Osterruhe. Über diverse moderne Bewegungen in Theologie und Kirche, Teil II

30. März 2021 in Kommentar


"Die 'deutsche Kirche' fährt lieber in die Havarie, ihr überladenes Schiff stellt sich in der Fahrrinne quer. Sie praktiziert eine Theologie der Unterwerfung unter die herrschende Meinung." Kommentar von Franz Norbert Otterbeck


Köln (kath.net) Mit Blick auf Ostern betonte Frau Dr. h.c. Schavan, laut KNA: "Solidarität im Leiden ist die vielleicht stärkste Kraft, die von der Botschaft der nächsten Tage durch das Osterfest ausgeht." Dieses völlig nichtssagende Zitat steht exemplarisch für die Auflösung der "Osterbotschaft" in sinnlose Sinnsprüche, wie es für moderne, deutsche Katholiken typisch ist. Die Dame, die frecherweise als Vatikanbotschafterin amtieren durfte, spricht von einer "vielleicht stärksten Kraft": Solidarität im Leiden? Jesus hat sich also "solidarisch im Leiden" gezeigt? Und das ist die stärkste Kraft? Solidarisch im Leiden agiert auch die Arbeiterwohlfahrt und jede Klinik, die sich um Corona-Kranke kümmert. Botschaft? Ostern stimmt uns sentimental ...

Osterruhe, ewiger Sabbat. Auch wenn der Vorschlag nicht von der Politik gekommen wäre: Treffender lässt sich die Vernichtung der Mitte christlicher Existenz gar nicht zusammenfassen, wie sie uns heute, überdies als "kirchliche" Verkündigung etikettiert, postkonziliar-postmodern zugrunde richtet. Der eine oder andere deutsche Bischof wird noch leise "Alleluia" in sein Mikrofon murmeln, wenn sein Fernsehgottesdienst zu Ostern auf Sendung geht. Aber wird noch eine Tatsache, ein Ereignis verkündet? Oder doch nur eine Kraft, ein Glaube, eine fromme Meinung, über ein nutzbringendes Projekt, das seinen mysteriösen Anfang nahm von einer "guten Nachricht", deren historischer Gehalt ungewiss ist? Aber sowieso in jeder Epoche neu interpretiert werden muss? "Jesus heute" gibt uns das gute Gefühl, politisch auf der richtigen Seite zu stehen, achtsam und wachsam?

Wenn die bunten Fahnen wehten, ging die Fahrt wohl übers Meer. Die "deutsche Kirche" fährt lieber in die Havarie, ihr überladenes Schiff stellt sich in der Fahrrinne quer. Sie praktiziert eine Theologie der Unterwerfung unter die herrschende Meinung. Man stelle sich nur vor, an deutschen Kirchen und Pfarrhäusern wäre 1937, zum Zeichen des Protests gegen Rom, speziell gegen die Enzyklika "Mit brennender Sorge ...", die damalige Signalflagge der politischen Herrschaft aufgezogen worden? Unvorstellbar? Es gab damals noch Katholiken in Deutschland. Heute dürfte deren Zahl, legt man den Katechismus von 1992 als Maßstab des Glaubens an, geringer sein als die Zahl der Mitglieder jüdischer Gemeinden. Nur die Zahl der konfessionell Beschäftigten ist sehr viel höher. Und einige davon sind es, die einen " mutigen Widerstand" zur Aufführung bringen, der kein Risiko enthält, denn die Bischöfe als Arbeitgeber sympathisieren zum Teil offen mit der "Bewegung". Bischof Bätzing deklarierte, das Responsum aus Rom werde in der Breite keine Akzeptanz finden. Petrus zu Pfingsten wäre es nie in den Sinn gekommen, dass die Osterbotschaft in der Breite keine Akzeptanz finden werde, Missionsarbeit also sinnlos sei. Die aktuelle Fahnenparade illustriert die bedingungslose Kapitulation der deutschen Kirche vor der Zivilreligion der Gegenwart: Nationalkatholizismus im freien Fall ...

Die Zivilreligion der Gegenwart formuliert kein Führerprinzip, keinen Rassismus, keinen Judenhass. Gott sei Dank. Man bemüht Worte, deren Klang noch positiv besetzt ist: Humanität, Selbstbestimmung und Toleranz. Man kümmert sich dabei wenig um einen fassbaren Gehalt. Manchen gilt die Abtreibung schon als Menschenrecht, anderen auch die Euthanasie. "Es geht um Liebe", titelte das Bistumsblatt aus Aachen: im Bild eine regenbogenfarbige Grafik, die ein Männerpaar symbolisiert.  "Aber ich liebe doch ... alle Menschen", bekundete schon DDR-Minister Mielke 1989 vor der Volkskammer. "Love is no sin", aber Sünde kann keine Liebe sein, weder beim Staatsterror aus "edlen Motiven" noch bei der Verhöhnung der Gebote Gottes. Moses brachte den Israeliten vom Gottesberg jedenfalls nicht die bunte Fahne des liebestollen Pharao mit.

