„In der Realität des Leibes Christi“

21. Juni 2020 in Spirituelles


„Wo der Herr selbst … im Herzen seiner Schöpfung gegenwärtig ist“. Fortsetzung der Betrachtungsreihe des Pariser Erzbischofs Michel Aupetit zur Eucharistie. Gastbeitrag von Juliana Bauer


Paris (kath.net) Teil 2 (Auszug Mgr Aupetit, Teile 6-9)

Hier beleuchtet der Erzbischof insbesondere die frühchristliche Liturgie und die Realpräsenz Jesu in der Eucharistie

 

In den ersten fünf Teilen seiner Betrachtungen zur Eucharistie bewegte sich Erzbischof Aupetit ganz in der jüdischen Glaubenswelt Jesu und seiner Jünger. Dort, wo Jesus Christus und seine Anhänger als gläubige Juden lebten, wo sie als gläubige Juden zu Hause waren. Und er stellte den gläubigen Christen und allen Interessierten guten Willens das Neue vor, das Jesus am Abend vor seinem Tod am Kreuz aus dem jüdischen Schabbat-Mahl mit seinen wunderbaren Segensgebeten schuf: die Einsetzung der Eucharistie als sein Gedächtnismahl. Das Geschenk seines Leibes und Blutes in Brot und Wein und damit die Gabe des Sich-Selbst-Schenkens.

 

Präfation und Sanctus – der Lobpreis der Engel aus dem Buch Jesaja

 

Auch in dem sich an Teil 5 anschließenden Text verweilt Michel Aupetit noch in der jüdischen Liturgie. Mit dem Verweis auf die Jünger Jesu, die nach seinem Tod und seiner Auferstehung zunächst „weiterhin ihre Religion praktizierten“, die weiterhin am jüdisch-synagogalen Leben „mit den großen Segensgebeten teilnahmen,“ stellt er in Teil 6 diese wesentlichen Gebete des Judentums heraus. Gleichzeitig aber zeigt er auf, wie diese in die Liturgie der Christen, in die Messe integriert wurden. Dabei handelt es sich um die Queduschah, den Lobpreis der Engel, dessen Text auf den Propheten Jesaja zurückgeht „Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr Zebaoth“ (Jes. 6,3). Im Sanctus der Messe lebt das jüdische Gebet weiter, vorbereitet durch die Präfation, die dem „Dankes-Segen entspricht, der die Queduschah einleitet.“ Auch das jüdische Glaubensbekenntnis, das Sch‘ma Israel: Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist ein Einziger sowie den gesamten Teffilah, das Achtzehn-Bitten-Gebet, welches das Hauptgebet der synogogalen Liturgie ausmacht, fand zunächst Eingang in den Gottesdienst der Christen, den diese am Tag nach dem Schabbat feierten und dem sie die Einsetzungsworte Jesu einfügten.

 

Als dann „die Christen hinsichtlich des jüdisch-synagogalen Kults autonom wurden, nahmen sie eine Verschmelzung zwischen dem synagogalen Segen und dem Segen des eucharistischen Mahls vor. Das …zentrale… Gebet des Sch’ma Israel jedoch … wurde durch die Worte der Einsetzung der Eucharistie ersetzt“ so Erzbischof Aupetit. In der Weiterentwicklung der Messliturgie „nimmt … das eucharistische (Hoch-)Gebet … den Segen des jüdischen Mahls auf, das durch die Worte Christi lebendig gehalten wird.“

 

Die Liturgie des frühen Christentums

 

Nach den obigen Aussagen macht Aupetit den Sprung ins Christentum des 2.Jahrhunderts von Rom, wo bereits das Zentrum des christlichen Glaubens seinen Anfang genommen hatte. Er weist auf frühe, dort entstandene „wertvolle Texte“ hin, „die es uns ermöglichen zu erfahren, wie die ersten Christen die Messe feierten.“ Dann zitiert er einen umfassenden Text aus den Apologien des Hl. Justinus, eines um 150 n.Chr. in Rom lebenden Philosophen, in denen dieser anschaulich von der Sonntagsmessfeier jener Zeit berichtet. Den Text gebe ich hier wieder (in den Klammern stehen die erklärenden Anmerkungen des Erzbischofs):  „Am Tag, welcher der Tag der Sonne genannt wird, treffen sich alle, die in der Stadt oder auf dem Land leben, am selben Ort“ (die Christen trafen sich wohl deshalb am „Tag der Sonne“, weil dieser aufgrund der Auferstehung Jesu zum „Tag des Herrn" wurde, s.u.).

