Das Zeitalter der ‚Resets’ – auch Gottes, der Schöpfung und des Menschen

15. März 2021 in Aktuelles


Ettore Gotti Tedeschi: wenn man die Ursachen von Problemen ignoriert und die Wirkungen beeinflussen will, handelt man wie ein Zauberer statt wie ein Arzt, wie eine Zauberer, der das Problem verschlimmert. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as/egt) Am 13. März 2021 veröffentlichte der italieniche Intellektuelle und Wissenschaftler Ettore Gotti Tedeschi einige Reflexionen zum in der letzten Zeit viel besprochenen Thema des „Great Resets“, der „Zurücksetzungen“, was gerade um Zug der sogenannten Corona-Krise für Welt und Kirche (des von vielen beschworenen „Reset der Lehre“) zu einem wesentlichen Thema geworden ist.

Gotti Tedeschi, Ökonom, Bankier, Finanzethiker, emeritierter Präsident des IOR (Institut für religiöse Werke, 2009 bis 2012), verdeutlicht den utopischen Charakter dieser Ansinnen. Gotti Tedeschi ist ein Querdenker, der von je her klärt, dass die wahren Wurzeln der Unordnung in allen Bereichen (Welt, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Finanzsystem) moralischer Natur sind und letztendlich die Beziehung des Menschen zu Gott beeinflussen. Ein Ansatz sui generis in Anbetracht eines Mainstream-Denkens, insbesondere für diejenigen, die sich mit wirtschaftlichen Fragen befassen. Seine wenn auch oft gegenstrebigen Reflexionen, die sich bisweilen heftig an gewissen Aktualitäten stoßen, sind niemals von Resignation oder Entmutigung geprägt. Weil die Vorsehung eine Tatsache ist und auch wenn ihre Pläne manchmal geheimnisvoll wirken können, kann für Gotti Tedeschi alles zum Guten beitragen.

Der Artikel Ettore Gotti Tedeschis erschien am 13. März 2021 in der Zeitung „La Verità”. Der italienische Text kann auf der Seite „Stilum Curiae“ des Vatikanisten Marco Tosatti eingesehen werden. Ich danke Marco für die Zusammenarbeit. as

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Das Zeitalter der „Resets“. Von Ettore Gotti Tedeschi

Vor fünfzig Jahren, mit dem „Vater aller Resets, der sich auf die neue Weltordnung Henry Kissingers bezog, begann die Reset-Ära der Neuzeit, die aber noch nicht jeder verstanden hatte. Heute verstehen wir es zumindest aufgrund der Beharrlichkeit, mit der uns dieser Ausdruck aufgezwungen wird. Reset, im Sinne von Zurücksetzen auf Null vergangener Fehler und Modelle, die als unzureichend angesehen werden, und somit Neustart neuer Modelle, aber unabhängig von den Ursachen der Fehler der vorherigen Modelle, ist in diesem Sinne zum Symbol des Menschen geworden, der jedem Gesetz oder der natürlichen Ordnung überlegen ist. Auch weil es keine Gewissheit mehr darüber gibt, was „Natur“ und „natürlich“ ist... Dank des Scheiterns dieses „Vaters aller Resets“ treten wir nun in das der kontinuierlichen und sich selbst erzeugenden Resets ein, die notwendig sind, um den unvermeidlichen Fehlern zu begegnen, deren Ursachen wir nicht erkennen und entgegentreten wollen.

Die Tendenz, diese Ursachen zu verleugnen, besteht darin, dass viele von ihnen moralischen Ursprungs sind und sich gerade auf natürliche Gesetze oder Ordnungen beziehen, und der vorherrschende Relativismus will nichts von Moral hören und fragt, von welcher Moral die Rede ist. Um einen Fehler zu korrigieren, ist es also nicht notwendig, seine Ursachen zu analysieren, es genügt ein opportuner Reset, der oft sogar von denjenigen vorgeschlagen wird, die dazu beigetragen haben, die Bedingungen für die Korrektur zu schaffen, also die Fehler der Vergangenheit. Doch ein Reset, der die Ursachen und Ursprünge des Problems außer Acht lässt, läuft Gefahr, neue Widersprüche und Konflikte zu schaffen.

