Aupetit: Sind wir Christen heutzutage völlig „ausgeschaltet“ oder wenigstens im Standby?

7. Dezember 2020 in Spirituelles


Pariser Erzbischof erläutert christliche Bereitschaft anhand des Smartphones: „Wenn die Christen komplett ‚ausgeschaltet‘ sind, d.h. nicht in Bereitschaft sind, ist es sehr schwierig, sie wieder neu zu begeistern.“ Gastbeitrag von Juliana Bauer


Paris (kath.net) Pünktlich zum Ersten Adventssonntag konnten die französischen Christen das Gottesdienstverbot abschütteln und ihre Kirchen, wenn auch unter Berücksichtigung massiver Hygienemaßnahmen und Begrenzung der Personenzahl, wieder aufsuchen. Der Pariser Oberhirte Michel Aupetit machte bei der Predigt zum Ersten Advent in Saint-Germain-l’Auxerrois in Paris aus seiner überquellenden Freude, in seiner „Kathedrale“ wieder Gläubige begrüßen zu dürfen, keinen Hehl – ohne natürlich die vielen tausend an den Bildschirmen zu vergessen.

Eben so wenig verbarg er seine lebendige Freude über das Kommen Jesu in unsere Welt und seine verheißene Wiederkunft. „Seid wachsam!“ Die Aufforderung Jesu bezüglich seiner Ankunft, das prägende Wort für die Tage des Advents und überliefert im Markus-Evangelium (Mk 13, 33-37), legte Michel Aupetit seiner Gemeinde denn auch sinnträchtig – und in freier Rede – aus: tiefsinnig an der Aussage Jesu orientiert, aber auch entlang des Alltags der heutigen Christen und entlang der natürlichen Ereignisse und Empfindungen des Mensch-Seins, die er den Sprachbildern Jesu lebensnah, mit einem Schuss des ihm eigenen Humors – von einer Kommentatorin als drollig bezeichnet –, wie auch mit Feinfühligkeit zu verbinden weiß. Es ist eine ungewöhnliche, ja zärtliche Advents-Predigt.

„Chers amis, liebe Freunde“, ruft der Erzbischof in den adventlichen Kirchenraum. „Ich stelle mir vor, Ihr habt ein Handy dabei. Die Frage ist nun, habt ihr es im Standby-Modus oder habt ihr es ausgeschaltet? Das ist nicht dasselbe. Wenn es sich im Standby-Modus befindet, kann es sofort neu gestartet werden. Dafür genügt nur ein Klick. Ist es komplett ausgeschaltet, ist es schon schwieriger… In Bereitschaft zu sein, bedeutet nämlich immer wach zu sein… Die Frage, die sich uns Christen heute stellt, ist diese: Sind wir völlig „ausgeschaltet“ oder sind wir in Bereitschaft? Wenn die heutigen Christen komplett „ausgeschaltet“ d.h. nicht in Bereitschaft, nicht ansprechbar sind, ist es sehr schwierig, sie wieder neu zu entfachen, zu begeistern. Da ist dann nichts zu erhoffen. Sind wir aber in Bereitschaft, dann sind wir sofort reaktionsfähig; wenn der Herr jetzt käme, wären wir ganz schnell bereit, ihn zu empfangen…

Wenn der Herr uns sagt: ‚Wachet! Seid wachsam!‘, ist das ein Imperativ, eine Aufforderung, das ist nicht dem eigenen Belieben anheimgestellt. Es ist wichtig, immer wach zu bleiben, in Bereitschaft zu sein. Wach zu bleiben, wenn die anderen schlafen. Jesus sagt klar: ‚Habt acht!‘ Das ist zudem klassisch für die Zeit. Das ist auch biblisch. So sagt Gott zu Jerusalem: ‚Über deine Stadtmauern, Jerusalem, habe ich Wächter bestellt‘ (Jes. 62,6). Es gab die vier klassischen Weckrufe: abends, um Mitternacht, beim Hahnenschrei und morgens. Und Jesus nimmt diese Weck-Zeiten wieder auf.

