ORF und ZEIT verbreiten falsche Propaganda zu Pius XII.

23. April 2020 in Kommentar


Hat der Vatikan Informationen zur Schoah unterschlagen? - Ein Kommentar von Michael Hesemann zu Schlagzeilen von ORF und der Tageszeitung "Die Zeit" und Behauptungen des Historikers Hubert Wolf


Rom (kath.net)
Mit der Schlagzeile „Pius XII. wusste vom Holocaust“ titelte gestern die ORF-Kirchenredaktion. Bezug nahm sie auf einen Artikel des Münsteraner Kirchengeschichtlers Hubert Wolf, der unter dem Titel „Der Papst, der wusste und schwieg“ in der heutigen „Zeit“ erschien. Tatsächlich hat nie jemand behauptet, dass es anders war, antwortet Michael Hesemann, Autor des Buches „Der Papst und der Holocaust“.

Als Historiker hat sich Hubert Wolf eigentlich schon lange diskreditiert. Viel zu offensichtlich versucht der Münsteraner Kirchengeschichtler, mit seinen Veröffentlichungen Kirchenpolitik zu betreiben und dabei auch mal Fünfe gerade sein zu lassen. Etwa, indem er mit fadenscheinigen Argumenten gegen den Zölibat wettert, indem er versucht, mit Äbtissinnengeschichten aus dem Mittelalter die Frauenweihe zu legitimieren oder sich gegen die überfällige Seligsprechung des Weltkriegspapstes Pius XII. engagiert. Dabei schreckt er nicht einmal davor zurück, die Verschwörungsthesen des US-Journalisten Kertzer mit einem Jubel-Vorwort abzusegnen, der Kardinalstaatsekretär Pacelli bezichtigte, im Auftrag Mussolinis die letzte Enzyklika Pius XI. vernichtet zu haben. Tatsächlich war der erste Entwurf dazu so grottenschlecht, dass der Papst ihn kurzerhand an die Autoren zurückschickte – bis er dann, ein paar Jahrzehnte später, doch noch publiziert wurde. Noch vor einem Jahr forderte Wolf, die Seligsprechung zu verschieben, bis die Akten Pius XII. in den Vatikanarchiven für die Forschung zugänglich seien. Jetzt, zum 2. März, gab Papst Franziskus 15 Millionen Dokumente frei – und Wolf verlangt, wieder zu warten, wohl bis er das letzte davon persönlich ausgewertet. Dass zu diesem Zeitpunkt bereits drei historische Kommissionen im Auftrag Pauls VI. und Benedikts XVI. alle Akten durchforstet hatten, verschweigt Wolf dabei geflissentlich; diese standen ja auch nicht unter seiner Federführung. Stattdessen reiste er selbst mit einigen seiner Studenten und Hilfswissenschaftlern am 2. März 2020 in Rom an, belegte 6 der 25 bewilligten Arbeitsplätze im Vatikanarchiv und musste nach fünf Tagen bereits wieder abreisen; die Corona-Pandemie hatte auch den Vatikan erreicht, die Archive schlossen und sind bis heute nicht mehr zugänglich.

Da ich selbst vom 2. bis 6. März als Historiker im Auftrag der jüdischen „Pave the Way Foundation“, oft nur wenige Meter vom „Wolfs-Rudel“ (wie wir sein Team liebevoll nannten) entfernt, im selben Archiv die gleichen Akten durchforschte, bin ich sicher kompetent, seine „ersten Erkenntnisse“ in der causa zu bewerten. Diese veröffentlichte Wolf am heutigen Donnerstag in der „Zeit“ – ein ziemlich gewagtes Unterfangen angesichts der Tatsache, dass nur fünf Tage zur Verfügung standen und das Forschungsprojekt coronabedingt abgebrochen werden musste. Umso verwunderlicher, dass der Münsteraner hier versucht, Altbekanntes als seine Neuentdeckung zu verkaufen.

Altbekanntes neu entdeckt

In seinem Artikel geht es um eine Anfrage der Amerikaner beim Heiligen Stuhl. Am 26. September 1942 wurde Myron Taylor, der persönliche Repräsentant von US-Präsident Roosevelt, bei Pius XII. persönlich vorstellig. Im Gepäck hatte er einen Bericht der „Jewish Agency for Palestine“ mit erschreckenden Nachrichten aus Polen. Erwähnt wurden darin die Liquidierung der Bewohner des Warschauer Ghettos sowie die Exekutionen in einem KZ, das als „Belick“ bezeichnet wird – gemeint war wohl das Vernichtungslager Belzec bei Lublin. „Die Juden, die aus Deutschland, Belgien, Holland, Frankreich und der Slowakei deportiert wurden, werden ins Schlachthaus geschickt“, heißt es darin wörtlich. Das Anliegen Taylors war nun, in Erfahrung zu bringen, ob der Vatikan diesen Bericht bestätigen konnte oder über ähnliche Informationen verfügte.