 

Justinus weiter: „Wir lesen die Erinnerungen der Apostel (die Evangelien) und die Schriften der Propheten so lange es möglich ist. Wenn der Vorleser mit dem Lesen zu Ende ist, hält der, der den Vorsitz innehat, eine Rede, um uns darüber zu unterrichten und um uns zu ermahnen, diese schönen Lehren in die Praxis umzusetzen. (Es handelt sich um die Lesungen, die das Alte wie das Neue Testament und selbst die Predigt umfassen).

Dann stehen wir alle auf und beten zusammen. (Was wir heute universelles Gebet nennen).

 

Wenn wir mit dem Beten fertig sind, bringen wir das Brot, den Wein und das Wasser (Offertorium). Wer den Vorsitz führt, erhebt die Gebete und Danksagungen zum Himmel, so viele er kann, und die Menschen jubeln, indem sie "Amen" sagen (Eucharistisches Gebet).

Dann teilen wir die Gaben aus, über die der Dank gesprochen wurde, und teilen sie mit jedem. Diese Gaben werden auch durch den Dienst der Diakone den Abwesenden gebracht (Kommunion).

 

Die Gläubigen, die wohlhabend sind und etwas geben wollen, geben frei, jeder gibt das, was er möchte. Was wir sammeln, wird demjenigen ausgehändigt, der den Vorsitz führt. Er ist es auch, der Waisen und Witwen, der den Menschen, die aufgrund von Krankheit oder aus irgendeinem anderen Grund in Not geraten sind, der den Gefangenen und ausländischen Reisenden zu Hilfe kommt. Kurz gesagt, er hilft allen Unglücklichen (Die Kollekte).

 

Es ist der Tag der Sonne, an dem wir uns alle versammeln, vor allem, weil es der erste Tag (der Woche) ist, weil es der Tag ist, an dem Gott aus Dunkelheit und Materie die Welt erschaffen hat und weil es der Tag ist, an dem Jesus Christus, unser Erlöser, von den Toten auferstanden ist“ (Erste Apologie 65-66. Siehe unser „Dimanche.“ Anm.d.Übers.: vgl. dazu auch ital. domenica=Tag des Herrn. „Tag der Sonne“, lat. dies solis, wurde der erste Wochentag bei den Römern genannt, erhalten in unserem Sonntag).

 

Mit diesem „schönen und sehr bewegenden Text“ stellt Michel Aupetit seinen Lesern und Leserinnen die Liturgie der „ersten christlichen Gemeinden“ vor. Es lässt sich darin, wie er auch betont, unschwer erkennen, dass die grundlegende Struktur der heutigen Messe bereits vorhanden ist. Anhand dieser fächert er im Überblick die beiden großen Teile der heutigen Messe auf: den Wortgottesdienst und die Eucharistiefeier, die er im Bild der Emmaus-Überlieferung erläutert. In ihr erklärt der Auferstandene den wandernden Jüngern die Schrift – den ersten Schriftlesungen des Alten Testaments vergleichbar – dann erkennen sie ihn im Weiteren am Brotbrechen, das, laut Michel Aupetit, gewissermaßen den eucharistischen Teil der späteren Liturgie vorwegnimmt. Was die „Liturgie des Wortes“ betrifft, die „unsere Herzen vorbereitet,“ sieht Aupetit diese daher als alt an. Es sei wahrscheinlich, „dass sie aus der synagogalen Liturgie übernommen wurde.“

 

Entwicklung im 4. – 6. Jahrhundert: Eucharistie und österliches Mysterium

 

