‚Sich die Schuhsohlen ablaufen’? – Tja...

25. Jänner 2021 in Aktuelles


Franziskus: wir alle sind aufgerufen, Zeugen der Wahrheit zu sein: zu gehen, zu sehen und zu teilen. Und dann ist da die Realität – Paulus von Tarsus, E-Mail und social networking. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Wie jedes Jahr veröffentlichte der Vatikan zum Gedenktag des heiligen Franz von Sales, Schutzherr der Journalisten, eine Botschaft zum Welttag der „sozialen Kommunikationsmittel“ (wieder aus „Rom, Sankt Johannes im Lateran“). Ein etwas sperriger, aber halt im Vatikan seit Jahrzehnten üblicher Begriff. Es war dieses Jahr die 55. Botschaft, sie kam an einem Samstag, „Vorabend des Gedenktages“ des Heiligen (nun denn, es war der „Vortag“, aber bestimmte liturgische Gepflogenheiten wollten wohl angedeutet werden, was dann zu kleinen „Fehlern“ führen kann“).

In Zeiten einer sogenannten Pandemie und des „social distancing“ trug die Botschaft einen zunächst fast ironisch anmutenden Titel: „Komm und sieh (Joh 1,46). Kommunizieren, indem man den Menschen begegnet, wo und wie sie sind“. Wie jetzt? Menschen begegnen, „wo und wie sie sind“, dies in der Zeit des „Abstandes“ und der staatlich verordneten (und leider von zu vielen einfachhin akzeptierten) Einschränkung der Grundrechte? In einer Zeit einer neuen antiaristotelischen und antichristlichen Anthropologie, wo es dem Menschen verweigert wird, sich als „animal sociale“ zu verwirklichen (was dann, nur nebenbei, zu dessen wirklicher Krankheit führt)? Oder meint der Papst das jetzt in einer rein abstrakten oder metaphysischen Hinsicht? Kann eigentlich nicht sein, da er sich an die Welt der Medien wendet, und dort gibt es wenig bzw. keine „Metaphysik“.

Die Botschaft beginnt, dem Stil von Papst Franziskus entsprechend, mit einer harschen moralischen Mahnung dazu, sich immer in „Bewegung“ zu setzen (was in anderen Kontexten dann unter dem Schlagwort des „Im-Auf-Bruch-Seins“ gefasst wird“). Aufbruch, „im Aufbruch“, „in uscita“ – seit vielen Jahren eine Art Totem, das dann jeder seinem Belieben nach nutzen kann.

Und dann stehen wir vor dem zunächst erstaunen lassenden ersten Paragraphen der Botschaft:

„Sich die Schuhsohlen ablaufen

„(...) Aufmerksame Stimmen beklagen seit langem die Gefahr einer Verflachung in ‚voneinander abkopierten Zeitungen’ oder in einander stark ähnelnden Nachrichtensendungen in Radio und Fernsehen sowie auf Internetseiten, in denen das Genre der Recherche und Reportage an Raum und Qualität verliert und durch eine vorgefertigte, autoreferentielle Information in Form einer ‚Hofberichterstattung’ ersetzt wird, der es immer weniger gelingt, die Wahrheit der Dinge und das konkrete Leben der Menschen einzufangen, und die weder die schwerwiegendsten gesellschaftlichen Phänomene, noch die positiven Kräfte, die von der Basis der Gesellschaft freigesetzt werden, zu erfassen vermag.

Die Krise in der Verlagsbranche droht dazu zu führen, dass Informationen in Redaktionen, vor dem Computer, in den Presseagenturen und in sozialen Netzwerken hergestellt werden, ohne jemals auf die Straße zu gehen, ohne ‚sich die Schuhsohlen abzulaufen’, ohne Menschen zu begegnen, um nach Geschichten zu suchen oder bestimmte Situationen de visu zu verifizieren. Wenn wir nicht für Begegnungen offen sind, bleiben wir außenstehende Zuschauer, trotz der technologischen Innovationen, die uns eine immer umfassendere Wirklichkeit vor Augen führen können, in der wir scheinbar versunken sind. Jedes Hilfsmittel ist nur dann nützlich und wertvoll, wenn es uns dazu führt, hinauszugehen und Dinge zu sehen, von denen wir sonst nichts wüssten, wenn es Erkenntnisse ins Netz stellt, die sonst nicht verbreitet würden, und wenn es Begegnungen ermöglicht, die sonst nicht stattfinden würden“.

Wie gesagt: man kann nur staunen, und das aus vielerlei Gründen.

„Sich die Schuhsohlen ablaufen“: den Älteren unter uns kann dabei jene legendäre Camel-Zigaretten-Werbung aus den 60ger und 70ger Jahren des letzten Jahrhunderts in den Sinn kommen, als da ein Mann (ach du Schreck!) nach langem Weg die Füße auf den Tisch legt („I’d walk a mile for a Camel“) und er die löchrige, abgetretene lederne Schuhsole zeigt.

