12. Februar 2021 in Spirituelles
Erzbischof Aupetit: „Was würden wir Hiob heute anbieten? Was würde unsere Gesellschaft ihm heute anbieten? Sterbehilfe? Einen Antrag auf Sterbehilfe im Namen seines Verlustes an Würde? Von Juliana Bauer
Paris (kath.net) Es war der „Tag der Kranken“, der vergangene Sonntag, auf den Mgr Aupetit gleich zu Beginn der Messe einging. Der Tag, der „heute den Kranken gewidmet ist“ und für den einer der Evangelienberichte ausgewählt wurde, die von Jesu Heilungen an den Menschen erzählt. [Predigt des Pariser Erzbischofs Michel Aupetit in Saint-Germain l’Auxerrois am 7. Februar 2021 – Schrifttexte: Hiob 7.1-4.6-7; 1 Kor. 9,16-19,22-23; Mk 1,29-39]
Mit der Wiederholung der gleichnamigen Worte steigt Michel Aupetit auch in die Predigt ein, um dann unmittelbar auf die aktuelle Lage in Frankreich und Europa einzugehen: „Die Pandemie hat eine Gesellschaft ins Gegenteil verkehrt, die sich ihrer sicher war, die glaubte, Krankheiten und sogar den Tod besiegen zu können.“ Dann blickt der Erzbischof einen Augenblick mehr als 4.500 Jahre zurück und verweist auf den sumerischen König Gilgamesch (2.600 v.Chr.), der einst den Tod ebenso aus eigenen Kräften überwinden wollte. Mit dem historischen Beispiel zeigt er einen alten Menschheitstraum wie auch den kaum veränderten Machtanspruch des Menschen auf. Doch „was für eine Täuschung!“ ist sein Fazit.
Der Erzbischof kommt dann auf Entwicklung und Fortschritt unserer medizinischen Versorgung zu sprechen. „Wir sind stolz auf unser Gesundheitswesen, von dem wir meinen, es immer verbessern zu können. Wir lebten in Sorglosigkeit und waren sogar in gewisser Weise arrogant gegenüber der menschlichen Natur. In unserer Vorstellung erlaubten wir uns die Schaffung embryonaler Chimären; wir hatten vor, Leben aus Tier und Mensch zu erzeugen und wären dabei leichtfertig über die Natur des Menschen hinweggegangen. (Denn) für die Natur treten wir nur dann ein, wenn es um Pflanzen und Tiere geht ... Es ist daher erstaunlich festzustellen, dass unsere Sorge dieses Vorhaben durch die besessene Verfolgung der Bioethik-Gesetze nicht stoppte.
Auf der anderen Seite könnte man beruhigt sein …“, meint Erzbischof Aupetit plötzlich. Er führt den Zuhörern, nochmals mit Blick auf die Corona-Epidemie, vor Augen, dass es der Regierung offenbar das Wichtigste war, die „Menschen betreuen zu lassen und Leben zu retten;“ es könne daher „beruhigend sein, zu sehen, … dass das Leben wichtiger ist als der Profit.“ Deshalb sei auch „die Wirtschaft zum Stillstand gelangt.“
Beim späteren Nach-Hören der Predigt hielt ich an dieser Stelle inne. Die Frage nach dem Wegbrechen der Existenzen vieler Bürger drängte sich mir auf. Da erinnerte ich mich an eine Stellungnahme des Erzbischofs zum Bioethik-Gesetz und zur Pandemie vom vergangenen Sommer, in der er auch unmissverständlich auf die großen sozialen Probleme verwies, die sein Land in der schweren Gesundheitskrise durchmache, die es auch wirtschaftlich-existentiell „in die Knie zwang“… Eine Gesundheitskrise, welche sich zu einer „wirtschaftlichen und sozialen Krise“ auswuchs, die „das Leben unserer Landsleute … schwer beeinträchtigt“, insbesondere die „…am stärksten benachteiligten Menschen“ (Le Figaro, 29.Juni 2020). Es sind Worte, die ebenso auf Michel Aupetits deutsches Nachbarland, auf Italien und andere Länder Europas zutreffen.
