Hierarchie – heute für morgen

29. April 2020 in Kommentar


„Die relativ schwache ‚Performance‘, die sich mancher Bischof in #Corona-Krise gestattet hat, wirft erneut Frage nach Profil der katholischen Hierarchie auf; so auch der deutschnationale ‚synodale‘ Sonderweg.“ Gastkommentar von Franz N. Otterbeck


Kevelaer/Köln (kath.net) Die relativ schwache "Performance", die sich mancher Bischof in der Coronakrise gestattet hat, wirft einmal mehr die Frage nach dem Profil der katholischen Hierarchie auf; so auch der deutschnationale "synodale" Sonderweg. (Wohin?) Auch heute noch sind viele Weltgegenden autoritär regiert. Dennoch herrschen in unserer Gegenwartskultur demokratische Überzeugungen vor, mitunter sogar gegen die Tatsachen. Auch kirchlicherseits wird die "offene Gesellschaft" nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt. Man argumentiert kaum noch mit der Autorität, sei es der hl. Schrift, der kirchlichen Tradition oder auch der Hierarchie.

Mancherorts dürfte das Problem nicht mehr darin bestehen, dass der Bischof entscheidet, sondern dass der Bischof nicht entscheidet.

Der mit Autorität nach göttlichem Recht ausgestattete Amtsträger macht sich klein, will demokratiekonform erscheinen. Seinen Mitarbeitern will er nicht nur guter Hirte sein, sondern vor allem grundgütiger Arbeitgeber. Diese Funktion ist im Arbeitsalltag des Bischofs nachkonziliar-westlichen Typs, hierzulande, stark systemdominant. Es mag sein, dass die Ausübung kirchlicher Hierarchie in früherer Zeit den anderen autoritären "Säulen" sehr ähnlich sah: Verwaltung, Polizei, Militär. Den protestantischen Landeskirchen, wenngleich heute überwiegend rot-grün "lackiert", merkt man die Herkunft aus dem Staatsaufbau der Fürstentümer noch an. Unter mancherlei Aspekt wirkt wohl auch noch der Neid fort, mit dem katholische Amtsträger auf die evangelischen, vor 1918 jedenfalls in Deutschland bevorzugten Amtsträger zu blicken hatten. So überrascht es nicht, dass heimliches Vorbild des nationaldeutschen Bischofs ein kleinerer preußischer Regierungspräsident oder ein höherer Landrat sein mag. Manche haben mit Inbrust die Treue zur Verfassung geschworen, ignorieren aber den Inhalt des katholischen Weltkatechismus.

Unter dem Einfluss protestantischer und nationaldeutscher Kirchengeschichtsschreibung im 19. Jahrhundert fällt es auch heutigen Theologen noch schwer, die direkte Herkunft des Bischofsamts und speziell des päpstlichen Primats aus dem Willen Jesu Christi zu akzeptieren. Manche verleugnen, dass Jesus selber die Kirche im Wesentlichen so gewollt und gegründet hat, ausgestattet mit einer starken Hierarchie. Das Wort bedeutet: heiliger Ursprung – und meint tatsächlich das ius Divinum, das unabänderliche göttliche Recht inmitten der wahren Kirche. Zum unabänderlichen Strukturbestand der Kirche gehört die Unterscheidung von Klerus und Laien, die Unterscheidung von Weltstand und Ordensstand, die Männern vorbehaltene Weihe in ihren drei Stufen (Diakon, Priester, Bischof). Wobei im Alltag etwas zu kurz kommt, dass jeder Priester oder Bischof auch zeitlebens Diakon Jesu Christi bleibt, also Diener des Herrn. Nur aufgrund dieses besonderen Dienstverhältnisses darf der Kleriker bisweilen auch befehlen.