Zurecht beklagt der Papst das Vorgehen der Mainstream-Medien: „voneinander abzukopieren“, so dass alle dasselbe sagen (mit geringfügig nuancierten Farbschattierungen). Besonders deutlich wird dies, wenn sich eine Presse in den Dienst herrschender Regimes und ideologischer Vorgaben stellt und keine „alternativen“ thematischen Diskussionen mehr zugelassen werden (man denke an die aktuelle Art und Weise des Umgangs mit dem Corona-Dogma und dessen Paragrafen, dem alle unterworfen werden sollen, ohne weiterzudenken. Denn den Eliten beliebt es eben so).

„Autoreferentielle Information“ nennt Franziskus das. In der Tat: die erstickende Selbstbezüglichkeit ist der Killer eigentlicher Information, die es im Idealfall auf Wahrheit abgesehen haben sollte. Und die Realität bleibt außen vor, wie gerade eine inszenierte und daher allein destruktive Krisenzeit zeigt. Wie immer verweist der „populistische“ (im südamerikanisch-peronistischen Sinne der „movimenti popolari“, der Volksbewegungen) Papst darauf, dass so das konkrete Leben des „El Pueblo“ ausgeklammert wird und „die positiven Kräfte, die von der Basis der Gesellschaft freigesetzt werden“, nicht erfasst werden.

Der Papst beklagt den Journalisten an seinem Schreibtisch vor seinem iMac oder MacBook, der „nicht auf die Straße geht“ und ohne Kontakt mit der Realität Information „schafft“, „ohne Menschen zu begegnen, um nach Geschichten zu suchen oder bestimmte Situationen de visu zu verifizieren“. Nun, es dürfte klar sein: die Corona-„Kontaktbeschränkungen“ haben auch besonders die Journalistenzunft betroffen und zu Unbehagen geführt. Monatelange erzwungene Isolation: gäbe es da den Computer nicht, könnte man wie die Restaurants und Bars zusperren und den Laden dicht machen. Richtig und besonders wichtig bleibt jedoch der Tadel an den Mainstream-Medien, die anscheinend einem gemeinsamen und konstruierten Projekt folgen.

Zurück zur „Straße“: das Klagen über das Fehlen von „Straße“ klingt auf den ersten Blick gut, macht Sinn und lässt den normalen Medienarbeiter und Konsumenten nicken. Aber: es wäre nicht schlecht, wenn dann gerade der Vatikanist die reale Möglichkeit hätte, institutionell „auf der Straße“ Informationen zu bekommen. Die „abgelaufene Schuhsohle“ ist oft vielmehr deshalb löchrig, weil man sich auf demselben Punkt dreht, bis das Leder kaputt ist. Dies gilt besonders für eine Zeit, in der eine Institution wie die des Vatikans von einem Skandal in den andern stolpert, von Missbrauch zu Missbrauch, von Geldskandal zu Geldskandal. Transparenz wäre angesagt, wie dies jüngst wieder Kardinal Pell betonte. Aber gerade an dieser mangelt es, auch wenn sie „offiziell“ und gerade von den „offiziellen“ Medien, die mit viel Geld ausgestattet wurden, wie in einem Mantra beschworen wird.

„Denken wir daran, wie viel leere Beredsamkeit es auch in unserer Zeit im Übermaß gibt, in jedem Bereich des öffentlichen Lebens, im Handel wie auch in der Politik“, so Papst Franziskus, der dann Shakespeare zitiert: „Er spricht unendlich viel nichts… Seine Gedanken sind wie zwei Weizenkörner in zwei Scheffel Spreu versteckt; Ihr sucht den ganzen Tag, bis Ihr sie findet, und wenn Ihr sie habt, so verlohnen sie das Suchen nicht“. Diese „beißenden Worte des englischen Dramatikers treffen auch auf uns christliche Kommunikatoren zu“. Und sie treffen vor allem auch auf den Vatikan zu.

In der Tat: „Wir alle sind verantwortlich für die Kommunikation, die wir betreiben, für die Informationen, die wir verbreiten, für die Kontrolle, die wir gemeinsam über falsche Nachrichten ausüben können, indem wir sie entlarven. Wir alle sind aufgerufen, Zeugen der Wahrheit zu sein: zu gehen, zu sehen und zu teilen“.

„Alle Hilfsmittel sind wichtig“, unterstreicht der Papst zum Schluss, „und jener große Kommunikator namens Paulus von Tarsus hätte sicher von E-Mail und Mitteilungen in den sozialen Netzwerken Gebrauch gemacht. Aber es waren sein Glaube, seine Hoffnung und seine Liebe, die seine Zeitgenossen beeindruckten, die ihn predigen hörten und das Glück hatten, Zeit mit ihm zu verbringen, ihn bei einer Versammlung oder in einem persönlichen Gespräch zu sehen“.

 


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