch nun doch die Bedeutung Sacerdos aufklingt. Ich weiß nicht mehr, wie er schließlich zur Bewältigung der Frage gekommen ist.

Ich selbst habe in einem Vortrag über das Priestertum der Kirche unmittelbar nach dem Konzil geglaubt, den neutestamentlichen Presbyter als Wortbedenker und nicht als „Kulthandwerker“ darstel-len zu sollen. Nun, das Bedenken des Wortes Gottes ist in der Tat eine große und grundlegende Aufgabe der Priester Gottes im Neuen Bund. Aber dieses Wort ist Fleisch geworden und es zu bedenken heißt immer auch, sich von dem Fleisch nähren zu lassen, das uns als Brot vom Himmel in der heiligsten Eucharistie geschenkt wird. Das Bedenken des Wortes ist in der Kirche des Neuen Bundes immer auch von neuem ein Sich-Einlassen auf das Fleisch Jesu Chris-ti, und dieses Sich-Einlassen ist zugleich ein Sich-Aussetzen an die Verwandlung unserer Selbst durch das Kreuz.

Darauf werde ich später noch einmal zurückkommen. Notieren wir einstweilen einige Schritte in der konkreten Geschichte der sich entwickelnden Kirche. Ein erster Schritt zeigt sich in der Errichtung eines neuen Amtes: Die Apostelgeschichte berichtet uns von der Überlastung der Apostel, die mit ihrem Auftrag für die Verkündigung und das Gebet der Kirche zugleich die volle Verantwortung für die Betreuung der Armen übernehmen mußten. Dies führte dazu, daß sich der griechischsprechende Teil der werdenden Kirche benachteiligt fühlte. So entschieden sich die Apostel dafür, sich ganz auf das Gebet und den Dienst des Wortes zu konzentrieren. Für die karitativen Aufgaben schufen sie das Amt der Sieben, das man später mit dem Diakonat identifiziert hat. Daß freilich auch dieses Amt nicht einfach bloß pragmatisch karitative Arbeit verlangte, sondern Geist und Glaube und so Fähigkeit zum Dienst am Wort, zeigt das Beispiel des heiligen Stephanus.

Ein bis heute zentrales Problem ergab sich aus der Tatsache, daß die neuen Ämter nicht auf familiärer Abstammung, sondern auf Wahl und Berufung beruhten. Während bei der Priesterhierarchie Israels die Kontinuität von Gott selbst garantiert wurde, weil er letzt-lich den Eltern ihre Söhne schenkte, gründeten hingegen die neuen Ämter nicht auf familiärer Zugehörigkeit, sondern auf einer von Gott geschenkten und vom Menschen zu erkennenden Berufung.

Deshalb stellt sich in der neutestamentlichen Gemeinde von Anfang an das Problem der Berufung – „Bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter sende“ (Mt 9, 37). Es ist in jeder Generation von neuem Hoffnung und Sorge der Kirche, Berufene zu finden. Wie sehr dies gerade heute Sorge und Auftrag der Kirche ist, wissen wir nur allzu sehr.

Unmittelbar damit hängt eine weitere Frage zusammen. Sehr früh, wir wissen nicht genau wann, aber sehr früh hat sich die regelmäßige oder gar tägliche Feier der Eucharistie als für die Kirche wesentlich entwickelt. Das „überwesentliche“ Brot ist zugleich das „tägliche“ Brot der Kirche. Dies aber hatte eine wichtige Konsequenz zur Folge, die die Kirche gerade heute bedrängt.

Im allgemeinen Bewußtsein Israels ist es offenbar klar gewesen, daß Priester in den Zeiten, in denen sie mit dem Kult zu tun hatten, also in Berührung mit dem göttlichen Geheimnis standen, sexuelle Ent-haltsamkeit üben mußten. Der Zusammenhang von sexueller Enthaltung und Gottesdienst war im allgemeinen Bewußtsein Israels durchaus klar. Als Beispiel möchte ich nur an die Episode erinnern, in der David auf der Flucht vor Saul den Priester Ahimelech um Brot bittet. „Der Priester gab David Antwort und sagte: Gewöhnliches Brot habe ich nicht zur Hand, nur heiliges Brot ist da; aber dann müssen sich die jungen Männer von Frauen ferngehalten haben. David antwortet dem Priester: Wir haben uns schon gestern und vorgestern von Frauen ferngehalten“ (1 Sam 21, 5f). Da die alttesta-mentlichen Priester sich nur an bestimmten Zeiten dem Kult zu widmen hatten, waren Ehe und Priestertum miteinander durchaus vereinbar.

