"Rebellion der Hirten"

22. März 2021 in Kommentar


Entrüstete Reaktionen der österreichischen Bischöfe auf römisches Nein zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare verstärken nun Chor schon altbekannter Rebellen gegen kirchliche Morallehre - Kirchenspaltung ist nähergerückt. Analyse von Michael Koder


Wien (kath.net/mk) Rom hat gesprochen, und Österreich widerspricht. Die vatikanische Glaubenskongregation hat die Frage, ob die Kirche homosexuelle Partnerschaften segnen dürfe, klar mit Nein beantwortet. Und Österreichs Kirchenvertreter, jedenfalls diejenigen, die in Medien und der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden, lehnen die Klarstellung aus dem Vatikan offen ab. Der ORF „musste“ für einen Beitrag in der Zeit im Bild sogar kath.net-Mitarbeiter Christof Zeller-Zellenberg interviewen, um ein „ausgewogenes“ Meinungsspektrum von einem Verteidiger und sonst lauter Gegnern der römischen Note präsentieren zu können.

Eine Zusammenschau aller Wortmeldungen, die von Bischöfen (Erzbischof Franz Lackner, Familienbischof Hermann Glettler, Bischöfe Benno Elbs und Manfred Scheuer), kirchlichen Vereinigungen wie der Katholischen Aktion, der Katholischen Jugend, der Katholischen Frauenbewegung und Männerbewegung, sowie „reformatorischen“ Zusammenschlüssen wie „Wir sind Kirche“ oder der „Pfarrer-Initiative“ gekommen sind, ergibt ein ziemlich einheitliches Meinungsbild:

Das Schreiben aus Rom ist grundsätzlich schlecht, ernüchternd und enttäuschend. Es setze die lange Geschichte von Diskriminierung, liebloser Verurteilung und Ausgrenzung von Homosexuellen fort und legitimiere ihre Verfolgung und Todesstrafe in anderen Gesellschaften. Die Kirche hingegen müsse im Einsatz für die Liebe sein und dürfe niemanden ausschließen. Sie habe sich bei Gott für den Segen und das damit verbundene Wachstum aller Menschen einzusetzen, als Werkzeug des Heils und nicht dessen Herrin. Überhaupt könne der Vatikan keine Moralnormen von oben verordnen, sondern müsse in Dialog mit den Ortskirchen treten. Die Kirche habe die neueren Erkenntnisse der Humanwissenschaften zu beachten und dürfe nicht auf einer überholten Lehre beharren. Konkret seien homosexuelle Partnerschaften von Verantwortung, Treue und gegenseitiger Hingabe geprägt, was die Kirche wertschätzen müsse. Diese Beziehungen würden dem Wohl der Partner und der Gesellschaft dienen. Nach der katholischen Frauenbewegung seien sie auch ein liebevolles Zuhause für Kinder und ein Ort verantworteter Sexualität.
Immer wieder verweisen die Wortspender zur Rechtfertigung ihrer Entrüstung auch auf das päpstliche Schreiben „Amoris Laetitia“ und frühere Aussagen von Papst Franziskus, wonach homosexuelle Partnerschaften durch ein staatliches Rechtsinstitut anerkannt werden sollten und überhaupt niemand die Lebensweise eines anderen verurteilen dürfe.

Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, eine intensive Auseinandersetzung mit der Beurteilung von Homosexualität sei nötig. Es habe schon Weiterentwicklungen des Lehramtes in diesem Bereich gegeben und es müsse noch weitere geben.
Die Konsequenz aus der römischen Note, nämlich das Verbot der erwähnten Segnungen, wird von manchen offen (Pfarrer-Initiative, Katholische Jugend und Diözese Linz kündigen Nichtbefolgung an), von anderen (vor allem den Bischöfen) nur verklausuliert abgelehnt (Wertschätzung homosexueller Partnerschaften durch liturgische Handlungen, Einzelsegen ungeachtet der sexuellen Orientierung).

Positiv abgewinnen können einige Bischöfe der römischen Note die ausdrückliche Verneinung einer Analogie, also einer Ähnlichkeit zwischen homosexuellen Partnerschaften und der Ehe: Erzbischof Lackner betont etwa, dass die katholische Kirche zu Recht das Zusammenleben von Mann und Frau in der Ehe mit der Möglichkeit der Weitergabe des Lebens als Idealform ansehe. Den Schutz des Ehesakramentes als Grundanliegen der Glaubenskongregation trage er mit. Auch Familienbischof Glettler lehnt eine „quasisakramentale Legitimierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften“ durch Segnungsfeiern ab: „Die Kirche wird ihre Prinzipien nicht aufgeben“, meint er.