Um ein Beispiel zu nennen: der interessanteste Widerspruch beruht heute auf dem Entscheidungskonflikt, der sich auf drei scheinbar unvereinbare Faktoren bezieht, die Ergebnis des vorangegangenen Resets sind, nämlich „Natalität –Umwelt – wirtschaftliches   Wachstum/geringer werdendes Wachstum“. Einmütig wird über den demografischen Winter geklagt, aber fast einmütig (mit seltenen Ausnahmen) wird auch erklärt, dass es zu viele Erdenbewohner gibt, die die Umwelt verbrauchen und deshalb die Geburten weiter gebremst werden müssen.

Jeder erkennt an, dass die Wirtschaftskrise gelöst und die Schulden absorbiert werden müssen (vor allem dann im Zeitalter Post-Covid), indem das Wirtschaftswachstum wieder in Gang gesetzt wird, aber die Anhänger des neomalthusianischen Umweltschutzes wollen ein fröhliches „Degrowth“, das heißt Verminderung des Wachstums als Postwachstum, also eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform, die so angeblich das Wohlergehen aller zum Ziel hat und die ökologischen Lebensgrundlagen erhält. Wer weiß, welcher Reset in dieser Hinsicht vorgeschlagen werden wird, wohl wissend, dass, wenn sie mit dieser Wahl falsch liegen, weitere Resets notwendig sein werden, die zwangsläufig immer utopischer werden und sich weiter von den wirklichen Lösungen entfernen.

Wenn man die Ursachen von Problemen ignoriert und die Wirkungen beeinflussen will, handelt man wie ein Zauberer statt wie ein Arzt, ein Zauberer, der Probleme nicht nur nicht löst, sondern verschlimmert. Ich fürchte, dass die Mode der Resets noch lange anhalten wird, bis der zeitgenössische Mensch, der davon überzeugt ist, dass er ein Übermensch ist, die Weisheit wiederentdecken wird. Aber wer wird ihm helfen, sie wiederzuentdecken, wenn sogar die moralische Autorität die Lehre „zurücksetzen“ zu wollen scheint?

Die Illusion und Zweideutigkeit der Resets hat einen gnostischen Ursprung, und der beunruhigendste Reset ist derjenige, der die Schöpfung und den Menschen selbst neu erschaffen will, weil beide ursprünglich falsch konzipiert waren. Nietzsche schlug auch den großen Reset vor, Gott selbst „zurückzusetzen“, ihn sterben zu lassen, um die Macht des Menschen zu befreien. Die utopische Erfahrung der Resets liegt darin, dass sie nicht nur meinen, Lösungen für Probleme unabhängig von deren Ursachen vorzuschlagen, sondern vielleicht sogar glauben, die Ursachen selbst zurücksetzen zu können, wie etwa den Wert, der dem Leben oder den Geburten gegeben wird.

Und das Zurücksetzen der Ursachen ist sicherlich etwas Originelles, aber auch gefährlich, wie die letzten fünfzig Jahre gezeigt haben. Es würde mich nicht wundern, wenn, um das „Zurücksetzen“ in eine Wissenschaft zu verwandeln, bald Universitätslehrstühle für die Ausarbeitung von gelegentlichen oder permanenten Resets geschaffen würden. Es würde mich nicht wundern, wenn ad hoc Führungspositionen mit Managerfunktionen geschaffen würden.

Ich habe den Eindruck, dass der Mensch dieses Jahrhunderts, nachdem er nihilistisch die Bezugswerte verloren hat, wenn er nicht mehr weiß, was er tun soll, vielleicht beschließt, zurückzusetzen, wie ein Kind, das ein Puzzle zusammensetzen will, das größer und komplexer ist, als es bereit war, es zu verwirklichen, und, weil es das nicht schafft, alles in die Luft wirft mit der Illusion, dass sich das Puzzle von selbst zusammensetzen wird. Dies geschieht jedoch nie.

Eine Gefahr für uns alle liegt auch im Zustand der Resignation, die dazu führen kann, dass wir rationale und reaktive Fähigkeiten verlieren. Wir sollten uns diesem Problem stellen, denn ich schließe keineswegs aus, dass jemand daran denkt, sogar Genesis und Offenbarung endgültig zurückzusetzen. Es gibt zwei ziemlich lehrreiche Filme, an die ich mich erinnere, wenn ich an die Angst denke, alles zurückzusetzen. „Westworld“ (1973) und „Jurassic Park“ (1991) illustrieren beide die Rebellion der künstlichen Intelligenz und der Natur gegen das „menschliche Streben“ nach einem utopischen Reset der Schöpfung und des Geschöpfs.

 


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