Für die Priester der Kirche Jesu Christi war die Situation durch die regelmäßige oder in vielen Teilen tägliche Eucharistiefeier grund-sätzlich verändert. Ihr ganzes Leben steht in der Berührung mit dem göttlichen Geheimnis und verlangt so eine Ausschließlichkeit für Gott, die eine andere, das ganze Leben umgreifende Bindung wie die Ehe neben sich ausschließt. Aus der täglichen Eucharistiefeier und aus dem umfassenden Dienst für Gott, der darin mitgegeben ist, ergab sich die Unmöglichkeit einer ehelichen Bindung von selbst. Man könnte sagen, die funktionale Enthaltsamkeit war von selbst zu einer ontologischen geworden. Damit war von innen her ih-re Begründung und Sinngebung verändert. Heute drängt sich dagegen sofort der Einwand auf, daß es sich dabei um eine negative Einschätzung des Leibes und der Sexualität handle.

Der Vorwurf, der priesterlichen Ehelosigkeit liege ein manichäisches Weltbild zugrunde, wurde schon im 4. Jahrhundert erhoben, aber von den Vätern sofort mit Entschiedenheit zurückgewiesen und ist dann auch für einige Zeit verstummt. Eine solche Diagnose ist schon deshalb falsch, weil in der Kirche die Ehe von Anfang an als eine von Gott im Paradies geschenkte Gabe betrachtet wurde. Aber sie nahm den Menschen als ganzen in Anspruch und der Dienst für den Herrn be-anspruchte ebenfalls den Menschen ganz, so daß beide Berufungen zugleich nicht realisierbar erschienen. So war die Fähigkeit, auf die Ehe zu verzichten, um ganz für den Herrn da zu sein, zu einem Kriterium für den priesterlichen Dienst geworden.

Zur konkreten Gestalt des Zölibats in der alten Kirche ist noch anzumerken, daß verheiratete Priester die Weihe empfangen konnten, wenn sie sich zur sexuellen Abstinenz verpflichteten, das heißt eine sogenannte Josefsehe eingingen. Dies scheint in den ersten Jahrhunderten durchaus normal gewesen zu sein. Es gab offenbar eine genügende Zahl von Menschen, die eine solche Weise zu leben in der gemeinsamen Hingabe an den Herrn für sinnvoll und lebbar empfanden.

2. Drei Textauslegungen

Zum Abschluß dieser Überlegungen möchte ich drei Schriftstellen interpretieren, in denen der Überschritt von Stein zu Leib und so die innere Einheit der beiden Testamente deutlich wird, die dennoch nicht einfach eine mechanische Einheit darstellt, sondern ein Vo-ranschreiten, in dem sich die innere Intention der Anfangsworte ge-rade durch den Überschritt von Buchstabe zu Geist vollendet.

1) Ps 16, 5:

Wort zur Aufnahme in den Klerikerstand vor dem Konzil
Als erstes möchte ich das Wort von Ps 16, 5 auslegen, das vor dem II. Vatikanischen Konzil zur Aufnahme in den Klerus diente. Es wurde vom Bischof vorgesprochen und dann von dem Kandidaten wiederholt, der damit in den Klerus der Kirche aufgenommen war. Es lautet: „Dominus pars hereditatis meae et calicis mei tu es qui restitues hereditatem meam mihi. „Der Herr ist mein Erbteil. Ja, du bist mein Losanteil. Ja, mein Erbteil gefällt mir gut“ (Ps 16, 5). In der Tat drückt der Psalm fürs Alte Testament genau das aus, was er nun in der Kirche sagen wollte: Aufnahme in die Gemeinschaft der Priester. Es geht darum, daß alle Stämme Israels, jede einzelne Fa-milie, Erbe der Verheißung Gottes an Abraham war, was sich konkret darin ausdrückte, daß jede Familie ein Stück des verheißenen Landes als sein Eigentum zum Erbe erhielt. Der Besitz eines Stücks des heiligen Landes gab jedem einzelnen die Gewißheit, in der Ver-heißung zu stehen und bedeutete praktisch seine konkrete Versor-gung. Jeder sollte so viel Land erhalten, daß er davon leben konnte. Wie wichtig dieses konkrete Erbe für den einzelnen war, kann man deutlich in der Geschichte von Nabot sehen (1 Kön 21), der seinen Weinberg auf keine Weise dem König zu überlassen bereit ist, auch wenn ihm dieser vollen Ersatz bietet. Der Weinberg ist für ihn mehr als ein wertvolles Grundstück: Er ist sein Anteil an der Verheißung Gottes für Israel. Wenn jeder Israelit so über Grundbesitz verfügte, der ihm das Nötige zum Leben gewährleistete, so ist es das Besondere des Stammes Levi, daß er als einziger Stamm kein Land erbte. Der Levit bleibt landlos und so ohne unmittelbar irdische Existenzgrundlage. Er lebt von Gott und für Gott allein. Konkret bedeutet dies, daß er in einer genau geregelten Weise von den Opfergaben leben darf, die von Israel Gott zugedacht sind.

Diese alttestamentliche Figur ist bei den Priestern der Kirche in ei-ner neuen und tieferen Weise verwirklicht: Sie sollen allein von Gott und für ihn leben. Was das konkret heißt, ist vor allem beim heiligen Paulus genau zu lesen. Er lebt von dem, was ihm die Menschen fortan geben, weil er ihnen das Wort Gottes schenkt, das unser wahres Brot, unser wirkliches Leben ist. Konkret scheint in dieser neutestamentlichen Umwandlung der levitischen Landlosigkeit der Verzicht auf Ehe und Familie durch, der aus der radikalen Zugehö-rigkeit für Gott folgt. In diesem Sinn hat die Kirche das Wort Klerus (Erbengemeinschaft) gedeutet. In den Klerus eintreten heißt: Auf ein eigenes Lebenszentrum zu verzichten und Gott allein als Träger und Garant seines Lebens anzunehmen.

Es bleibt mir immer lebhaft im Gedächtnis stehen, wie ich im Be-trachten dieses Psalmverses am Vorabend meiner Tonsur begriffen habe, was in diesem Augenblick der Herr von mir wollte: Er wollte selbst ganz über mein Leben verfügen und zugleich sich mir damit ganz anvertrauen. So konnte ich das Psalmwort ganz als mein Le-bensschicksal ansehen: „Du gibst mir deinen Losanteil, ja, du bist mein Losanteil. Ja, mein Erbteil gefällt mir gut“ (Ps 16, 5).

2) Ins 2. Hochgebet aufgenommen:

