9. März 2021 in Buchtipp
"Der 'Himmel' wird mit dem Raum verwechselt, der den Spatzen gehört."Gastbeitrag von Helmut Müller
Vallendar (kath.net) Ist der Glaube an den biblischen Gott noch das Salz in der Suppe? Das Interview mit dem Religionssoziologen Detlev Pollack in der Zeitbeilage Christ und Welt vom 4. 3. 2021 zeigt ein anderes Bild auf.
Nehmen wir den biblischen Gott noch alttestamentlich wahr, als den, der im Sturmwind (z. B. Jesaja 29,6) daher fährt und neutestamentlich das Salz der Erde ist und zum Licht der Welt wird? Israel wird im gesamten Alten Testament als das unter allen Völkern auserwählte Volk beschrieben. Das an diese Auserwählung glaubende Volk wähnt sich in seinen Führern und Propheten daher aus Ägypten herausgeführt, in der Wüste geläutert und bereit für ein Leben in einem verheißenen Land. Dieses Leben sollte in gelingenden Beziehungen untereinander und mit seinem Gott geführt werden. Auch eines der ältesten Worte für Kirche Ecclesia tradiert diese Bedeutung – die Herausgerufenen. Daran anknüpfend kennt das II. Vaticanum ebenfalls das Wort vom Signum levatum in nationes, dem hocherhobenen Zeichen unter den Völkern.
Detlev Pollack zeigt aber in seiner Studie, dass der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche und die gegenwärtig grassierende Pandemie allgemein, dieses „kirchliche“ Herausgerufensein, einebnen, als „nicht systemrelevant“ kennzeichnen, ja geradezu bedeutungslos werden lassen. Virologen und Politiker werden zu den Heilsbringern und verweisen die Bischöfe und den Glauben allgemein auf die Plätze. In den evangelischen Landeskirchen ist dieser Anspruch schon seit längerer Zeit gar nicht mehr spürbar. Und auf dem synodalen Weg der Kirche in Deutschland ist dieses besondere Herausgerufensein aus der Säkularität sogar bis in bischöfliche Reihen immer weniger spürbar. Aus der Vaterunserbitte „Dein Wille geschehe im Himmel wie auf Erden“ ist das vertikale Element mehr oder weniger entfernt worden. Stattdessen findet ein Machtdiskurs auf Erden statt, sozusagen auf unterster Ebene. Die Vaterunserbitte ist zu „mein Wille geschehe auf Erden“ zusammen geschrumpft. Dass er auch im Himmel, der unsichtbaren Schöpfung des Glaubensbekenntnisses geschehe, ist gar kein Thema mehr. Der “Himmel“ wird mit dem Raum verwechselt, der den Spatzen gehört. Es bleibt abzuwarten, wann nur noch der zur Vernunft gekommene Wille zählt und dieser so lange er noch dazu fähig ist, vernünftig zu handeln gilt. Die nicht geborenen potentiellen Willensträger und die nicht mehr dazu fähigen werden immer mehr zur Dispositionsmasse der aktuell vernünftig Willensfähigen. Ich will das alles nicht als Verfallsgeschichte darstellen, sondern als eine Versuchung sich des Herausgerufenseins, schon über alle Zeiten hinweg zu entziehen. Diese Versuchung begleitet die Geschichte des biblischen Gottes mit uns Menschen von Anfang an. Vor ziemlich genau zehn Jahren hatte ich dazu folgenden Text verfasst, der meines Erachtens auch heute noch passt:
Es handelt sich um eine Satire auf der Grundlage der Murrerzählungen in den Büchern Exodus und Numeri (Ex 16 u. 17; Num 11, 13, 14; 16-18; 20 u. 21) Das Volk Israel versteht aufgrund der Strapazen, die sein Auszug aus dem Haus der Knechtschaft (Ägypten) ins gelobte Land mit sich bringt, sein Schicksal genau so wenig als Berufung, wie zeitgenössische Christen den Anspruch Salz, Sauerteig oder Licht der Welt zu sein in einer säkularen Welt. Das hatte mich dazu bewegt einen Vergleich zu wagen mit der Stimmung unter dem Volk Israel am Fuß des Sinai vor der Ankunft des Mose - ein „Stimmungsbild“.
Aufruhr im Volk Israel am Fuß des Sinai vor der Ankunft des Mose
Irgendwo zu Füßen eines Berges:
Der Auslandskorrespondent von Radio „Stimme des Pharao“ berichtet:
„Stimme des Pharao“: Die Stimmung unter den Migranten aus der Provinz Gosen ist am Tiefpunkt. Uns ist es gelungen mit drei Anführern zu sprechen, deren Meinung als repräsentativ für die Stimmung des Volkes gelten kann.
Kore, würden Sie noch einmal den Machtbereich des Pharao verlassen?
