„Es ist doch aufschlussreich: Nach den Kirchgängern fragt keiner“

6. April 2020 in Interview


Ex-FAZ-Mitherausgeber Hugo Müller-Vogg zum Umgang mit der #Corona-Pandemie: „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ostergottesdienste in überfüllten Kirchen wären jetzt unverantwortlich. Aber…“ kath.net-Interview von Petra Lorleberg


Berlin (kath.net/pl) „In der Tat gab es in der Bundesrepublik noch nie so massive Beschränkungen der Grundrechte, nicht einmal in den Zeiten des RAF-Terrors mit Schleierfahndung und Straßensperren. Aber die meisten Menschen verstehen die Notwendigkeit.“ Das erläutert der Publizist und frühere Mitherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Hugo Müller-Vogg, im Interview mit KATH.NET über die Folgen der #Corona-Pandemie.

kath.net: Herr Dr. Müller-Vogg, wie geht es Ihnen privat mit den coronabedingten Einschränkungen?

Dr. Müller-Vogg:
Ich bin als Selbständiger seit fast 20 Jahren Homeoffice gewohnt. Insofern bedeutet das für mich keine große Umstellung. Nur bin ich zurzeit nicht mehr in Berlin. Zwangsweise bilde ich mich zurzeit digital fort: Ich kann inzwischen Videokonferenzen organisieren (lacht).

kath.net: Die Pandemie hat uns kalt erwischt. Wir erleben derzeit massive Eingriffe in unsere bürgerlichen Freiheiten. Selbst der Bundestag kann nur noch in Notbesetzung tagen. Noch vor zwei Monaten hätten wir uns das alles nicht vorstellen können. Halten unsere Gesellschaft und unsere Demokratie diese massiven Belastungen aus?

Müller-Vogg:
In der Tat gab es in der Bundesrepublik noch nie so massive Beschränkungen der Grundrechte, nicht einmal in den Zeiten des RAF-Terrors mit Schleierfahndung und Straßensperren. Aber die meisten Menschen verstehen die Notwendigkeit. Ich mache mir auch keine Sorgen um den freiheitlichen Charakter unseres Landes. Die Bundesregierung hat kein Interesse daran, die Freizügigkeit der Menschen, die Gewerbefreiheit oder die Freiheit von Forschung und Lehre auf Dauer einzuschränken. Wem sollte das auch nutzen? Den überängstlichen Mahnern sei gesagt: Wir haben ein Verfassungsgericht.

kath.net: Sie weisen auf Twitter darauf hin, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Interview mit Gabor Steingart „u. a. über die Einschränkung von zahlreichen Grundrechten gesprochen und an erster Stelle die Einschränkung der #Religionsfreiheit erwähnt [hat]. Das hat m. W. noch kein anderer Politiker der @CDU gemacht“. Warum ist Ihnen das wichtig?

Müller-Vogg:
Der Hinweis des CDU-Präsidiumsmitglieds Jens Spahn auf die Religionsfreiheit fiel mir auf, weil ich das von anderen Unionspolitikern so noch nicht gehört habe. Die aus einem Pfarrhaus stammende Kanzlerin hat in ihrer ersten TV-Ansprache den Verzicht auf Veranstaltungen und Konzerte sowie die Schließung von Kitas und Schulen erwähnt, aber mit keinem Wort die Kirchen. Wir sollten nicht vergessen, dass es noch immer viele Menschen gibt, für die der Gottesdienstbesuch am Sonntag einfach dazugehört. Gerade älteren Menschen fehlt gerade jetzt etwas. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ostergottesdienste in überfüllten Kirchen wären jetzt unverantwortlich. Aber es ist doch aufschlussreich, dass viele Politiker und Publizisten sich darüber den Kopf zerbrechen, wie lange die Deutschen ein Leben ohne Fußball und ohne Konzerte aushalten. Nach den Kirchgängern fragt keiner.

kath.net: Handytracking – eine durchaus umstrittene Überlegung. Was halten Sie davon? Haben Sie das Vertrauen, dass dies nach dieser Ausnahmesituation auch wieder komplett ausgebremst wird oder gehen wir aktuell ohne großes Murren die ersten bleibenden Schritte in den Überwachungsstaat?

