Corruptio optimi pessima – Die Entartung des Besten führt zum Schlimmsten

29. September 2020 in Aktuelles


Sancte Michael Archangele, defende nos in proelio: zwischen den Wellen der vatikanischen Skandale. Becciu ‚out’ und Pell ‚back’. Sybillinische Worte zur ‚Umkehr’ und eine brutale Säuberung. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) „Corruptio optimi pessima“ – die Entartung, die Korruption des Besten führt zum Schlimmsten. Dies lehrte schon der heilige Papst Gregor der Große (Moralia in Iob).

 

Festtag der heiligen Erzengel Michael, Rafael und Gabriel. Der Erzengel Michael ist auch der Patron der vatikanischen Gendarmerie. Wie jedes Jahr feierte Papst Franziskus aus diesem Anlass eine heilige Messe, die auf den Samstag, 26. September, vorverlegt wurde. Weniger als zwei Tage also nach der vatikanischen Bombe der Entlassung des Kurienkardinals Giovanni Angelo Becciu als Präfekt der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsprozesse sowie der Forderung nach dem Verzicht auf seine Rechte als Kardinal. Der Papst hielt in der Petersbasilika eine in freier Rede vorgetragene Predigt, der natürlich besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde.

 

Es ist bekannt: das frei vorgetragene „Lehramt“ gewisser Predigten, Interviews und Ansprachen in Gesprächsform sind für Franziskus der Ort, an dem in besonderer Weise sichtbar wird, was den Papst jenseits von Formen und Förmlichkeiten bewegt. Dies konnte immer wieder in den am Ende rund 1.500 Predigten des „Lehramts von Santa Marta“ bei den bekannten und nunmehr eingestellten Morgenmessen festgestellt werden. Als Beispiel sei nur an das Jahr 2018 erinnert. Im Sommer hatte Erzbischof Carlo Maria Viganò seine erste Schrift mit harten, schweren und präzisen Anfragen, ausgehend von dem Skandal um den laisierten Ex-Kardinal McCarrick, zu den Vorgängen in der Kirche und im Vatikan veröffentlicht. In den Monaten des Herbstes 2018 kehrte der Papst in seinen Meditationen immer wieder auf den Teufel als den „großen Ankläger“ zurück, der so Unkraut und Missgunst in das „heilige Volk Gottes“ ausstreut. So wurde die Kapelle von Santa Marta zu dem Ort, an dem sich Franziskus mit etwas (und jemandem) auseinandersetzte, das (der) die Kirche in ihrer schwierigen und aufgewühlten Gegenwart beschäftigen sollte (und dem an anderen Stellen keine Aufmerksamkeit gewidmet wurde).

 

Kein Wunder also, wenn man, gerade in von Skandalen erschütterten Zeiten wie den jetzigen, auf das achtet, was Franziskus in seinen freien Wortmeldungen äußert.

 

„Manchmal kann jemand ein wenig ausrutschen, aber wer rutscht im Leben nicht aus?“, so Franziskus also in seiner Predigt: „Und zwar alle! Aber wir stehen auf: ‚Ich habe es nicht gut gemacht, aber jetzt...’. Immer diesen Weg für die Umkehr der Menschen und auch für die eigene Umkehr wieder aufnehmen. Im Dienst liegt man nie falsch, denn Dienst ist Liebe, er ist Nächstenliebe, er ist Nähe. Dienst ist der Weg, den Gott in Jesus Christus gewählt hat, um uns zu vergeben und uns umkehren zu lassen“. Wie üblich ging der Papst in seiner Betrachtung von den Texten der Liturgie aus, die jene des 26. Sonntags im Jahreskreis waren, ganz konzentriert auf den Begriff der „Umkehr“, oder, wie er es nannte, die „gegenseitige Umkehr“ des Sünders und Gottes, der sich diesem, wenn er reuig sei, wieder zuwende.

