16. Februar 2020 in Buchtipp
Mit diesem neuen Buch verteidigt Robert Kardinal Sarah das Priestertum und den Zölibat mit großer Kraft und Weisheit, ohne Angst vor der öffentlichen Debatte. Exklusiver Vorab-Textauszug.
Linz (kath.net)
Am Anfang des Jahres 1976 habe ich als junger Priester einige entrückte Dörfer Guineas besucht. Manche von ihnen hatten seit fast zehn Jahren keinen Besuch von einem Priester mehr erlebt, denn die europäischen Missionare waren im Jahre 1967 von Sékou Touré des Landes verwiesen worden. Dennoch hatten die Christen ihre Kinder weiter im Katechismus unterrichtet, sie beteten die Tagesgebete und den Rosenkranz.
Sie zeigten eine große Marienfrömmigkeit und versammelten sich am Sonntag, um das Wort Gottes zu hören. Ich habe die Gnade erfahren, diese Männer und Frauen zu treffen, die aus Mangel an Priestern den Glauben ohne Unterstützung durch die Sakramente beibehielten.
Sie nährten sich am Wort Gottes und hielten durch das tägliche Gebet den Glauben lebendig. Nie werde ich ihre unvorstellbare Freude vergessen, als ich die heilige Messe zelebrierte, die sie seit so langer Zeit nicht mehr erlebt hatten. Es sei mir erlaubt, mit Überzeugung zu behaupten, dass man den eucharistischen Hunger der Gläubigen ausgelöscht hätte, wenn man in diesen Dörfern verheiratete Männer geweiht hätte.
Man hätte das Volk von der Freude abgeschnitten, im Priester einen anderen Christus zu empfangen. Denn mit dem Instinkt des Glaubens wissen die Armen, dass ein Priester, der auf die Ehe verzichtet, ihnen seine ganze eheliche Liebe schenkt.
Wie oft habe ich selbst, als ich unter der sengenden Sonne mit einem Kapellenkoffer auf dem Kopf viele Stunden zwischen den Dörfern marschiert bin, die Freude empfunden, mich für die Braut »Kirche« hinzugeben. Bei der Überquerung von Sümpfen auf einem improvisierten Boot, in Lagunen oder bei der Überwindung gefährlicher Bäche, in denen wir befürchten mussten, unterzugehen, habe ich eine regelrecht körperliche Freude empfunden, gänzlich gottgeweiht und verfügbar zu sein, seinem Volk hingegeben.
Wie sehr wünschte ich, dass alle meine priesterlichen Mitbrüder auf der Welt eines Tages die Erfahrung machen könnten, wie es ist, als Priester in einem afri- kanischem Dorf empfangen zu werden, das in einem Christus, den Bräutigam, erkennt: welche Explosion der Freude! Welches Fest! Die Lieder, die Tänze, die Gefühlsausbrüche, das Essen drücken die Dankbarkeit des Volkes für diese Selbsthingabe in Christus aus.
Die Weihe von verheirateten Männern würde den jungen Kirchen auf dem Weg der Evangelisierung diese Erfahrung der Anwesenheit und des Besuchs Christi, geschenkt in der Person des ledigen Priesters, nehmen. Das pastorale Drama wäre immens. Es würde eine Verarmung der Evangelisierung nach sich ziehen.
Ich bin überzeugt, dass viele westliche Priester oder Bischöfe bereit sind, die Größe und die Bedeutung des Zölibats zu relativieren, weil sie noch nie die konkrete Erfahrung der Anerkennung durch eine christliche Gemeinde gemacht haben. Ich meine das nicht nur in menschlicher Hinsicht. Ich glaube, dass in dieser An- erkennung eine Glaubenserfahrung liegt. Die Armen und die Einfachen können mit den Augen des Glaubens die Anwesenheit von Christus als Bräutigam der Kirche im ledigen Priester erkennen.
Diese spirituelle Erfahrung ist fundamental im Leben eines Pries- ters. Sie heilt für immer von jeder Form von Klerikalismus. Ich weiß, weil ich es am eigenen Leib erfahren habe, dass die Christen in mir Christus sehen, der für sie hingegeben wurde, und nicht meine beschränkte Person mit ihren guten Eigenschaften und zahlreichen Fehlern.
Ohne diese konkrete Erfahrung wird der Zölibat zu einer allzu schweren Last. Ich habe das Gefühl, dass für einige Bischöfe aus dem Westen oder sogar aus Lateinamerika die Ehelosigkeit zu einer schweren Bürde geworden ist. Sie bleiben ihr treu, haben aber nicht den Mut, sie den zukünftigen Priestern und den christlichen Gemeinden zuzumuten, weil sie selbst darunter leiden. Ich verstehe sie. Wer könnte den anderen eine Last auferlegen, deren tieferen Sinn man selbst nicht liebt? Wäre das nicht eine Form von Pharisäertum?
Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es sich dabei um einen Fehler der Perspektive handelt. Wenn er auch manchmal eine Prüfung ist, so ist der pries- terliche Zölibat auch eine Befreiung. Er erlaubt dem Priester, sich vollständig in seiner Identität als Bräutigam der Kirche zu entfalten.
Das Projekt, das darin bestünde, den Gemeinden und den Priestern diese Freude zu nehmen, ist kein Werk der Barmherzigkeit. Als Sohn Afrikas erlaubt mir mein Gewissen nicht, den Gedanken zu ertragen, dass die Völker auf dem Weg zur Evangelisierung diese Begegnung mit dem in der Fülle gelebten Priestertum entbehren müssen. Die Völker des Amazonas haben einen Anspruch auf die volle Erfahrung von Christus als Bräutigam. Man kann ihnen keine Priester »zweiter Klasse« vorschlagen.
kath.net Buchtipp
Aus der Tiefe des Herzens
Priestertum, Zölibat und die Krise der katholischen Kirche
Von Robert Kardinal Sarah
Mit einem Beitrag von Benedikt XVI.
152 Seiten, gebunden
Fe-Medienverlag 2020
ISBN: 978-3-86357-255-6
Preis: Euro 17,30
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