Dtn 10, 8 (wiederholt in Dtn 18, 5 – 8):
Die Aufgabe des Stammes Levi, christologisch und
pneumatisch neu gelesen für die Priester der Kirche
Als zweites möchte ich ein Wort aus dem 2. Hochgebet der römi-schen Liturgie nach der liturgischen Reform durch das Vaticanum II analysieren. Der Text des Hochgebets wird allgemein dem heiligen Hippolyt (+ um 235) zugeschrieben, ist jedenfalls von hohem Alter. Dort findet sich der Satz: „Wir danken dir, daß du uns berufen hast, vor dir zu stehen und dir zu dienen.“ Dieser Satz bedeutet nicht, wie einige Liturgiker uns einzureden versuchten, eine Festlegung, daß auch während des Hochgebets Priester und Gläubige zu stehen und nicht zu knien hätten. Das richtige Verständnis des Satzes ergibt sich dann, wenn man bedenkt, daß er wörtlich aus Dtn 10, 8 (wie-derholt in Dtn 18, 5 – 8) entnommen ist und dort die wesentliche kultische Aufgabe des Stammes Levi beschreibt: „Damals sonderte der Herr den Stamm Levi aus, damit er die Lade des Bundes des Herrn trage, vor dem Herrn stehe, vor ihm Dienst tue und in seinem Namen den Segen spreche“ (Dtn 10, 8). „Denn der Herr, dein Gott, hat den Stamm Levi unter allen deinen Stämmen dazu ausgewählt, daß er im Namen des Herrn dasteht und Dienst tut – Levi und seine Nachkommen, ihr Leben lang“ (Dtn 18, 5). Dieser Satz, der im Buch Deuteronomium dazu dient, das Wesen des priesterlichen Dienstes zu definieren, ist nun in das Hochgebet der Kirche Jesu Christi, des Neuen Bundes, aufgenommen und bedeutet so Kontinuität und Neuheit des Priestertums. Was ehedem vom Stamm Levi gesagt war und nur ihm zukam, wird nun auf die Presbyter und Bischöfe der Kirche übertragen. Dies ist nicht, wie man mit einer von der Refor-mation inspirierten Sicht her vielleicht sagen möchte, ein Abfall vom Neuen der Gemeinschaft Jesu Christi in ein überholtes und abzulehnendes Kultpriestertum, sondern der neue Schritt des Neuen Bundes, der das Alte aufnimmt und zugleich verwandelt, der hinauf-führt in die Höhe Jesu Christi. Priestertum ist nicht mehr eine Sache der Familienzugehörigkeit, sondern geöffnet ins Weite der Menschheit hinein. Es ist nicht mehr Verwaltung der Tempelopfer, sondern Einbeziehung der Menschheit in die weltumspannende Liebe Jesu Christi: Kult und Kultkritik, liturgische Opfer und Dienst der Liebe am anderen sind eins geworden. So ist in diesem Satz nicht von irgendwelchen äußeren Haltungen die Rede, sondern als innerster Punkt der Einheit von Altem und Neuem Testament beschreibt er das Wesen des Priestertums überhaupt, das seinerseits nicht eine bestimmte Klasse von Menschen meint, sondern letzten Endes auf unser aller Stehen vor Gott hinführt.

Ich habe den Text in einer Predigt in Sankt Peter (Gründonnerstag, 20. März 2008) auszulegen versucht, den ich noch einmal aufneh-me:
„Zugleich ist uns der Gründonnerstag ein Anlaß, auch immer neu zu fragen: Wozu haben wir Ja gesagt? Was ist das, ein Priester Jesu Christi sein? Das 2. Hochgebet unseres Missale, wohl schon am Ende des 2. Jahrhunderts in Rom entstanden, beschreibt das Wesen des priesterlichen Dienstes mit den Worten, mit denen im Buch Deuteronomium (18, 5. 7) das Wesen des alttestamentlichen Pries-tertums beschrieben worden war: astare coram te et tibi ministrare.

