30. November 2020 in Spirituelles
"In den letzten Jahrzehnten ist eine Art weltlicher Fortschrittsglaube ins Innere der Kirche eingedrungen. Man hat viele geistliche Schätze aufgegeben oder relativiert und versucht, sich der Welt anzupassen" - Gedanken von Dekan Ignaz Steinwender
Salzburg (kath.net/Pfarre Zell)
Wort des Tages – Erhebt euer Haupt! Liebe Gläubige! Liebe Wirtschaftstreibende! Liebe Denker!
Heute wollte ich eigentlich keinen Kommentar schreiben. Im heutigen Evangelium (Lk 21,5-11) spricht Jesus von Kriegen, Unruhen, Erdbeben, Hungersnöten und anderen schrecklichen Dingen. Ich dachte mir: Schon wieder so viel Dramatisches. Was soll ich dazu schreiben? Wenn man dieses Evangelium hört, dann könnte man meinen, die Bibel sei pessimistisch. Sollen wir nicht optimistisch sein? Ist es nicht eher zermürbend, von diesen Dingen zu hören? Müsste man da nicht Angst bekommen? Da fiel mir dann während der Anbetung doch etwas ein, da muss ich aber weiter ausholen.
Die Bäume wachsen nicht in den Himmel
Vor ca. 38 Jahren war ich bei einem Seminar der jungen ÖVP im Flachgau (Seebrunn) und da hörten wir auch einige Vorträge. Einen habe ich noch in guter Erinnerung. Der damalige Landesrat und spätere Landeshauptmann Johannes Katschthaler hielt einen sehr interessanten Vortrag über die soziale Marktwirtschaft. Katschthaler stammte aus dem Pongauer Ort Embach und war ein Verwandter des Zillertaler Kardinals Johannes Katschthaler, dessen Vater vor seiner Übersiedlung nach Hippach Lehrer, Mesner und Organist in Dorfgastein war. Der Vortrag war sehr spannend und informativ, nur in einem Punkt konnte ich nicht folgen. Der Referent sagte sinngemäß, dass das System darauf beruhe, dass es ein Wachstum geben müsse. Ich stellte dann eine Frage und meinte, dass es nicht immer ein Wachstum geben könne. Irgendwann werde es einen Punkt geben, wo es kein Wachstum mehr geben kann. Ich fragte dann, ob man darauf vorbereitet sei bzw. was man dann tun werde. Ich weiß die Antwort nicht mehr genau, aber ich hatte den Eindruck, dass er auf diese Frage nicht wirklich einging bzw. nicht eingehen konnte. Jetzt sind wir offenbar an diesem Punkt angelangt. Wir haben erkannt, was meine Großmutter schon immer wusste: Die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Und jetzt habe ich wieder ein Problem. Wie ich vorher nicht verstand, dass es immer ein Wachstum geben könne oder müsse, verstehe ich jetzt noch weniger, wieso man so radikal herunterfährt mit der Wirtschaft. Am allerwenigsten verstehe ich, dass die Wirtschaftstreibenden, aber auch die Bevölkerung insgesamt, dies einfach hinnehmen. Am schmerzlichsten ist es für mich, dass die Kirchenführer diese kollektive Selbstabschaffung noch moralisch unterstützen, anstatt prophetisch die Stimme zu erheben und vor den schwerwiegenden Folgen der Unverhältnismäßigkeit, die sich bereits deutlich abzeichnen, zu warnen.
Die Bibel ist realistisch und hoffnungsvoll
Jetzt muss ich aber wieder zum Evangelium zurückkehren. Die Bibel ist weder pessimistisch, noch optimistisch. Die Bibel vertritt im Gegensatz zu den alten Griechen, die die ewige Wiederkehr des Gleichen lehrten, die Ansicht, dass die Geschichte auf ein Ziel hingeordnet sei. Statt dem Chronos, dem quantitativen Zeitverständnis, dem irgendwie auch die Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen entspricht, tritt der Kairos, das qualitative Zeitverständnis, die Zeit als die Gunst der Stunde, entscheidend für das größere Ziel.