Müller-Vogg:
Ich hätte mit dem Handytracking aus rechtlicher Sicht keine Probleme. Ich vertraue auf diesen Rechtsstaat und seine Institutionen. Ohnehin ist lediglich eine freiwillige Teilnahme im Gespräch. Es hätte sicherlich Vorteile, wenn die Bürger in einem anonymisierten Verfahren per Handy gewarnt würden, wenn sie mit einem Infizierten Kontakt hatten. Ich verstehe aber von IT zu wenig, um beurteilen zu können, ob dieses Tracking auch mit der notwendigen Genauigkeit möglich ist.

kath.net: Bei aller Einsicht in die Notwendigkeit der aktuellen Einschränkungen regt sich ja in den Medien inzwischen wahrnehmbar auch eine kritische Hinterfragung. Haben die Medien die Aufgabe, die konkreten Maßnahmen sowohl unterstützend wie auch kritisch zu begleiten?

Müller-Vogg:
Die wichtigste Aufgabe der Medien ist es, objektiv zu informieren. Die Medien haben aber selbst in Krisenzeiten das Recht, bestimmte Maßnahmen zu kritisieren; das zählt auch zu ihrem Auftrag. Mir macht mir etwas anderes Sorge: Die öffentlich-rechtlichen Sender informieren zweifellos gut und umfassenden. Aber wer ständig nur Sendungen nach dem Motto „Corona, Corona, Corona“ ausstrahlt, der schürt unter Umständen übergroße Ängste. Weniger Emotionen und mehr Nüchternheit könnten nicht schaden.

kath.net: Das ganz große Sorgenkind in dieser Pandemie habe ich noch gar nicht erwähnt: unser Wirtschaftssystem. Wo sehen Sie Schwierigkeiten, wo Chancen? Wie tief werden wir möglicherweise in eine Rezession gezogen werden? Wird das „Wiederankurbeln“ der Wirtschaft gelingen?

Müller-Vogg:
Also auf die angeblichen Chancen, die aus der Pandemie erwachsen, könnte ich gerne verzichten. Wir werden uns schon überlegen müssen, ob wir weiterhin bei den Wirkstoffen wichtiger Medikamente von Zulieferungen aus Fernost abhängig bleiben wollen. Da müssen wir nur ehrlich sein: Was wir hier produzieren, wird teurer. Wie tief der wirtschaftliche Einbruch sein wird, kann niemand vorhersagen. Aber ich halte alle Vergleiche mit Kriegszeiten für verfehlt. „Nach Corona“ verfügen wir unverändert über leistungsfähige Betriebe, eine intakte Infrastruktur, qualifizierte Arbeitnehmer, Entwickler und Manager. Der nächste Aufschwung kommt bestimmt.

kath.net: Aktuelle Umfragen zeigen, dass die Corona-Krise die Zustimmung der Bürger zu den bürgerlichen Parteien deutlich beeinflusst. Wie werten Sie dies?

Müller-Vogg:
Die Maßnahmen der Bundesregierung werden von der ganz großen Mehrheit der Bevölkerung als richtig und angemessen angesehen. Davon profitieren CDU/CSU und die Kanzlerin, während der Koalitionspartner SPD im Schatten von „Mutti Merkel“ aus dem Umfragetief nicht herauskommt. Das entspricht nicht den Beiträgen der SPD-Minister Scholz und Heil, aber so ist nun mal das politische Leben. Krisenzeiten sind immer die Stunde der Exekutive. Dementsprechend verlieren die Oppositionsparteien an Zustimmung.

Die AfD fällt besonders tief, weil offenbar immer mehr Menschen erkennen, dass diese Partei allenfalls eine Alternative für Rechtsradikale und Rechtsextreme ist, nicht jedoch für Konservative. Die Grünen sind von ihren bisherigen Hochs ebenfalls entfernt. Kein Wunder. Einen Robert Habeck, der von der Insolvenz bedrohten Gastronomen und Hoteliers ausgerechnet jetzt den ökologisch-korrekten Umbau ihrer Heizungsanlagen empfiehlt, kann man sich schlecht als Krisen-Kanzler vorstellen. Aber auch die aktuellen Ergebnisse der „Sonntagsfrage“ sind auf Sand gebaut. Sollte der Wiederaufschwung nach der bevorstehenden schweren Rezession zu lange dauern oder zu schwach ausfallen, sähe die Umfragen-Welt ganz schnell ganz anders aus.

kath.net-Buchtipp
Endspurt
Wie Politik tatsächlich ist - und wie sie sein sollte. Begegnungen, Erlebnisse, Erfahrungen
Von Wolfgang Bosbach
Ein Gespräch mit Hugo Müller-Vogg
Hardcover, 272 Seiten, Quadriga
ISBN 978-3-86995-092-1
Preis 24.70 EUR

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Pressefoto Dr. Hugo Müller-Vogg




Foto (c) Hugo Müller-Vogg

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