„Sich nicht zu begegnen ist Akt der Nächstenliebe“

6. April 2020 in Spirituelles


„Mit Tränen in den Augen müssen wir lernen und akzeptieren, dass es unter den gegebenen Bedingungen ein Akt der Nächstenliebe ist, sich nicht zu begegnen.“ Palmsonntagspredigt des Regensburger Bischofs Voderholzer


Regensburg (kath.net/pbr) kath.net dokumentiert die Predigt von Bischof Rudolf Voderholzer zur Feier des Palmsonntags im Hohen Dom zu Regensburg am 5. April 2020 in voller Länge:

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
Mit der Palmsonntagsliturgie eröffnen wir die große heilige Woche, in der sich die Christenheit auf der ganzen Welt das Leiden, das Sterben und die siegreiche Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus in besonders intensiver Weise vergegenwärtigt und diese Heilsereignisse feiert als die Erlösung von Sünde, Schuld und Tod.

Wir sind es gewohnt, alle Festlichkeit aufzubieten, alle Schönheit und allen Glanz, weil man dieses Fest nicht überschwänglich genug feiern kann.

Und nun ist uns heuer fast alles aus der Hand genommen. Zuallererst die große und leibhaftige Gemeinschaft der Schwestern und Brüder selbst. Mit Tränen in den Augen müssen wir lernen und akzeptieren, dass es unter den gegebenen Bedingungen ein Akt der Nächstenliebe ist, sich nicht zu begegnen. Dann müssen wir verzichten auf die öffentliche Prozession, und nicht zuletzt auf den festlichen Gesang der Domspatzen. Die Buben und jungen Männer der Domspatzen, die sich schon lange auf die Liturgie dieser Heiligen Woche vorbereitet und sich darauf gefreut haben – immerhin ist es musikalisch ja auch der Höhepunkt! – Euch möchte ich besonders grüßen aus dem Regensburger Dom und Euch sagen, dass auch mir – genauso wie Euch – das Herz blutet, dass wir nicht gemeinsam die Liturgie gestalten können.

Ich bitte den Herrn Domkapellmeister Christian Heiß, für den es heuer das erste Osterfest ist in seiner neuen Funktion und der zusammen mit Frau Giehl und Herrn Rädlinger stellvertretend für Euch alle jetzt bei der Passion in kleinster Besetzung hat mitwirken dürfen, diesen Gruß auch noch persönlich weiterzugeben. Es ist für uns alle ein großes Opfer!

Besonders verbunden wissen wir uns auch mit allen, die gerade auch jetzt in dieser Stunde in einem Krankenhaus oder einem Altenheim Dienst tun. Die unter Einsatz all ihrer Kräfte und ungeachtet der Gefährdung auch ihrer eigenen Gesundheit, kranke Menschen versorgen, seien sie vom Corona-Virus erfasst oder auf andere Weise krank – auch sie dürfen ja nicht vergessen werden in diesen Tagen! Seien Sie gewiss, dass Ihr Dienst auch ein Dienst an Christus, dem König der Könige ist, der sich gerade auch mit den Kranken identifiziert, wenn er sagt: „Was ihr dem geringsten meiner Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Christus, der nicht hoch zu Ross, sondern auf einem Esel als Messias in seine Stadt Jerusalem eingezogen ist, kam nicht, um sich zu retten, sondern uns, und uns so auch ein Beispiel zu geben.

Und alle Kranken lade ich ein, sich heute und in den kommenden Tagen ganz besonders mit Christus zu verbinden, der alle unsere Wege, gerade auch die Wege durch die finsteren Schluchten und die Kreuzwege unseres Lebens, mitgeht und begleitet.

Liebe Schwestern und Brüder! Manche haben schon unsere gegenwärtige Situation mit den Kriegszeiten verglichen. Da gibt es wohl ein paar Parallelen, aber dann dürfen wir doch nicht übersehen: Nicht bewaffnete Armeen verschiedener Völker stehen sich gegenüber, und es drohen auch keine nächtlichen Fliegerangriffe, sondern die ganze Menschheit erfährt sich geeint im Ringen gegen einen winzigen, unsichtbaren aber gefährlichen Feind, gegen den es noch kein Heilmittel und keinen Impfstoff gibt.

Neben den vielen anderen Unterschieden ist mir noch einer bewusstgeworden: Die Glocken unserer Kirchtürme, sie dürfen läuten! Im Zweiten Weltkrieg mussten Ende 1941 die Kirchen alle Glocken abliefern, bis auf die kleinste, die Totenglocke – die wurde ja umso häufiger benötigt. Aber die großen Glocken wurden alle abgehängt und nach Hamburg gebracht, wo sie zu Kanonen und Panzern umgeschmolzen werden sollten. Welch‘ eine schaurige Stille in den Städten, das ist oft beschrieben worden! Statt des Glockengeläutes die warnenden Sirenen. Welch‘ eine Freude umgekehrt, wenn wir gerade jetzt doch auch immer wieder das volle Glockengeläut vernehmen dürfen und zu den Kirchtürmen hinaufschauen können!

