Kluft zwischen der offiziellen Kirche und den 'Traditionstreuen' hat zugenommen

2. November 2020 in Interview


Die Piusbruderschaft feiert in diesen Tagen das 50-Jahr-Jubiläum - Ein Interview mit P. Stefan Frey, Distriktoberer für Österreich - Von Christof Zellenberg


Wien (kath.net/cz)

Vertreter der Piusbruderschaft wurden in Rom von Papst Franziskus öfters empfangen als von Benedikt XVI. Kircheninsider berichten, dass der jetzige Papst hier eine Einigung möchte. Doch noch immer gibt es keinen Durchbruch über eine Integration der Tradionalisten. Wird es diesen Jemals geben? kath.net sprach darüber mit P. Stefan Frey, dem Distriktoberen für Österreich.

kath.net: Sie feiern dieses Jahr Ihr 50-jähriges Bestehen. Wenn Sie Revue passieren lassen, was zur Gründung Ihrer Gemeinschaft geführt hat, was waren dabei die entscheidenden Überlegungen und Gründe?

Stefan Frey: Erzbischof Marcel Lefebvre hat immer wieder betont, dass die Priesterbruderschaft St. Pius X. ein Werk der göttlichen Vorsehung ist und nicht das Resultat strategischer Planung. Junge Seminaristen in Not wandten sich an den pensionierten Prälaten mit der Bitte um Hilfe. Sie fanden in den Priesterseminaren nicht mehr die authentische Lehre und geistliche Formung. Der revolutionäre Geist, der die 1960er Jahre insgesamt durchwehte, war inspiriert von einer Verachtung all dessen, was der Kirche bisher göttlich und heilig galt. Die thomistische Theologie und die überlieferte Liturgie wurden als verstaubte Fossilien aus dem Mittelalter abgetan, das Priesterkleid und asketische Lebensführung galten nicht mehr als zeitgemäß. Traditionell gesinnte Seminaristen mussten mit Schikanen und Entlassungen rechnen. Diese Zeitumstände riefen in Msgr. Lefebvre den Traum wach, den er als Erzbischof von Dakar in den 40er Jahren gehabt hatte: „das priesterliche Ideal in der ungetrübten Reinheit der Lehre, in seiner grenzenlosen missionarischen Liebe weiterzugeben, so wie es durch Christus seinen Aposteln übertragen wurde“. Letztendlich waren es die Liebe zu Christus und zur katholischen Kirche sowie das zunehmende Andringen von Studenten und Gläubigen, die dem pensionierten Bischof garantierten, dass dies ein Werk der Vorsehung ist.

kath.net: Hat sich an dem damals relevanten Umfeld heute etwas geändert oder anders gefragt, würde man heute diese Bruderschaft weiterhin gründen müssen, falls sie nicht bereits bestünde?

Stefan Frey: Erzbischof Lefebvre hatte einen prophetischen Blick. Er sah die Richtung voraus, die die Kirche nehmen würde. Früh hat er vor den fatalen Konsequenzen der Neuerungen, die im Konzil grundgelegt sind, gewarnt. Der Zeit voraus, gründete er ein Werk, dessen Berechtigung damals kaum erahnt wurde. Weil er die damals weithin gering geschätzten traditionellen Werte des Glaubens verteidigte, übersah die Allgemeinheit, wie zukunftsweisend seine Vision war.

Wäre der Erzbischof unter den heutigen Umständen vor dieselbe Entscheidung gestellt, hätte er nicht anders gehandelt. Wohl aber fiele die Reaktion darauf anders aus. In den 70er Jahren verurteilte die Illusion des erwarteten neuen Frühlings in der Kirche die Initiative des alten Bischofs. Angesichts des gegenwärtigen dramatischen Niedergangs und Glaubensabfalls hingegen stieße ein solches Unternehmen zweifellos bei vielen auf lebhaftes Interesse und Wohlwollen.

Ist Ihrer Meinung nach der Abstand zwischen der offiziellen Kirche und Ihrer Bruderschaft, seit der Gründung inhaltlich größer oder kleiner geworden?