All das konnte man bereits den zwischen 1964 und 1981 veröffentlichten „Akten und Dokumenten des Heiligen Stuhls aus dem Zweiten Weltkrieg“ entnehmen, einer elfbändigen Edition von knapp 7400 Seiten (nicht „10.000“, wie Wolf behauptet). Weitere Details veröffentlichte Prof. Blet, einer der vier Herausgeber der Edition, im Jahr 2000 in seinem Buch. Zuletzt wird die Episode auf fünf Seiten (S. 215-219) in meinem Buch „Der Papst und der Holocaust“ behandelt. Als Universitätsprofessor sollte Wolf die Literatur zu seinem Fachthema kennen. Trotzdem behauptet er, die Episode sei „der Öffentlichkeit bisher gezielt vorenthalten“ worden. Das ist unwahr, und er weiß es oder er ignoriert die Fachliteratur.

Pius XII. bat daraufhin seinen Staatssekretär, Kardinal Maglione, den Amerikanern zu antworten. Und da sind die internen Vermerke auf den Dokumenten interessant, denn sie zeugen davon, wie schwer es zu diesem Zeitpunkt, nur acht Monate nach der Wannsee-Konferenz, auch für den Vatikan war, Gerüchte von Tatsachen zu unterscheiden. „Ich glaube nicht, dass wir über Informationen verfügen, die – insbesondere – diese schwerwiegenden Nachrichten bestätigen würden“, kommentierte Maglione handschriftlich. „Es gibt die von Herrn Malvezzi“, ergänzte ein Mitarbeiter, vielleicht sogar der Substitut Monsignore Montini, der spätere Papst Paul VI. Graf Malvezzi war ein Angestellter eines italienischen Unternehmens, der kurz zuvor aus Polen zurückgekehrt war. Sein Bericht sprach zwar auch von Massakern, bestätigte aber die zitierten Informationen nicht.

An dieser Stelle trumpft Wolf auf und verweist darauf, dass auch der ukrainische Erzbischof Szeptyzkyj bereits Ende August 1942 von Massakern an 200.000 Menschen durch die Nazis berichtet hatte; die ersten Opfer seien dabei die Juden gewesen. Was Wolf verschweigt: Diese Massaker waren dem Vatikan bereits seit Sommer 1941 bekannt. Sie führten dazu, dass Pius XII. schon am 1. August 1941 in „Radio Vatikan“ von einem „großen Skandal“ sprach: „In Deutschland werden die Juden ermordet und auf brutale Weise misshandelt … Wie kann ein Christ solche Taten hinnehmen?“.

Allerdings wurde die Ansprache nur einmal gesendet und nie mehr publiziert; gutmeinende Berater hatten den Papst gewarnt, dass solche Proteste immer nur zu einer Verschärfung der Maßnahmen führen und zudem als Vorwand für weitere Schikanen gegen die katholische Kirche dienen könnten. Doch um die bekannten Massaker war es bei der Anfrage des Amerikaners Taylor nie gegangen; er wollte wissen, ob der Vatikan über weitere Hinweise auf Todeslager der Nazis im besetzten Polen hatte.

Das führte zu einer Anfrage des Vatikans beim Botschafter der Exilpolen in Rom, Kazimierz Papée, die Wolf seltsamerweise verschweigt. Dieser bestätigte, dass „die Massaker der Deutschen an den Juden (…) in Polen öffentlich bekannt“ sind und dass tatsächlich die Ghettos in Wilna (Vilnius) und Warschau systematisch geleert würden. Der Botschafter weiter: „Nach den Informationen eines Bürgers der Achsenmächte, der diese Orte besuchte, werden die Juden in einem Lager konzentriert, wo sie dann ermordet werden; auf jeden Fall steht fest, dass ihre Familien nie wieder von ihnen hören.“ Das bestätigte zwar den Bericht der „Jewish Agency“, doch um als Beweis zu gelten war es doch ziemlich vage. Auch Papée war nicht bereit, sich für den Wahrheitsgehalt dieser Information zu verbürgen noch in der Lage, die Quelle näher zu identifizieren. Für den Vatikan war es eine Information aus dritter Hand: Hörensagen, mehr nicht.

