Für Limburger Bischof ist Corona-Krise 'Glücksfall der Geschichte'

13. April 2020 in Deutschland


Die Krise, so schlimm sie auch sei, habe laut Bätzing viel Gutes hervorgebracht. "So viel Freundlichkeit und Humor habe ich selten erlebt" - UPDATE: Predigt in voller Länge


Limburg (kath.net)
Die Corona-Krise kann nach Überzeugung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, zum „Glücksfall der Geschichte“ werden. Das sagte der Bischof am Sonntag in einer Ostermesse im Limburger Dom, wie der "Focus" berichtet. "Niemand, kein Volk, kein Land, keine Wirtschaft ist eine Insel. Alles hängt mit allem zusammen“, meinte Bätzing. Die Krise, so schlimm sie auch sei, habe laut Bätzing viel Gutes hervorgebracht. „So viel Freundlichkeit und Humor habe ich selten erlebt“, meinte der der neue DBK-Vorsitzende.

UPDATE - kath.net dokumentiert die ganze Predigt von Bischof Bätzing, da sie von manchen Medien verkürzend dargestellt worden war:

Limburg (kath.net/DBK) Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

so verschieden kann man nachzeichnen, was unbeschreiblich ist: die Auferstehung. Gestern in der Osternacht beim Evangelisten Matthäus (28,1–10) kam es mir vor wie der brausende Schluss einer großen Symphonie. Erdbeben, Blitz und ein Engel, der den gewaltigen Stein vom Grab wegwälzt; ein ganzes himmlisches Szenario wird aufgeboten, um deutlich zu machen: Hier habt ihr es mit Gott zu tun. Kein anderer steckt dahinter. Es ist völlig eindeutig: Christus ist von den Toten auferstanden. Darauf kann man nur mit Staunen, Furcht und großer Freude reagieren. Und wenn Gott sich offenbart im Auferstandenen, dann können Menschen nur auf die Knie gehen, wie man es damals für gewöhnlich tat: Sie warfen sich nieder und umfassten und küssten seine Füße. Für Zweifel bleibt kein Platz.

Ganz anders gerade eben. Die Ostererzählung bei Johannes (20,1–18) gleicht musikalisch eher einer Fuge. Die Stimmen setzen einzeln ein, Personen und ihre Erfahrungen sind wichtig. Sie laufen und entwickeln sich, mal treffen sie harmonisch aufeinander, mal ist einer hinten dran. Ein Suchen und Finden und wieder neu und intensiver Verstehen. Es ist nicht zu fassen. Mal gewiss und dann wieder zweifelnd ringen die Osterzeugen. Eindeutig ist da gar nichts. Erst als Maria am Grab ausharrt in aller Ungewissheit, da gibt sich ihr der lebendige Jesus zu erkennen. In der Behutsamkeit dieser Begegnung zwischen Jesus und Maria von Magdala bleibt die Diskretion gewahrt. Gott ist nicht zu fassen. Nähe durch Abstand. Das, was wir in diesen Wochen üben (müssen), das ist grundlegend wichtig für gelingende Beziehungen überhaupt, auch die zwischen uns und unserem Gott. Ganz nah und doch ganz anders, ganz frei. Er gibt uns großzügig alles in seiner Schöpfung, hat uns vor allem mit Freiheit begabt. Doch er selbst ist kein „Ding“ dieser Welt, er ist unendlich größer – so weit, dass man wie viele heute durchaus der Meinung sein kann, er sei abwesend. Das muss beileibe kein Unglaube sein. Denn tiefgläubige Menschen haben Gott als unerreichbar erfahren und diese Not ausgehalten; zuletzt Mutter Teresa von Kalkutta, der es jahrzehntelang so erging. Ja, Maria, du hast es mit Gott zu tun. Der Auferstandene ist bei dir und für dich da, aber durch die Erfahrung des Todes radikal verändert. Er ist nah, doch nicht zu fassen. Auch nach Ostern bedeutet Glauben nicht eindeutig wissen, wie man um das Ergebnis einer mathematischen Gleichung „weiߓ, sondern Entdecken im beständigen Suchen.

Liebe Schwestern und Brüder, der tschechische Priester und Religionsphilosoph TomᚠHalík (*1948) hat jüngst in einem Essay (Auf dem Weg in die Tiefe, Christ & Welt, 2. April 2020, 4–5) zu deuten versucht, wie wir angesichts der Corona-Krise die Sprache Gottes in den Ereignissen unserer Welt verstehen lernen. Und zwar nicht im Sinne der Unheilspropheten, die Angst verbreiten und aus der Situation religiöses Kapital schlagen wollen, sondern lernbereit und lernbegierig für die nahe Zukunft als Kirche an der Seite der Menschen. „Vielleicht“, so schlägt er vor, „zeigt diese Zeit der leeren Kirchen den Kirchen symbolisch ihre verborgene Leere und eine mögliche Zukunft auf, die eintreten könnte, wenn die Kirchen nicht ernsthaft versuchen, der Welt eine ganz andere Gestalt des Christentums zu präsentieren. Zu sehr waren wir darauf bedacht, dass die ‚Welt‘ (die anderen) umkehren müssen, als dass wir an unsere eigene ‚Umkehr‘ gedacht hätten – nicht nur an eine ‚Verbesserung‘, sondern an die Wende vom statischen ‚Christsein‘ zum dynamischen ‚Christwerden‘“. Halík sieht uns in Zukunft als suchende Menschen an der Seite der vielen Suchenden in unserer Zeit. Weg von den sicheren Gewissheiten geht der Fingerzeig des Auferstandenen und hin in die weite Welt der unruhig Bewegten, mit denen uns viel mehr verbindet als wir womöglich wahrhaben wollen. Dies ist das „Galiläa von heute“, wohin uns der auferstandene Herr vorausgeht und wohin wir gehen sollen, um den Gott zu suchen, der durch den Tod hindurchging. Ja, wenn Gott nah und nicht zu fassen ist, dann will er gesucht werden. Für diese aufrüttelnde Prognose bin ich dankbar.

