6. November 2020 in Aktuelles
Erzbischof Aupetit: Es ist „nicht akzeptabel …, eine Handlung durchzuführen, die dem eigenen Gewissen widerspricht, wie beispielsweise eine Abtreibung für einen Arzt, der den hippokratischen Eid geleistet hat“. Gastbeitrag von Juliana Bauer
Paris (kath.net) „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist“ (Mt 22,21). Mit den entscheidenden Schlussworten des Evangeliums begann der Pariser Erzbischof Michel Aupetit seine Predigt in Saint-Germain-l’Auxerrois am Sonntag. den 18. Oktober 2020. Seine Worte wurden von zahlreichen Gläubigen wieder mit großer Zustimmung aufgenommen. „Wir kennen natürlich diesen Satz Christi, der die Jahrhunderte durchzog. Vielen Experten erlaubte er, das Zeitliche vom Spirituellen zu trennen, das zu trennen, was vom Menschen kommt und das, was von Gott kommt. Öffentliche Angelegenheiten und private Angelegenheiten. Tatsächlich aber lehrt uns die Geschichte, dass es nicht so einfach ist.“
Erzbischof Aupetit spricht über die Herrscher und die Könige, die seit der Zeit Kaiser Konstantins die Dinge der Kirche regeln wollten. Konstantin auf dem Konzil von Nicäa, welches dieser nach der Erlangung seiner Alleinherrschaft im Jahr 324/25 einberief, Karl der Große, „der in die Streitereien eingriff, … um die heikle Frage des Filioque zu lösen“, jene Frage um den Hl. Geist, „der aus dem Vater“ bzw. „dem Vater und dem Sohn (= filioque) hervorgeht.“ Hierzu lud der Kaiser zur Synode von Aachen ein, nachdem im frühen Mittelalter Gott, dem „Vater“, der im Glaubensbekenntnis von Nicäa-Konstantinopel ursprünglich allein genannt wurde, „der Sohn“ ohne Beschluss aller Theologen hinzugefügt wurde. Im Weiteren erwähnt Aupetit den deutschen Kaiser Heinrich IV., der um das Jahr 1000 die Bischöfe anstelle des Papstes ernennen wollte oder Heinrich VIII. von England, „der sich als Kirchenoberhaupt selbst einsetzte.“ Doch „rühmten sich … im Gegenzug … Männer der Kirche, Staaten zu regieren oder sich in ihre Angelegenheiten einzumischen. Ich denke“, fährt der Erzbischof fort, „dass dies eine ewige Frage ist, … zu der uns Christus eine einfache Lösung an die Hand gibt. Christus nannte uns das fundamentale Prinzip: ‚Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.‘ “
Folgen wir nun den Ausführungen Michel Aupetits zum Verständnis von Staat und Kirche und seinen hieraus dargelegten Überlegungen zur Befolgung von Gesetzen und Gewissen „Es gibt eine Tradition in der Kirche, die seit Beginn des Christentums überliefert wird.“ Dann verweist er auf Paulus sowie auf Petrus: „Paulus schreibt es an die Römer und an seinen Jünger Timotheus, auch Petrus sagt das Gleiche. Einerseits fordern sie Respekt vor der Autorität, fordern Bürgerbeteiligung und Gehorsam gegenüber den Gesetzen des Landes, in dem die Christen leben (Röm 13,1; 1Tm 2,1-2; 1 Petr. 2,13-14). Das ist eindeutig.
Aber gleichzeitig schätzt die katholische Tradition den Vorrang des Gewissens. Es ist wiederum der heilige Petrus, er, der in seinem ersten Brief über den Gehorsam der legitimierten staatlichen Autorität gegenüber schreibt, dann ebenso sagt: ‚Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.‘ (Apg 5,29). Daher weigerten sich z.B. die frühen Christen, den Kaiser von Rom als Gott anzubeten. Sie haben es mit ihrem Leben bezahlt.
Es gibt den Moment, in dem wir nicht mehr gehorchen können, wenn unser Gewissen schwer tangiert ist. Noch heute ist es legitim, das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen geltend zu machen, wenn eine inakzeptable Ungerechtigkeit auftritt. Dieser Einspruch ist sogar eine Pflicht. So drückt es Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Evangelium Vitae aus, dass dies eine Pflicht sei“ (Evangelium Vitae, 73, s. insbesondere Abtreibung und Euthanasie).
