Das Geheimnis der Beziehung zwischen Christus und der Kirche

22. Jänner 2021 in Aktuelles


Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: in Einheit mit den Aposteln sind alle Gläubigen Zeichen und Werkzeug jener eschatologischen Gemeinschaft, die in Gott ihren Ursprung hat. Wider die liberale Theologie. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Im März des Jahres 2006 nahm Papst Benedikt XVI. seine erste Katechesenreihe bei den Generalaudienzen auf. Bis zum Fest der Kathedra Petri desselben Jahres hatte der Papst  den „Restbestand“ der bereits von Johannes Paul II. vorbereiteten Katechesen über die Psalmen und Gesänge aus Laudes und Vesper „abgearbeitet“. Ausgehend vom Evangelium von der „Wahl der Zwölf“ (vgl. Freitag der zweiten Woche im Jahreskreis B) machte Benedikt XVI. das Geheimnis der Beziehung zwischen Christus und der Kirche zum Gegenstand seiner Betrachtung:

„Jesus stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die er selbst wollte, und sie kamen zu ihm. Und er setzte zwölf ein, damit sie mit ihm seien und damit er sie aussende, zu verkünden und mit Vollmacht Dämonen auszutreiben. Die Zwölf, die er einsetzte, waren: Petrus – diesen  Beinamen gab er dem Simon – , Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, der Bruder des Jakobus - ihnen gab er den Beinamen Boanerges, das heißt Donnersöhne – , dazu Andreas, Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Thomas, Jakobus, der Sohn des Alphäus, Thaddäus, Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn dann ausgeliefert hat“ (Mk 3,13-19).

Die Kirche sei als Gemeinschaft im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe auf dem Fundament der Apostel gegründet, jener Männer also, die von Jesus selbst auserwählt worden seien. Die Apostel „haben den Auftrag erhalten, die in Christus geoffenbarte Wahrheit durch die Zeiten weiterzugeben. Von ihnen übernimmt die Kirche die Aufgabe, das Antlitz Jesu allen Generationen immer neu erstrahlen zu lassen (vgl. Johannes Paul II.,  Apostol. Schreiben Novo millennio ineunte, 16)“.

„Jesus setzte zwölf ein, die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte...“ (Mk 3, 14): die Zahl der Apostel erinnere an die zwölf Stämme Israels. Die Zahl Zwölf offenbare bereits die Tatsache, dass die neue Initiative zur Wiedererrichtung des heiligen Volkes eine Handlung sei, die prophetisch-symbolische Bedeutung besitze.  Den Zwölfen „vertraut Christus die Heilssendung der Kirche an. In seinem Namen sollen sie die Menschen sammeln und retten; sie sollen Boten und Zeugen des Reiches Gottes sein, das sich schon hier zu verwirklichen beginnt“.

Beim Letzten Abendmahl beauftrage Jesus die Apostel, sein Gedächtnis zu feiern. In Einheit mit ihnen und ihren Nachfolgern seien alle Gläubigen Zeichen und Werkzeug jener eschatologischen Gemeinschaft, die in Gott ihren Ursprung hat. Der auferstandene Herr Jesus Christus verleihe den Aposteln die Macht, Sünden zu vergeben. Er selbst mache sich zur Garantie dafür, dass die Kirche als solche niemals von ihm getrennt werde: „zwischen dem menschgewordenen Gottessohn und seiner Kirche besteht daher eine tiefe Einheit, kraft derer Christus auch heute gegenwärtig ist – in seinem heiligen Volk und besonders in den Nachfolgern der Apostel“.

Benedikt XVI., Katechese bei der Generalaudienz vom 15. März 2006:

Nach der Reihe von Katechesen über die Psalmen und Gesänge aus Laudes und Vesper möchte ich die kommenden Mittwochsaudienzen dem Geheimnis der Beziehung zwischen Christus und der Kirche widmen und dieses von der Erfahrung der Apostel her, im Licht der ihnen anvertrauten Aufgabe, betrachten. Die Kirche ist auf dem Fundament der Apostel als Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe gegründet. Über die Apostel gelangen wir zu Jesus selbst. Die Kirche begann sich herauszubilden, als einige Fischer aus Galiläa Jesus begegneten und sich gewinnen ließen von seinem Blick, von seiner Stimme, von seiner herzlichen und kraftvollen Einladung: »Folgt mir nach, ich werde euch zu Menschenfischern machen!« (Mk 1,17; Mt 4,19).