Was wusste der Vatikan wirklich vom Holocaust?

Insofern zeugt die Antwort, die Taylor am 6. Oktober von Maglione zugestellt bekam, allenfalls von der Gewissenhaftigkeit der Vatikanmitarbeiter: „Der Heilige Stuhl hat Nachricht über die schwere Misshandlung der Juden erhalten. Die Genauigkeit aller zugegangenen Informationen kann er jedoch nicht überprüfen.“ Nur aus heutiger Perspektive klingt das allzu vorsichtig; nach dem Kenntnisstand vom Oktober 1942 war es einfach nur ehrlich.

Jetzt zieht Wolf seine letzte Trumpfkarte aus dem Ärmel. Ein untergeordneter Mitarbeiter des Staatssekretariats, Angelo dell’Acqua, der vielleicht mit der Sichtung der eingegangenen Berichte beauftragt worden war, hatte ein „Appunto“, eine interne Aktennotiz verfasst: „Es ist aber erforderlich, sich zu versichern, dass sie (die Informationen Taylors) der Wahrheit entsprechen, weil es auch unter den Juden leicht zu Übertreibung kommt.“ Der erste Teil des Satzes ist sicher nachvollziehbar; jede eingehende Nachricht dieses Gewichtes gilt es zunächst zu überprüfen, gleich, wer die Quelle ist. Und tatsächlich stehen in dem Memorandum der Jewish Agency zwei eher fragwürdige Behauptungen: „Ihre Körper werden dazu benutzt, Fett herzustellen, und ihre Knochen zur Produktion von Dünger“ und „Im ganzen Gebiet von Ostpolen, einschließlich der besetzten russischen Gebiete, ist kein einziger Jude mehr am Leben.“
Wir wissen heute, dass es sich bei beiden Behauptungen tatsächlich um Übertreibungen handelte. Schon im Ersten Weltkrieg unterstellte die britische Boulevardpresse den „Huns“, den deutschen „Hunnen“, sie würden die Leichen toter Soldaten in "Kadaververwertungsanstalten" zu Schmierölen und Glyzerin verarbeiten, die Abfälle zu Tierfutter, Dünger und Seife.

Die britische Regierung distanzierte sich acht Jahre später offiziell von dieser Kriegslüge. Die Nazis selbst verhöhnten die Juden mit der Drohung, aus ihren Leichen Seife zu machen; den Aufdruck der Seifenverpackung RIF („Reichsstelle für industrielle Fette“) deuteten sie makaber zu „Rein jüdisches Fett“ um.

Aktenkundig wurden die Seifen-Gerüchte spätestens ab Mitte 1942, wie Raul Hilberg nachgewiesen hat, und zwar im besetzten Polen. Interessanterweise betrifft das erste von ihm herangezogene Dokument vom 29. Juli 1942 keine Juden, sondern volksdeutsche "Asoziale". Hilberg erwähnt weiter einen Bericht aus Lublin: Dort kursierte das Gerücht, "die Polen kommen jetzt genau wie die Juden zur Seifenproduktion dran". Diese Gerüchte erreichten auch die Jewish Agency und die Juden in den USA. Im September 1942 verfasste Rabbiner Dr. Stephen Wise, Vorsitzender des Jüdischen Weltkongresses, eine Denkschrift, in der er auf diese Gerüchte einging. Die New York Times zitierte ihn am 26. November 1942 als Gewährsmann für die Meldung, die Deutschen würden das Fett der Leichen deportierter Juden zu Seife und Schmiermitteln verarbeiten. In der modernen Holocaustforschung hat man sich längst von der „Seifenlegende“ verabschiedet. Auch die Behauptung, „sämtliche“ Juden in Ostpolen, Westrussland und der Ukraine seien bereits im September 1942 ermordet worden, ist nachweisbar falsch. Aus seiner also berechtigten Vorsicht zu folgern, wie Wolf es tut, dell’Acqua sei nicht nur ein Zyniker, sondern auch ein Antisemit, wird diesem sicherlich nicht gerecht, zumal seine Vorurteile viel härter die ukrainischen Katholiken treffen, wenn er Szeptyzkyjs Brief zwar erwähnt, aber mit den Worten „auch die Orientalen sind nun wirklich nicht von exemplarischer Aufrichtigkeit“ abkanzelt. Seine spätere Laufbahn – Johannes XXIII. weihte ihn zum Bischof, Paul VI. nahm ihn ins Kardinalskollegium auf und ernannte ihn zum Kardinalvikar von Rom – lässt ihn in keinem schlechten Licht erscheinen.