Kehren wir zu seiner Homilie zurück, in der er jedoch einen anderen Schwerpunkt setzte und in seiner Betrachtung dem physischen Dasein des Menschen das geistig-seelische Dasein, sein inneres, emotionales und zwischenmenschliches Dasein, welches das Mensch-Sein überhaupt verkörpert, gegenüberstellte. „Das Leben aber, das wir verteidigen, ist vor allem das biologische Leben. Das biologische Leben aber, das ist nicht alles ... Was das Leben ausmacht, sind Begegnungen, persönliche Beziehungen, die Hilfen, die wir für andere erbringen und die wir erhalten, die Zärtlichkeitsbezeugungen für die, die wir lieben. Und das ist nun leider in der Tat oft verschwunden und wir leiden.“
In seiner Ansprache am letztjährigen zweiten Ostersonntag sowie in einem Tweet jener Woche geißelte Michel Aupetit gerade dieses fehlende Mensch-Sein, die Unterlassung der Mitmenschlichkeit, die während der Epidemie oft zu einem Verhalten „von Barbarei“ ausartete – unterstützt von den Regierungen (Homélie 19.April 2020). „Alte Menschen“, klagte er an, „werden im Stich gelassen, Sterbende alleine…“ „Die alten Menschen werden von der Zuneigung, von der Zärtlichkeit ihrer Kinder, Enkel, Freunde abgeschnitten…Man schützt ihr Leben, schneidet sie aber von allen Beziehungen ab, man schneidet sie vom Sinn ihres Lebens ab“ (Twitter 23.April 2020). Heute trifft dieses Leid – und darauf möchte ich eigens verweisen –, in einem Dauer-Lockdown von Kontakten, menschlichen Beziehungen und Gefühlen, mit Wucht die Kinder und die Jugendlichen – negiert von den Regierungen. Oder denen, die sich als Regierungen verstehen.
In seiner machtvollen Predigt zum „Tag der Kranken“ bleibt der Gottesmann aus Paris nicht beim Jetzt und Heute stehen. Er führt seine Zuhörer und Gläubigen, die ihm in Radio und Fernsehen folgen, weiter zu den biblischen Schriften und stellt ihnen anhand der ersten Lesung das große Leid Hiobs vor Augen, zeigt dessen Besitzverluste, seine menschlichen Verluste, seine Krankheiten und sein Festhalten an Gott auf. „Schauen wir uns den armen Hiob an. Der arme Hiob ist ein gottesfürchtiger Mann… auch mächtig, er war extrem reich und er verlor alles. Alles! … Er war verzweifelt… Wir haben ihn gehört, seinen Schmerzensschrei. Sein Schmerzensschrei ist furchtbar: ‚Das Leben des Menschen auf Erden ist eine lästige Pflicht‘ (Hiob 7,1). Weder Tag noch Nacht findet er Frieden. Seine Frau verachtet ihn, seine Freunde möchten ihn trösten, ohne ihn zu verstehen, und er wünscht sich nur noch den Tod…
Was würden wir ihm heute anbieten? Was würde unsere Gesellschaft ihm heute anbieten? Sterbehilfe? Einen Antrag auf Sterbehilfe im Namen seines Verlustes an Würde? Das Außergewöhnliche ist, dass er sich trotz dieses schrecklichen Leidens an Gott wenden kann: ‚Erinnere dich, Herr! Erinnere dich an mich.‘ Wenn sich ein Mensch noch an Gott wenden kann, dann deshalb, weil er seine Würde nicht verloren hat. Wenn die Welt uns für unwürdig hält, müssen wir uns daran erinnern, dass wir nach dem Bilde Gottes erschaffen sind, egal was geschieht, und dass unsere Würde von dort kommt.