In der Bibel ist die Geschichte eine Heilsgeschichte, die auf ein Ziel hinläuft. Die Bibel vertritt daher weder die Idee von der ewigen Widerkehr des Gleichen, noch die Idee vom immer größeren Fortschritt und auch nicht die Idee vom automatischen Zerfall. Die Geschichte ist vielmehr der Ort, wo das Reich Gottes verborgen wächst in der Auseinandersetzung mit den widergöttlichen Mächten. Für den Christen ist klar: Christus selbst ist der Herr der Geschichte. Der Sieg ist schon vollbracht. ER hat durch Kreuz und Auferstehung gesiegt. Jetzt geht es eigentlich nur mehr darum, dass wir auf seiner Seite, auf der Seite des Siegers sind. Am Ende der Zeit wird der Sieg Christ offenbar werden.
Mit dieser Sichtweise können wir Christen die Welt nüchtern betrachten. Wir müssen die Welt nicht retten, weil es gar nicht ginge, wir sind aber berufen, Diener Gottes und seiner Schöpfung zu sein, d. h. am Aufbau der Gesellschaft mitzuwirken.
Wir glauben nicht an den automatischen Fortschritt, den es nicht gibt und auch nicht daran, dass alles, was als fortschrittlich gilt, automatisch auch gut ist, wir glauben aber an einen geistlichen Fortschritt, der darin besteht, dass wir unsere Kindschaft Gottes entfalten, dass wir den Glauben vermehren, dass wir die Hoffnung stärken und dass wir in uns das Feuer der Liebe entzünden. Indem wir das tun, werden wir immun gegen verschiedene Ideologien und können der Welt gerade das geben, was sie aus sich heraus nicht hat, eine Hoffnung, die auch in schwierigsten Lagen noch trägt. Zugleich gewinnen wir dadurch viele Eingebungen und eine tiefere Motivation, am Aufbau der Gesellschaft wirksam mitzuwirken.
Die Herausforderung für Christen – die Alternative zum Lockdown
Mir ist bewusst, dass es momentan in der Gesellschaft eine große Spaltung gibt, die zB durch sprachliche Entgleisungen der Medien weiter geschürt wird. Es gibt viele Sorgen, Ängste und Unsicherheiten. Ich persönlich bin dankbar, dass ich keine Angst habe. Was mir am meisten Sorgen bereitet, ist der drohende selbstverursachte wirtschaftliche Zusammenbruch, jedoch nicht weil ich die Wirtschaft für wichtiger als die Gesundheit hielte, sondern weil durch das Herunterfahren der Wirtschaft auch das Gesundheitswesen empfindlich getroffen wird und dadurch ein negativer Teufelskreislauf entstehen könnte. Wir haben deshalb eine hohe Volksgesundheit und einen hohen medizinischen Standard mit hoher Lebenserwartung, weil eben die Wirtschaft floriert. Ich fürchte, dass wir durch den unverhältnismäßigen Lockdown auch das Gesundheitssystem schwer beeinträchtigen und dadurch, wenn auch im guten Glauben, mehr Schaden anrichten als wir zu vermeiden glauben.
Hier stellt sich aber auch die ganz konkrete Frage: Was soll ein Christ in dieser Situation tun? Mir fällt darauf eine allgemeine Antwort ein und eine besondere, mehr konkrete, für den Einzelnen.
Allgemein sei gesagt. Der Christ soll in weltlichen Dingen weder optimistisch noch pessimistisch sein, weil er nicht von dieser Welt ist. Er soll realistisch sein. Dieser weltliche Realismus soll sich mit der christlichen Hoffnung paaren, die viel mehr ist als ein Optimismus.