Ich nütze die Gelegenheit, an dieser Stelle auch einmal einen herzlichen Dank an die Mesnerinnen und Mesner auszusprechen, die gerade in diesen Tagen alle Hände voll zu tun haben, die Kirchen trotz aller Beschränkung schmücken und jetzt auch noch das Geläute entsprechend programmieren. Danke für Ihren Dienst!

Dreimal am Tag erinnert uns die Glocke der Pfarrkirche zum Gebet. Früh, mittags und abends. Verbinden wir uns doch auch in diesen Augenblicken miteinander im Hören auf die Glocken im Aufblick zu den Kirchtürmen. Das Zwölfuhrläuten, liebe Schwestern und Brüder, markiert nicht nur den Zeitpunkt, bis wann die frischen Weißwürste unbedingt gegessen sein müssen, sondern es lädt uns vor allem zum Angelus-Gebet ein. Vielleicht sollten wir das wieder neu als großen Schatz entdecken. Jetzt, wo es so viel stiller zugeht in unserem Alltag, nehmen wir sie deutlicher wahr.

Auch zu den üblichen Gottesdienstzeiten läuten die Glocken. Leider können wir vorerst ihrer Einladung, zur Kirche zu kommen, nicht Folge leisten. Aber ihr Signal dürfen wir im Herzen widerhallen lassen und uns vor dem Fernseher und dem Hausaltar versammeln, mit dem Gotteslob und der Sonntagsbibel.

Ich sage Ihnen ehrlich: Es ist mir sehr nahegegangen, als wir in den vergangenen Tagen ein paar Mal zum gemeinsamen Gebet mit Papst Franziskus aufgerufen haben durch das Läuten der Glocken. Ja, auch die Glocken verbinden und schaffen Gemeinschaft.

An allen Tagen des Jahres bereichern die Glocken mit ihrem Klang unseren Alltag, sie geben dem Tag Gliederung und Struktur. Nur vom Gründonnerstagabend bis zur Osternacht schweigen die Glocken zum Zeichen der Trauer und der Grabesruhe des Herrn. Sie werden dieses Jahr noch lauter und beredter schweigen als sonst. Der Volksmund lässt sie nach Rom fliegen. In der Osternacht aber kehren sie zum Gloria und zum Osterhalleluja zurück. Denn die Osterbotschaft, die Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi, die Wende in der Geschichte, der Hereinbruch der Ewigkeit in die Zeit, die Begründung unserer Hoffnung auf das ewige Leben, das muss an die große Glocke gehängt werden!

Es ist ein großartiges ökumenisches Zeichen, liebe Schwestern und Brüder, dass zwischen der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland vereinbart worden ist, dass am kommenden Ostersonntag mittags um 12 Uhr alle Glocken unserer katholischen und evangelischen Kirchen eine Viertelstunde läuten und so die Osterbotschaft verkünden sollen. Und auch schon heute Abend werden um halb acht Uhr abends die Glocken in ökumenischer Verbundenheit läuten. Lassen wir uns heute und dann am Ostersonntag auch von diesem Zeichen innerlich anrühren. In den Städten werden auch die Mauern erzittern, und wenn Sie auf dem Land wohnen, dann öffnen Sie die Fenster, dass die Botschaft der Glocken Sie erreiche: Christus der Herr hat am Kreuz Sünde und Tod dieser Welt besiegt. Und alles wird gut! Amen.

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Vor dem Schluss-Segen
Liebe Schwestern und Brüder! Stellen wir uns nun am Ende dieser Heiligen Feier unter den Segen des dreifaltigen Gottes. Er führe uns durch diese ganz besondere Heilige Woche und lasse uns trotz aller Beschränkungen die Freude des Glaubens erfahren. Lassen wir uns vor allem auch vom Läuten der Glocken zum gemeinsamen Gebet führen, durch ihr Schweigen des Todesleidens Christi in besonderer Weise gedenken. Und wenn am Ostersonntag dann in ökumenischer Verbundenheit das Mittagsläuten überschwänglich festlich auf eine Viertelstunde ausgedehnt wird, dann bestürmen wir den Himmel, dass der Herr, der uns das ewige Leben verheißt, schon in dieser Welt auferstehen lasse aus dem Grab der Corona-Krise.
Der Herr sei mit Euch!

Foto (c) Bistum Regensburg/Jakob Schötz

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