Tatsächlich wird es frommen Katholiken derzeit sehr schwer gemacht, den Bischöfen dieser Weltgegend weiterhin tapfer zu folgen. Da tut es gut, dass der Ernstfall des Gehorsams relativ selten eintritt. Die Kirche wird zwar nicht selten als eine Kommandostruktur wahrgenommen. Doch tatsächlich kommt es nicht auf Befehlshaberei an, sondern auf die Gehorsamkette. Auch der Papst muss gehorchen, nämlich den Anforderungen an sein Amt. Der Bischof muss gehorchen, zwar dem Papst, aber auch den Anforderungen an sein Amt. Die Priester müssten gehorchen. Viele allerdings erfreuen sich gern ihrer – kleiner werdenden – Befehlsbezirke, haben sich aber vom Hören auf die kirchliche Obrigkeit abgesetzt, im Namen irgendwelcher "höheren" Befehle. Diese gehen häufig nicht vom Gewissen aus, sondern von bequemer Nachgiebigkeit gegenüber Anforderungen der "Gegenwart" (wobei oft nicht wirkliche "Zeichen der Zeit" gemeint sind, sondern nur ausgewählte Schlagworte). Die allgemeine kirchliche Weggemeinschaft des Hinhörens auf Wort und Weisung Christi, sowie seiner Beauftragten, unterscheidet sich vom soldatischen Gehorsam oder von der Über- und Unterordnung in der Verwaltung oder der Fremdbestimmung im Arbeitsverhältnis. Diese Weggemeinschaft geht vom Sakrament aus, grundgelegt in der Taufe, genährt von der Eucharistie, versöhnt in der Sündenvergebung. Sie ist eine Gemeinschaft des Betens und des Lobpreises, des Danks für die Erlösung in Jesus Christus. Es wäre aber eine Illusion aus dieser Realität eine Struktur der Gleichheit herzuleiten. Nicht jede Ungleichheit ist ein Unrecht. Denn der Glaube kommt vom Hören.

Die Bereitschaft zum kirchlichen Gehorsam nimmt freilich ab, je häufiger der Christ beobachtet, dass da und dort jemand befehlen will, der aber nicht mehr nach "oben" hinzuhören scheint. Insbesondere ist selten plausibel, was mittlere Instanzen sich unter Berufung auf den Bischof herausnehmen, wenn auch nicht selten von dort "abgesegnet". Je aufgeblähter die episkopalen Behörden sind, desto eifriger müssen sie ihren Nutzen unter Beweis stellen, am liebsten durch die Aussendung von "Tagesbefehlen" (Pastoralplänen, Arbeitshilfen, Dienstanweisungen, Beschlüssen ...). Der wirkliche Ernstfall des Gehorsams, der ein übernatürliches Ziel meint, gerät in den Hintergrund bei so viel Geschäftigkeit von "Ober sticht Unter".

Vielerorts gibt man sich durchaus Mühe, das innerkirchliche Hauen und Stechen in eine bequeme, freundliche Atmosphäre zu tauchen. Aber schmerzlich bleibt doch bewusst, dass Kirche eigentlich mehr zu sein hat als Dienst nach Vorschrift.

Multiplikatoren sind solche Mitarbeiter selten. Die Schreibkraft aus dem Ordinariat neigt in ihrem Kegelclub eher dazu, ihren Arbeitgeber zu kritisieren, sich dem Trend anzupassen, "Kirche" abzutun, denn sie erlebt diese als gewöhnliches Dienstverhältnis. Vielleicht hätte es ihr bei der Stadtverwaltung oder einer Krankenkasse besser gefallen? Jedenfalls hat der Anstieg kirchlicher Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland, seit Jahrzehnten, keinen Anstieg der Zahl der "Kirchenbesucher" bewirkt. Warum wohl? In wenigen Jahren werden nahezu sämtliche "praktizierenden Katholiken" (also solche, die den Sakramentenempfang für heilsdienlich erachten) im Rentenalter sein. Dann tritt fast vollständige Nichtidentität zwischen Betern und Beschäftigten der Kirche ein. Der "synodale Weg" wird daraus die Folgerung ziehen, die Kirche in Deutschland möglichst an die Kriterien der Arbeitswelt anzupassen, also jeden "Stachel" des Evangeliums für Beschäftigte unschädlich zu machen. Die Rechnung kann solange aufgehen, solange das System der Kirchensteuer noch einträglich bleibt. Aber wie lange noch?