 

Selbstverständlich muss einem weit ausgreifenden Bewusstseinswandel im Zusammenleben der Menschen auch kirchlicherseits Rechnung getragen werden, wie es der Katechismus von 1992 bereits tut. Aber wer soll die Botschaft glauben, dass es bei der praktizierten Homosexualität immer und überall nur "um Liebe" gehe? Dem Vernehmen nach ist die große, reine, selbstlose "Ein-Ehe" dort so selten wie ein schwarzer Schwan. Was also soll "gesegnet" werden? Die gute Absicht, sich in der Sexualität zu mäßigen und einen etwas frömmeren Lebenswandel anzustreben? Wenn es vielleicht 50 Paare pro Jahr gibt, die so einen Segenswunsch äußern, dann kommt von den über 2500 deutschen Seelsorger*innen, die angeblich segnungswillig sind, jede/r alle 50 Jahre mal dran, um so eine Segenssimulation zu spendieren. "Flagge zeigen" will man ja völlig unabhängig von Angebot und Nachfrage. Es geht um einen Aufstand gegen das katholische Prinzip, dass die Offenbarung Gottes sich auch äußerer, rechtlich fassbarer Strukturen bedient, um verbindlich zu den Menschen zu kommen. Papst Franziskus hat es sich nicht selten herausgenommen, eigenwillig und für traditionsorientierte Christen auch irritierend mit dem "petrinischen Prinzip" umzugehen. Er erhoffte sich davon wahrscheinlich eine Belebung der kirchlichen Weggemeinschaft. Zugleich hat er immer wieder deutlich gemacht, dass er die alte Agenda der progressiven Partei nicht "sklavisch" abzuarbeiten gedenkt. Der Zorn über diesen lange versteckten Dissens bricht jetzt hervor. Denn im Wesentlichen bleibt Rom sich treu. Überraschung: Auch dieser Papst ist katholisch.

Spätere Historiker werden genauer differenzieren können, was den vorkonziliaren Modernismus vom nachkonziliaren Postmodernismus unterscheidet. Die gegenwärtige totale Verwirrung aller Begriffe in Dogma, Moral und Verkündigung, bis hin zur beispielhaften Umdeutung der Osterbotschaft im "Evangelium nach Schavan", möchte ich vorläufig "Postmodernismus" nennen. Denn der Modernismus um 1900 ging noch von wissenschaftlichen Prämissen aus, die bald widerlegt wurden. Die Wissenschaft heute erklärt beispielsweise Wunder nicht mehr für unmöglich und erachtet die Schöpfungstheologie nicht mehr für unwissenschaftlich. Stattdessen fühlt sich der theologische Postmodernismus nur noch einem diffusen Gefühl von angemaßter Wissenschaftlichkeit verpflichtet und nimmt Behauptungen als "wissenschaftlich" zur Kenntnis, die doch in den meisten Fällen als Mythen postmodernen Typs entlarvt werden. Das Gerede vom "schwulen Gen" gilt schon als nicht mehr haltbar.

Ich habe noch einige Erinnerungen an Kardinal Joseph Höffner. Er vermochte Glaube und Vernunft klug zu verbinden. Wer sein langes ZDF-Gespräch mit dem Journalisten Michael Albus von 1986 wieder anschaut, der staunt auch heute noch über die Weisheit und Weitsicht des "Mannes großer Güte" (wie Norbert Feldhoff ihn im Gercke-Gutachten nannte). Er war vor 35 Jahren noch davon überzeugt, dass es die Laien sein werden, die in das politische Leben der Bundesrepublik ihre Überzeugungen von einer christlich geprägten Gesellschaftsethik einbringen werden. Aber wo sind "die Laien" heute? Bei den Laien im kirchlichen Dienst ist ungewiss, ob es sich um gläubige Katholiken im Sinne des "Weltkatechismus" handelt; und wenn doch, dann werden sie von der "modernistischen" Mehrheit nicht selten mit erlesenem Mobbing unter Druck gesetzt. Laien außerhalb des kirchlichen Dienstes gelten bisweilen noch als "praktizierende" Katholiken, wie etwa Armin Laschet, Friedrich Merz oder Norbert Röttgen. Julia Klöckner würde ich angesichts ihres Regenbogen-Bekenntnisses nicht mehr dazuzählen. Jens Spahn ist sowieso disqualifiziert, ganz unabhängig von seinem Lebensentwurf. Aber keiner dieser Politiker würde jemals, käme es zum offenen Kulturkampf 2.0, die römische Linie dem Berliner Programm vorziehen. "Wieviele Divisionen hat der Papst?", soll Stalin mal scherzhaft gefragt haben. In Deutschland gäbe es nicht einmal genug "Soldaten", um die Schweizergarde wieder aufzufüllen, würde diese, aus Protest gegen den Papst, vom Vatikan abgezogen. Gott sei Dank bleiben die achtsamen, wachsamen Schweizer auf Posten und schwören dem Heiligen Vater die Treue, bei Gott und allen Heiligen. Das wäre der richtige Fahneneid, auch für den "Synodalen Weg".


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