Die Saat der pastoralen Versäumnisse geht auf

19. Februar 2020 in Kommentar


Weil jahrzehntelang der Glauben verkürzt oder verändert verkündigt wurde, glauben viele Christen ihren Glauben, aber nicht mehr den Glauben der universalen katholischen Kirche. Gastbeitrag von Andreas Kuhlmann


Bonn (kath.net) Die erste Vollversammlung des Plenums des „Synodalen Weges“ Anfang Februar 2020 hat seine Eindrücke und Spuren hinterlassen. Eine renommierte deutsche Tageszeitung sprach in diesem Zusammenhang von „der Krise der Kirchenverfassung“, auf die reagiert werden müsse und eine Woche danach (8.2.) in einer Kolumne auf der Titelseite von der Entfremdung des Kirchenvolkes vom Klerus unter dem Zeichen von Machtmissbrauch und Ungleichheit. Letztlich geht es bei den Themen in der Diskussion nicht allein um das Verständnis von Kirche, sondern viel grundsätzlicher um das Verständnis, was Christ-sein eigentlich meint. Versuchen wir eine Analyse der aktuellen Situation. Eine genaue Analyse bzw. Diagnose ist wie immer wichtig, um nicht wegen irrtümlicher Schlussfolgerungen an den falschen Stellen herumzutherapieren. Ist diese nicht richtig gestellt, sind die Behandlungsmethoden – sprich in diesem Kontext die Reformbemühungen – vielleicht eher schädlich als hilfreich. Eine bakterielle Infektion mit einer viralen zu verwechseln kann tödlich enden – ich war einmal Zeuge eines solchen Falles. Danach aber muss die Diagnose auch deutlich und mutig benannt werden.

Also zunächst die Diagnose. Hinsichtlich der Situation der Kirche in Deutschland (viele andere westliche bzw. europäische Ländern sind in einer vergleichbaren Situation) heißt die Diagnose bzw. Problembeschreibung meines Erachtens folgendermaßen: nicht die Entfremdung zwischen Bischöfen sowie Priestern und der großen Masse der einfachen Gläubigen ist das eigentliche Problem, sondern die seit langem fortschreitende Entfremdung einer großen Zahl von Katholiken – und hier müssen Bischöfe und Priester dazugezählt werden! – von dem katholischen Glauben, der rund zweittausend Jahre verkündet und gelebt und im letzten Katechismus Ende des letzten Jahrtausends ausführlich und präzise dargelegt worden ist. Im Zeitalter der „Diktatur des Relativismus“ klingt eine solche Aussage skandalös und wie eine Art plumpe „profane Häresie“. Wenn polarisierend von „Bewahrern“ und „Reformern“ oder Erneuerern gesprochen wird, dann sind die aus Sicht der Initiatoren des synodalen Weges „bemitleidenswerten Bewahrer“ diejenige Minderheit, die ohne wesentliche Abstriche das glaubt, was dieser Katechismus als Glaubensgut enthält. Diesen „Bewahrern wird Rückständigkeit, Reformunwilligkeit, Weltfremdheit, usw. unterstellt. Liest man die Agenda der „Erneuerer“, dann müssten allerdings grundlegende Aussagen dieses Katechismus und sogar des Zweiten Vatikanums gestrichen oder umgeschrieben und damit der christlich-katholische Glaube in wesentlichen Aspekten aufgegeben werden.

Das konfessionelle Bekenntnis „katholisch“ erfährt hier eine erstaunliche Umdeutung und gleichzeitige Entwertung. Authentisch katholisch ist nun nicht mehr derjenige, der auf den Spuren der heiligen Glaubenszeugen von einer Elisabeth von Thüringen und einem Thomas Morus bis hin zu einem Maximilian Kolbe oder einer Edith Stein seine christlichen Pflichten in Familie, Beruf, Gesellschaft und gegenüber der Kirche erfüllt, sondern derjenige, der sich für alle Änderungen offen zeigt, die hochangesehen Menschenfreundlichkeit und Toleranz signalisieren.

Mit den als intolerant empfundenen Worten von Jesus Christus: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; keiner kommt zum Vater außer durch mich!“ (Joh 14,6) kann der aufgeklärte und weltoffene Christ sowieso nichts mehr anfangen und hat seinen eigenen modus credendi et vivendi gefunden.