Er sagt uns: ‚Hab‘ acht, seht euch vor!‘ (Mk 13,33). Sich-Vorsehen bedeutet, dass wir aufpassen. Wir sind also Wächter. Ihr wisst, es gibt Menschen in vielen Berufen, die auf Abruf bereit sind, d.h. die wach bleiben, wenn andere schlafen: Feuerwehrleute, Polizisten, Ärzte, Krankenpfleger.

Ich erinnere mich an meine ersten Nacht-Wachen im Krankenhaus. Ich war aufgeregt, als ich auf den möglichen Notruf wartete. Ich konnte nicht schlafen, so blieb ich wach… Nach ein paar Monaten gewöhnte ich mich daran und schlief trotz des Bereitschaftsdienstes ein wenig ein.“ Michel Aupetit erzählt diese Episode aus seiner Zeit als junger Arzt, eine Episode, die ihn selbst belustigt. „Etwas eingeschlafen riss mich, wenn ein Notruf einging, dieser schreckliche Piepton aus dem Schlaf und nun…! Nun kommt ihr zum Patienten verstört, mit zerzaustem Haar und blass vor Müdigkeit… das war natürlich nicht ideal bei der Versorgung der Leute…

 Wenn wir also schlafen, sind wir nicht fähig, den Herrn so zu empfangen, als wären wir wach… Es wäre interessant zu wissen, ob wir Wächter sind, die den Herrn erwarten…Und wenn wir wachend sind, wen benachrichtigen wir dann? … Unsere Rolle als Wächter ist nämlich auch die, dass wir jene wecken, die schlafen… Gott weiß, sie sind zahlreich in unserem Land…“ Mgr Aupetit wiederholt unsere Bestimmung als Wächter und verweist schmunzelnd darauf, dass wir eher in leichtem Wachzustand seien, aber keine großartigen Wächter…, immerhin aber seien wir da…

„Wie also können wir die Zeit verstehen, in der wir uns gerade befinden? Wir sind in der Zeit des Advents. Und ich glaube, dass der Advent als Zeichen dafür steht, wie wir in dieser Welt heute leben. Der Herr ist gekommen. Und er wird wiederkommen. Vor 2000 Jahren ist er gekommen und er wird wiederkommen in Herrlichkeit. Ihr habt es gehört am vergangenen Sonntag. Alle Evangelien der letzten Sonntage sprachen von Jesu Wiederkunft in Herrlichkeit, in der sich alles durch ihn und durch seine Liebe wandeln wird.“ Der Erzbischof erklärt die heutige Zeit als eine zwischen den beiden Zeiträumen der Geburt Jesu und seiner zu erwartenden Wiederkunft und bezeichnet sie als die eigentliche Zeit des Advents. Daher wolle er diese mit der Entstehung des Lebens vergleichen und diese nun betrachten.

„An Weihnachten, als Jesus gekommen ist, fing das Leben an. Ich möchte Weihnachten daher als ‚Befruchtung‘ bezeichnen. Denn die Befruchtung ist neues Leben. Und in der Tat, wenn Gott Fleisch von unserem Fleisch annimmt, verbindet sich das Ewige Leben mit unserer Menschheit. Das ist der Beginn des Ewigen Lebens… Das ist eine Befruchtung. Und der Moment, in dem Jesus wiederkommt, ist wie eine Entbindung.“ Aupetits Gesichtsausdruck verrät Heiterkeit. „Was geschieht bei einer Entbindung? Man betrachtet das Baby, man nimmt es in die Arme, man betrachtet sein Gesicht. Man sieht, wie es wirklich ist. Das ist einfach wunderbar!“ Der im Leben stehende Erzbischof lässt seiner Begeisterung freien Lauf. „Und so werden wir Jesus sehen, erkennen, wer er ist, wenn er in seiner Herrlichkeit kommt. Aber die Zeit der Erwartung, in der wir heute leben…, was ist das für eine Zeitspanne? Das ist eine Schwangerschaft. Aber, ja! Aber klar ist das wie eine Schwangerschaft!“ Der Arzt Michel Aupetit wiederholt seine humorvoll pointierte Metapher, als wolle er sie seinen Zuhörern sanft „einhämmern.“  

