Erscheint uns wieder der Stern von Bethlehem?

30. November 2020 in Spirituelles


Ob auch die Nahbegegnung der beiden Planeten vor dem Weihnachtsfest des Corona-Jahres 2020 eine prophetische Bedeutung hat, bleibt zumindest abzuwarten. Sicher aber lädt sie uns ein, zurückzublicken auf die erste Weihnacht - Von Michael Hesemann


Linz (kath.net)

Es ist mehr als eine astronomische Kuriosität, wenn sich am 21. Dezember die Planeten Jupiter und Saturn am Nachthimmel scheinbar so nahekommen, wie sie es seit 800 Jahren nicht mehr taten. Denn die „Jupiter-Saturn-Konjunktion“, wie Astronomen sie nennen, hatte einen historischen Präzedenzfall, der sich unmittelbar vor der Geburt Christi ereignete. So hielten Astronomen und Exegeten die scheinbare Begegnung der beiden Riesenplaneten lange für den historischen „Stern von Bethlehem“, von dem das Matthäus-Evangelium in seiner Weihnachtserzählung berichtet. Er soll den Magoi, also sternkundigen Priestern aus der persischen Provinz Medien, den Weg nach Jerusalem und schließlich zum Kind in der Krippe gewiesen haben.

Urheber dieser Hypothese ist der Astronom, Mathematiker und Theologe Johannes Kepler (1571-1630). Im Dezember 1603 hatte Kepler, damals kaiserlicher Hofmathematiker in Prag, durch sein Fenster eine Begegnung von Jupiter und Saturn im Sternbild Schlangenträger beobachtet. Ab Herbst 1604 kam, jetzt am Abendhimmel, der Planet Mars hinzu. Als am 9. Oktober im gleichen Sternbild eine Supernova aufflammte, war er überzeugt, dass die Begegnung der drei Planeten einen „neuen Stern“ hervorgebracht habe. Er konnte nicht ahnen, dass kein Zusammenhang zwischen den beiden Himmelserscheinungen bestand. Und dass es sich bei der Supernova nicht um eine Sternengeburt, sondern eine Sternenexplosion in 14.000 Lichtjahren Entfernung handelte. So oder so war Kepler überzeugt, durch diese Beobachtung das Rätsel des Sterns von Bethlehem gelöst zu haben. Tatsächlich kam es, wie seine Berechnungen ergaben, nur wenige Jahre vor dem (fiktiven) „Jahr 0“ zu gleich drei Jupiter-Saturn-Konjunktionen im Sternbild der Fische, nämlich im Mai, im September und im November – wie Kepler eventuell durch einen Rechenfehler glaubte 5 v.Chr., tatsächlich aber 7 v.Chr.

So griff der italienische Astronom Konradin Ferrari d’Occhieppo ab 1964 Keplers These wieder auf, um die Geburt Christi auf 7 v.Chr. zu datieren. Er wies nach, dass babylonische Astronomen regelrechte Tagebücher über solche Konstellationen führten und dass in der antiken Astronomie der Jupiter als Königsstern galt, während der Saturn für die „Amurru“, die „Westlande“ stand, aber auch für den geheimnisvollen Gott der Juden; immerhin war ihnen doch der Saturn-Tag, der Schabat (der heute noch im Englischen Saturday heißt), heilig. Wahrscheinlich hätte jeder Astrologe zwischen Euphrat und Tigris und darüber hinaus das dreifache Himmelszeichen als Ankündigung der Geburt eines bedeutenden „Königs der Juden“ verstanden. Die zwei Monate, die zwischen September und November lagen, reichten aus, um aus Babylon oder Medien nach Judäa zu reisen, und so datierte d’Occhieppo die Ankunft der Magoi in Jerusalem auf November 7 v.Chr. Damals, genauer gesagt: Am 12. November, hätten sie das Doppelgestirn vor sich gehabt, wenn sie abends Richtung Bethlehem aufgebrochen wären. An der Spitze des Zodiakallichtkegels stehend hätte es ausgesehen, als würde ein Strahl von ihm ausgehen und direkt auf die Stallhöhle der Heiligen Familie leuchten.

