15. März 2021 in Weltkirche
„Hinter den Debatten um die Ehe von Mann und Frau oder die Ehe "für alle und jeden" der LGBT-Ideologie steht der diametrale Gegensatz zwischen zwei unvereinbaren Menschenbildern.“ Von Gerhard Kardinal Müller
Rom (kath.net) 1. Hinter den Debatten um die Ehe von Mann und Frau oder die Ehe "für alle und jeden" der LGBT-Ideologie steht der diametrale Gegensatz zwischen zwei unvereinbaren Menschenbildern. Dabei gilt es, die Ehe richtig zu verstehen und neu zu leben.
2. Das christliche Menschenbild beruht auf der Ordnung der Schöpfung: Philosophisch hat die Schöpfungsordnung eine Entsprechung im Begriff der ‚Natur‘. Mit dem Begriff ‚Natur‘ ist nicht das Faktisch-materielle, sondern das Geistig-personale gemeint, das dem materiellen Bestand seine Form, sein Wesen verleiht. Der Mensch ist Person in einer geist-leiblichen Natur. Das Sittengesetz ist jedem Menschen sowohl ins Herz geschrieben (Röm 2, 16ff) wie auch ausdrücklich dem Gottesvolk in Form der 10 Gebote (Ex 20, 1-17; Dtn 5, 6-21) geoffenbart worden. Somit gibt es über die Grenzen der Religionen und Weltanschauungen hinweg eine gemeinsame Einsicht in die Natur des Menschen. Der Mensch ist dabei nie Mittel zum Zweck, sondern Zweck für sich selbst. Das ist auch der Sinn des Natur- und Völkerrechtes, das seinen Ursprung im Denken der Schule von Salamanca und Hugo Grotius (1583-1645) hat. Diese Grundsätze haben sich 1948 in der Menschenrechts-Charta oder im Deutschen Grundgesetz niedergeschlagen: Die Würde des Menschen ist unantastbar und diese Würde geht aller positiven Gesetzgebung voraus. Der Staat kann gar nicht bestimmen, was die Natur des Menschen ist, wenn er nicht eine Gesinnungsdiktatur errichten und damit sein demokratisches Fundament unterminieren will.
3. Das Menschenbild des Genderismus, der sozial-willkürlichen Konstruktion des Geschlechtes und des Transhumanismus ist rein materialistisch "so als ob es Gott nicht gäbe".
Es handelt sich bei der Gender-Ideologie daher um eine menschenfeindliche Ideologie, die die natürliche Ordnung und damit die leib-seelische Integrität des Menschen zerstören will: Der Mensch wird nicht als einmalige Person in den Konditionen seiner Leiblichkeit, seiner geschichtlichen und sozialen Verortung anerkannt, sondern viel mehr als Biomaterial angesehen, das dem eigenen Pläsier oder dem fremden Willkürwillen zur beliebigen Gestaltung dient.
Die menschliche Natur, die Schöpfung als Mann und Frau, soll zunächst dekonstruiert, also zerstört werden, um dann nach völligem Belieben von wem auch immer neu konstruiert und definiert zu werden. Was für ein teuflisches Spiel, das hier mit dem Menschen getrieben werden soll. Ein Spiel, das dem Grundsatz ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘ aus anthropologischer und christlicher Sicht diametral entgegensteht. In Wirklichkeit liegt die Identität des Menschen zunächst in seiner Person als Mann oder Frau, in seiner Sprache, seiner Kultur, seinem Gewissen etc. – nicht aber in der erotischen Anziehung auf sich selbst, einen anderen Menschen, ein Fetisch als Mittel zum sexuellen Selbstgenuss.
4. Erst das christliche Sakrament der Ehe bildet den perfekten Rahmen für die sexuelle Entfaltung des Menschen als Mann und Frau. Es ist nämlich ausgerichtet auf den anderen geliebten Menschen und damit auf Gott hin, der durch Ehe und Familie auch seinen Schöpfungs- und Heilswillen ausführt.
Die Ehe von Mann und Frau ist dabei in keinster Weise nur eine Spielart der wechselseitigen sexuellen Befriedigung, sondern eine Gemeinschaft innigster personaler Liebe und der ganzheitlichen Verantwortung füreinander (inklusive des sakramental vermittelten Heilsverhältnisses zu Gott) und für die Kinder und Verwandten. Die klassische und zugleich sehr moderne Lehre der Ehe hat nichts mit einer Verzweckung der Ehepartner für (utilitaristische) Kinderaufzucht und für die egoistische Befriedigung sexueller Gelüste zu tun. Die Ehe ist vielmehr die Teilhabe der Ehepartner an Gottes schöpferischer Liebe im Ein-Fleisch-Werden (in Christus als Sakrament) und in der Verwirklichung des Schöpferwillens durch die Generationenfolge. Die Kinder sind dabei kein Spielzeug der Eltern. Vielmehr sind sie von Gott geschaffen und den Eltern anvertraut, damit sie ihr Heil finden in der Verherrlichung Gottes des Schöpfers, Erlösers und Vollenders jedes Menschen.