Um realistisch sein zu können, muss man gelegentlich auch gegen den Strom schwimmen, leider auch innerhalb der Kirche. Die Kirche oder richtig gesagt viele hohe Vertreter der Kirche sind in einer Krise. In den letzten Jahrzehnten ist eine Art weltlicher Fortschrittsglaube ins Innere der Kirche eingedrungen. Man hat viele geistliche Schätze aufgegeben oder relativiert und versucht, sich der Welt anzupassen. Viele haben das Kerngeschäft der Seelsorge verlassen und sich als Mitläufer und Anpassler der Politik und Medien angebiedert. Es gibt einen Spruch der besagt: Wer mit dem Zeitgeist verheiratet ist, ist bald Witwer. Wenn man heute in ist, ist man morgen out. Der Philosoph Platon sagt: „Ich kenne keinen sicheren Weg zum Glück, aber es gibt einen sicheren Weg zum Unglück, nämlich es allen recht machen zu wollen.“ Wer mit der Zeit geht, wird mit der Zeit gehen, also überflüssig. Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom.
Der Lockdown ist von seinem Prinzip her eigentlich nicht christlich. Das Christentum ist von seinem Wesen, von Gott her schöpferisch, im wahrsten Sinne des Wortes creativ. Ein Lockdown, so gut er gemeint sein mag, widerspricht an sich dem Schöpfungsauftrag der Bibel, er widerspricht der Vernunft und ist ethisch in dieser Radikalität nicht verantwortbar. Dass die Führer einer verweltlichten, angepassten Kirche den Lockdown als alternativlos ansehen und ihm nichts entgegenzusetzen haben, erscheint nicht verwunderlich. Dass man dazu aber auch noch einen kirchlichen Lockdown veranstaltet, das ist eine ganz schwerwiegende Angelegenheit und das Vertun einer großen Chance. Jetzt wäre der Kairos, die Gunst der Stunde, für die Kirche gekommen. Die Menschen brauchen Hoffnung, Mut, Zuversicht und man sollte ihnen den Zugang zu allen Heilsmitteln ermöglichen und nach Kräften fördern, anstatt ihn zu erschweren oder verwehren.
Im Lukasevangelium schildert Jesus in Anschluss an das heutige Evangelium die Verfolgung seiner Anhänger, das Gericht über Jerusalem und kosmische Erschütterungen vor dem Kommen des Menschensohnes an und fügt dann hinzu: „Wenn „all das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.
Liebe Gläubige: Nehmen wir diese Aufforderung Jesu ernst. Erheben wir das Haupt. Das heißt für jeden einzelnen von uns: die Angst ablegen, auf Christus schauen, den Hausverstand benützen, wenn es sein muss, mutig widersprechen und vor allem mit gutem Beispiel vorangehen.
Einige konkrete Anregungen: Vor kurzem bekam ich einen Anruf von einem lieben Bekannten, der noch im Kommunismus aufgewachsen ist. Er hat sich bedankt für den Homepagebeitrag über den Lockdown. Dann hat er mir von einem ungarischen Priester erzählt, der zehn Jahre sibirisches Straflager überlebte und 101 Jahre alt wurde. Dieser hat vier Dinge genannt, die ihm und seinen Kameraden geholfen hatten, das Straflager zu überleben:
1. Kein Selbstmitleid aufkommen lassen
2. Jeden Tag versuchen, trotz aller Umstände Schönes und Gutes zu entdecken und dieses betrachten
3. Die Situation, so wie sie jetzt ist, in Demut annehmen
4. Jeden Tag die Heilige Messe feiern
Dieser Priester hat die Messe unter ganz primitivsten Möglichkeiten meistens um 02.00 Uhr nachts gefeiert, weil zu der Zeit die Wachen nicht anwesend waren.
In der Messe feiern wir den Sieg Jesu, der schon vollbracht wurde und an dem wir Anteil haben dürfen, wenn wir unser Haupt erheben und die Erlösung von IHM erwarten.
Euer Dekan
Ignaz Steinwender
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