Dieser Weltanschauung (von Kirchenverständnis würde ich schon nicht mehr sprechen wollen) verpflichtet kann man nur zu der Überzeugung gelangen, dass man mit den ewig gestrigen Bewahrern – die noch an die zweitausend Jahre alte Botschaft mit all ihren Implikationen glauben – die erhoffte neue Kirche nicht passgerecht umbauen kann. Es geht, wenn man meiner Interpretation einigermaßen folgen will, also nicht allein um die (fehlende) Akzeptanz der Kirche in ihrer heutigen (aber eben auch alten) Verfasstheit, sondern um die (fehlende) Akzeptanz des Evangelium Jesu selbst. Es geht ums Eingemachte, nicht um eine äußere Organisationsform, sondern um den Wesenskern christlicher Existenz. Es ist sowieso sehr bedenklich, wenn ein Christ sagt: Ich möchte, dass meine Kirche sich in diesem und jenem Punkt ändert. Es wäre richtiger, Jesus zu fragen: Was willst Du an Deiner Kirche geändert sehen? Und wahrscheinlich würde er uns dann das sagen, was die heilige Ordensfrau Mutter Teresa von Kalkutta einem Journalisten geantwortet hatte, als dieser gefragt hatte, was sich verändert müsste, damit die Welt besser würde. Ihre kurze und klare Antwort war: „Sie und ich!“. Es ist die Kirche Gottes und nicht unsere Kirche und Jesus Christus ist das Haupt, und wir sind seine bescheidenen und sündigen Glieder an seinem heiligen mystischen Leib, der Kirche.

Wie konnte es zu dieser perspektivischen Verkehrung kommen zu meinen, die Kirche haben den Bedürfnissen des modernen Menschen zu dienen, anstatt zu wünschen, der Kirche zu dienen? Weil jahrzehntelang der Glauben verkürzt oder verändert verkündigt wurde, glauben viele Christen ihren Glauben, aber nicht mehr den Glauben der universalen katholischen Kirche. Für diese „Gläubigen“ ist Jesus Christus nicht mehr „wahrer Gott und wahrer Mensch“, für sie sind die Sakramente nicht mehr übernatürliche wirksame Handlungen, für sie sind Priester nicht mehr in persona Christi zelebrierend, für sie sind die in den Evangelien erzählten Machttaten Gottes durch Jesus Christus nicht mehr als erbauliche Erfindungen der Evangelisten usw. Wenn der Glaube sich so vermenschlicht darstellt, wie soll dann noch glaubend angenommen werden, dass die Bischöfe „Nachfolger der Apostel“ sind, mit einer durch die Weihe übertragenden Autorität und Bemächtigung, besondere heilswirksame Handlungen zu vollziehen und Entscheidungen zu treffen? Wie soll das Wort „Hierarchie“ dann nicht dem demokratieverwöhnten Bürger unangenehm aufstoßen, wenn dann auch noch Frauen der Weg zum Priestertum verwehrt wird?

Man muss es deutlich sagen: wer die parlamentarische Demokratie auf die kirchliche Hierarchie angewandt sehen will (wie die besagte Kolumne nahelegt), hat einfach nicht verstanden, worum es als Christ geht. Es geht nämlich um Erlösung und Heiligkeit, die nur durch die demütige Angleichung an den Willen Gottes erlangt werden kann. Dementsprechend ist ein Dialog schwierig, eine Verständigung fast unmöglich, wenn es um „kirchliche Themen“ geht. Eigentlich müsste man sich erst einmal verständigen, was denn der katholische Glauben ist und auf ein Bekenntnis dazu hinauslaufen gemäß dem Katechismus der Katholischen Kirche, der ihn glaubwürdig und kompetent dargestellt hat und auf die Glaubensbekenntnisse, die ihn verbindlich vorlegen.

Wenn ein Priester heutzutage das Wagnis eingeht, vor einer katholischen Gemeinde christliche bzw. katholische Kernbotschaften wie Umkehr und Vergebung von Sünden durch die Beichte, eheliche Treue, eucharistische Realpräsenz des Herrn, missionarische Berufung des Christen und allgemein die kirchlichen Gebote unverkürzt und unverfälscht anzusprechen, wird er zumindest einige ablehnende Gesichter und möglicherweise offenen Protest durch Hinausgehen aus dem Gottesdienst oder danach öffentliche Kritik ernten. Seit den intellektuellen Aufständen der 60er Jahre meint heutzutage fast jeder, es besser zu wissen und jede Autorität in Frage stellen zu dürfen. Diese schlechte Tradition der Verbildetheit hat sich durch das nahezu kollektive pastorale Versagen in der Verkündigung des Glaubens seit Jahrzehnten im Kirchenvolk festgesetzt und die Früchte dieser unterlassenen Aussaat des ganzen und unverfälschten Glaubensgutes ernten wir nun im Rahmen des so genannten synodalen Weges. Es werden aller Voraussicht nach keine guten Früchte sein. Denn ein Dialog, der nicht auf der Grundlage der Glaubenswahrheiten geführt wird und Willkür sowie Beliebigkeit zulässt, kann kein gutes Ergebnis erzielen.