Zwei Aufgaben bestimmen danach das Wesen des priesterlichen Dienstes. Zuerst das „Stehen vor dem Herrn“. Im Buch Deuteronomium ist dies im Zusammenhang mit der vorhergehenden Bestimmung zu lesen, daß die Priester keinen Landanteil im Heiligen Land erhalten – sie leben von Gott und für Gott. Sie gehen nicht den üblichen Arbeiten nach, die für den Unterhalt des täglichen Lebens nötig sind. Ihr Beruf ist „Stehen vor dem Herrn“ – auf ihn hinzuschauen, für ihn da zu sein. Das Wort bedeutet so im letzten ein Leben in der Gegenwart Gottes und damit auch einen stellvertretenden Dienst für die anderen. So wie die anderen das Land bebauen, von dem auch der Priester lebt, so hält er die Welt auf Gott hin offen, soll mit dem Blick auf ihn hin leben. Wenn dieses Wort nun im Hochge-bet der Messe unmittelbar nach der Verwandlung der Gaben, nach dem Hereintreten des Herrn in die betende Versammlung steht, so ist damit für uns das Stehen vor dem gegenwärtigen Herrn, Eucharistie als Mitte priesterlichen Lebens gemeint. Aber auch hier reicht der Radius weiter. In dem Hymnus des Stundengebets, der in der Fastenzeit die Lesehore einleitet, die einst bei den Mönchen Stunde der Nachtwache vor Gott und für die Menschen gewesen war, findet sich als eine der Aufgaben der Fastenzeit: arctius perstemus in cus-todia – stehen wir entschiedener auf Wache. In der syrischen Mönchstradition heißen die Mönche „die Stehenden“; Stehen war dabei Ausdruck für die Wachsamkeit. Was hier als Auftrag der Mön-che angesehen war, dürfen wir mit Recht gerade auch als Ausdruck der priesterlichen Sendung und als rechte Auslegung des Deutero-nomium-Wortes ansehen: Der Priester soll ein Wachender sein. Er soll Wache halten gegen die hereindrängenden Mächte des Bösen. Er soll die Welt wachhalten für Gott. Er soll ein Stehender sein: auf-recht gegenüber den Strömungen der Zeit. Aufrecht in der Wahrheit. Aufrecht im Einstehen für das Gute. Stehen vor dem Herrn muß zu-tiefst auch immer Einstehen für die Menschen vor dem Herrn sein, der für uns alle beim Vater einsteht. Und es muß Einstehen sein für ihn, für Christus, für sein Wort, seine Wahrheit, seine Liebe. Auf-recht muß der Priester sein, furchtlos und bereit, für den Herrn auch Schläge einzustecken, wie die Apostelgeschichte über die Apos-tel sagt: „Sie freuten sich, daß sie gewürdigt worden waren, für sei-nen Namen Schmach zu erleiden“ (5, 41).
Kommen wir zu dem zweiten Wort, von dem das Hochgebet mit dem Text aus dem Alten Testament spricht, „vor dir zu stehen und dir zu dienen“.

Der Priester muß ein Aufrechter, ein Wachender, ein Stehender sein. Dazu aber kommt dann das Dienen. Im alttestamentlichen Text hat dieses Wort wesentlich kultische Bedeutung: Den Priestern kamen all die kultischen Handlungen zu, die das Gesetz vorsah. Dieses kultische Tun wird nun freilich als Dienst, als Amt des Dienens eingestuft, und so wird ausgelegt, in welchem Geiste diese Aktivitäten geschehen müssen. In gewisser Weise wird – der Neuheit des christlichen Gottesdienstes gemäß – diese liturgische Bedeutung des Wortes „dienen“ mit der Aufnahme ins Hochgebet übernommen. Was der Priester in diesem Augenblick, in der Feier der Eucharistie tut, ist Dienen, Dienst für den Herrn und Dienst für die Menschen. Der Kult, den Christus dem Vater dargebracht hat, ist das Sichgeben für die Menschen bis zum Ende. In diesen Kult, in dieses Dienen muß der Priester eintreten. So umfaßt das Wort vom Dienen viele Dimensionen.

Dazu gehört gewiß zuallererst die rechte, von innen her vollzogene Feier der Liturgie, der Sakramente überhaupt. Wir müssen die heilige Liturgie immer mehr in ihrem ganzen Wesen verstehen lernen, in ihr lebendig zu Hause sein, so daß sie Seele unseres Alltags wird. Dann feiern wir recht, dann ergibt sich die ars celebrandi, die Kunst des Feierns von selbst. In dieser Kunst darf nichts Künstliches sein. Wenn Liturgie eine zentrale Aufgabe des Priesters ist, dann heißt das auch, daß Beten für uns eine vor-dringliche Realität sein muß, die wir in der Schule Christi und der Heiligen aller Zeiten immer neu und tiefer lernen müssen. Weil christliche Liturgie ihrem Wesen nach auch immer Verkündigung ist, müssen wir Menschen sein, die in Gottes Wort zu Hause sind, es lieben und leben: Nur dann können wir es recht auslegen. „Dem Herrn dienen“ – priesterliches Dienen heißt gerade auch, ihn ken-nenlernen in seinem Wort und ihn all denen bekanntmachen, die er uns anvertraut.

