Kuba: „Die Familien brechen auseinander“

9. März 2020 in Weltkirche


Interview mit einem Priester über die Lage auf der Karibikinsel


München-Wien (kath.net/KIN)
Kuba ist seit einem halben Jahrhundert von einer kommunistischen Herrschaft geprägt. Die wirtschaftliche Lage in dem Karibikstaat ist herausfordernd; vor allem junge Menschen verlassen das Land. Das hat auch Folgen für das traditionelle Familienbild auf der Insel.

Pater Jean Pichon aus der Gemeinschaft „Sankt Martin“ stammt aus Frankreich und ist Pfarrer in der Diözese Santa Clara im Zentrum Kubas. Das internationale Hilfswerk „Kirche in Not“ unterstützt ihn bei Evangelisierungsprojekten. Die Fragen an den Priester stellte Thomas Oswald aus dem französischen Büro von „Kirche in Not“.

KIRCHE IN NOT: Wie sehen Sie heute die kubanische Gesellschaft?
PFARRER JEAN PICHON: Die Kubaner sind in der Klemme zwischen steigenden Lebenshaltungskosten und sinkenden Löhnen und Gehältern. Diese liegen gegenwärtig bei 20 bis 30 US-Dollar pro Monat. Viele Kubaner sind ins Ausland gezogen, insbesondere nach Spanien. Das trägt dazu bei, dass die Familien und die gesellschaftliche Bindung im Land auseinanderfallen. Neben den wirtschaftlichen Herausforderungen liegt das Hauptproblem in Kuba in den auseinandergebrochenen Familien. Es gibt keine Vaterfigur mehr.

Wie erklären Sie sich das?
Als ich hier auf die Insel kam, sagte mir ein betagter Priester, dass es hier zwar Erzeuger gäbe, jedoch keine Väter. Ich glaube, dass die kommunistische Ideologie die Gesellschaft grundlegend verändert hat. Ein halbes Jahrhundert lang war es Fidel Castro, der beschützte und nährte, nicht die Vaterfigur. In Kuba gibt es dagegen eine starke Bindung zwischen den Müttern und den Kindern, die Väter jedoch sind abwesend.

Ich denke auch, dass der Druck des Regimes die jungen Leute dazu gebracht hat, Sexualität als Freiraum zu sehen. Es gibt hier viele ledige Mütter und ein gigantisches Prostitutionsproblem. Hochzeiten sind selten, und die viele junge Leute wechseln häufig ihre Partnerinnen und Partner.

Wie sieht Ihre Arbeit in einem solch zerrissenen Umfeld aus?
Wenn ich mit den jungen Leuten rede, kann ich ihnen nicht vorschreiben, erst die Hochzeit abzuwarten, bevor sie eine sexuelle Beziehung eingehen. Das wäre zu weit weg von der Lebensrealität, die sie hier erleben. Wir haben hier trotzdem einige Paare, die heiraten.

Ein weiteres Problem ist, dass wir praktisch kaum Priesterberufungen haben. Das ist ein altbekanntes Problem in Kuba. 2009, als ich in ein entlegenes Dorf fuhr, sagte mir eine alte Dame, dass sie seit über 50 Jahren keinen Priester mehr gesehen hätte.

Aber sind die Kubaner nicht nach wie vor auch sehr religiös?
Sie sind ein liebenswertes Volk, voller Paradoxe. Unter den Katholiken gibt es viele Anhänger der „Santeria“. Eine Besonderheit dieser vom Animismus inspirierten Religion ist es, ihre Anhänger unter den katholisch getauften Menschen zu rekrutieren. Der Einfluss der marxistischen materialistischen Ideologie ist ebenfalls spürbar.

Doch dieselben Kubaner, die sich als Atheisten oder Agnostiker definieren, empfinden häufig eine tiefe Verehrung für die „Barmherzige Jungfrau“. Diese kleine Muttergottesstatue wurde an einem Strand von Sklaven gefunden, die Salz sammelten, und zu einer Bezugsgröße für Kubaner aller Glaubensrichtungen.

Eine Anekdote: Eines Tages klopfe ich an die Tür eines Kubaners, der sich anfangs weigerte, mir zu öffnen, weil ich Priester bin. Das ist in Kuba selten, denn hier herrscht normalerweise das Prinzip der Gastfreundschaft. Ich sagte ihm, dass wir eine Prozession zu Ehren der „Barmherzige Jungfrau“ organisieren. Da leuchteten seine Augen auf. Die „Barmherzige Jungfrau“ öffnet uns häufig die Tür zu den Herzen der Kubaner.

Um der Kirche auf Kuba weiter helfen zu können, bittet „Kirche in Not“ um Spenden – online unter: www.spendenhut.de oder auf folgendes Konto:
Empfänger: KIRCHE IN NOT
LIGA Bank München
IBAN: DE63 7509 0300 0002 1520 02
BIC: GENODEF1M05
Verwendungszweck: Kuba

Weitere Informationen und Spendenmöglichkeiten:

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Foto: Pater Jean Pichon. (Foto: Kirche in Not)


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