2. Oktober 2020 in Buchtipp
„Kardinal Müller und seinem Gesprächspartner, dem bekannten katholischen Publizisten Martin Lohmann, sei Dank für das vorliegende neue Buch“! – Rezension von Martin Bürger
Köln-Vatikan (kath.net) In seinem neuen Interview-Buch „Wahrheit“ über „Die DNA der Kirche“ beschäftigt sich Kardinal Gerhard Müller im Gespräch mit Martin Lohmann sowohl mit aktuellen Themen – an denen es im Zeitalter des Synodalen Weges bekanntlich nicht mangelt – als auch mit grundlegenden theologischen Fragen. Zentral für Müller ist, wie der Titel des im fe-Medienverlag soeben erschienenen Buches schon sagt, die Wahrheit. Trotz allem ist Wahrheit kein Selbstzweck, sondern sie ist Voraussetzung für die Heiligkeit, die der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation immer wieder schön und gleichzeitig zutiefst menschlich darstellt.
Heiligkeit erfordert die Arbeit an sich selbst, mit der Gnade Gottes gerade durch die Sakramente. „Auch die großen Heiligen“, sagt Müller, „die uns von ihrem Weg der tieferen Vereinigung mit Gott erzählen, etwa die große heilige Theresia von Ávila und ihre Namensvetterin von Lisieux, die ihren inneren Weg mit Gott beschreiben, waren keine vollkommenen Menschen im Sinne der ethischen Selbstvervollkommnung und freigeistigen Selbstgerechtigkeit. Sie hatten ihre Schwächen, ihre Ungeduld, ihren Jähzorn, die kleinen Egoismen des Alltags und all die ganz üblichen Fehler, aber sie haben mithilfe der Beichte, also mit der Gnade Gottes, systematisch und regelmäßig an ihrer Überwindung mitgewirkt. So kann man die Unebenheiten unserer individuellen Natur und unser zerknittertes Taufkleid immer wieder glattbügeln.“
Als Hindernisse für das Streben nach Wahrheit und Heiligkeit identifiziert Müller, der stets eine positive und hoffnungsvolle Grundhaltung an den Tag legt, sowohl Bischöfe und Theologen als auch Laienverbände, besonders im Blick auf Deutschland. Dabei wird er so deutlich, und bleibt gleichzeitig so sachlich, wie man es sich von allen Katholiken wünscht.
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), so Müller, sei „eine Einrichtung, die so nicht mehr in unsere Zeit hineinpasst und dringend der Reform bedarf. Seltsam, dass es hier wohl keinen Reformbedarf zu geben scheint gemäß der Lehre des II. Vatikanums vom Laienapostolat. Wenigstens hört man so etwas nicht, schon gar nicht aus diesem Gremium selbst. Was einige dort gestellte Forderungen mit dem Glauben der Kirche zu tun haben, ist jedenfalls nicht immer ersichtlich. Der Vorsitzende verkündete zum Beispiel, dass keiner aus diesem Kreis beichten gehe und dass der Petrusdienst nur eine aus zufälligen geschichtlichen Machtkonstellationen gewordene Funktion sei, die man nach der Tauglichkeit für die eigene Agenda bewerten müsse.“
Wenn es um die deutschen Bischöfe sowie die Deutsche Bischofskonferenz geht, so kann Müller aus dem Nähkästchen plaudern, war er doch selbst lange Jahre Bischof von Regensburg, bevor ihn Papst Benedikt XVI. im Jahr 2012 zum Leiter der Glaubenskongregation nach Rom berief.
„Das Bischofsverständnis neigt sich immer mehr zum Funktionärstum wie ein Schiff mit starker Schlagseite“, erklärt Müller. „Man bringt das Schiff zum Kentern und meint es – wenn auch umgekehrt – wieder ins Gleichgewicht gebracht zu haben. Es werden bei jeder Neuernennung sofort Einordnungen vorgenommen, ob der Neue auch brav ist und nicht stört. Er wird vorher, bevor er seine Arbeit als Bischof in seiner Diözese aufnehmen kann, gecoacht, er muss ins Schema passen und möglichst abgeschliffen sein. Und dies geschieht im Wechselspiel mit den Medien, sodass er nichts Unpassendes in Sachen Homosexualität, Frauenpriestertum und Zölibat sagt.“
Wer aber „den Zölibat für das sexuelle Fehlverhalten von individuellen Personen, die ihrem Weiheversprechen untreu geworden sind, verantwortlich macht, hat vom christlichen Glauben keine Ahnung oder missbraucht diese Schandtaten, um rücksichtslos seine eigene Agenda in der Kirche zu promoten“, ist der Kardinal überzeugt. Ähnliches gilt in Sachen Sexualmoral. „Wenn zum Beispiel ein deutscher Bischof zu mir sagt, die Sexualität in der Ehe sei nicht alles und die Gemeinschaft sei sehr wichtig, dann könne man denen, die sich neu verheiraten, ‚das bisschen Sexualität doch auch noch zugestehen’, dann betritt man seltsame theologische Ebenen, die von der Offenbarung abgekoppelt sind.“
Die Situation der Kirche in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht verbessert – im Gegenteil. Trotzdem vertreten die Hauptverantwortlichen beim Synodalen Weg, also weite Teile der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, vielfach Positionen, die schon seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Würzburger Synode für keinen neuen Frühling sorgen konnten. „Es ist das verräterische Symbol dafür, dass man die Sendung der Kirche innerlich aufgegeben hat“, sagt Müller, „wenn man die kirchliche Infrastruktur verfallen lässt, Kirchen abreißt, Klöster und Priesterseminare schließt, die Trägerschaft von Kindergärten, Krankenhäusern, kirchlichen Hochschulen und theologischen Fakultäten aufgibt oder die Katechese und Predigt zu Unterhaltungsprogrammen umfunktioniert. Und es ist nur traurig und erschütternd, wenn Priester und Ordensleute sich in einem weltlich-bürgerlichen Lebensstil gefallen oder sich dabei gar noch für up to date halten. Wenn man die Identität aufgibt, kann man nicht auf mehr Relevanz hoffen. ‚Wenn das Salz schal geworden ist …, taugt es zu nichts mehr, außer dazu, dass es weggeworfen und von den Menschen zertreten wird‘ (Mt 5,13).“
Jene Identität aber, jene „DNA der Kirche“, ist die Wahrheit. Kardinal Müller und seinem Gesprächspartner, dem bekannten katholischen Publizisten Martin Lohmann, sei Dank für das vorliegende Buch.
Foto (c) Martin Lohmann/fe Medienverlag
kath.net-Buchtipp:
Wahrheit - Die DNA der Kirche
Von Lohmann Martin; Müller Gerhard Kardinal
Hardcover, 344 Seiten;
2020 fe-medienverlag
ISBN 978-3-86357-277-8
Preis Österreich: 20.40 EUR
© 2020 www.kath.net