Zum Dienen gehören schließlich noch zwei weitere Aspekte. Niemand ist seinem Herrn so nahe wie der Diener, der ins Privateste seines Lebens Zugang hat. Insofern bedeutet Dienen Nähe, fordert Vertrautheit. Diese Vertrautheit birgt auch eine Gefahr: Das Heilige, dem wir immerfort begegnen, wird uns gewöhnlich. Die Ehrfurcht erlischt. Wir spüren durch alle Gewohnheiten hindurch das Große, Neue, Überraschende nicht mehr, daß ER selber da ist, zu uns re-det, sich uns schenkt. Dieser Gewöhnung ans Große, der Gleichgültigkeit des Herzens müssen wir immer wieder entgegentreten, immer neu unsere Armseligkeit erkennen und die Gnade, die es ist, daß ER sich so in unsere Hände gibt. Dienen bedeutet Nähe, aber es bedeutet vor allem auch Gehorsam. Der Diener steht unter dem Wort: „Nicht mein Wille geschehe, sondern der Deinige“ (Lk 22, 42). Mit diesem Wort hat Jesus auf dem Ölberg den Entscheidungskampf gegen die Sünde ausgetragen, gegen die Rebellion des gefallenen Herzens.

Die Sünde Adams war es eben, daß er seinen Willen und nicht den Willen Gottes wollte. Die Versuchung der Menschheit ist es immer wieder, ganz autonom sein zu wollen, nur dem eigenen Willen zu folgen und zu meinen, erst dann seien wir frei; erst in sol-cher Freiheit ohne Schranken sei der Mensch ganz Mensch. Aber gerade so stellen wir uns gegen die Wahrheit. Denn die Wahrheit ist es, daß wir unsere Freiheit mit den anderen teilen müssen und nur im Miteinander frei sein können. Diese geteilte Freiheit kann wahre Freiheit dann und nur dann sein, wenn wir uns dabei in das Maß der Freiheit selbst, in den Willen Gottes hineinstellen. Dieser grund-legende Gehorsam, der zum Menschsein gehört – einem Sein nicht aus sich selbst und nur für sich selbst – wird beim Priester noch konkreter: Wir verkündigen nicht uns selbst, sondern IHN und sein Wort, das wir uns nicht selber ausdenken konnten. Wir verkünden sein Wort recht nur in der Gemeinschaft seines Leibes. Unser Ge-horsam ist Mitglauben mit der Kirche, Mitdenken und Mitsprechen mit der Kirche, Dienen mit ihr. Dazu gehört dann auch immer wie-der, was Jesus dem Petrus vorhergesagt hat: Du wirst geführt wer-den, wohin du nicht wolltest. Dieses Sich-führen-Lassen wohin wir nicht wollten, ist eine wesentliche Dimension unseres Dienens, und gerade dies macht uns frei. In solchem Geführtwerden, das gegen unsere Vorstellungen und Pläne stehen kann, erfahren wir das Neue – den Reichtum der Liebe Gottes.
„Vor ihm stehen und ihm dienen“: Jesus Christus als der wahre Ho-hepriester der Welt hat diesen Worten eine Tiefe gegeben, die vorher nicht geahnt werden konnte.

Er, der als der Sohn der Herr war und ist, er wollte der Knecht Gottes werden, den die Vision des Jesaja-Buches vorhergesehen hatte. Er wollte der Diener aller sein. Er hat das Ganze seines Hohepriestertums dargestellt in der Gebärde der Fußwaschung. Er wäscht mit seiner Gebärde der Liebe bis ans Ende unsere schmutzigen Füße, reinigt uns mit der Demut seines Die-nens von der Krankheit unseres Hochmuts. So macht er uns fähig zur Tischgemeinschaft mit Gott. Er ist abgestiegen, und der wahre Aufstieg des Menschen geschieht nun dadurch, daß wir mit ihm und zu ihm absteigen. Seine Erhöhung ist das Kreuz. Es ist der tiefste Abstieg und als Liebe bis ans Ende zugleich der höchste Punkt des Aufstiegs, die wahre „Erhöhung“ des Menschen.

