18. Februar 2020 in Weltkirche
Ostkirchenexperte Oeldemann analysierte in "Radio Vatikan"-Interview die durch die Ukraine-Frage ausgelösten Spannungen in der orthodoxen Weltkirche zwischen Moskau und Konstantinopel
Vatikanstadt (kath.net/KAP) Die Spannungen in der orthodoxen Weltkirche hat der deutsche Ostkirchenexperte Johannes Oeldemann in einem "Radio Vatikan"-Interview analysiert. Auf die Frage, ob man von einem innerorthodoxen Schisma sprechen könne, stellte der Direktor des Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn fest: "Es ist schon ziemlich schlimm. Allerdings gibt es auch gute Argumente dafür, dass man noch nicht von einem Schisma spricht." Die Aufkündigung der Kommuniongemeinschaft zwischen Moskau und Konstantinopel sei nur einseitig von Seiten Moskaus erfolgt, aber nicht von Seiten Konstantinopels. "Es ist, sozusagen, erst einmal nur ein einseitiger Schritt, und solange er nicht zweiseitig ist, kann man nicht von einem Schisma im strengen Sinne des Wortes sprechen", sagte Oeldemann.
Der Konflikt zwischen dem russischen orthodoxen Patriarchat von Moskau und dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel sei latent ja schon seit vielen Jahren spürbar, weil Konstantinopel traditionell an erster Stelle in der orthodoxen Kirche steht, aber "Moskau heute die gewichtigste und einflussreichste orthodoxe Kirche ist", betonte der Experte.
Auf die Frage, ob es nicht ein Widerspruch sei, dass Moskau am vom Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios einberufenen Konzil von Kreta 2016 nicht teilgenommen habe, sich aber jetzt hinter Versuche des Jerusalemer Patriarchen Theophilos III. stelle, in Amman eine Art orthodoxen Ukraine-Gipfel zur Vermittlung einzuberufen, meinte Oeldemann: "Ja und nein. Der Streit um das Konzil von Kreta, wo Moskau relativ kurzfristig abgesagt hat, ist sicherlich mit eine der Ursachen dafür, dass sich die Dinge rund um die Ukraine jetzt so entwickelt haben, wie sie sich entwickelt haben." Andererseits, so der Experte, merke Moskau aber auch, dass die Gefahr besteht, dass es in eine gewisse Isolation gerät, und "versucht natürlich jetzt, Verbündete innerhalb der orthodoxen Kirche zu finden".
Oeldemann selbst hält es gleichzeitig für wenig wahrscheinlich, dass es in einer panorthodoxen Versammlung, also "in großer Runde" zu einer Verständigung kommen könnte. Vielmehr wären zunächst einmal direkte Gespräche zwischen Vertretern Moskaus und Konstantinopels erforderlich - und zwar "vielleicht nicht auf der allerobersten Ebene".
Blick auf Geschichte allen löst nichts
Im Kirchenstreit in der Ukraine als Ausgangspunkts der jetzigen Situation in der Orthodoxie gebe es zweifellos "auch gute Gründe für die russische Position gibt", hielt Oeldemann fest. Denn immerhin hätten die Russen mindestens in den vergangenen 300 Jahren die pastorale Sorge für die Gläubigen in der Ukraine ausgeübt. Diese drei Jahrhunderte Kirchengeschichte könne man nicht einfach mit einem Federstrich beiseite schieben, "auch wenn Konstantinopel zu Recht darauf hinweist, dass das Christentum ursprünglich von Konstantinopel aus nach Kiew gekommen ist und die Kiewer Metropolie zum Patriarchat von Konstantinopel gehörte".
Der Blick auf die Geschichte allein aber löse die Problematik nicht, es sei wichtig, auf die Gegenwart zu schauen, "und da ist es nun einmal so, dass doch auch ein großer Teil der Gläubigen in der Ukraine sich inzwischen deutlich von Moskau distanziert". Oeldemann: "Das ist, glaube ich, weniger eine Schuld des Moskauer Patriarchats als vielmehr eine Folge der russischen Politik gegenüber der Ukraine, und die ganzen politischen Implikationen spielen eine gewichtige Rolle in diesem Prozess der Autokephalie-Erklärung. Solange dieser russisch-ukrainische Konflikt nicht ausgeräumt ist, halte ich es auch für schwierig, da zu einer Verständigung zu kommen."
Politische und theologische Gründe
In dem Streit würden unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen. Politische Faktoren seien in gewisser Weise der Auslöser gewesen, aber es gebe schon auch kirchliche oder theologische Fragen, die dahinterstehen: "Zum Beispiel die Tatsache, dass das Verfahren, wie denn eine orthodoxe Ortskirche die Autokephalie erhält, innerorthodox umstritten ist."
Beide Seiten würden damit argumentieren, die jeweils andere Seite habe sich unkanonisch verhalten. "Aber die kirchlichen Kanones, auf die man sich beruft, stammen alle aus dem ersten Jahrtausend, und es zeigt sich, dass sie für die Welt des dritten Jahrtausends nicht mehr unbedingt greifen", sagte Oeldemann. Es fehlen sozusagen übergeordnete Regelungs-Mechanismen, "auf die man sich verständigen könnte".
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