Stefan Frey: Wenn wir die lehrmäßige Entwicklung in diesen 50 Jahren betrachten, dann stellen wir mit Bedauern fest, dass die Kluft zwischen der offiziellen Kirche und den “Traditionstreuen” insgesamt unablässig zugenommen hat. Insbesondere seit dem Pontifikat Papst Franziskus‘ werden die Katholiken fast täglich mit schockierenden Aussagen konfrontiert.

Fassen wir hingegen den Generationenwechsel in der Kirche ins Auge, dann lässt sich eine neue und ermutigende Entwicklung erkennen. Die starke emotionale Bindung an das Konzil ist in der jungen Generation einer nüchterneren, kritischeren Haltung gewichen. Insbesondere seit dem Motu Proprio Summorum Pontificum und dem Amtsantritt Papst Franziskus‘ kann man eine unaufhaltsam wachsende Zahl von Priestern und Bischöfen beobachten, die aufstehen und sich öffentlich für die Tradition der Kirche einsetzen. Viele nehmen mit uns Kontakt auf. Auf lokaler Ebene erfahren wir, wie der Abstand sich verringert und die Anzahl der Streiter für die wirkliche innere Reform des Einzelnen, der Kirche und der Gesellschaft zunimmt.

Das Verhältnis zur offiziellen, katholischen Kirche war lange Zeit sehr angespannt – besonders ab der Weihe von Bischöfen durch die Piusbruderschaft, ohne die Erlaubnis des Papstes. Wie ist das Verhältnis heute und besteht eine Einheit zwischen der Kirche und der Piusbruderschaft?

Stefan Frey:  Wir suchen weiter das Gespräch mit den kirchlichen Autoritäten und haben den Behörden im Vatikan neue Diskussionen über lehrmäßige Inhalte vorgeschlagen. Wir sind dem regierenden Papst Franziskus dankbar für die uns persönlich gewährte Beichtvollmacht und die Möglichkeit der Eheassistenz. Jeder Priester der Bruderschaft erwähnt dessen Namen im Kanon der Messe, und gemeinsam mit den Gläubigen beten wir in allen Sakramentsandachten für ihn. Wir hören nicht auf, für die Kirche zu arbeiten und warten auf den Moment, in dem die göttliche Vorsehung unserem Werk eine endgültige kirchenrechtliche Lösung schenken wird.

kath.net: Papst Benedikt aber besonders Papst Franziskus sind der Piusbruderschaft bereits sehr entgegengekommen, um zu einer vollständigen Einheit zu gelangen. Woran ist das bislang gescheitert?

Stefan Frey:  Seit dem II. Vatikanischen Konzil gibt es zwei große Streitpunkte: die neue Liturgie, promulgiert durch Papst Paul VI. am 3. April 1969, sowie die Texte des Konzils selbst. Der erste Punkt wurde durch das Motu Proprio Summorum Pontificum vom 7.7.2007 einigermaßen geklärt. Dort heißt es: „Demgemäß ist es erlaubt, das Messopfer nach der vom sel. Johannes XXIII. im Jahr 1962 promulgierten und niemals abgeschafften Editio typica des Römischen Messbuchs als außerordentliche Form der Liturgie der Kirche zu feiern.“ Es bleibt der zweite Punkt. Diesbezüglich sind in den vergangenen Jahren gewisse Fortschritte erzielt worden sind, da der Vatikan einer kritischen Diskussion über die Konzilstexte die Tür geöffnet hat. Für eine kirchenrechtliche Lösung wird indes von uns nach wie vor die Annahme des ganzen Konzils verlangt. Solange aber die umstrittenen Aussagen, speziell jene über den Ökumenismus und die Religionsfreiheit, die Andersgläubigen für die Ausbreitung ihrer falschen Kulte ein Naturrecht einräumen, nicht geklärt sind, können wir die Texte des II. Vatikanums nicht ganzheitlich annehmen.

kath.net: Wenn Sie sich die Lehraussagen der Päpste in den vergangenen 50 Jahren ansehen, was davon finden Sie gut und tragen Sie mit sowie welche Entwicklungen finden Sie besonders positiv oder negativ und gibt es auch jüngere Entwicklungen, die für Sie ein Hemmschuh auf dem Weg zur vollständigen Einheit sind?