Das Wesentliche der Hierarchie hat einen ganz anderen Charakter. In ihr geht es tatsächlich darum, den Kampf zwischen Mehrheiten und Minderheiten unmöglich zu machen. Es geht um Einmütigkeit im Heiligen Geist, insofern sprachrichtig um "Synodalität". Aber auf der jeweiligen Ebene muss je einer das Amt Christi vertreten, im Zweifelsfall "allein gegen alle": So etwa Paul VI. mit 'Humanae vitae' 1968 gegen die Mehrheiten, so wiederum Benedikt XVI. mit 'Summorum Pontificum' 2007. Die Hierarchie, die Christus gewollt hat, ordnet alle Stände einem übergeordneten Ziel zu. Selbstverständlich ist der Gehorsam, den der Bischof dem Papst schuldet, der strengste nur denkbare (außerhalb des Ordenslebens), der Gehorsam des Priesters gegenüber seinem Bischof ähnlich dringend. Die gesamte Hierarchie ist allerdings "pro hominibus constitutus", für die Menschen bestellt. Inwieweit sie diesen Zweck erfüllt, das ist durchaus am pastoralen Erfolg ablesbar; fehlt dieser, dann spricht einiges dafür, dass die Gehorsamskette zur "Befehlskette" mutierte, was im Endeffekt die einfachen Gläubigen davonjagt, signifikant etwa durch verbotene Eigenmacht in den liturgischen Vollzügen. Hier wird, außer in Oasen, heute nicht einmal ausprobiert, ob Gehorsam gegenüber den liturgischen Weisungen der Kirche dazu führt, dass Beter in die Kirchen zurückkehren. Es wird einfach unterstellt, dass diese oder jene Abweichung den Leuten gefällt, weil der Einfall dem Zelebranten oder den Gottesdienst-"Gestaltern" gefällt. In Kirchen zufällig anwesende Nichtbeter, bei Kommunion, Firmung oder Hochzeit, mögen die niedrigschwellige Kommunikation zunächst begrüßen. Aber könnte nicht auch sie das christlich Andere der authentischen Liturgie "anstoßen"?

Abseits des konfessionellen Beschäftigungssektors sind manche Gemeinschaften entstanden, die die Tradition kirchlichen Gehorsams – auch über die Liturgie hinaus – höher achten als die typische Allerweltspfarrei beispielsweise im Bistum Münster. Signifikant ist dabei, dass diese Gemeinschaften von freiwilliger Zustimmung leben. Ihre katholische Traditionstreue verbindet sich sichtbar mit einem "freikirchlichen" Element, allerdings ohne die Ideologie der Erwähltheit dort oder den emphatischen Jesuanismus zu übernehmen. Exemplarisch ist hier zu sehen, wenn auch keineswegs überall und immer "unfallfrei", dass hierarchische Weggemeinschaft im katholischen Sinn inmitten "offen" orientierter gesellschaftlicher Strukturen durchaus lebbar ist.

Dass mancher Bischof von derartigen "Aufbrüchen" nichts wissen will verwundert wenig: Man hat sowas ja, wegen der Freiwilligkeit, nicht unter Kontrolle. Aber ebensowenig wie man die ganze Welt in ein Kloster verwandeln kann, so wird man nicht alle Katholiken durch ein Beschäftigungsverhältnis von der Kirche abhängig halten können.

Der Gehorsam des Laien unterliegt grundsätzlich dem freien Ermessen. Genau das erträgt der durchschnittliche deutsche Bischof heute so schwer.

Die programmatische Anpassung an Modetrends und billige Parolen soll "den Leuten" das Dabeibleiben leichter machen, speziell das Kirchensteuerzahlen. Hätten die Apostel so gehandelt, den Menschen im Endeffekt nur die "Humanität" verkündet, anstatt Christus den Gekreuzigten und seinen Ostersieg, so wäre die Kirche schon damals nur eine provinzielle Werbeagentur gewesen, die für Pontius Pilatus ein zeitgemäßes "corporate design" entwirft. Das jüngste Konzil hat auf viel zu vielen Textseiten exakt umschrieben, was die Kirche ist (und wer). Anscheinend liest niemand diese inzwischen altgewordenen Beschlüsse? Die übernächste Generation wird dort vielleicht nochmals nachschauen, wie Jesus selber "Gemeinde gewollt" hat; hierarchisch – im guten Sinn.

Der Verfasser, Dr. iur. Franz N. Norbert Otterbeck, ist Rechtshistoriker und Wirtschaftsjurist.


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