4. Juli 2020 in Österreich
Salzburger Erzbischof in "Addendum"-Interview: Vertrete eine Religionsgemeinschaft, "die akzeptiert, dass man sich abwendet" - "Für Christen ist Wahrheit keine Sache oder Definition, sondern eine Person".
Salzburg (kath.net/ KAP)
Es gibt Menschen, die auch ohne religiöse Bindungen hohe ethische und moralische Standards einhalten, aber letztlich kommen gesellschaftlich verankerte Werte nicht ohne Tradition und Vorgaben aus. Darauf hat der Salzburger Erzbischof Franz Lackner im Interview des Medienprojekts "Addendum" hingewiesen. Lackner verwies auf den erst marxistisch-agnostischen, später dann christlichen Philosophen Leszek Kolakowski, der zu diesem Thema schrieb: "Offensichtlich können Einzelne hohe moralische Standards aufrechterhalten und zugleich areligiös sein. Dass auch Zivilisationen das können, bezweifle ich." Demnach brauche es Institutionen, in denen solche Traditionen verankert sind, weitergegeben und eingeübt werden, erklärte Lackner. "Niemand kann aus dem Nichts heraus Werte entwickeln, man muss auf Vorgegebenes zurückgreifen können."
Die Einstiegsfrage von "Addendum"-Chef Michael Fleischhacker in seinem ausführlichen "philosophischen" Gespräch abseits von Tagesaktualitäten mit dem früheren Philosophieprofessor war jene von Pontius Pilatus: "Was ist Wahrheit?" Laut Lackner müsste diese Frage lauten: "Wer ist Wahrheit?" Für Christen sei Wahrheit "keine Sache, keine Definition, kein Kompromiss", sondern im tiefsten Sinn eine Person. Es gebe aber auch in der Philosophie Strömungen, die Wahrheit dynamisch als "dialogisches Ereignis" und nicht als etwas Fixierbares begreifen.
Dem Einwand, dass das Wahrheitsverständnis der Kirche "immer ziemlich offensiv" und mit regelnden Eingriffen in das tägliche Leben der Menschen verbunden war, begegnete der Erzbischof mit dem Hinweis: "Wir haben einen Auftrag, für die Menschen da zu sein - im karitativen Sinn - aus der Quelle der Wahrheit, die Jesus ist." Die Kirche sei vergleichbar mit der Fassung dieser Quelle; sie trage diesen kostbaren Schatz in sich, "obwohl wir nur zerbrechliche Gefäße sind".
Zum Bild Gottes als Berg, auf den alle monotheistischen Religionen auf einer anderen Route gehen, sagte Lackner, er vertrete als Bischof nicht diese Religionen, sondern die römisch-katholische Kirche, "und die geht tatsächlich von einem universalen Heilsversprechen aus". Gleichzeitig stehe er für eine Religionsgemeinschaft, "die auch akzeptiert, dass man sich abwendet oder einen anderen Weg geht". An Ausgetretene schreibe er einen Brief, "in dem ich es bedaure, wenn wir als Kirche ihre Erwartungen nicht erfüllen; aber auch, dass ich ihre Entscheidung respektiere", erzählte Lackner. "Am Ende wünsche ich allen Gottes Segen auf ihrem weiteren Glaubensweg."
Glaube hat Parallelen zum Fußball
"Große philosophische Wahrheiten" erkennt der deklarierte Sturm-Graz-Fan, wie er sagte, auch im Fußball. Der frühere Erfolgstrainer Otto Baric etwa habe Motivation mit der Maxime hochgehalten: "Man muss auch immer über das Mögliche hinaus, ... hundert Prozent allein genügen nicht, es braucht ein 'Surplus'". Ein Spitzensportler könne nur erfolgreich sein, wenn er sich mit dem Gegebenen nicht zufriedengibt, zog Lackner einen Vergleich mit Gläubigen. Freilich gehe es nicht um "Leistung", aber Regeln zu befolgen seien im Fußball wie auch im Glaubensleben unverzichtbar. "Wenn Religion ein Spiel ist, dann muss man sich an die Regeln halten" wie etwa an jenes beim Fußball, den Ball nicht mit der Hand zu berühren, sagte der Erzbischof. "Aber ich würde nie jemandem sagen, dass er in die Hölle kommen wird, nur wenn er nicht mehr mit uns Fußball spielen will. Allerdings, wenn jemand grundsätzlich keine Regeln akzeptiert, wird irgendwann niemand mehr mit ihm spielen wollen."
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Foto: Erzbischof Lackner © kathpress/Paul Wuthe
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