Doch an welchen Prinzipien wollen die Bischöfe und Konsorten überhaupt festhalten? Ganz nüchtern betrachtet ist der Widerspruch zwischen den oben dargelegten Wortmeldungen über homosexuelle Partnerschaften und deren Einordnung im Katechismus offenkundig. Dies bestreiten die Gegner des römischen Neins ja auch nicht (sie pochen deshalb auf eine Weiterentwicklung des Lehramtes), weshalb man sie getrost als Rebellen bezeichnen kann. Umschifft wird von ihnen immer das Grundproblem, dass die Kirche zwar die Art der Verkündigung an die jeweilige Zeit anpassen kann (und das in den letzten 50 Jahren schon reichlich getan hat), es ihr aber verwehrt ist, den Inhalt ihrer Lehre zu ändern. Denn diese ist von Christus selbst „tradiert“, wird also von Generation zu Generation, von Papst zu Papst, von Jahrhundert zu Jahrhundert weitergegeben und immer tiefer erkannt: eine oft geforderte „Verheutigung“, eine „Evolution“ des Lehramtes, dessen Anpassung an neuere wissenschaftliche Erkenntnisse oder auch nur an die Moden der Zeit ist in diesem Konzept, das von zeitlos gültigen Wahrheiten ausgeht, gar nicht vorgesehen.

Auch der von den Bischöfen versuchte Spagat zwischen dem Schutz des Ehesakraments einerseits und der Möglichkeit von Segnungen homosexueller Paare andererseits ist nicht haltbar, dies ergibt sich schon aus der römischen Note selbst. Sie ordnet Segnungen unter die Sakramentalien ein und folgert gerade aus deren Wesen das ausgesprochene Verbot: Sakramentalien seien „heilige Zeichen, durch die in einer gewissen Nachahmung der Sakramente Wirkungen bezeichnet und kraft der Fürbitte der Kirche erlangt werden. Durch diese Zeichen werden die Menschen bereitet, die eigentliche Wirkung der Sakramente aufzunehmen“; dieser Satz ist wörtlich einer Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils entnommen. Es besteht also ein innerer Zusammenhang zwischen Sakramentale und Sakrament; Ersteres bedeutet wörtlich nichts anderes als „kleines Sakrament“. Die Kirche kann nur für das Fürbitte einlegen, von dessen prinzipieller Übereinstimmung mit dem Plan des Schöpfers sie glaubt, und kann daher – mit Blick auf das Ehesakrament – keine gleichgeschlechtlichen Paare und auch keine verschiedengeschlechtlichen, die dauerhaft unverheiratet „wie in einer Ehe“ zusammenleben, segnen. Auch Segnungen einzelner Personen sind demnach an deren Entschluss gebunden, fortan in Treue zu Gottes Plänen und damit in Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche zu leben.

Der von den Rebellen so sehr ersehnte Spielraum besteht also nicht und kann schon nach dem Grundkonzept der Kirche nicht bestehen. Dieses umfasst auch eine VON OBEN eingesetzte Kirche, die letztlich von Jesus Christus selbst ausgeht. Folglich setzen sich auch Forderungen der Weiterentwicklung der Lehre durch Ortskirchen und des Dialogs zwischen diesen und dem Vatikan zu diesem Grundprinzip in Widerspruch. So heißt es auch im Kirchenrecht: „Allein der apostolische Stuhl kann neue Sakramentalien einführen oder bestehende verbindlich auslegen oder verändern.“ (can. 1167 CIC) Die Kirche ist eben keine Freikirche, die als Werkzeug benutzt werden kann, um Gott vor den Karren des persönlichen Lebensplanes zu spannen, sondern sie ist gleichsam für die von oben nach unten fließende Gnade ein Kanal, für dessen Durchlässigkeit die Glaubenskongregation als oberste Hüterin eingesetzt ist.

Wollen und Sein klaffen hier also auseinander. Es wäre unvernünftig und unehrlich, wollte man auf Dauer über diesen Grundkonflikt hinweg argumentieren. Es besteht bereits eine kaum mehr zu verhehlende Kirchenspaltung im Bereich der Morallehre, und in Deutschland bahnt sich mit rasenden Schritten eine wirkliche Abspaltung einer Nationalkirche an (Stichwort „Synodaler Weg“). Es bleibt abzuwarten, ob man in Österreich um einen solchen Schritt herumkommen wird, zumal nun auch unsere Hirten in den Chor der offenen Rebellion gegen Rom eingestimmt haben. Er wäre schmerzhaft, aber auch klarstellend und befreiend.

Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die Note der Glaubenskongregation sich keineswegs – wie von ihren Gegnern behauptet – in der Bekräftigung eines Verbots erschöpft, sondern auch wichtige pastorale Ansätze enthält: Die christliche Gemeinschaft und die geistlichen Hirten sind aufgerufen, Menschen mit homosexuellen Neigungen mit Respekt und Takt aufzunehmen und ihnen das Evangelium in seiner Fülle zu verkünden. Auf diesen Wegen können das Hören des Wortes Gottes, das Gebet, die Teilnahme an liturgischen Handlungen der Kirche und praktizierte Nächstenliebe eine wichtige Rolle bei der Förderung von Bemühungen spielen, die eigene Lebensgeschichte zu deuten sowie frei und verantwortungsbewusst die eigene Taufberufung anzunehmen, weil Gott jeden Menschen liebt. Er segnet nicht die Sünde und er kann sie nicht segnen: Er segnet aber den sündigen Menschen, damit dieser erkennt, dass er Teil von Gottes Liebesplan ist, und sich von ihm verändern lässt.  

 

Cafe zu den 7 Posaunen 04 Lügen, die wir glauben? - Mit Karin Grill und P. Clemens Pilar


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