Doch so interessant d’Occhieppos Hypothese auch klang, die sogar in Papst Benedikts Trilogie „Jesus von Nazareth“ zitiert wird, sie rief auch bald begründete Zweifel auf den Plan. Zwar standen die beiden Planeten tatsächlich so dicht nebeneinander am Nachthimmel, wie es nur alle achthundert Jahre geschieht, doch waren sie auch 7 v.Chr. noch deutlich zu unterscheiden. Dazu passt nicht, wenn im Matthäus-Evangelium nur von einem Stern die Rede ist. Noch weniger passt die Datierung zu der alten Jerusalemer Lokaltradition, die im 4. Jahrhundert das „Fest der Unschuldigen Kinder von Bethlehem“ am 18. Mai feierte; übrigens in Einklang mit der koptischen Tradition, die seit frühester Zeit der Ankunft der Heiligen Familie in Ägypten – nach ihrer Flucht vor den Schergen des Herodes – am 1. Juni gedenkt. Auch der Verweis des Italieners nach Babylon, das im 1. Jahrhundert v.Chr. längst seine große Zeit hinter sich hatte, ist unbiblisch, da im Matthäus-Evangelium eindeutig von „Magoi“ die Rede ist; die Magoi aber waren die Priester der Meder, ihre Hauptstadt war Ekbatana und ihr Prophet Zoroaster, den die Griechen Zarathustra nannten. Der lebte etwa zeitgleich mit den Propheten Daniel, also im 6. Jahrhundert v.Chr. und prophezeite das Kommen eines „Saoschyant“, eines „Heilbringers“ durch eine Jungfrau. Seine Geburt, so sagte er voraus, würde durch einen „neuen Stern“ angekündigt werden, nachdem seine Schüler Ausschau halten sollten. So zitiert Abulfaragius, ein christlicher Araber aus dem 13. Jahrhundert, sich auf persische Quellen berufend, die zoroastrianische Prophezeiung wie folgt: „Ihr, meine Söhne, werdet seinen Aufgang vor allen anderen Völkern bemerken. Sobald, darum, ihr den Stern erblickt, folgt ihm, wohin auch immer er euch führen wird, verehrt das geheimnisvolle Kind und bietet ihm mit tiefster Demut Geschenke an.“ Da Ekbatana eine große jüdische Kolonie hatte, die von Königin Esther begründet worden war, ist davon auszugehen, dass den Magoi auch die jüdische Messiaserwartung bekannt war, und sie diese mit ihrer Saoschyant-Prophezeiung in Verbindung brachten.

Den Durchbruch bei der Lösung des Rätsels um den Stern von Bethlehem aber brachte erst das Buch des prominenten britischen Astronomen Mark Kidger, der das weltberühmte Institut für Astrophysik auf den Kanarischen Inseln leitet. Es erschien 1999 unter dem vielleicht allzu nüchternen Titel „Star of Bethlehem: An Astromomer‘s View“ im renommierten aber viel zu wissenschaftsorientierten Verlag der Princeton-Universität – und fand entsprechend wenig Beachtung, was nun wirklich zu bedauern ist. Denn in seinem Werk zeigt Kidger nicht nur auf, dass auf die dreifache Jupiter-Saturn-Konjunktion noch zwei weitere Konstellationen folgten, die jeden Magoi-Astrologen hellhörig machen mussten; er griff auch, als Erster plausibel, Keplers Supernova-Hypothese wieder auf.

Tatsächlich, so Kidger, hätten die Magoi die Ereignisse des Jahres 7 v.Chr. wahrgenommen, in ihnen aber noch keinen Grund gesehen, nach Jerusalem aufzubrechen. Was kümmerte sie, wenn bei den Juden ein neuer König geboren wurde, vielleicht ein Sohn des brutalen Herodes? Erst ein zweites Himmelszeichen ließ sie aufhorchen. Gleich im nächsten Jahr, 6 v.Chr., kam es zu einer ebenfalls dreifachen Konjunktion von Jupiter, Saturn und Mars im Sternbild der Fische. Mars stand für eine bedeutende Umwälzung, die Fische für den astrologischen Frühlingspunkt, sprich: für ein neues Zeitalter. Freilich war diese Konjunktion nur astrologisch von Bedeutung, am Himmel wirkte sie eher unspektakulär. Das änderte sich am 20. Februar 5 v.Chr., als der junge Mond und Jupiter auf der einen Seite, Saturn und Mars auf der anderen zwei ungleiche Paare am Himmel bildeten. Damit war für die Magoi astrologisch nicht nur angezeigt, dass ein großer König (Jupiter) geboren wird und aufsteigt (junger Mond), um über Israel (Saturn) zu herrschen, sondern auch, dass er das Böse bekämpfen (Mars) und ein neues Zeitalter (Fische) einläuten würde, was der Prophezeiung des Zarathustra schon ziemlich nahe kam.
Doch dann, während die Magoi sicher erwartungsvoll den Winterhimmel nach neuen Zeichen absuchten, geschah das Unerwartete: Urplötzlich, als auch die Sonne im Sternbild der Fische stand, Mitte März 5 v. Chr., flammte im Sternbild Adler ein neuer Stern auf – eine Supernova nahe dem Stern Theta Aquilae 76, von der laut Kidger das chinesische Buch „Ch’ein-han-shu“ und die koreanische „Samguk Sagi“-Chronik berichten. 76 Tage lang, so hielten die asiatischen Astronomen fest, war sie am Himmel zu sehen, also bis etwa Mitte Mai.