Als einer der Konzilsväter verabschiedete er auch die Erklärung „Nostra aetate“ zur Aussöhnung mit dem Judentum. Worum es ihm wirklich ging, enthüllt dann auch der nächste Satz in seiner Aktennotiz: Man solle sich nicht allzu leichtfertig vor den Karren der USA spannen lassen und schon gar nicht mit den Alliierten gemeinsam gegen die Misshandlung der Juden protestieren. Denn das, so dell’Acqua, „könnte unerfreuliche Konsequenzen haben, nicht nur für den Heiligen Stuhl, sondern vor allem für die Juden selbst, die sich in den Händen der Deutschen befinden.“

Damit hatte der vermeintliche Antisemit im Staatssekretariat des Vatikans das Problem im Kern erfasst und wissentlich oder unwissentlich die Bedenken des Papstes widergegeben. Hätte Pius XII. wirklich einem einzigen Juden geholfen, wenn er gemeinsam mit den Alliierten gegen die Ermordung der Juden protestiert hätte?

Die Devise des Papstes: Retten, nicht reden!

Als der Erzbischof von Utrecht, de Jong, im Juli 1942 in einem Hirtenbrief die Deportation der Juden anprangerte, folgten die Vergeltungsmaßnahmen umgehend. Hatten die Nazis vorher versprochen, alle Konvertiten zu verschonen, wurden diese jetzt zuallererst nach Auschwitz geschickt. Sogar Klöster stürmten die Deutschen, etwa um die konvertierte Ordensfrau Teresia Benedicta a Cruce, vormals Edith Stein, zu verschleppen und zu ermorden. Der deutsche Widerstand gegen Hitler, mit dem Pius XII. kollaborierte, hatte ihn ebenfalls dringend vor einem offenen Protest gewarnt; Hitler wartete nur darauf, die Katholiken im Lande als Kollaborateure des „Erzfeindes“, der Juden, zu diffamieren, das Konkordat aufzukündigen, unbequeme Bischöfe zu verhaften und das katholische Leben im Reich zu zerschlagen. Damit wäre aber auch jene Infrastruktur vernichtet, auf die der Widerstand setzte, um zuverlässige Männer für ein Deutschland nach Hitler zu rekrutieren. Und die im Untergrund unermüdlich Juden versteckte oder außer Landes schmuggelte, etwa auf der „Klosterroute“ über die Alpen.

Kein Protest des Papstes hätte Hitler bewegt, die Deportationen in die Todeslager zu stoppen. Er hätte ihn allenfalls angestachelt, noch schneller, noch erbarmungsloser vorzugehen. Pius XII. wusste, dass nur ein Sieg der Alliierten über Deutschland oder ein Attentat auf Hitler das Morden beenden konnte, weshalb er hinter den Kulissen trotz allem Risiko mit dem deutschen Widerstand kollaborierte.

Bis dahin war seine Devise, im Verborgenen die größtmögliche Anzahl von Juden zu retten. Dadurch, dass er auf diplomatischem Weg bei Hitlers Vasallenstaaten Vichy-Frankreich, Italien, der Slowakei, Ungarn, Kroatien, Rumänien und Bulgarien die von den Nazis geforderten Deportationen verzögern oder verhindern konnte, dass er zehntausende Juden aus dem Machtbereich der Nazis schmuggeln und mit Visa in sichere Länder bringen ließ und dass zehntausende Juden mit falschen Taufscheinen versorgt oder in Klöstern versteckt wurden, rettete er, wie ich in meinem Buch „Der Papst und der Holocaust“ nachweise, um die 960.000 Juden vor dem Tod im KZ.

Ein einziger Protest, ein falsches Wort, hätte all diese Bemühungen zunichte gemacht. Pius XII. musste, gerade um bei Mussolini und Hitlers Vasallen etwas bewirken zu können, nach außen hin neutral auftreten (zumal der Vatikan Mussolini schon 1929 in den Lateranverträgen absolute politische Neutralität garantiert hatte) – nur so konnte er, ohne parteiisch zu wirken, als Wahrer der Menschenrechte und Beschützer der Verfolgten aller Konfessionen und Nationen auftreten, dessen Christenpflicht es sei, „so vielen unglücklichen Menschen neues Leid und neue Schmerzen zu ersparen“. Mit dieser Strategie hatte er Erfolg; mit eben dieser Formulierung, zitiert aus einem persönlichen Telegramm an den ungarischen Regenten Horthy, bewirkte Pius XII. etwa, dass die Deportationen in Ungarn gestoppt und damit 200.000 ungarische Juden vor Auschwitz bewahrt wurden.

