Wieso Europa christliche Werte braucht

5. Mai 2020 in Kommentar


Wer kann Europa aus dieser Krise führen? Es benötigt begeisterte Christen, die ihre Begeisterung als Erneuerung in die Politik bringen. Gastkommentar von Jan Ledóchowski


Wien (kath.net)
So vieles scheint uns zu entgleiten: Unser Kontinent, unser Land, unsere Kultur, unsere Religion, unsere Identität. Millionenfach halten uns außereuropäische Migranten den Spiegel vor und zwingen uns zu unangenehmen Fragen: Wer sind wir? Wofür stehen wir? Woran glauben wir? Gibt es eine europäische, eine österreichische Kultur? Wer gibt ihren Rahmen vor? Was passiert, wenn dieser Rahmen überschritten oder gar gesprengt wird? Darf das geschehen? Darf uns das stören? Wir wissen vielleicht, was wir an unserem Land lieben: Die Bräuche, die Musik, die Geselligkeit oder die Freiheit, den Wohlstand, die Rechtssicherheit. Aber wissen wir, über unsere subjektive Neigung hinaus, wirklich, worin der innere Wert unserer Kultur liegt und woraus diese erwachsen ist? Und während so viele von uns vergeblich damit ringen, in einer postmodernen Zeit zu erklären, warum der Mensch etwas Besonderes ist und was ihn an Würde und Rechten vom Tier unterscheidet, schwindet eine grundlegende „Wahrheit“ nach der anderen. Mann und Frau – gibt es nicht. Die Ehe – ein überholtes Relikt. Redefreiheit – nur solange sie politisch korrekt ist.

Mutterschaft – Versklavung der Frau. Externe Kinderbetreuung – je früher desto besser. Grassierende Kinderlosigkeit – gut für das Klima. Abtreibung – ein Menschenrecht. Freiheit – wird der Gleichheit geopfert. Europäische Werte – Gender und Diversity. Wie konnte es so weit kommen?

Der britische Publizist Douglas Murray gibt in “Strange Death of Europe” eine Antwort auf diese Frage und beschreibt sehr eindringlich, wie die politische Elite Europas und ein großer Teil der Bevölkerung ihre Religion verloren haben und das Wesen der europäischen Zivilisation und der freien Gesellschaft dadurch gefährdet wird. Europa hat ein Experiment gestartet und behauptet, eine sich selbst erhaltende Struktur an Rechten und Institutionen geschaffen zu haben, die ohne Quelle existieren können.

Die hohle Sprache der Menschenrechte ist an die Stelle des Wortes Gottes getreten und die Frage bleibt unbeantwortet, ob erkämpfte Rechte und Freiheiten Bestand haben können in einem Kontinent, der seine Wurzeln verloren hat oder diese leugnet.

„Während die europäische Identität in der Vergangenheit auf sehr spezifischen, um nicht zu sagen, philosophisch und geschichtlich tief fundierten Werten (der Herrschaft des Rechts, einer Ethik, die aus der Geschichte des Kontinents und der Philosophie herauskristallisiert wurde) beruhte, bestehen heute Ethik und Glaube – das heißt die Identität und die Ideologie Europas – aus »Respekt«, »Toleranz« und (die höchste Stufe von Selbstverleugnung) »Diversität«.

Solch flache Selbstdefinitionen können zwar noch ein paar Jahre halten. Aber sie sind nicht imstande, die tiefe Loyalität hervorzubringen, die eine Gesellschaft braucht, um für eine lange Zeit zu überleben.
[…]

Die Sinnsuche ist keineswegs neu. Neu ist, dass sich fast nichts in der modernen europäischen Kultur als Antwort anbietet. Nichts ist da, was sagen würde: »Hier ist ein gedankliches, kulturelles, philosophisches und religiöses Erbe, das die Menschen über Jahrtausende genährt hat und auch für dich erfüllend sein könnte.«

Schlimmstenfalls bekommt man nur das Bekenntnis des Nihilisten zu hören: »Deine Existenz ist bedeutungslos in einem bedeutungslosen Universum.« Wer an dieses Bekenntnis glaubt, ist nicht imstande, irgendetwas zu erreichen. Gesellschaften, die dem zustimmen, verspüren ebenso wenig die Verpflichtung, irgendetwas zu erreichen. Während es verständlich ist, dass manche Individuen nihilistisch eingestellt sind, als ein gesellschaftliches Bekenntnis ist der Nihilismus fatal.“

Ohne Rückgriff auf die unsterbliche Seele und einen Schöpfergott, ist es für Liberale geradezu beschämend schwierig zu erklären, was eigentlich so außergewöhnlich an Vertretern der Gattung Homo Sapiens ist, schreibt der israelische Schriftsteller und Historiker Yuval Noah Harari in seinem Buch „Sapiens“. Obwohl Harari und Murray Atheisten sind, kommen sie zu einem ähnlichen Schluss: Wenn wir unsere Religion verlieren, dann ist das für Murray der Selbstmord Europas und für Harari sogar das Ende des Homo Sapiens.

Wer kann Europa aus dieser Krise führen? Und insofern auch die Politik ihren Beitrag dazu leisten muss, von wem können wir eine Antwort auf diese Sehnsucht nach Sinn, Ursprung und Ziel Europas erwarten? Von Humanisten, Sozialisten, Nationalisten, Postmodernisten oder gar Islamisten? Es können nur Männer und Frauen sein, die nicht die großartigen Errungenschaften unseres Kontinents verwerfen, sondern tief verwurzelt im christlichen Wertegefüge Europas stehen. Es benötigt begeisterte Christen, die ihre Begeisterung als Erneuerung in die Politik bringen.

www.ledochowski.at




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