Das eigentliche Problem ist – um es nochmals zu sagen – tatsächlich die breite Entfremdung der Getauften vom Glauben der Kirche und damit von ihrer eigenen Identität. Ein Fußballspieler weiß beispielsweise, was von ihm auf dem Platz und auch außerhalb des Platzes gefordert wird. Es gibt erstaunlich strenge vereinsinterne Regelungen außerhalb der Trainingseinheiten und Spielzeiten. Auf dem Platz gilt es, gemäß den Anweisungen des Trainers (mit oder manchmal auch ohne vorherige Aussprache und Absprache im Training) zu agieren und ein gutes Spiel zu absolvieren. Eine hierarchische Grundordnung im Vereinswesen ist selbstverständlich, damit die Mannschaft erfolgreich sein kann. Kennt die Kirche als große Gemeinschaft auch so etwas wie „vereinsinterne Regelungen“ und kollektive Ziele? Ja! Und ihre hierarchische Grundordnung spiegelt das wider. Das Ziel der Kirche ist die Verherrlichung Gottes durch den treuen Dienst bei der Ausbreitung des Reiches Gottes gemäß der Anweisungen Gottes, die er offenbart hat. Jeder Christ ist verpflichtet, seine Talente in den Dienst Gottes und seiner Kirche zu stellen und die eigenen Ambitionen dem Willen Gottes unterzuordnen. Das ist einfach so, auch wenn es kaum noch jemand hören und sich danach richten will. Und im Idealfall ist diese Verpflichtung zu einer persönlichen Leidenschaft geworden.

Jeder Christ ist zur Heiligkeit berufen, wie Papst Franziskus in dem Schreiben Gaudete et exsultate in Namen Gottes einmal mehr erinnert hat. Dass diese Aussagen heutzutage kaum noch verstanden und akzeptiert werden, das ist das eigentliche Problem der Kirche in Deutschland und in den „aufgeklärten“ reichen Ländern des ehemals vom christlichen Glauben geprägten Abendlandes. Die unzureichende Verkündigung hat dieses Verständnis bei vielen Christen verunmöglicht.

Wenn der „Synodale Weg“ sich dieser Diagnose nicht stellt und weiter an den Folgen, aber nicht an den Ursachen der großflächigen Entchristlichung innerhalb der Kirche herumdoktert, wird der Auftrag, den Papst Franziskus dem pilgernden Volk Gottes in Deutschland anvertraute, nämlich sich entschieden dem Missionsauftrag Jesu Christi zu stellen, unbeachtet bleiben und die erhoffte Vitalisierung der Kirche in Deutschland ausbleiben. Zu befürchten ist vielmehr, dass die enttäuschten „Erneuerer“ – die einem Kirchenbild anhängen, das kaum noch der Wirklichkeit und dem Willen Gottes entspricht – außerhalb der katholischen Kirche ihr Glück und ihr Heil suchen. Damit wäre aber nur das manifest geworden, was schon seit langem existiert: eine Entfremdung vieler katholischer Christen, die die Person und die Botschaft Christi nicht wirklich assimiliert haben und sich demzufolge nicht von seinem mystischen Leib, der Kirche, als gefolgsame Jünger Christi assimilieren („eingliedern“) ließen.

Wenn sich allerdings die Teilnehmer des synodalen Weges und letztlich die Bischöfe und anderen Verantwortungsträger (Kleriker und Laien) gemeinsam auf diese schmerzliche, aber heilsame Diagnose einließen, könnten sie sich auf die vitale und dynamische Menge der wirklichen Erneuerer im oft unbeachteten pilgernden Volk Gottes stützen, die sich schon jetzt durch ihre Wertschätzung der Sakramente, durch ein lebendiges Gebetsleben, in der Heiligung des Alltags, in der treuen Aufmerksamkeit gegenüber dem Lehramt der Kirche und den Weisungen der Bischöfe und das Bemühen, authentisch de katholischen Glauben zu bezeugen, auszeichnen.

Denn die wirklichen Erneuerer des kirchlichen Lebens sind und waren immer die Bewahrer des authentischen katholischen Glaubens. Die intensive Verbundenheit mit Christus und seinem mystischen Leib durch ein Leben aus der Kraft der Sakramente und des Gebetes und dem Gehorsam gegenüber den Anforderungen des Evangeliums und den legitimen Vorschriften der Kirche macht sie zu den wahren Protagonisten der Erneuerung des kirchlichen Lebens und der Evangelisierung der Gesellschaft. Gott sei Dank kann man schon heute viele gute Früchte durch das Wirken „konservativer Erneuerer“ im christlichen Volk sehen und schmecken. Der „synodale Weg“ hat Fahrt aufgenommen und wird noch zu vielen Scheidewegen führen. Hoffentlich werden die richtigen Weg-Entscheidungen getroffen – konform mit dem Glauben der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche.


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