30. August 2020 in Chronik
In einem Brief zeigt sich Pater Charbel Eid, ehemaliger Mitarbeiter von «Kirche in Not (ACN)», erschüttert über die katastrophale Lage, in der sich die Bevölkerung in seiner Heimat, dem Libanon, befindet.
Luzern (kath.net/ KiN)
Sie müssen das wissen!“, so beginnt er mehrere Absätze seines Briefes, in dem er die Situation anprangert, die die Menschen im Libanon durchleben. Infolge der Explosion vom 4. August, die den Hafen von Beirut und einen Teil der Stadt zerstört hat, hat sich Pater Charbel entschlossen, das Schweigen zu brechen, durch das, wie er schreibt, der Kummer ihn erstickt habe.
Er erinnert daran, dass seit fast einem Jahr die Lage im Libanon extrem schwierig sei: „Sie müssen wissen, dass die Wut seit zu langer Zeit in den Herzen der Libanesen gärt – hier [in Beirut] und anderswo. Dass die selben Hunderttausenden von Menschen, die seit Oktober gegen die schlechte Regierungsführung und die Korruption der politischen Führer auf die Strasse gehen, heute die mit Blut überströmten Opfer dieses schrecklichen ‚Unfalls‘ sind, der durch die schuldhafte Nachlässigkeit eben dieser Behörden verursacht wurde.“
Seit mehreren Monaten versinke der Libanon in einem bodenlosen Abgrund. Die Bürger hätten keinen Zugang mehr zu ihrem Geld, sofern es sich nicht um „unbedeutende Beträge“ handele. Der elektrische Strom sei rar geworden, und die nationale Währung, das libanesische Pfund, sei „nichts mehr als ein Schatten ihrer selbst“: „Die Bürger, die ohnehin schon Mühe hatten, ein paar armselige Ersparnisse zusammenzubringen, haben keinen Zugang mehr zu ihrem Geld. Die Banken haben alle Transaktionen blockiert, und sie halten lediglich unbedeutende Summen für ihre Kunden bereit, Beträge, die es niemandem erlauben, für seine Bedürfnisse aufzukommen. Die Preise in den Geschäften sind explodiert. War der Dollar bislang 1.500 libanesische Pfund wert, sind es heute fast 9.000 Pfund. Der Strom, der seit dem Ende des Bürgerkriegs nie kontinuierlich verteilt wurde, fällt noch häufiger aus. Und für die Generatoren, die die täglichen Ausfälle ausgleichen sollten, gibt es keinen Treibstoff.“
Wird der Phönix wirklich wieder wiedergeboren werden?
Nach Ansicht des Priesters ist von der Hoffnung und Widerstandskraft, die die Libanesen in der Vergangenheit trotz wiederholter Tragödien so oft gezeigt haben, nun nichts mehr zu sehen.
„Beirut ist heute eine verwüstete Stadt. Die Stadt ist dank der unglaublichen Kraft, Motivation, dem Geschick und der Scharfsinnigkeit der Libanesen so viele Male aus der Asche wiederauferstanden. Aber heute fragt sich jeder, wie es einem bankrott gegangenen Land gelingen soll, wieder aufzustehen.“
Die Libanesen haben von 1975 bis 1990 unter dem Bürgerkrieg gelitten, der mehr als
150 000 Menschenleben gekostet hat. ‚Wir haben schon alles gesehen, wir werden uns auch davon wieder erholen‘, so lautete bis zu dieser Tragödie die Devise – trotz der Anhäufung von Unglücken. „Aber heute ist es die reine und harte Verzweiflung, die man in den Augen aller liest. Das erste Mal seit meiner Geburt im Jahr 1980, mitten im Bürgerkrieg, bemerke ich bei den Libanesen einen wirklichen Verlust der Hoffnung“, schreibt der Priester.
Internationale Unterstützung: notwendiger denn je
Nach Angaben von Pater Charbel hatte die Weltbank vor dem Ausbruch der Coronakrise geschätzt, dass 45% der libanesischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebten. Nun jedoch schätze die Regierung nach der Erklärung des Sozialministers Ramzi Mucharafieh, dass 75% der Bevölkerung dringend auf Hilfe angewiesen seien.
„Mit der Insolvenz von ca. 4000 Geschäften und kleinen Händlern und der Schliessung von rund 5000 Fabriken kann die Situation nur schlimmer werden. Die Arbeitslosigkeit explodiert, und die Arbeitslosen erhalten von der Regierung keine Unterstützung. Darum gibt es für sie keine andere Lösung, als an unsere Tür [die der Kirche] zu klopfen, um ein Minimum an Hilfe zu erlangen.“
In seinem Brief erinnert Pater Charbel daran, dass «Kirche in Not (ACN)» auf Bitten der Ortskirche damit begonnen hat, mehr als 5000 Familien zu unterstützen und unmittelbar nach der Explosion € 250 000 zur Verfügung stellte. Sein Schreiben schliesst er mit den Worten: „Infolge dieser dramatischen Situation wenden wir uns an Sie und bitten um Ihre Unterstützung bei unserem Vorhaben, unseren christlichen Gemeinden im Libanon das Leben zu retten“.
Um den Menschen im Libanon beistehen zu können, ruft «Kirche in Not (ACN)» zum Gebet auf und bittet um Spenden.
Foto: Der maronitische Pater Charbel Eid Rizkallah © «Kirche in Not (ACN)»
«Kirche in Not (ACN)» ist ein internationales katholisches Hilfswerk päpstlichen Rechts, das 1947 von Pater Werenfried van Straaten (Speckpater) als „Ostpriesterhilfe“ gegründet wurde. Es steht mit Hilfsaktionen, Informationstätigkeit und Gebet für bedrängte und Not leidende Christen in ca. 140 Ländern ein. Seine Projekte sind ausschliesslich privat finanziert. Das Hilfswerk wird von der Schweizer Bischofskonferenz für Spenden empfohlen.
© 2020 www.kath.net