Übrigens war die Prognose am ersten Ostertag denkbar schlecht. Nichts deutete auf eine hoffnungsvolle Wende im tragischen Schicksal des jungen Rabbi hin, außer vielleicht seine unverstanden gebliebenen Andeutungen zu Lebzeiten, er werde nach drei Tagen auferstehen. Man hatte Jesus verhaftet, vor Gericht gestellt und wegen Gotteslästerung zum Tod verurteilt. Mit seinem Kreuzestod waren auch alle Zukunftspläne derer zunichte gemacht, die ihm als Jünger und Jüngerinnen gefolgt waren – und die dafür viel aufs Spiel gesetzt hatten. Was blieb anderes übrig, als nun mit dem Gekreuzigten todtraurig zugleich die eigenen Hoffnungen würdevoll zu bestatten. Darauf waren Maria und die anderen eingestellt – ganz gewiss nicht darauf, mit einem lebendigen Jesus konfrontiert zu werden, mit einem, der deutlich erkennbar als der Gekreuzigte aus der Zukunft Gottes zu ihnen kam, mit ihnen sprach und ihnen Aufträge gab. Völlig unerwartet wurde dieser Ostermorgen zu einem Moment in der Geschichte, in dem die Zukunft ihre Richtung änderte – ja, ich bin überzeugt, dieser Morgen ist unter allen historischen Wendepunkten der bedeutsamste, der Glücksfall der Geschichte schlechthin.

Gerade jetzt erleben wir wieder einen historischen Moment. Die Welt, wie wir sie kannten, löst sich gerade auf (Matthias Horx). Die Zukunft, die sehr anders sein wird, als wir gedacht haben, erschließt sich noch nicht. Prognosen verheißen keinen einfachen Weg – eher lange und belastende Jahre, die nur im gemeinsamen Schulterschluss aller in Europa und weltweit so gemeistert werden können, dass sie die Ungleichheit und Ungerechtigkeit in den Lebensverhältnissen der Menschen dieser Erde nicht noch vergrößern. Das wird uns viel kosten und mit Einbußen unseres Wohlstands verbunden sein. Aber ich bin überzeugt: Wenn wir durch Corona so eng und schicksalhaft zusammengerückt wurden, wie es alle planbare Globalisierung nicht annähernd vermocht hat, dann tragen wir auch Verantwortung füreinander und vor allem für die Schwachen, die Armen und besonders hart betroffenen Regionen. Jetzt sind wir einander nah in der Krise. Wir haben es in der Hand, ob wir diese geschenkte Nähe festigen und zusammenrücken oder wieder auseinanderdriften. Hoffentlich lehrt uns die Krise, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind. Niemand, kein Volk, kein Land, keine Wirtschaft ist eine Insel. Alles hängt mit allem zusammen. Wenn es gelingt, die besten Kräfte und die mutigsten Ideen aller ins Spiel zu bringen, und wenn wir zu einem erheblichen, auch persönlich spürbaren Opfer und Einsatz von Mitteln und Instrumenten aus allen gesellschaftlichen Bereichen bereit sind, dann kann auch diese Krise zum Glücksfall der Geschichte werden. Wie sehr muss uns Christinnen und Christen das am Herzen liegen.

Es muss kein Traum bleiben, der bald zerplatzt, wenn wir uns nur die Aufmerksamkeit dafür bewahren, was uns selber in diesen anstrengenden Wochen stärkt: So viel Freundlichkeit und Humor habe ich selten erlebt; klar, auch die Anspannung nimmt zu und Konflikte entladen sich. Mit so vielen bisher Unbekannten habe ich nie zuvor unterwegs gesprochen. Selten nehmen andere meine guten Wünsche und Aufmerksamkeiten so gern an – und danken sie mir mit tollen Ideen. Wir nutzen die digitale Technik, um gut in Verbindung zu bleiben. Oft und lange wird telefoniert, kaum eine Nachricht ignoriert, selten jemand zappeln lassen, der eine Frage stellt. Ist das nicht schon der Anfang einer neuen Kultur von Achtsamkeit und Verbundenheit? Das ist alles nicht selbstverständlich, ganz und gar nicht. Da prägt sich aus, was unsere Zukunft ausmachen und zum Guten verändern kann.

Allen, die daran mitwirken wollen, widmen wir jetzt ein besonderes Osterlied. Kein geschmettertes Halleluja, viel leiser und behutsam wie das österliche Suchen nach dem Auferstandenen. Es will die gläubige Gewissheit stärken, dass ER da ist – besser noch, dass der Herr selber zu uns spricht und sagt: ICH BIN DA! Ein frohes und gesegnetes Osterfest Ihnen allen!

© 2020 www.kath.net