Kardinal Müllers „Corona-Verschwörungstheorie“ im Kreuzverhör

2. Juni 2020 in Interview


Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera (auch als Mikrobenforscher bekannt): „Es muss in einer demokratischen Gesellschaft möglich sein, derartige Thesen – als subjektive Interpretation gesellschaftspolitischer Verhältnisse – ungestraft zu publizieren.“


Linz (kath.net) Am 8. Mai 2020 veröffentlichten einige prominente Christen mit der Erst-Unterschrift von Kardinal Gerhard Müller, einen „Aufruf für die Kirche und für die Welt an Katholiken und alle Menschen guten Willens“. Kurz darauf übte die Deutsche Bischofskonferenz scharfe Kritik: Müller und Kollegen würden Verschwörungstheorien verbreiten (Tagesschau), wurde behauptet, was der Kardinal aber zurückgewiesen hat. Am 22. Mai 2020 berichtete domradio.de über die Kontroverse (Domradio).

 

kath.net fragte den international tätigen Evolutionsbiologen Prof. Dr. Ulrich Kutschera, der auch als Mikrobenforscher bekannt ist.

 

kath.net: Herr Prof. Kutschera, kürzlich haben Sie im US-Journal „Science“ zwei Artikel zur Coronaviren-Problematik publiziert, und in der letzten Woche erschien Ihr Buch „Klimawandel im Notstandsland. Biologische Realitäten widerlegen Politische Utopien“, in welchem Sie dieses Thema, wie auch die Zuwanderungs- und Klimawandelfrage, allgemeinverständlich-kritisch behandeln. Wie bewerten Sie die Coronaviren-Pandemie?

 

Prof. Kutschera: Wie Sie meinem Lebenslauf entnehmen können, habe ich mich über viele Jahre hinweg u. a. mit der Evolution der Bakterien beschäftigt und dazu publiziert (siehe z. B.: S. Schauer und U. Kutschera: Mehtylobacteria …). In diesem Zusammenhang sind Erbgut (RNA)-Analysen und deren Interpretation von zentraler Bedeutung, und da sind wir bei den Viren. Meine beiden „Science“-Beiträge behandeln u. a. die Tatsache, dass Männer häufiger an der durch Coronaviren verursachten Lungenerkrankung Covid-19 sterben als Frauen. Die aus einem Forschungsinstitut in Wuhan (China) über dort kultivierte Fledermäuse auf Menschen übertragenen neuartigen Coronaviren sind als gefährliche Krankheitserreger zu bewerten. Da es sich um RNA-Viren mit großem Genom handelt, deren Verwandtschaft und Ursprung man mit evolutionsbiologischen Methoden exakt ergründen konnte, wissen wir ziemlich gut über die Übertragungs- und Infektionswege Bescheid. Es handelt sich keineswegs um „einfache Grippeviren“; es sind vielmehr hochgradig infektiöse Partikel, die geschwächten, älteren Menschen über eine Lungenentzündung den Tod bringen können. Daher waren die drastischen Maßnahmen in China – nach „tödlich-kommunistischer Zensur“ der relevanten biomedizinischen Tatsachen – wohl angemessen.

 

kath.net: Die Katholiken um Kardinal Müller schreiben, „Die Fakten haben gezeigt, dass unter dem Vorwand der COVID-19-Epidemie in vielen Fällen unveräußerliche Rechte der Bürger verletzt und Grundfreiheiten ... eingeschränkt werden.“ Was sagen Sie dazu?

 

Kutschera: Bei einer Zoonose, d. h. Übertragung von Viren von Tieren auf Menschen, sollte man gleich zu Beginn die bekannten Maßnahmen ergreifen: Isolation infizierter Personen, physischer Abstand zur Verhinderung einer Tröpfcheninfektion, Hände mit Seife waschen, da die neuartigen Wuhan-Viren (SARS-CoV-2) mit einer fetthaltige Proteinhülle ausgestattet sind. Das wurde allerdings in Deutschland keineswegs systematisch befolgt. Über offene Grenzen reisten noch Ende März Menschengruppen aus „Corona-Gebieten“ ungeprüft ein, sodass dann plötzlich eine „Corona-Angst“ ausbrach, die bis heute anhält. In meinem Buch habe ich diesen Sachverhalt unter dem polemischen Spruch „No Borders, No Nations: No Security – Corona welcome!“ zusammengefasst. Hätte man sofort reagiert, wären die problematischen Einschränkungen der Rechte der Bürger nicht notwendig gewesen. Die These, COVID-19 wäre ein Vorwand, um Grundfreiheiten einzuschränken, ist als Spekulation zu bewerten.

 

kath.net: Bezogen auf die realen Todesfälle haben die Unterzeichner des „Aufrufs“ den Eindruck, dass in der Bevölkerung Panik verbreitet werden soll, mit dem Ziel der „Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht.“ Ist diese Befürchtung gerechtfertigt oder als „Verschwörungstheorie“ zu bewerten?

 

Kutschera: In meinem neuen Buch habe ich unter Verweis auf Stanford-Studien dargelegt, dass – trotz tausender beklagenswerter Todesfälle (bevorzugt alte, vorerkrankte Menschen) die Wahrscheinlichkeit, mit der unter 65-jährige Personen an COVID-19 sterben, extrem gering ist. Bei einer täglichen 14 km-Fahrt zur Arbeit ist die Gefahr, dass Sie bei einem Verkehrsunfall zu Tode kommen, etwa gleich groß. Der diffamierende Mode-Begriff „Verschwörungstheorie“ wird von Leuten verwendet, die nie in ihrem Leben eine wissenschaftliche Theorie formuliert und publiziert haben. Die Kardinäle interpretieren die Sachlage aus ihrer Perspektive und haben eine Hypothese formuliert („Schaffung einer unkontrollierbaren Weltregierung“). Da sie ihre Ansicht begründen, halte ich das für eine legitime Meinungsäußerung – eine „Theorie“ ist das aber keineswegs und mit „Verschwörung“ haben die Aussagen ebenfalls kaum etwas zu tun.