Mein geliebter Vorgänger Johannes Paul II. hat der Kirche zu Beginn des dritten Jahrtausends nahegelegt, das Antlitz Christi zu betrachten (vgl. Novo millennio ineunte, 16ff.). Derselben Richtung folgend möchte ich in den Katechesen, mit denen ich heute beginne, zeigen, wie sich das Licht jenes Antlitzes auf dem Antlitz der Kirche widerspiegelt (vgl. Lumen gentium, 1), trotz der Grenzen und Schatten unseres schwachen und von der Sünde gezeichneten Menschseins. Nach Maria, dem reinen Widerschein des Lichtes Christi, sind es die Apostel, die mit ihrem Wort und ihrem Zeugnis die Wahrheit Christi an uns weitergeben. Ihre Sendung steht jedoch nicht isoliert da, sondern ist eingebunden in ein Geheimnis der Gemeinschaft, das das ganze Volk Gottes einbezieht und das schrittweise vom Alten zum Neuen Bund Wirklichkeit wird.

Dazu muß gesagt werden, daß die Botschaft Jesu völlig mißverstanden wird, wenn man sie aus dem Zusammenhang des Glaubens und der Hoffnung des auserwählten Volkes heraustrennt: Wie Johannes der Täufer, sein unmittelbarer Vorläufer, so wendet sich Jesus zuallererst an Israel (vgl. Mt 15,24), um es in der Endzeit, die mit ihm angebrochen ist, zu »sammeln«. Und wie die Predigt des Johannes, so ist auch die Verkündigung Jesu gleichzeitig Gnadenruf und Zeichen des Widerspruchs und des Gerichts für das gesamte Volk Gottes. Vom ersten Augenblick seines Heilswirkens an strebt deshalb Jesus von Nazaret danach, das Volk Gottes zu sammeln. Auch wenn seine Verkündigung immer ein Aufruf zur persönlichen Umkehr ist, hat er in Wirklichkeit stets den Aufbau des Volkes Gottes als Ziel vor Augen, das zu sammeln, zu reinigen und zu retten er gekommen ist.

Daher ist die von der liberalen Theologie vertretene individualistische Interpretation von Christi Verkündigung des Reiches Gottes einseitig und ohne jede Grundlage. Sie wurde im Jahre 1900 von dem großen liberalen Theologen Adolf von Harnack in seinen Vorlesungen Das Wesen des Christentums so zusammengefaßt: »Das Reich Gottes kommt, insofern es in einzelne Menschen kommt, Zugang zu ihrer Seele findet und sie es aufnehmen. Das Reich Gottes ist gewiß die Herrschaft Gottes, aber es ist die Herrschaft des heiligen Gottes in den einzelnen Herzen« (vgl. Das Wesen des Christentums. Dritte Vorlesung).

In Wirklichkeit ist dieser Individualismus der liberalen Theologie eine typisch moderne Akzentuierung: Aus der Sicht der biblischen Tradition und innerhalb des Judentums, in die sich das Wirken Jesu stellt, wenn auch in seiner ganzen Neuheit, wird deutlich, daß die ganze Sendung des fleischgewordenen Sohnes eine auf Gemeinschaft ausgerichtete Zielsetzung hat: Er ist eben dazu gekommen, die zerstreute Menschheit zu einen, er ist eben dazu gekommen, das Volk Gottes zu sammeln, zu einen.

Ein unverkennbares Zeichen für die Absicht des Nazareners, die Gemeinschaft des Bundes zu sammeln, um in ihr offenbar werden zu lassen, daß die Verheißungen, die den Vätern gemacht wurden und die immer von Zusammenrufen, von Einigung und Einheit sprechen, zur Erfüllung gekommen sind, ist die Einsetzung der Zwölf. Wir haben das Evangelium über diese Einsetzung der Zwölf gehört. Ich lese noch einmal das Hauptsächliche vor: »Jesus stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die er erwählt hatte, und sie kamen zu ihm. Und er setzte zwölf ein, die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigten und mit seiner Vollmacht Dämonen austrieben.

