5. Mai 2020 in Chronik
Benedikt XVI. zur Papst-Namenswahl: Ich konnte nicht ein Johannes Paul III. sein. Ich war eine andere Figur, ein anderer Zuschnitt, eine andere Art von Charisma. Leseprobe 1 aus Peter Seewald: Benedikt XVI., Ein Leben
München (kath.net/pl) Um 16 Uhr kehren die Kardinäle in die Sixtinische Kapelle zurück. Allen ist bewusst, dass dies der entscheidende Moment des Konklaves ist. Diesmal nimmt Ratzinger nicht mit den anderen den Bus, er möchte zu Fuß gehen. Sekretär Gänswein begleitet ihn. Gesprochen wird nicht. Was sollte er tun? Durfte er sich wirklich verweigern? War nicht auch Johannes XXIII. schon 78, als ihn die Kollegen in den Stuhl Petri hoben? Sophokles hat seinen Ödipus auf Kolonos mit 89 Jahren vollendet. Tizian war ein Greis, als er eines seiner beeindruckendsten Werke schuf: Die Dornenkrönung. »Sodann bitte ich denjenigen, der gewählt werden wird«, hieß es in Nr. 86 der Bestimmung Johannes Pauls II., »sich dem Amt, zu dem er berufen ist, nicht aus Furcht vor dessen Bürde zu entziehen, sondern sich in Demut dem Plan des göttlichen Willens zu fügen. Gott nämlich, der ihm die Bürde auferlegt, stützt ihn auch mit seiner Hand, damit er imstande ist, sie zu tragen.«
Wie auch immer, in diesem Moment erheben sich die Kardinäle einer nach dem anderen, und das ganze Auditorium beginnt zu klatschen. Leise, dann immer lauter. »Ich habe mein Gesicht verhüllt«, berichtete Meisner, »ich hab geheult vor Rührung. Und ich war nicht der Einzige.« Wie groß die Nervosität des Gewählten selbst war, enthüllte er einen Tag später bei seiner ersten Predigt als Papst Benedikt XVI. in der Sixtinischen Kapelle: »Mir ist, als fühle ich, wie seine [Johannes Pauls II.] starke Hand die meine hält. Ich fühle, dass ich seine lächelnden Augen sehen und seine Worte hören kann, die in diesem Augenblick besonders an mich gerichtet sind: Hab keine Angst!«
In der Recherche für dieses Buch hatte ich den Papa emeritus gefragt, ob er denn nicht frühzeitig erkannt hätte, dass das Konklave auf ihn zulaufen könnte. »Das habe ich schon gemerkt, natürlich«, war die Antwort. »Ich wollte aber bewusst weder etwas dafür noch dagegen tun.«
»Spricht man unter den Kardinälen nicht über diese Vorgänge?«
»An sich nicht. Ich habe, um die Wahrheit zu sagen, mit Martini noch mal gesprochen, ihm gesagt: Ich möchte es nicht, und wenn Sie Ihren Freunden sagen, dass ich es nicht will, bin ich dankbar. Aber er war sowieso natürlich nicht für mich, insofern war es also nicht so gewichtig.«
»Gab es eine Minute, in der Sie noch überlegten, ob Sie die Wahl wirklich annehmen sollten?«
»Schon, ja. Doch, die ganze Zeit. Aber irgendwie wusste ich dann einfach, ich darf nicht Nein sagen.«
»Wann haben Sie sich den Namen überlegt?«
»Im Laufe der Wahltage. Es hat sich ja doch schon am ersten Tag gezeigt, dass es möglicherweise auf mich zulaufen würde. Ich hoffte zwar noch, dass es nicht sein wird. Dann kam mir in den Sinn, dass da der Papst Benedikt XV. und über ihn der heilige Benedikt selber die richtige Anknüpfung ist.«
»Warum nannten Sie sich nicht Johannes Paul III.?«
»Das hätte ich als unangemessen empfunden, weil da ein Maßstab gesetzt ist, dem ich nicht entsprechen konnte. Ich konnte nicht ein Johannes Paul III. sein. Ich war eine andere Figur, ein anderer Zuschnitt, eine andere Art von Charisma.«
kath.net-Buchtipp
Benedikt XVI.
Ein Leben
Von Peter Seewald
Hardcover
1184 Seiten; 245 mm x 170 mm
2020 Droemer/Knaur
ISBN 978-3-426-27692-1
Preis Österreich: 39.10 EUR
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Titelblatt zu Peter Seewald: Benedikt XVI. - Ein Leben
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