Unter dem Vorsitzenden bzw. dem Leiter der Gottesdienstfeier ist eindeutig der Episcopos, der Bischof, zu verstehen. Es sei davon auszugehen – so der Erzbischof –, dass er die Gebete und Danksagungen, die lange mündlich überliefert wurden, auswendig rezitierte, mit Sicherheit aber die Einsetzungsworte Jesu. Ihre schriftliche Fixierung erfolgte relativ spät. Erst nachdem sich Häresien zu verbreiten begannen, fing man damit an, „die liturgischen Formeln bis ins kleinste Detail schriftlich festzuhalten.“ Zwischen dem 4. und 6.Jahrhundert entstand eine Vielfalt an eucharistischen Formeln. Fünf Hauptzentren sind hierbei wie folgt zu unterscheiden: Ost- und Westsyrisch, Alexandrinisch, Römisch, Gallikanisch, Mozarabisch.

 

Zwei Formeln waren jedoch allen Gebeten, die in Latein und Griechisch rezitiert wurden, gleich: die Einsetzungsworte der Eucharistie, die in jedem Ritus den Mittelpunkt darstellten, sowie die Anamnese, d.h. die nach den Einsetzungsworten sich anfügende Erinnerung an das österliche Mysterium Christi, also an seinen Tod und seine Auferstehung.

 

Diesen Erläuterungen fügt Michel Aupetit die eingehende Betrachtung der so genannten Epiklesis an. Es ist die Anrufung Gottes mit der Bitte, den Hl. Geist herabzusenden. Aupetit führt mehrere Varianten der Epiklesis bei der Wandlung an, so die eucharistischen Gebete des 4./5. Jahrhunderts aus Antiochia und Jerusalem, jene von Johannes Chrysostomus, des Patriarchen aus Konstantinopel (4.Jh.) sowie aus der Zeit und dem Umfeld des Bischofs Ambrosius von Mailand (4.Jh.). Alle Gebete enthalten die Herabrufung des Hl. Geistes, er möge Brot und Wein in Leib und Blut Jesu verwandeln. Aus Mailand ist eine eigene Version überliefert: dort sind es bereits – so Aupetit – „die vom Priester gesprochenen Worte Christi…, der die Rolle der Consecration innehat. Es wird sogar davon gesprochen, es sei Christus selbst, der sie spricht ("ipse clamat"); damit wird die theologische Grundlage für die Feier durch den Priester "in persona christi" geschaffen. Diese Formel bedeutet, dass, wenn der Priester die Worte Christi spricht ‘das ist mein Leib‘ und ‘das ist mein Blut‘, es Christus ist, der sie durch seine Stimme spricht.“

 

Wichtig war dem Erzbischof an dieser Stelle darzulegen, dass „wir uns …“ in der Messe „nicht in einem rein symbolischen Bereich … befinden“, sondern in der „Realität des Leibes und Blutes Christi.“ Und somit in „der Gegenwart des Herrn,“ in der die „alten jüdischen Segnungen durch die Consecration ihre Erfüllung erlangen,“ wo „der Herr selbst … im Herzen seiner Schöpfung gegenwärtig ist, ‘damit die Welt das Leben hat und dass sie es in Fülle hat‘ (Joh. 10,10).“ Auf einen Zusatz, den das Vaticanum II festlegte, weist Michel Aupetit überdies im Besonderen hin: in drei der vier eucharistischen Hochgebete, den Gebeten II – IV, gibt es zwei Epiklesen. In der ersten wird Gottes Geist vor der Wandlung angerufen mit der Bitte um die Verwandlung von Brot und Wein. In der zweiten Epiklesis, die nach der Anamnese, also des Gedächtnisses des Ostermysteriums, erfolgt und m.E. von hoher Bedeutung ist, bittet der Priester um die Einheit und Heiligung der Gläubigen, die die heiligen Gaben empfangen.

 

Quelle:

paris.catholique.fr, Diocèse de Paris, Mgr Michel Aupetit, archevêques de Paris

Entretiens sur la messe de Mgr Michel Aupetit, hier: Teile 6 – 9

Übersetzung und Rezeption: Dr. Juliana Bauer für kath.net

Archivfoto Erzbischof Aupetit (c) Erzbistum Paris


© 2020 www.kath.net