Papst plant offenbar Libanon-Reise

28. Dezember 2020 in Weltkirche


Franziskus ruft in Brief an Kardinal-Patriarch Rai die libanesischen Politiker auf, dem öffentlichen Interesse zu dienen - Internationale Gemeinschaft müsse dem Libanon helfen, sich aus den regionalen Konflikten und Spannungen herauszuhalten


Beirut/Vatikanstadt (kath.net/KAP) Papst Franziskus hat in einem Schreiben an den maronitischen Patriarchen, Kardinal Bechara Boutros Rai, seine große Sorge um den Libanon zum Ausdruck gebracht. In dem zu Weihnachten an Rai gerichteten Brief legte der Papst laut Bericht des Pro-Oriente-Informationsdienstes (Montag) die aktuelle politische Situation des Libanons schonungslos dar. Die Politiker des Landes forderte Franziskus auf, dem öffentlichen Interesse zu dienen, an die internationale Gemeinschaft appellierte er, dem Libanon zu helfen, sich aus den regionalen Konflikten und Spannungen herauszuhalten. Zugleich kündigte der Papst in dem Schreiben seinen Besuch im Libanon an, sobald dies möglich sei.

Schon in seiner am Christtag im Petersdom verlesenen Weihnachtsbotschaft hatte der Papst darum gebeten, dass die Verantwortlichen im Libanon ihre Sonderinteressen hintanstellen und sich "mit Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit und Transparenz dafür einzusetzen, dass der Libanon einen Weg der Reformen durchlaufen und seine Berufung zur Freiheit und zum friedlichen Zusammenleben fortführen kann".

In dem Brief an Kardinal Rai machte der Papst eingangs klar, dass seine Botschaft über den Kardinal-Patriarchen an alle Libanesen gerichtet sei. "Ohne Unterscheidung der Gemeinschaft oder der religiösen Zugehörigkeit" wolle er aus Anlass des Weihnachtsfestes an die Libanesen "einige Worte des Trostes und der Ermutigung" richten, so Franziskus.
Es bereite ihm großen Schmerz, das Leid und die Angst zu sehen, die die "angeborene Unternehmungslust und Lebhaftigkeit des Zedern-Landes" zu ersticken drohe, stellte der Papst fest. Noch schmerzlicher sei es, dass die Hoffnungen auf ein Leben in Frieden und auf die Fortsetzung des Zeugnisses für ein gutes Zusammenleben, "eine Botschaft der Freiheit für die ganze Welt", schwinden. Besonders gehe ihm das Schicksal der vielen jungen Leute zu Herzen, denen "jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft" genommen werde.


Franziskus appellierte an die Libanesen, wie die Zeder aus den tiefen Wurzeln ihres Zusammenlebens die Kraft zu ziehen, um wieder ein solidarisches Volk zu sein. Am Schluss des Briefes, in dem er auch seinen Besuch im Libanon ankündigte, wandte sich der Papst "noch einmal" - wie schon etliche Male zuvor - an die internationale Gemeinschaft mit dem Appell, den Libanon nicht in die regionalen Konflikte und die geopolitischen Machtspiele hineinzuziehen: "Helfen wir dem Libanon, die schwere Krise zu überwinden und sich zu erholen."

Rais Bemühungen konterkariert

Der maronitische Kardinal-Patriarch Rai übte sowohl am 24. als auch am 25. Dezember aus Anlass des Weihnachtsfestes scharfe Kritik an der libanesischen politischen Klasse und forderte die Bildung einer nicht parteigebundenen Expertenregierung. Für die Bevölkerung sei eine solche Kursänderung von höchster Dringlichkeit, weil sich der Libanon seit mehr als einem Jahr in einer politischen, wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Krise befinde.

Die Hoffnungen auf die Bildung einer Regierung vor der Jahreswende waren am 23. Dezember, zerstoben, als eine Begegnung zwischen dem Staatspräsidenten Michel Aoun und dem mit der Regierungsbildung beauftragten Ministerpräsidenten Saad Hariri ergebnislos blieb. In den Tagen davor hatte sich der maronitische Kardinal-Patriarch massiv für die Bildung einer Regierung zu Weihnachten engagiert.
Noch am 22. Dezember schien sich nicht zuletzt dank der Bemühungen Rais eine Einigung - auch im Hinblick auf die beiden Schlüsselressorts Innenministerium und Justizministerium - abzuzeichnen. Als Hariri tags darauf den Präsidentenpalast in Baabda verließ, gebrauchte er aber die Formulierung, es gebe noch "klare Hindernisse" für die Regierungsbildung. Der Kardinal-Patriarch soll entsprechend zornig gewesen sein. Am Heiligen Abend sagte Rai bei der Mitternachtsmette, dass der Prozess der Regierungsbildung praktisch wieder am Nullpunkt sei. Staatspräsident Aoun, der selbst der maronitischen Kirche angehört, nahm - unter Berufung auf die sanitätspolizeilichen Bestimmungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie - am Christtag dann nicht an der von Kardinal Rai zelebrierten Liturgie teil.


Er sei überzeugt gewesen, dass sich die Verantwortlichen beeilen würden, um die institutionelle Krise zu beenden und die staatlichen Organe wieder handlungsfähig zu machen, betonte Kardinal Rai. Aber es sei nur mehr von Bedingungen und Gegenbedingungen die Rede, die Regional- und Weltmächte würden ins Spiel gebracht. Jetzt stehe der Libanon ohne Exekutivgewalt da und der Zusammenbruch weite sich aus. Wörtlich stellte Rai fest: "Wir haben unzählige Male gefordert, dass Staatspräsident und Ministerpräsident eine gemeinsame Equipe über den Parteiungen bilden und dass sie sich, wenigstens vorübergehend, von den Pressionen befreien, um eine Expertenregierung zu bilden".
Kritik auch von anderen Kirchenvertretern

Die Kritik des Kardinals an der politischen Klasse wird auch von anderen Kirchenverantwortlichen geteilt. So sagte der antiochenisch-orthodoxe Erzbischof von Beirut, Elias (Audi), die Politiker sollte ohne weiteres Zögern eine Regierung bilden. "Nach Ansicht der ganzen Welt ist unser Land in einer Sackgasse", betonte der Erzbischof: "Jeden Tag schmelzen unsere finanziellen Möglichkeiten, die Sicherheitsgefahren steigern sich, die Menschen sind verzweifelt, aber auf ihre Hilferufe erfolgt keine Antwort durch die Machthaber. Wie lange wollen sie das noch ignorieren". Es gebe keine Zeit mehr für Querelen und Abrechnungen: "Es ist vielmehr höchste Zeit, hart zu arbeiten, um das Land zu retten."


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