5. Christlich bleibt die Bemühung um eine angemessene Erfassung der Ehe im Schöpfungs- und Heilswillen Gottes nur, wenn das biblische Zeugnis und die im Leben der Kirche entwickelte Anthropologie und die Lehre von der Sakramentalität der Ehe nicht unter das Paradigma der nicht natürlichen, sondern materialistischen, d.h. atheistischen Anthropologie des Genderismus fallen. Man darf nicht wie im Gnostizismus die gesamte Offenbarung unter das Vorzeichen einer ideologischen Spekulation stellen und nur mit einigen Reminiszenzen den Schein des Christlichen aufrechterhalten (mit assoziativen Bibelzitaten oder dem irrsinnigen Diktum, wie beispielsweise „Gott hat mich divers, egoistisch, rassistisch, nationalistisch usw. geschaffen“, als ob die Dysfunktionen und Charaktermängel manichäisch auf Gott zurückgingen).
6. So kann der Staat auch nicht die Natur der Ehe nach politischen Interessen beliebig umdefinieren, da die wechselseitige Zuordnung von Mann und Frau wesentlich zur Natur des Menschen gehört. Der Begriff der „Ehe“ kann nur im naturrechtlichen und noch mehr im kirchlichen Kontext richtig verwendet werden: die einzigartige Verbindung von einem Mann und einer Frau in der Gemeinschaft der Liebe, des Leibes und des Lebens vor Gott. Somit ist die Verwendung des politischen Schlagwortes „Ehe für alle und jeden“ nur ein Beweis dafür, dass man nichts verstanden hat. Man kann nicht ausschließen, dass eine derartige verwirrende und bewusst zynische Formulierung eine gezielte Verletzung oder einen Angriff auf die Religionsfreiheit darstellt. Der Ehemann und die Ehefrau sind einmalige Personen in ihrer Liebes-Gemeinschaft und nicht die austauschbaren Sexgespielen in kleiner oder größerer Zahl.
7. Menschen mit ‚same sex attraction‘ sind genauso von Gott geliebte Menschen, wie alle anderen auch. Auch die Segnung von solchen Personen ist – genauso wie die Segnung von allen Menschen mit welchen Neigungen auch immer – immer ein Akt göttlicher Gnade und ein Aufruf zur Bekehrung und zu einem Leben entsprechend der 10 Gebote. Aber am Morgen der Schöpfung hat Gott die erste Ehe als Verbindung von einem Mann und einer Frau gesegnet (Gen 1, 28). Eine Verbindung welcher Art auch immer, die im Widerspruch steht zu Gottes Willen, kann nicht zugleich als von Gott gutgeheißen erklärt werden. Denn segnen, benedicere, heißt, etwas von Gott her und auf Gott hin für gut erklären. Auch muss man den Respekt vor einzelnen Menschen mit bestimmten Neigungen unterscheiden von den Interessen von Pressure-Groups, die ganz bewusst der Mehrheitsgesellschaft mit Gewalt oder Gehirnwäsche ihre Sicht aufdrängen wollen. Und, entsprechend der Diktatur des Relativismus, wer dieser Sicht berechtigterweise widerspricht soll mundtot gemacht, medial geächtet oder sogar juristisch verfolgt werden.
8. Allerdings können von der Kirche, wenn sie ihrem göttlichen Stifter treu bleibt, außer der Ehe und dem geweihten Leben keine anderen Lebensformen gesegnet werden – die einzelnen Menschen dagegen alle.
Das bezieht sich nicht nur auf die Partnerschaft von Menschen mit sexuellen Neigungen zu Personen des eigenen Geschlechtes. Auch die Partnerschaft von einem Mann und mehreren Frauen oder einer Frau und mehreren Männern kann von der Kirche nicht gesegnet werden. Selbst normale Freundschaften werden nicht formal gesegnet. Die Ehe zwischen Mann und Frau ist Teil der Kernmarke der Kirche, da sie die Keimzelle der christlichen Familie ist. Sie wurde von Jesus Christus als Sakrament eingesetzt und ist untrennbar mit der Gemeinschaft der Gläubigen verbunden. Erst mit Jesus ist gegenüber mancher (erbsündlich bedingter) Verdunkelung der Ehe der ursprüngliche Wille Gottes zur Einehe, der Unauflöslichkeit, der Offenheit auf das Kind wieder voll ins Bewusstsein getreten und mit der Erhebung zum Sakrament ins volle Licht gerückt worden.
Daher ist es wichtig, dass die Seelsorger im Namen Christi des gekreuzigten und auferstandenen Herrn und des guten Hirten, die Ehepartner ermutigen, sich immer wieder als einmalige von Gott geliebte Personen neu zu entdecken, im Heiligen Geist das Feuer der persönlichen und ganzheitlichen Liebe immer wieder neu zu entfachen. Familie ist und muss der einziger Ort bleiben, an dem die höchste Form dieser geistigen und körperlichen Liebe und Vereinigung miteinander gelebt und die Liebe Gottes zur Schöpfung in einzigartig fruchtbarer Weise durch Mann und Frau dargestellt wird.
Gerhard Kardinal Müller, Rom
Archivfoto Kardinal Müller (c) Michael Hesemann
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