Dort, wo die Gesellschaft den Tod als Lösung für Probleme befürwortet, befürwortet Gott die Liebe.“ Michel Aupetit betont, dass wir gerade dann ein Übermaß an Liebe erfahren würden, wenn uns übergroßes Leid träfe.
Dann gehen seine Gedanken nahtlos zum Tages-Evangelium über. „Schauen wir zu Jesus im Evangelium … Er verausgabt sich, wenn beim Untergang der Sonne eine unzählige Menschenmenge zu ihm kommt … ist überwältigt vom Leid… Er vergisst aber bei aller Mühsal…, die Menschen zu heilen, ihnen zuzuhören…seine Quelle nicht“ – und hier macht Michel Aupetit auf die innerste Quelle Jesu aufmerksam, „die Quelle seiner Liebe“, aus der dieser seine Kraft schöpft – „…er vergisst die Beziehung zu seinem Vater… nicht, mit dem er nachts im Gebet verbunden ist…“ In dem gesamten Zusammenhang weist Aupetit auf die vielen Menschen mit Alzheimer-Krankheit hin, „die völlig verloren scheinen“ – und erzählt von einem seiner engsten Familienangehörigen. Er spricht von den Ehepartnern der Kranken, deren Lieben, die „sich jedoch weiterhin aus Liebe um sie… kümmern.“ Er folgert daraus, dass der Mensch hier seine wahre, seine einzige Würde finde, die darin bestehe, „bis zum Ende geliebt zu werden. Und dass die einzige Freiheit des Menschen darin besteht, bis zum Ende zu lieben.“
Denn „dies ist die Botschaft, die Christus durch sein Wort und sein ganzes Leben übermittelt hat …“, eine Botschaft, von der, wie Mgr Aupetit hervorhebt, der heilige Paulus vollkommen überwältigt war, sodass er ausrief: ‚Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde‘ (1 Kor 9,16), „diese frohe Botschaft von der größten Liebe, von der Würde, die von Gott herkommt, und diese Antwort auf das Leid.“ Und der Erzbischof stellt heraus, dass diese Antwort letztlich keine Erklärung auf das Leid habe, dass Christus darauf keine Erklärung gab, sondern“ einfach das Leid in seiner Anwesenheit vorlebte…“ Es sei „die Botschaft, die uns verkündet wurde…“ Und, führt Aupetit weiter aus, dass auch uns wie dem Apostel Paulus diese Botschaft anvertraut sei, nach dem Wort Jesu: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh.20,21), „damit wir uns in den Dienst aller stellen, um so viele wie möglich zu gewinnen … frei von Belanglosem, das uns zu Sklaven macht…“ Es gehe nur um Eines: anderen die Tore des Himmels zu öffnen … Dies sei unsere Berufung: Christus zu verkünden, der uns liebt…
Dann erzählt Erzbischof Aupetit von Begegnungen mit „vielen Personen, die aus dem Islam kamen“ und die Christus begegnet sind. Es sei ihnen nicht darum gegangen, eine andere Religion anzunehmen. Ihre Begegnung mit Christus und seiner Liebe habe sie erschüttert und habe ihr Leben komplett verändert. Michel Aupetit schließt mit den Worten „Unsere Berufung ist es, Gottes Liebe zu uns zu verkünden. Er allein gibt uns die Würde, damit auch wir fähig zur wahren Liebe sind. Das ist unsere Berufung und sie ist wunderbar.“
Auszüge aus:
Homélie de Mgr Michel Aupetit - Messe à Saint-Germain l’Auxerrois (à huis-clos = unter Ausschluss der Öffentlichkeit) - Dimanche 7 février 2021, Homélies – Diocèse de Paris. L‘église catholique à Paris
Homélie de Mgr Michel Aupetit: Messe du 7 février 2021 à Saint-Germain-l'Auxerrois, KTO TV und Radio Notre Dame
Übersetzung für kath net: Dr. Juliana Bauer
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