 

kath.net: Die Kardinäle und Mitunterzeichner thematisieren den „offensichtlichen Widerspruch jener, die einerseits eine Politik der drastischen Bevölkerungsreduzierung verfolgen und sich gleichzeitig als Retter der Menschheit präsentieren“ – was sagen Sie vor dem Hintergrund Ihres aktuellen Buchs dazu?

 

Kutschera: Wie eingangs erwähnt, habe ich in meinem 480 Seiten umfassenden Werk das Thema „Massenzuwanderung aus arabisch-afrikanischen Gesellschaften“ bei gleichzeitiger „Schrumpf-Vergreisung“ der deutschen Bevölkerung ausführlich vorgestellt. Diese Thematik wird auch unter dem Schlagwort „Replacement Migration“ diskutiert. Am 1. Dezember 2018 hat Weihbischof Andreas Laun auf kath.net in einem Kommentar mit dem Titel „Der UNO-Migrationspakt ist eine Mogelpackung“ postuliert, hinter der Zuwanderung würde der Plan stehen, die europäischen Völker auszutauschen. Damals wurden die Laun’schen Thesen als verwerfliche „Verschwörungstheorie“ diskreditiert. In den Kapiteln 1 bis 3 des „Klimawandel Notstands-Buchs“ habe ich, unter Verweis auf wissenschaftliche Fachliteratur dargelegt, dass dieses Konzept in der Tat wahrscheinlich hinter dem „Migrationspakt“ steht. Da in referierten Zeitschriften keine pseudowissenschaftlichen „Verschwörungstheorien“ publiziert werden, war der Laun’sche kath.net-Beitrag 2018 offensichtlich zutreffend. Da derzeit über 200.000 Leistungsträger (Ärzte, Ingenieure usw.) pro Jahr aus Deutschland abwandern, andererseits aber ein ungesteuerter Zustrom in die Sozialsysteme stattfindet, ergibt sich hier ein offensichtliches Problem.

 

kath.net: Die katholischen Unterzeichner des „Aufrufs“ fordern die Medien dazu auf, „genaue Informationsweitergaben“ zu verfassen und „Dissens nicht zu bestrafen“, d. h. nicht gewisse „Formen der Zensur zu auszuüben“ – ist das gerechtfertigt?

 

Kutschera: Mit dieser Interpretation der gesellschaftspolitischen Lage in Deutschland stimme ich überein. In der Tat werden über die Mainstream-Medien oft einseitige Infos dogmatisch verbreitet, wobei andere Ansichten diskreditiert bzw. abgestraft werden. Wie ich in verschiedenen Kapiteln des neuen Buchs ausführlich dargelegt habe, ist die Hauptursache für den Anstieg der Corona-Welle in Deutschland (welche seit Mitte Mai abklingt) im Verhalten des Menschen zu sehen. Diese Winter-Viren können das vorgeschädigte Lungenepithel von Personen, die bei trockener Luft in künstlich beheizten Räumen während der sonnenarmen Monate überdauern, leicht infizieren. Kurz gesagt, durch unsere Lebensweise (Innenräume mit geringer Luftfeuchtigkeit, Klimaanlage usw.) werden wir viel leichter zum Opfer von Viruspartikeln, die als „Zwischenstufen zum Leben“ alle Organismen attackieren (Bakterien, Pflanzen, Tiere, Menschen) – und das seit mindestens 3.000 Millionen Jahren.

 

kath.net: Was sagen Sie, als bekannter Atheist, zur Aussage, „die aktuellen Fakten sollten im Einklang mit der Lehre des Evangeliums“ bewertet werden? Ist es angemessen, zu argumentieren, „unter dem Vorwand eines Virus soll ... eine verabscheuungswürdige technokratische Tyrannei“ errichtet werden? Das klingt schon sehr nach „Verschwörungstheorie“!

 

Kutschera: Da ich eine naturalistische (Gott-lose) Weltsicht vertrete, und damit sehr gut leben kann, sind mir die Lehren des Evangeliums fremd. Ich erkenne allerdings die christlichen Werte als „Kit“ des Zusammenlebens im westlichen Kulturkreis an, ohne biblische Dogmen zu akzeptieren. Die Schlussfolgerung, die Wuhan-Viren würden als Vorwand dienen, um eine Diktatur bzw. Techno-Tyrannei zu errichten, halte ich für überzogen. Dennoch muss es in einer demokratischen Gesellschaft möglich sein, derartige Thesen – als subjektive Interpretation gesellschaftspolitischer Verhältnisse – ungestraft publizieren zu dürfen. Die Tatsache, dass unsere Mainstream-Medien, angefangen bei der „Tagesschau“ bis zur „Bild“-Zeitung, den klug formulierten, gut gemeinten Aufruf der Katholiken mit dem lächerlichen, populistischen Schlagwort „Verschwörungstheorie“ diskreditieren, ist unakzeptabel. Es handelt sich hierbei um durchaus begründete Hypothesen, die als Basis weiterführender, konstruktiver Diskussionen bewertet werden sollten. Daher stimme ich grundsätzlich mit den Argumenten von Kardinal Gerhard Müller überein, der, wie eingangs erwähnt, zu seinen Aussagen steht.

 

Buchtipp:

Klimawandel im Notstandsland.

Biologische Fakten widerlegen Politische Utopien.

Von Ulrich Kutschera

Amazon Media, Luxembourg 2020

480 S., 78 Abb.
Preis: ca. 25 €
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