Kore: Ganz entschieden nein. Im Nachhinein muss ich sagen, wir haben gar nicht gewusst, wie gut es uns ging. Wir hatten zu essen und zu trinken und gingen einer Arbeit nach. Jetzt fehlt es an allem, und was uns versprochen wurde liegt in weiter Ferne. Staub, Sand und Hitze bringen uns um, und ob dahinter überhaupt noch was kommt ist mehr als fraglich.
„Stimme des Pharao“: Datan, haben Sie denn wenigstens die religiöse Freiheit gefunden, die Sie gesucht haben?
Datan: Auch das nicht, alles ist reglementiert. Wir sollen an einen Unsichtbaren glauben, der angeblich nur mit Mose spricht. Alle andere Form von Religion ist verboten. Wir dürfen nicht heiraten, wen wir wollen. Wir sollen ins Nichts hinein beten, dürfen keine Amulette, keine Bilder, keine Statuen, einfach nichts haben, was man sehen, anfassen und berühren kann. Wir dürfen nicht so feiern wie die anderen, keinen Wein trinken und auch nicht mit allen Frauen, die uns gefallen, einfach mal lustig sein. Man wird in seinem ganzen Leben und Handeln geknebelt und geknechtet, das hätten wir auch in Ägypten haben können und zwar mit Wein, Frauen und an Fleischtöpfen.
„Stimme des Pharao“: Abiram, was sagt denn eigentlich Ihr Anführer Mose dazu?
Abiram: Der ist seit Tagen verschwunden, oben auf dem Berg, betet, fastet und redet mit seinem unsichtbaren Gott. Der ist auch, wenn er mal hier ist, immer weit weg vom Schuss, redet lange ganz vergeistigt von seinem unsichtbaren Gott und verlangt von uns auch an Dinge zu glauben, die nicht gelebt werden können, die wir nicht verstehen, die wir einfach nicht wollen. In Ägypten war vieles, wahrscheinlich sogar alles besser. Nur sein Bruder Aaron hat Verständnis für unsere Situation, der ist an der Basis, der hat uns auch jetzt erlaubt ein goldenes Kalb herzustellen. Darum herum möchten wir tanzen, singen, beten und einfach fröhlich sein. Und wenn wir Wein hätten, würden wir denselben auch trinken. Der versteht uns. Moses, der hat den Kontakt zur Basis verloren. Aaron, das ist ein guter Führer, der nörgelt nicht ständig rum, macht keine Vorschriften, fordert nicht ständig eine Umkehr, dessen Gott ist wirklich menschenfreundlich. Da gibt es diesen Veränderungsdruck nicht. Jeder kann sein Leben leben wie er will, ohne diese Vorschriften wie aus einer anderen Welt, in der eben Mose lebt, oben auf dem Berg. Bei Aaron leben wir hier unten. Unter seiner Führung können wir leben wie wir wollen. Der hat den Kontakt zur Basis nicht verloren.
„Stimme des Pharao“: Hm, wenn das so ist, warum sind Sie dann eigentlich aus Ägypten ausgezogen?
Kore, Datan und Abiram: Ja, das fragen wir uns manchmal auch.
Gleicht das Geschehen während des biblischen Exodus nicht doch den Bewegungen des „synodalen Weges“ zwischen Flensburg und Garmisch? Trotz der Pandemie stehen auch hier noch genügend „Fleischtöpfe“ wie sie damals in Ägypten standen – vielleicht auch deren vegane Gegenstücke. Ich werde den Verdacht nicht los, dass man sie auf dem synodalen Weg gar nicht verlassen und sie sogar mitnehmen will samt den Tischsitten daraus zu essen. Wenn sich der „Mose aus Rom“ einmal mehr oder weniger vorsichtig zu Wort meldet, findet sich immer ein Aaron zwischen Flensburg und Garmisch, mit dem Hinweis, der Mose aus Rom habe es nicht so gemeint. Gott selber ist kein Thema. Die Berufsgruppe der Gemeinde- und Pastoralreferenten hat das am 1. Februar dieses Jahres auch – man glaubt es kaum – bewusst zum Ausdruck gebracht, es werde genug gebetet. Der Weg selber sei schon ein Gebet. Wie soll da die Suppe noch salzig werden? Eher kocht die schale säkulare Suppe über und fließt über den synodalen Weg noch in die Kirche selbst. Man verzeihe mir meinen Sarkasmus aber nur damit und mit Gebet sind die kirchlichen Vorgänge zwischen Flensburg und Garmisch noch zu ertragen.
Quelle des letzten Textes „Aufruhr“: Helmut Müller, Zeitgerecht statt zeitgemäß. Spurensuche nach dem Geist der Zeit im Zeitgeist. Paderborn 2018, S. 124f. Das Buch ist beim Bonifatius Verlag vergriffen, beim Autor aber noch vorrätig.
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