Die Zwölf, die er einsetzte, waren…« (Mk 3,13–16; vgl. Mt 10,1–4; Lk 6,12–16). Am Ort der Offenbarung, dem »Berg«, setzt Jesus mit einer Initiative, die absolutes Bewußtsein und Entschlossenheit ausdrückt, die Zwölf ein, damit sie mit ihm zusammen Zeugen und Verkünder des Kommens des Gottesreiches sein sollen. Über die Geschichtlichkeit dieser Berufung gibt es keine Zweifel, nicht nur aufgrund des Alters und der Vielzahl der Zeugnisse, sondern auch aus dem einfachen Grund, daß darin der Name des Judas vorkommt, des Verräters unter den Aposteln, trotz der Schwierigkeiten, die seine Anwesenheit für die entstehende Gemeinschaft mit sich bringen konnte.

Die Zahl Zwölf, die zweifellos Bezug nimmt auf die zwölf Stämme Israels, offenbart bereits die Tatsache, daß die neue Initiative zur Wiedererrichtung des heiligen Volkes eine Handlung ist, die prophetisch-symbolische Bedeutung besitzt. Da es die zwölf Stämme schon lange nicht mehr gab, hoffte Israel auf ihre Wiedererrichtung als Zeichen für den Anbruch der Endzeit (man denke an den Schluß des Buches Ezechiel: 37,15–19; 39,23–29; 40–48). Dadurch, daß er die Zwölf erwählte, sie in eine Lebensgemeinschaft mit ihm einführte und sie an seiner Sendung der Verkündigung des Reiches in Wort und Tat teilhaben ließ (vgl. Mk 6,7–13; Mt 10,5–8; Lk 9,1–6; 6,13), will Jesus sagen, daß die Endzeit angebrochen ist, in der das Volk Gottes neu gegründet wird, das Volk der zwölf Stämme, das jetzt ein weltumfassendes Volk wird, seine Kirche.

Allein durch ihre Existenz werden die Zwölf, die aus verschiedenen Umfeldern heraus berufen worden sind, bereits zu einem Aufruf an ganz Israel, damit es sich bekehre und sich im Neuen Bund sammeln lasse, der die volle und vollkommene Erfüllung des Alten Bundes ist. Die Tatsache, daß Jesus ihnen beim Abendmahl, vor seinem Leiden, die Aufgabe anvertraute, sein Gedächtnis zu feiern, zeigt, daß er der ganzen Gemeinschaft in der Person ihrer zwölf Anführer den Auftrag geben wollte, in der Geschichte Zeichen und Werkzeug der endzeitlichen Sammlung zu sein, die in ihm begonnen hat. In gewissem Sinne können wir sagen, daß gerade das Letzte Abendmahl der Gründungsakt der Kirche ist, weil Er selbst sich hingibt und auf diese Weise eine neue Gemeinschaft schafft, eine Gemeinschaft, die vereint ist in der Gemeinschaft mit Ihm selbst. In diesem Lichte versteht man, daß der Auferstandene ihnen – mit der Ausgießung des Geistes – die Macht der Sündenvergebung überträgt (vgl. Joh 20,23).

Die zwölf Apostel sind so das offenkundigste Zeichen für den Willen Jesu in bezug auf die Existenz und die Sendung seiner Kirche, die Garantie, daß zwischen Christus und der Kirche keinerlei Gegensatz besteht: Sie sind untrennbar, trotz der Sünden der Menschen, die die Kirche bilden. Daher ist ein bestimmter Slogan, der vor einigen Jahren in Mode war, mit der Absicht Christi absolut unvereinbar: »Jesus ja, Kirche nein«. Dieser individualistisch gewählte Jesus ist ein Jesus, der der Phantasie entspringt. Wir können Jesus nicht ohne die Wirklichkeit haben, die er geschaffen hat und in der er sich mitteilt. Zwischen dem fleischgewordenen Sohn Gottes und seiner Kirche besteht eine tiefe, untrennbare und geheimnisvolle Kontinuität, kraft der Christus heute in seinem Volk gegenwärtig ist. Er ist immer unser Zeitgenosse, er ist immer gegenwärtig in der Kirche, die auf dem Fundament der Apostel errichtet worden ist, er ist lebendig in der Nachfolge der Apostel. Und diese Gegenwart in der Gemeinschaft, in der er selbst sich uns immer wieder schenkt, ist der Grund unserer Freude. Ja, Christus ist bei uns, das Reich Gottes kommt.

 


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