So protestierte Pius XII. auch nach Taylors Anfrage nicht etwa gemeinsam mit den Amerikanern am 17. Dezember 1942, als die Welt durch die „Interalliierte Erklärung“ erstmals vom Holocaust erfuhr. „Aus allen besetzten Ländern werden Juden unter entsetzlichen, brutalen Bedingungen nach Osteuropa transportiert… Die Arbeitsfähigen müssen sich in den Arbeitslagern langsam zu Tode schuften. Die Schwachen und Kranken lässt man erfrieren und verhungern, oder sie werden in Massen ermordet“, hieß es dort ziemlich vage, denn auch die Alliierten wussten nicht, welchen Berichten man glauben konnte. Doch er ließ es sich nicht nehmen, eine Woche später, in seiner Weihnachtsansprache, zu bestätigen, dass „Hunderttausende, ohne eigene Schuld, manchmal nur wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder Rasse, dem Tod geweiht oder einer fortschreitenden Verelendung preisgegeben werden.“

Ein halbes Jahr später, am 2. Juni 1943, wiederholte er diese Formulierung in einer öffentlichen Ansprache und ergänzte: „Jedes Wort, das darüber von Uns an die zuständigen Behörden gerichtet wird, jede öffentliche Anspielung, muss mit dem allergrößten Ernst ermessen und abgewogen werden, im eigenen Interesse derjenigen, die leiden, damit ihre Lage nicht noch schwerer und unerträglicher gemacht wird als vorher…“

Pius XII. hat also nicht geschwiegen, keineswegs. Doch er hat nur so viel gesagt, wie er verantworten konnte. Statt sich das Lob der Zeitgenossen und der Nachwelt mit dem Blut all jener Unschuldigen zu erkaufen, die nach einem offeneren Protest einer Vergeltungsaktion Hitlers zum Opfer gefallen wären, hat er eine ganz andere Priorität gesetzt: Zu helfen, Menschenleben zu retten, wo immer es möglich war.

Viel heiße Luft

Nur Wolf kennt keine Skrupel, wenn es darum geht, diesen Retter so vieler und damit auch den Holocaust selbst für seine kirchenpolitische Agenda zu missbrauchen, nämlich die Diskreditierung der vorkonziliaren Kirche. Er zaubert nicht nur „Entdeckungen“ aus dem Ärmel, die keine sind, er feuert auch eine Breitseite auf den Vatikan ab, die freilich aus Platzpatronen besteht. Der Vatikan habe die Aktennotiz Dell’Acquas unterschlagen, behauptet er, und damit sei die Verlässlichkeit der von Paul VI. in Auftrag gegebenen Quellenedition fragwürdig. Mit allen Registern versucht er, den Leser zu manipulieren, bezeichnet die Mahnung des Kurienmitarbeiters gar als „menschenverachtend, herabwürdigend, antisemitisch“ und unterstellt den Herausgebern, „diese Quelle zu unterdrücken“. Doch hätte eine interne Aktennotiz, die lediglich die persönliche Meinung eines rangniederen Mitarbeiters widergibt, in eine Quellenedition gehört, die nie den Anspruch auf Vollständigkeit erhob? Ganz sicher nicht.

So entlarvt Wolf nicht den Vatikan, sondern wieder einmal sich selbst: Als Populisten, als Windmacher, der mit halbgaren Erkenntnissen und viel heißer Luft nach Aufmerksamkeit giert, um seine großzügigen Sponsoren von der DBK und der Bohlen- und Halbach-Stiftung bei Laune zu halten. Bedauerlich nur, dass eine seriöse Wochenzeitung wie die „Zeit“ sich für solche Polemiken hergibt und der ORF es ebenfalls vermeldet. Doch Fakenews, vor allem, wenn sie gegen die Kirche gerichtet sind, haben halt Hochkonjunktur in unseren Tagen und ihre Lieferanten verdienen nicht schlecht daran.

Dr. h.c. Michael Hesemann forscht für die Jüdische „Pave the Way Foundation“ in den vatikanischen Archiven. Der Historiker verfasste mehrere Bücher über Pius XII., zuletzt „Der Papst und der Holocaust“ (LangenMüller Verlag).

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