Der Graben zwischen Rom und der deutschen Ortskirche wird immer tiefer

5. August 2020 in Aktuelles


Erst wurde Papst Benedikt XVI., jetzt wird Papst Franziskus Unverständnis entgegengebracht. Gastkommentar von Ministerpräsident a.D. Werner Münch


Bonn-Vatikan (kath.net) Betrachtet man die letzten Jahre im Verhältnis zwischen Rom und der deutschen Ortskirche, wird einem bewusst, dass ein schweres Unwetter aufgezogen ist. Schon Papst Benedikt wurde viel Unverständnis und Häme entgegengebracht, weil man sein überragendes theologisches Wissen aus Neid nicht akzeptieren wollte.

Nachdem er 2013 zurückgetreten war, hoffte man auf ein besseres Klima und eine größere Übereinstimmung mit Papst Franziskus. Aber schon bald ertönte vom neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) Kardinal Marx der Fanfarenstoß: „Wir sind keine Filiale von Rom”, der seitdem von einer Mehrheit der deutschen Bischöfe in die Tat umgesetzt wird.

Erinnern wir uns:
1. Bei seinem Deutschland-Besuch im September 2011, also vor fast 9 Jahren, wies Papst Benedikt XVI. in Freiburg darauf hin, dass in Deutschland „die Kirche zufrieden wird mit sich selbst, sich in dieser Welt einrichtet, selbstgenügsam ist und sich den Maßstäben der Welt angleicht. Sie gibt nicht selten Organisation und Institutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung zu der Offenheit auf Gott hin, zur Öffnung der Welt auf den Anderen hin” (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 189, S. 148).Deshalb forderte er eine stärkere „Entweltlichung”, an deren Umsetzung die Mehrheit der deutschen Bischöfe nicht interessiert war. Die mangelnde Wertschätzung dieses Papstes wird deutlich in der unglaublichen Feststellung des damaligen Vorsitzenden der DBK, Erzbischof Robert Zollitsch aus Freiburg, der kurze Zeit nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. in einer Predigt in einer Hl. Messe in der Autobahn-Kirche Baden-Baden sagte: „Jetzt lohnt es sich wieder, katholisch zu sein”.
 
2. Beim Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe beim neugewählten Papst Franziskus in Rom formulierte dieser in seiner Ansprache bei der Audienz am 20. November 2015 drei Forderungen:
- die pastorale Neuausrichtung, also „dafür zu sorgen, dass die Strukturen der Kirche alle missionarischer werden”
- dass der Bischof seine Aufgabe als Lehrer des Glaubens gewissenhaft wahrzunehmen hat und ihm bei den Pfarrgemeinden in besonderer Weise deren sakramentales Leben am Herzen liegen muss, vor allem die Beichte und die Eucharistie und
- sich die Bischöfe besonders für das menschliche Leben „von der Empfängnis bis zum Tod” einzusetzen haben, und dabei könne man „keine Kompromisse eingehen” (Pressemitteilung der DBK, 20. 11. 2015, 221a)

Das Abschlussdokument enthielt eine Fülle von Ermahnungen, deren Folge eigentlich eine tiefe innere Einkehr, ja Umkehr hätte sein müssen. Wie aber sah die Realität aus?
- das Evangelium als Grundlage unseres Glaubens müsse nach Kardinal Marx eine „Verheutigung” erfahren, d. h. dem Zeitgeist angepasst werden
- die Beichten, auch bei vielen Priestern und Diakonen, sind stark zurückgegangen, und von einigen Bischöfen wird kritisiert, dass zahlreiche Gläubige „viel zu Eucharistie – orientiert” seien und
- über Abtreibungen, PID, „Ehe für alle” oder assistierten Selbstmord, den ein jüngstes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zuließ, hören wir nur noch wenige mutige Worte in einer Predigt.
 
3. Nachdem die DBK den synodalen Weg beschlossen und die Themen für 4 Foren festgelegt hatte ( Macht in der Kirche, priesterliche Existenz, Frauen in der Kirche sowie Liebe, Sexualität und Partnerschaft), schrieb Papst Franziskus am 29. Juni 2019 einen Brief „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland”, in dem er seine Sorgen von der „Zerstückelung” der Weltkirche zum Ausdruck brachte und vor der Versuchung warnte, „nur eine Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltung” anzustreben. Ebenso warnte er vor der Verweltlichung und dem Zeitgeist und verwies stattdessen auf den Vorrang von Gebet, Buße, Anbetung und den Primat der Evangelisierung. Die Themen der 4 Foren wurden aber trotz dieser Intervention des Papstes von den Synodalen nicht verändert, obwohl Kardinal Woelki und Bischof Voderholzer im Sinne des Briefes als wichtigste Themen für den synodalen Weg Evangelisierung, Berufung der Laien, Katechese und Berufungspastoral vorgeschlagen hatten. Aber diese Vorschläge wurde von der Mehrheit der Bischöfe abgelehnt. Stattdessen flog Kardinal Marx nach Rom, um dem Papst und danach der deutschen Öffentlichkeit zu erklären, dass die Arbeit des synodalen Weges inhaltlich den Vorschlägen des Papstes entspreche, was nicht richtig war. Andere Themen scheinen manchen Bischöfen zur persönlichen Präsentation in der Öffentlichkeit wohl auch wichtiger zu sein, wenn z. B.
- Bischof Jung den Würzburger Kickers zum Aufstieg in die 2. Bundesliga gratuliert oder
- Bischof Meier den erstaunten Gläubigen über den Priestermangel in Deutschland berichtet, dass ein Jahr ohne Priesterweihen auch keine Katastrophe sei.
Also auch in die päpstliche Ermahnung, die Neuevangelisierung als hohe Priorität einzustufen, um das defizitäre Glaubenswissen zu verbessern, wird ignoriert.
 
