31. August 2020 in Kommentar
Wenn jemals in Westeuropa der Moment war, eine wirkliche missionarische Initiative zu starten, dann jetzt. Unter den Kirchtürmen erreicht die Kirche nämlich genau niemanden mehr - Der Montagskick von Peter Winnemöller
Görlitz (kath.net)
In Görlitz gilt sie jetzt wieder. Nur wenige Bistümer hatten sie nicht außer Kraft gesetzt: Die Sonntagspflicht. Das Kirchenrecht verpflichtet die Gläubigen, am Sonntag der Heiligen Messe beizuwohnen und am Sonntag keine – wie es früher so schön hieß – knechtliche Arbeit zu verrichten. Die Sonntagsruhe ist vielleicht für die meisten Menschen noch am leichtesten einzusehen. Endlich mal ein freier Tag. Doch auch das bröckelt schon lange. Wieso die Kirche die Menschen am Sonntag zur Teilnahme an der der Heiligen Messe moralisch verpflichtet, so dass die schuldhafte Versäumnis eine Sünde darstellt, kapiert kaum noch jemand.
Vor dem sogenannten Lockdown gingen in Deutschland gemäß der kirchlichen Eigenerhebung ca. 10 Prozent der Katholiken regelmäßig am Sonntag in die Heilige Messe. Qualifizierte Erhebungen in einzelnen Gemeinden zeigten auch schon mal ein dramatischeres Bild. Dort gingen zum Teil nur noch 2 Prozent wirklich regelmäßig am Sonntag in die Heilige Messe. Die statistischen 10 Prozent werden erreicht durch Kinderchöre und besondere Feste an Zählsonntagen. Wer den Laden kennt, weiß, wie das geht. Der Lockdown fuhr für viele Wochen, darunter die Osterfeiertage, den sonntäglichen Kirchgang auf 0 Prozent herunter. Diejenigen, die bis dato noch treu aus Verpflichtung, Neigung, freiem Willen und/oder tiefem persönlichem Glauben zur Sonntagsmesse gingen, empfingen plötzlich von „der Kirche“ ein Signal: Es geht auch ohne. Ganz legal, ganz ohne moralische Verfehlung und so schlecht ist ein freier Sonntag doch gar nicht.
Die Folge ließ nicht lange auf sich warten. Nach Ende des Lockdown waren auch die Gemeinden und die Pfarrer angesichts der massiven Hygieneauflagen sehr verunsichert. Selbst die geringen Gottesdienstbesucherzahlen vor dem Lockdown verkraftet die örtliche Kirche in der „neuen Normalität“ meistens nicht. Kirchen, die vorher 400 Sitzplätze hatten, kommen unter Umständen jetzt nur noch auf 40 Sitzplätze. Stehplätze sind oft gar nicht vorgesehen oder erlaubt. Doch dann geschah das große Platzwunder. Die neuen Sitzplatzzahlen reichen in sehr vielen Gemeinden locker aus. Der Kirchgang in der „neuen Normalität“ ist noch einmal drastisch zurück gegangen und beträgt vielerorts gerade einmal 10 bis 15 Prozent der bisherigen Kirchgänger. Wer ein wenig rechnen kann, wird leicht darauf kommen, dass in der kommenden Kirchenstatistik - geht es nur einigermaßen ehrlich zu - eine Zahl von ca. 5 Prozent für den regelmäßigen sonntäglichen Kirchgang stehen wird.
Es ist völlig richtig, dass der Bischof von Görlitz die Sonntagspflicht wieder in Kraft gesetzt hat. Es ist so richtig, wie es falsch war, sie auszusetzen, denn im Falle einer gesundheitlichen Bedrohung ist jeder Katholik von der Pflicht zur Teilnahme an der Heiligen Messe befreit. Das gilt allgemein und jederzeit. Der jetzige allgemeine Dispens hatte nichts als Verwirrung zur Folge, die allerdings mit der Rücknahme der falschen Maßnahme nicht beseitigt ist. Ganz im Gegenteil birgt die Rücknahme ohne eine wirklich tiefer greifende Katechese für die Gläubigen vor Ort sogar die Gefahr, die Sünde noch zu vervielfältigen, da doch nur schwer einzusehen ist, warum jetzt. Immerhin redet die Politik längst wieder von einer neuen Verschärfung der Maßnahmen. Immerhin ist die Nachrichtenlage verwirrend. Immerhin hat die Kirche doch gezeigt, dass die Gläubigen in der Krise auch mal allein klarkommen müssen. Wer hat diesen Zeitpunkt festgelegt? Er wirkt willkürlich.
Die Wiedereinsetzung der Sonntagspflicht ist tatsächlich ein Dilemma. Einerseits muss es geschehen, weil die Aussetzung ein dramatischer Fehler war, der zurückzunehmen ist. Andererseits wird es nichts bewirken, weil die Bischöfe die Gläubigen nicht einfach ungestraft vor die Tür setzen können. Sie kommen nicht zurück, weil sie nicht wissen, warum sie zurückkommen sollten. Das ist das Problem, die große Herausforderung, vor der die Bistümer nun stehen. Ein kurzes Nachdenken zeigt, wie lächerlich vor diesem Hintergrund dieser selbstreferentielle synodale Weg von DBK und „ZdK“ ist. Er zeigt, wie sinnlos alle diese grandiosen Bistumsreformen sind. Er zeigt, wie völlig sinnentleert alle diese pastoralen Prozesse auf allen Ebenen sind.
Die verfasste Kirche hat sich in der Coronakrise grundsätzlich erst einmal als irrelevant gezeigt. Die Türen waren zu. Warum man die geöffneten Türen jetzt durchschreiten sollte, ist erklärungsbedürftig. Diejenigen, die sich in dieser Zeit in die Kirche gerufen fühlen, sind gerufen den Glauben und die Sakramente tiefer und tiefer zu leben als je zuvor. Glaubwürdig wird die Kirche nur, wenn wir glauben. Wenn jemals in Westeuropa der Moment war, eine wirkliche missionarische Initiative zu starten, dann jetzt. Unter den Kirchtürmen erreicht die Kirche nämlich genau niemanden mehr. Die Botschaft von der Erlösung gehört auf die Marktplätze der Städte. Die Botschaft von der Erlösung gehört dahin, wo die Menschen nach dem Sinn ihres Lebens fragen und nur leere Antworten finden.
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