Als konkretes Beispiel führt Erzbischof Aupetit den 2. Nürnberger Prozess an, wo dieser Grundsatz den Ärzten der Konzentrationslager entgegengehalten wurde. Diese hatten sich auf ihren Gehorsam gegenüber Befehlen berufen, um ihr Verhalten zu rechtfertigen. Aupetit erinnert daran, dass es bei diesen als schlecht angesehen wurde, seinem Gewissen zu folgen, … um dann unmissverständlich zu betonen, dass das Gewissen an erster Stelle stehe. Und dass es „nicht akzeptabel …ist, eine Handlung durchzuführen, die dem eigenen Gewissen widerspricht, wie beispielsweise eine Abtreibung für einen Arzt, der den hippokratischen Eid geleistet hat.“ Er verweist, nicht nur als Gottesmann, sondern gerade auch als Arzt, auf „die absolute Achtung vor jedem menschlichen Leben“, der im Eid des Hippokrates festgeschrieben ist und, die Abtreibung im Blick, auf dessen Satz, den er zitiert: „Ich werde kein abtreibungsförderndes Pessar geben.“
Es sei nicht einfach, den Mittel-Weg zu finden, dem Gewissen einerseits und der legitimierten Autorität andererseits zu folgen. Er rät daher, „einmal zuzuhören, was Jesus sagt. Jesus antwortet Pilatus, der meint, er habe das Recht, über sein Leben oder seinen Tod zu bestimmen: ‚Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben würde‘ (Joh. 19,11).“ Michel Aupetit sieht hierin das Subsidiaritätsprinzip verkörpert, das er näher darlegt: „Ein Mensch kann nur das machen, was Gott … letztlich zulässt …“ und folgert daraus, den Blick auf die staatlichen Autoritäten gerichtet: „Daher ist es auch richtig, die legitimierte Autorität anzuerkennen, zu respektieren.“
An dieser Stelle geht er zur ersten Lesung über, dem Text aus dem Propheten Jesaja (Jes. 45,1.4-6), um seine oben erörterte wie auch die folgenden Aussagen zu verdeutlichen. „Gott lässt einen Mann regieren, weil er in seine Pläne eintritt …, Cyrus, den König von Persien…“ Der Erzbischof weist auf die zentrale Rolle und auf die Macht hin, die Cyrus in Babylon nach dem Willen Gottes innehatte: „Er befreite die Juden, er erlaubte ihnen, in ihr Land zurückzukehren und den Tempel wiederaufzubauen. Deshalb nennt ihn der Prophet einen Gesalbten … Gott hatte ihn bestimmt, seinen Willen zu erfüllen… Cyrus kannte Gott gar nicht. Doch Gott nimmt Menschen in seinen Dienst, um die Geschichte nach seinem Willen fortzuführen… Daher muss eine Autorität ihre Rolle zum Wohl aller ausüben. Zum Wohl aller!
Und wenn sie ihre Rolle zum Wohl aller ausübt, muss sie respektiert werden. Wenn die Autorität andererseits ihre Funktion überschreitet und gegen das Gemeinwohl verstößt, werden ihre Entscheidungen ungültig.“ Dann erklärt Aupetit das Gemeinwohl, welches sich von dem allgemeinen Interesse unterscheide und dass dieses nicht von der Mehrheit abhänge, sondern das Wohl der Gemeinschaft im Blick habe, „das Wohl aller ohne Ausnahme. Es ist das Wohl eines jeden, persönlich und aller zusammen.“ Dass es die Schwächsten unterstütze und durchaus auch unabhängig von einer Verbindung zu Gott geregelt sein könne.
Aber „Christen, die von der Liebe Gottes inspiriert sind, reagieren besonders sensibel darauf. Sie können und sie müssen sich für das Gemeinwohl (res publica) im Dienste des Wohls aller einsetzen…“ In diesem Zusammenhang nennt Michel Aupetit das Beispiel, dass sich Katholiken gemäß den Worten des Evangeliums gerne für die caritativen Aktivitäten engagieren… die nicht gerade sehr geschätzt würden… Doch sei es eine vollkommene, eine noble Sache, sich für das Gemeinwohl einzusetzen… seinen Brüdern und Schwestern und dem Gemeinwohl zu dienen… Und man damit nie gegen das Gewissen handle…
„Sie sollten jedoch niemals vergessen, dass die Quelle ihres Handelns von Gott kommt, der Liebe ist. Wenn unsere Münzen nach dem Bild des einen oder anderen Regierenden von heute geprägt sind, sind wir hingegen – und das für immer – nach dem Bilde Gottes geprägt. Die Herrschenden wechseln, Gott aber bleibt.“
Auszüge aus: Homélie de Mgr Michel Aupetit. Messe à Saint-Germain l’Auxerrois – Dimanche 18 octobre 2020, in: Homélies - Diocèse de Paris. L’église catholique à Paris und Messe du St. Germain l‘Auxerrois, Dimanche 18 octobre 2020, KTOTV (Télévision Catholique). Predigt zu den Texten: Matth. 22,15-21; Jes. 45,1.4-6. Übersetzung für kath.net: Dr. Juliana Bauer.
Archivfoto Erzbischof Aupetit (c) Erzbistum Paris
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