Er fragt weiter, was sich in dem Zeitraum der Schwangerschaft abspielt. Betont das Wissen der Mutter um ihr Kind, das in ihr lebt, um die eindeutigen Zeichen, welche die Mutter fühlt, dass sie die lebendige Gegenwart ihres Kindes erkennt. Und er spricht von einigen Phasen der Schwangerschaft, er spricht davon, wie die Mutter die ersten Bewegungen des Kindes, wie sie die Tritte seiner Beinchen zu spüren beginnt. Er geht auf unsere hochentwickelte Technik ein, auf den Ultraschall, die es uns möglich macht, das Kind im Mutterleib zu sehen. „Zwar etwas verschwommen, man kann sein Gesichtchen nicht gut erkennen, aber man sieht, dass das Baby da ist…“ Und – hier lebt der Mediziner ganz mit – er kommt auf ein spezielles, weit entwickeltes Stethoskop zu sprechen, durch das der Arzt in der späteren Schwangerschaft die Herztöne des Kindes deutlich zu hören vermag…

Vom Wissen der Mutter um das Kind, das in ihr wächst, macht Michel Aupetit den Sprung zurück zu Christus. „Gott ist da, wie das Kind im Mutterleib, aber er ist nicht sichtbar.“ Wir seien noch nicht so weit, zu „entbinden.“ Was wir heute erleben würden, sei eben diese Realität. „Wir wissen aber, dass Jesus unter uns ist…, wir wissen, er ist da, wenn wir fähig sind, zu beten…“ Erzbischof Aupetit spricht von der Gegenwart Jesu im Gebet und davon, dass wir diese spüren, ja hören können… „Wenn wir in der Stille des Gebets aufmerksam sind, können wir das Schlagen des Herzens Gottes hören und wir können verstehen, dass er uns liebt und dieses Herz Gottes die unendliche Liebe ist…“

Über dieses Zeichen Gottes hinaus geht er auf ein weiteres ein, auf ein „phantastisches Zeichen“, das Christus uns in der Eucharistie gebe… „Und da gibt er uns seinen Leib als Speise, gibt er uns sein Blut als Trank…Und was macht eine Mutter? Was gibt sie ihrem Kind, das in ihrem Leib wächst? Sie nährt es über die Nabelschnur mit ihrem Blut…Wenn die Mutter das Kind nicht mit ihrem Blut nährt, dann stirbt es. Deshalb gibt uns Christus seinen Leib und sein Blut, um uns zu nähren… Auch wenn wir ihn nicht sehen, durch unseren Glauben wissen wir, dass er da ist… dass er es ist, den wir empfangen, dass er uns …  das ewige Leben schenkt, das vor 2000 Jahren begonnen hat … und dass wir am Tag unserer Taufe in diese Göttlichkeit eingetreten sind …

Liebe Brüder und Schwestern, seien wir also wachsam, wie eine Mutter, die auf ihr Kind in ihrem Leib Acht hat und darauf wartet, es zu sehen. Seien wir Wächter, die Acht haben auf die Gegenwart Gottes…, dass wir am Tag seiner Ankunft nicht überrascht sind. Seien wir wie eine Mutter, die voller Liebe ihr Kind erwartet und erwarten auch wir voller Liebe die Ankunft unseres Gottes!“

Umfassende Auszüge aus: Homélie de Mgr Michel Aupetit
Messe du 29 novembre 2020 à Saint-Germain-l'Auxerrois, KTOTV und Homélie de Mgr Michel Aupetit - Messe du 1er dimanche de l’Avent à St Germain l’Auxerrois - Dimanche 29 novembre 2020, diocèse de Paris. L’église catholique à Paris. Übersetzung für kath net: Dr. Juliana Bauer

 


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