4. In jüngster Zeit ging ein Sturm der Entrüstung durch die Reihe der meisten Bischöfe, weil die Kleruskongregation im Vatikan eine Instruktion an die deutschen Bischöfe verschickt hatte, in der u. a. steht, dass die Leitung einer Pfarrei immer einem Priester überlassen bleiben muss. Das ist nichts Neues, sondern es entspricht den bekannten Regelungen im Kirchenrecht. Trotzdem passte diese Instruktion vielen Bischöfen nicht, weil sie mit ihren abweichenden Ideen für die Zielrichtung des synodalen Weges nicht kompatibel sind. Nach den von mir aufgenommenen Informationen in der 2. Juli-Hälfte d. J. haben von den Bischöfen reagiert:
- positiv: Kardinal Woelki und die Bischöfe Meier, Hanke und Ipolt (aus Rom: Kurienkardinal Cordes und Kardinal Kasper)
- negativ: (in Kurzform):
 - Kardinal Marx: das Dokument hat Misstrauen gesät und Gräben vertieft
 - Bischof Ackermann: Vatikan schränkt Verantwortung von Diözese und Bischof ein
 - Bischof Jung: ernüchternd
 - Bischof Burger: wir halten trotzdem an unserer Pfarreireform fest
  - Bischof Feige: die Instruktion ist wirklichkeitsfremd; sie hinterlässt neben Ratlosigkeit und Verärgerung auch großen Schaden
  - Bischof Fürst: ich halte an der Laien-Leitung fest
  - Bischof Overbeck: die Instruktion ist befremdlich
  - Bischof Schick: die Instruktion ist theologisch defizitär
  - Bischof Bode: die Instruktion bringt mehr Schaden als Nutzen und
  - Bischof Kohlgraf: die Instruktion ist eine starke Bremse für die Motivation und Wertschätzung der Dienste von Laien

Das sagt die Mehrheit der deutschen Bischöfe zu einer Instruktion aus dem Vatikan, die vor „Klerikalisierung der Pastoral” (38) warnt, „die Berufung der Laien zur Mitarbeit” hervorhebt und...”die Übernahme kirchlicher Ämter ausdrücklich eingeschlossen” (85) hat. Aber der Pfarrer ist „Leiter eines Ganzen”, denn er ist „nicht nur Priester und Lehrer, sondern auch Hirte” (113). (s. hierzu Michael Fuchs, Generalvikar der Diözesen Regensburg, in einem Interview mit Regina Einig sowie Guido Horst in seinem Kommentar: „Im offenen Widerspruch zu Rom”, beides in „Die Tagespost”, 30. 07. 2020).
 
Die Opposition einer Mehrheit der deutschen Bischöfe gegen Instruktionen und ernst gemeinte Hinweise aus Rom ist stärker geworden, obwohl diese Mahnungen berechtigt sind. Die Gräben sind tiefer geworden, und es droht langfristig eine Situation, dass sie unüberbrückbar werden. Diese Entwicklung kann eintreten, solange die Konfrontationen über Fragen stattfinden, in denen das deutsche Episkopat mehrheitlich Neuerungen durchsetzen will, die für die Weltkirche von Rom nicht akzeptiert werden können. Dazu führt nicht die Befolgung des Rufes „wir sind keine Filiale von Rom”, sondern stattdessen der Mut, im synodalen Weg die Fragen der Weltkirche Rom zu überlassen und nicht in Deutschland regeln zu wollen.
 
Prof. Dr. Werner Münch (Foto) war von 1973 bis 1978 Rektor der Katholischen Fachhochschule Norddeutschland. Als CDU-Politiker gehörte er von 1984 bis 1990 dem Europäischen Parlament an. 1990 bis 1991 war er Finanzminister des Landes Sachsen-Anhalt, von 1991 bis 1993 ebenda Ministerpräsident. 2009 trat er aus der CDU aus. Der Politikwissenschaftler ist Kuratoriumsmitglied und Schirmherr des Forums Deutscher Katholiken.

Foto Prof. Münch (c) Werner Münch


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