 

Natürlich machte Franziskus keine konkreten Anspielungen auf die relativ brutale Entfernung eines Kardinals in ihrer eigenartigen Dynamik (der „Richter“ sprach, noch bevor ein „Prozess“ geführt und die „Verteidigung“ des Angeklagten in Bezug auf die gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe gehört werden konnte). Klar ist: derartige Vorgänge haben besonders in der für die Kirche auf der ganzen Welt kritischen COVID19-Zeit dramatische Auswirkungen auf jene oft wenigen, die gewissermaßen als „kleiner Rest“ noch geblieben sind und um ihr konkretes Christ-Sein in der Kirche (auch wider alle bischöflichen und priesterlichen „Maßnahmen“) kämpfen.

 

Wie dem auch sei: „Umkehr“, Gottes Weg der Vergebung standen im Mittelpunkt der Betrachtungen, denn: „wenn ein Schuldiger von dem Unrecht umkehrt, das er begangen hat – wir haben es in der ersten Lesung gehört –, und nach Recht und Gerechtigkeit handelt, wird er sein Leben bewahren. Wenn er alle seine Vergehen, die er verübt hat, einsieht und umkehrt, wird er bestimmt am Leben bleiben. Er wird nicht sterben“ (Ez 18,27-28).

 

Dabei sei wichtig: diese Begegnung mit Gott, die Umkehr, finde auf beiden Seiten statt und sei ein Weg der gegenseitigen Begegnung, für die Christus in seiner Entäußerung das Modell sei. Der Weg zur Umkehr bestehe im Näherkommen in der Nähe des Dienstes, so Franziskus zu den Gendarmen: „Jedes Mal, wenn ihr nahekommt, um zu dienen, ahmt ihr Jesus Christus nach. Jedes Mal, wenn ihr einen Schritt macht, um Ordnung zu schaffen, denkt daran, dass ihr einen Dienst tut, ihr tut eine Umkehrung, die Dienst ist. Und mit der Art und Weise, wie ihr es tut, tut ihr den anderen Gutes. Und dafür möchte ich mich bedanken“. So handle es sich um eine „doppelte Umkehr“.

 

Nun, es wird zu sehen sein, wie sich nach diesen geraunten Worten die Formen der Umkehr im Vatikan vollziehen werden.

 

Gerade am heutigen Fest des Erzengels Michael kommt nach einem langen Prozess und nach zwei Jahren Gefängnis der australische Kardinal George Pell nach drei Jahren Abwesenheit wieder nach Rom zurück. Das ist eine interessante und wichtige Folge der schnellen „Entlassung“ seines alten Gegners Becciu, den Pell nach dessen Worten für einen „Korrupten“ und „Unehrlichen“ hält.

 

So schreitet die vollständige Rehabilitierung des Pells voran. Er hatte sich mutig einer (ungerechten und ideologisierten) weltlichen Gerichtsbarkeit gestellt. Pell hatte nach der Entlassung Beccius Papst Franziskus für seine Mühen um das Saubermachen im vatikanischen Augiasstall gedankt und die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass auch Klarheit zu Verbindungen nach Australien geschaffen wird, durch die sein Schicksal in jene schweren Bahnen geworfen worden war. Man wird auch sehen, ob und wie der Papst einen zähen, treuen und aufrechten Kardinal wie Pell beim weiteren Ausmisten einsetzen wird. Allein die Tatsache, dass er ihn gerufen hat, lässt hoffen: auch dies ist ein Aspekt der „Umkehr“ nach einem „Ausrutschen“.

 

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Sancte Michael Archangele,

defende nos in proelio;

contra nequitiam et insidias diaboli esto praesidium.

Imperet illi Deus,

supplices deprecamur:

tuque, Princeps militiae caelestis,

Satanam aliosque spiritus malignos,

qui ad perditionem animarum pervagantur in mundo,

divina virtute, in infernum detrude.

+ Amen.


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