„Vor ihm stehen und ihm dienen“ – das bedeutet nun, in seine Berufung als Knecht Gottes einzutreten. Eucharistie als Gegenwart von Christi Abstieg und Aufstieg weist so immer über sich hinaus zu den vielfältigen Weisen des Dienstes der Nächstenliebe. Bitten wir den Herrn an diesem Tag, daß er uns schenkt, in diesem Sinne neu unser Ja zu seinem Ruf zu sagen: „Hier bin ich. Sende mich, Herr“ (Jes 6, 8). Amen.“

3) Joh 17, 17f:

Das Hohepriesterliche Gebet Jesu,
Deutung der Priesterweihe
Zuletzt möchte ich noch ein Wort aus dem Hohepriesterlichen Gebet Jesu (Joh 17) ein wenig beleuchten, das mir am Vorabend meiner Priesterweihe besonders ins Herz gedrungen war. Während die Sy-noptiker im Wesentlichen die Predigt Jesu in Galiläa wiedergeben, hat Johannes, der zur Tempel-Aristokratie offenbar verwandtschaft-liche Beziehungen hatte, vor allem die Jerusalemer Verkündigung Jesu und damit die Fragen um Tempel und Kult dargestellt. In die-sem Zusammenhang nimmt das Hohepriesterliche Gebet Jesu (Joh 17) eine besondere Stellung ein. Die einzelnen Elemente, die ich im zweiten Band meines Jesusbuches dargestellt habe (Seite 93 - 119), möchte ich hier nicht wiederholen.

Nur die Verse 17 und 18, auf die am Vorabend meiner Priesterweihe meine Blicke besonders gefallen sind, möchte ich hier noch einmal bedenken. Sie lauten: „Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt.“ Das Wort „heilig“ drückt das besondere We-sen Gottes aus. Er allein ist der Heilige. Der Mensch wird heilig, in-soweit er ins Mitsein mit Gott hineintritt. Mitsein mit Gott bedeutet das Aufsprengen des bloßen Ich ins Ganze von Gottes Willen hinein. Diese Befreiung vom Ich kann aber sehr schmerzlich sein und ist nie einfach zu Ende vollzogen. Mit dem Wort „heilige“ kann aber auch ganz konkret die Priesterweihe verstanden werden, die eben die radikale Beanspruchung des Menschen durch den lebendigen Gott und für seinen Dienst meint. Wenn nun im Text gesagt wird, „Heilige sie in der Wahrheit“, so bittet der Herr den Vater, die Zwölf in seine Sendung mit einzubeziehen, sie zu Priestern zu weihen.

„Heilige sie in der Wahrheit.“ Ganz leise scheint darin auch der Ritus der alttestamentlichen Priesterweihe angesprochen. Der zu Wei-hende wurde in einem Vollbad physisch gereinigt und dann neu ein-gekleidet. Beides zusammen will sagen, daß der so Gesandte ein neuer Mensch werden soll. Was im alttestamentlichen Ritual symbolisch dargestellt wird, wird aber in der Bitte Jesus überschritten in die Realität hinein. Das Bad, das allein die Menschen wirklich ver-wandeln kann, ist die Wahrheit, ist Christus selbst. Und er ist auch das neue Gewand, das in der kultischen Bekleidung äußerlich angedeutet wird. „Heilige sie in der Wahrheit.“ Das bedeutet: Tauche sie ganz in Jesus Christus ein, daß damit für sie gilt, was Paulus als die Grunderfahrung seines Apostolats ausgedrückt hat: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2, 20).

So ist mir an jenem Abend tief in die Seele gedrungen, was Priester-weihe über alle Zeremonien hinaus in Wahrheit bedeutet: das immer neue Gereinigtwerden und Durchdrungenwerden von Christus, so daß ER in uns spricht und handelt, immer weniger nur wir selbst. Und es ist mir klar geworden, daß dieser Prozeß des Einswerdens mit ihm und der Überwindung des bloß Eigenen ein Leben lang andauert und immer auch schmerzliche Befreiungen und Erneuerungen in sich schließt. In diesem Sinn ist mir das Wort von Joh 17, 17f in meinem ganzen Leben eine Wegweisung geblieben.


Vatikanstadt, Monastero „Mater Ecclesiae“, 17. September 2019
Benedikt XVI.

Mit freundlicher Genehmigung des FE-Medienverlags

Robert Kardinal Sarah und mit einem Beitrag von Benedikt XVI.
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