Der Adler war bei den alten Persern und Medern, den Anhängern Zoroasters, das Symbol für Ahura Mazda, ihren höchsten Gott. Der „neue Stern“ im Sternbild Adler konnte für die Magoi also gar nichts anderes bedeuten, als dass dies der Stern des Saoschyant war, dass jetzt ihr Heilbringer geboren würde, ganz wie es ihr Prophet Zarathustra vorausgesagt hatte, und zwar tatsächlich, konform mit den Messiaserwartungen der Juden, im Lande Juda. Für die Juden wiederum stand immer fest, dass ihr Messias im Monat Nisan geboren würde, im Frühlingsmonat März, in dem schon Moses sie aus der Sklaverei in Ägypten ins Gelobte Land geführt hatte. Die frühen Christen schließlich glaubten noch, Jesus sei am 14. Nisan geboren worden, dem gleichen Tag, an dem er am Kreuze von Golgota starb; noch heute erinnert das Kirchenfest „Mariä Verkündigung“ an diese Tradition, wenn es auch nach römischem Verständnis umgedeutet wurde, als Tag der Empfängnis statt der Geburt. Eine Geburt am 25. Dezember, der erst im 4. Jahrhundert zum Weihnachtsfest erklärt wurde, ist dagegen mit dem Bericht des Lukas unvereinbar. Zwischen November und dem 1. Nisan lagerte im ganzen Judenland kein Hirte auf der Weide, weil die Schafe zum Schutz vor der Winterkälte in die Ställe getrieben wurden. Zu diesem Zeitpunkt stand in Bethlehem also nicht einmal mehr eine leere Stallhöhle als Ort der Menschwerdung zur Verfügung.

Nun gibt es gleich zwei Apokryphen von der Geburt Jesu, die, ohne dass Kidger davon wusste, seine These stützen. So zitiert das „Protevangelium des Jakobus“, das aus dem frühen 2. Jahrhundert stammt und im judenchristlichen Milieu der „Herrenverwandten“ entstand, die Magoi mit den Worten: „Wir sahen einen gewaltigen Stern, der leuchtete unter den anderen Gestirnen auf und ließ ihr Licht verblassen“, was perfekt zu einer Supernova passt. „Da kamen Magoi aus dem Osten nach Jerusalem, wie Zeraduscht vorausgesagt hatte“, heißt es im sogenannten „Arabischen Kindheitsevangelium“, dessen älteste bekannte Handschrift aus dem 4. oder 5. Jahrhundert stammt.

Wenn sich die Magoi Mitte März 5 v.Chr. in Ekbatana auf den Weg machten und die gut 2000 Kilometer nach Jerusalem zurücklegten, werden sie 50 Tage dafür gebraucht haben und tatsächlich Mitte Mai in Jerusalem eingetroffen sein. Sicher lehnten sie, um ihn nicht zu brüskieren, die Gastfreundschaft des Herodes nicht ab und übernachteten in seinem Palast, bevor sie bei Anbruch des Morgens aufbrachen und sich auf den Weg nach Bethlehem machten. Entsprechend der Himmelsmechanik würde ein Stern, der zuerst im Osten zu sehen war, jede Woche eine halbe Stunde früher am Himmel erscheinen, bis er, nach zwei Monaten, exakt im Süden steht. Da Bethlehem exakt sechs Kilometer südlich der Westmauer Jerusalems und des von ihr flankierten Herodes-Palastes liegt, müssen sie die Supernova auf ihrem halbstündigen Ritt immer vor sich gehabt haben, bis auch sie im Streulicht des Zodiakallichtkegels am Horizont verschwand.

Im Gegensatz zu d’Occhieppos Hypothese beantwortet Kidgers Deutung auch, weshalb Herodes Befehl gab, „alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren (zu) töten, genau der Zeit entsprechend, die er von den Sterndeutern erfahren hatte“, wie es ausdrücklich im Matthäusevangelium (2,16) heißt. Denn ganz sicher haben die Magoi dem König und seinen Gelehrten von der ganzen Serie von Beobachtungen berichtet, die sie nach Jerusalem geführt hatten, beginnend mit der ersten Jupiter-Saturn-Konjunktion im Mai 7 v.Chr., also exakt zwei Jahre vor dem verhängnisvollen Besuch in Jerusalem. Natürlich konnten weder sie noch der Herodes zu diesem Zeitpunkt sicher sein, welche Phase des Himmelsgeschehens nun tatsächlich die Geburt des „neuen Königs“ signalisiert hatte.

Ob auch die scheinbare Nahbegegnung der beiden Planeten vor dem Weihnachtsfest des Corona-Jahres 2020 eine prophetische Bedeutung hat, bleibt zumindest abzuwarten. Sicher aber lädt sie uns ein, zurückzublicken auf die erste Weihnacht, als selbst die Himmel die Geburt des Erlösers verkündeten!

 

BUCHTIPP:

Michael Hesemann, Jesus von Nazareth: Archäologen auf den Spuren des Erlösers (Deutsch) Gebundene Ausgabe – 6. Oktober 2013, 22 Euro

 


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