Stefan Frey:  Wir bedauern zutiefst die Entwicklung, die die Theologie unter Papst Franziskus genommen hat. Die beiden bedeutendsten Rundschreiben sind den alles bestimmenden Themen seines Pontifikates gewidmet. Die Enzyklika Laudato si (Über die Sorge für das gemeinsame Haus) erörtert die Frage des Umgangs mit der Schöpfung. Und die Enzyklika Fratelli tutti (Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft) beschreibt das Verhältnis zwischen den verschiedenen Religionen und Gesellschaftsgruppen. In beiden Schreiben bleibt der Papst auf der rein natürlichen Ebene stehen. Der Katholische Glaube wird aus einer neomarxistischen Perspektive heraus reduziert auf Fragen um den Aufbau der Welt und des friedlichen Miteinanders. Der Papst fordert z.B. eine „ökologische Umkehr“ und sieht den „großen Reichtum der christlichen Spiritualität“ darin, dass sie „eine Leidenschaft für den Umweltschutz fördert“ (Laudato si, Nr. 216).

Solche und ähnliche Äußerungen fordern klare Stellungnahmen. Kardinäle, Bischöfe und Priester sind wachgerüttelt. Sie kritisieren nicht nur, was aktuell geschieht, sondern stellen auch die Frage nach dem tieferen Grund. Es wird zunehmend deutlicher, dass dieser im Konzil zu finden ist.

kath.net: Die Piusbruderschaft hat, ähnlich wie auch andere Erneuerungsbewegungen und jüngere Gemeinschaften (Loretto, Emmanuel, Opus Dei, Communione e Liberatione, Neokatechumenat, St. Martin, Bethlehemschwestern, etc) aber punktuell auch ältere Gemeinschaften wie zB die Zisterzienser in Heiligenkreuz, einen starken Zulauf an Gläubigen und auch Priestern und Ordensleuten. Daneben hat man den Eindruck, daß die offizielle Kirche mit vielen Orden und Pfarren und Diözesen, in einem starken Schrumpfungsprozeß ist. Was sind Ihrer Meinung nach die Faktoren für das Aufblühen an einigen Stellen und das Absterben an vielen anderen Orten?

Stefan Frey: Jeder Mensch braucht Wurzeln, orientiert sich an Werten, sucht Antworten auf die dringenden Fragen des Lebens, wünscht sich Klarheit und Authentizität. Wird er alleingelassen, zieht er sich zurück. Die Tradition stützt sich auf die göttliche Offenbarung, erklärt die Berechtigung und die Weisheit der christlichen Kultur und zeigt authentische Vorbilder. Sie stellt Forderungen an seine Gläubigen und begleitet sie durch Schwierigkeiten. Weil die Tradition klare Werte vermittelt, sind auch junge Menschen bereit, Opfer zu bringen, um ihr Leben wertvoll zu gestalten. Der Anspruch „Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ spricht auch heute noch an. In der traditionellen Form der Messe finden die Gläubigen die Motivation und die Gnaden für das Streben nach Heiligkeit.

kath.net: Wenn sie, abseits der Kirche, die Gesellschaft heute ansehen, was fällt ihnen dabei besonders auf und welche Entwicklungen sehen sie positiv und welche mit Sorge?

Stefan Frey: Überall beugen sich Menschen über ihr Handy und vergraben sich im Internet. Wenige schauen ihrem Gegenüber in die Augen, um ihm Vorrang vor dem nur virtuell Gegenwärtigen zu geben. Menschen vermeiden den direkten Kontakt oder weichen der realen Kommunikation mit dem Mitmenschen aus und verkrüppeln sozial. Das hat tiefgreifende Konsequenzen für das Zusammenleben. Das „Ich und mein Handy“ werden wichtiger als „die Liebe zum Nächsten.“ Diese Entwicklung beeinträchtigt tief das Vermögen des Menschen, sich Gott zuzuwenden.

Auf der anderen Seite sehen wir eine Strömung, die sich der heutigen vertechnisierten, gleichmacherischen Multi-Kulti-Politik widersetzt und geistig-kulturelle Werte in den Vordergrund rückt. Das ist positiv und eine einzigartige Chance. Sobald die Kirche suchenden Seelen wieder Wege und Lösungen anbietet, wird sie erneut ein ernst zu nehmender Teil unserer Gesellschaft werden.

kath.net: Danke für das Interview!

 


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