„Im Angesicht des Endes wird deutlich, was wirklich zählt“

3. März 2020 in Deutschland


Woelki bei DBK-Frühmesse: „Was letztlich einzig lohnt: Es ist Gottes Wort, das in unserem Leben wirken will. Es hat nämlich eine ungeheure Kraft zur Veränderung – trotz unserer Skepsis.“


Mainz (kath.net/DBK) kath.net dokumentiert die schriftliche Vorlage zur Predigt von Kardinal Rainer Maria Woelki (Köln) in der Eucharistiefeier zur Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 3. März 2020 in Mainz in voller Länge – Es gilt das gesprochene Wort
Lesung: Jes 55,10–11 Evangelium: Mt 25,31–46

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

keine Sorge: ich werde jetzt keinen der üblichen Small-Talks über das Wetter lostreten. Ich werde nicht über die aktuellen Wintersportbedingungen sprechen und auch nicht über die zu erwartende Insektenplage angesichts eines Winters, von dem (lange) nichts zu spüren war. Wohl aber stelle ich fest: die Welt ist in Ordnung, wenn Regen und Schnee vom Himmel fallen, um die Erde zu tränken und um sie zum Keimen und Sprossen zu bringen. Ebenso ist das Verhältnis von Himmel und Erde in Ordnung, wenn Gottes Wort bewirkt, wozu er es ausgesandt hat (Vgl. Jes 55,10–11).

Doch bereits zur Zeit des Propheten Jesaja ist diese Ordnung nicht die Regel. Vielmehr werden die Menschen zur Umkehr genau dorthin gemahnt. Auch wir werden hier gemahnt. Sei es etwa durch die Klimaschutzbewegung „fridays for future“ oder durch den Heiligen Vater selbst, der in seiner wegweisenden Umweltenzyklika Laudato si’ bereits 2016 „every days for future“ machte, indem er sagte: „Was gerade vor sich geht, stellt uns vor die Dringlichkeit, in einer mutigen kulturellen Revolution voranzuschreiten“ (114). Und unmittelbar an unsere Adresse gerichtet fährt er fort: „Wir wissen, dass das Verhalten derer, die mehr und mehr konsumieren und zerstören, während andere noch nicht entsprechend ihrer Menschenwürde leben können, unvertretbar ist“ (193).

Der Ruf zur Umkehr ist deutlich. Er ist an uns gerichtet. Er ist an uns als Erwachsene gerichtet und an uns als Europäer. Er ist an uns als Mitmenschen gerichtet und an uns als Christen. Ja, es geht um die Zukunft der Schöpfung und der Erde. Es geht um künftige Generationen. Aber es geht heute bereits auch schon um Menschen in den Dürreregionen der Welt, denen Regen, Trinkwasser und Wasserreservoire fehlen. Es geht um Menschen, in deren Länder kein Regen mehr fällt und in deren Länder nichts mehr sprießt. Es geht um die, die bereits heute keine Zukunft mehr sehen. Wir können unsere Umkehr nicht verschieben auf den St. Nimmerleinstag. Jetzt ist die Zeit – jetzt ist die Stunde! Mit so vielem im Leben und in unserer Verantwortung lassen wir uns Zeit – und klagen zugleich immer, wir hätten davon keine.

Die biblische Einladung zur Umkehr hält uns daher das Ende der Zeit radikal vor Augen. Im Angesicht des Endes wird deutlich, was wirklich zählt und was letztlich einzig lohnt: Es ist Gottes Wort, das in unserem Leben wirken will. Es hat nämlich eine ungeheure Kraft zur Veränderung – trotz unserer Skepsis. Gott selbst hat es ausgesandt, damit es Wirkung hat, damit es wirkungsvoll ist, damit es die Geschichte und die Herzen ändert. Wenn es gehört und im Herzen aufgenommen wird – das ist ja der Sinn des Gleichnisses vom Sämann – bringt es reichlich Frucht. Da zögern wir dann nicht mehr, schätzen wir nicht mehr unseren Vorteil, setzen wir nicht mehr nur auf den Gewinner, berechnen wir nicht mehr nur unseren Anteil, benutzen wir Menschen nicht mehr wie Objekte, erwarten wir keinen Beifall, singen wir dem tauben Ohr der Mächtigen kein Lied. Da sind wir da für die, die uns brauchen. Wer braucht dich? Wer braucht mich? Und: Wer braucht uns? Es sind die Geringsten unserer Brüder und Schwestern. Es sind diejenigen, die vor Not nicht ein und aus wissen – sowohl in unserem Nahraum, wie in unserem Verantwortungsbereich. Lassen wir uns ein auf die, die hungrig sind; auf die, die durstig sind; auf die, die fremd und obdachlos sind; auf die, die unbeschützt und unbeschürzt sind; auf die, die krank sind; auf die, die – in welchem Gefängnis auch immer – gefangen sind. Jeder von diesen ist unser Nächster. Umkehren, das bedeutet: ablassen und sich neu einlassen. Lassen wir uns ein auf die Menschen, die uns brauchen, und prüfen wir unsere Maßnahmen darauf, ob sie dafür taugen! Zu solcher Umkehr laden und rufen uns diese Tage der österlichen Bußzeit. Es ist die Zeit, die uns vor Augen hält, worauf es ankommt ... wenn er kommt. Amen.

Archivfoto Kardinal Woelki (c) Erzbistum Köln


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