19. Jänner 2021 in Chronik
Der ehemalige „Staatsfeind Nummer 1“ Australiens spricht darüber, wie Zuschriften von Gläubigen und der heilige Thomas Morus ihm in der Haft geholfen hätten, und über seine Gedanken zu den berüchtigten Vatikanfinanzen.
Sydney (kath.net/EWTN/mk) „Jedes Leiden kann auf geheimnisvolle Weise zum Guten führen.“ Diese Worte stammen von Kardinal George Pell, der in Australien des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen angeklagt, zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde und über ein Jahr im Gefängnis verbracht hatte, bis das oberste Gericht ihn vergangenes Jahr kurz vor Ostern freisprach. Bis dahin galt er in Australien als „Staatsfeind Nummer 1“, von vielen gehasst und von manchen wüst beschimpft. In einem Interview gegenüber dem katholischen Fernsehsender EWTN sprach er unlängst in seiner Wohnung in Rom im Rückblick über seine leidvollen letzten Jahre.
Er habe von Anfang an auf die Absurdität der Vorwürfe gegen ihn hingewiesen. Jeder, der die Situation in einer Kathedrale sonntags nach der Messe mit zahlreichen Kirchgängern, Chorsängern und Ministranten kenne, werde zur Gewissheit kommen, dass ein Missbrauch von Jugendlichen zu einem solchen Zeitpunkt nicht unbemerkt möglich sei. Sogar einige seiner Gegner seien sich seiner Schuld nicht sicher gewesen, hätten aber gesagt: „Auch wenn er unschuldig ist, verdient er Bestrafung für die Verfehlungen der Kirche.“ Er sei also ein Sündenbock gewesen. Pell betont, dass die Kirche sich den beschämenden Tatsachen des Missbrauch stellen müsse; die dadurch enttäuschten Gläubigen lädt Pell ein, nicht nur auf die reißerischen Negativschlagzeilen zu blicken, sondern das Werk der Kirche für die Menschen als Ganzes in den Blick zu nehmen und auf das zu schauen, was Christus gesagt hat.
Wie er seine Zeit im Gefängnis erlebt habe? Er habe eine große Machtlosigkeit gespürt, die Verurteilung sei zunächst ein riesiger Schock gewesen. Der Kardinal erzählt weiter, er habe dann Briefe von Leuten bekommen, die ihm geschrieben hätten, sie würden ihr Leiden für ihn aufopfern. Das habe ihm geholfen, auch selbst zu erkennen, dass EIN Urteil über allen stehe, dass der irdische Ruf nicht das Wichtigste sei und dass jedes Leiden auf geheimnisvolle Weise zum Guten führen könne. Ihm sei auch bewusst geworden, dass er es der Kirche schuldig sei, sich nicht mit dem ungerechten Urteil abzufinden, sondern in Berufung zu gehen. Dabei erinnert sich Pell an den heiligen Märtyrer Thomas Morus, einen englischen Anwalt, der sich vehement gegen die wider ihn erhobenen Vorwürfe verteidigt hat. Pell meint, er habe zwar nicht gewusst, welchen Plan die göttliche Vorsehung mit seinem Leiden hat, aber darauf vertraut, dass die Wahrheit siegen werde. Das Schreiben von Tagebüchern sei für ihn therapeutisch gewesen, diese Tagebücher hat der Kardinal nun veröffentlicht.
Er gibt zu, dass er gezögert habe nach Rom zurückzukehren, weil er sich in Australien in seinem Haus mit Garten und mit seinen Freunden schon eingelebt habe. Schließlich wollte er aber auch durch die Rückkehr seine Unschuld noch einmal bekräftigen. Pell begrüßt ausdrücklich die Initiativen seines Nachfolgers im vatikanischen Wirtschaftssekretariat [Anm.: das ist der spanische Jesuit Juan Antonio Guerrero Alves], auch er habe schon auf die professionelle Verwaltung und Kontrolle der vatikanischen Investitionen gedrängt, um ein Abgleiten in eine „Schattenwelt“ zu verhindern. Nunmehr sei die angedachte Einsetzung eines Investitionskomitees ein Schritt in die richtige Richtung. Ob es einen Zusammenhang zwischen seiner Rolle als Aufdecker bei den Vatikanfinanzen und den gegen ihn erhobenen Vorwürfen gebe? Hier bleibt Pell zurückhaltend und abwartend: es gebe keine Beweise, aber er habe von kriminellen Stimmen gehört, die über den Prozess gegen ihn und den damit verbundenen Abgang nach Australien froh gewesen seien.
In der Zukunft habe er vor zu schreiben, Vorträge zu halten, das kirchliche Leben weiterzuverfolgen und sich auf einen guten Tod vorzubereiten. Seinen Sinn für Humor hat der Kardinal nicht verloren.
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