Brandmüller: deutsche Nationalkirche im Eilmarsch „Los von Rom“

20. April 2021 in Aktuelles


Reflexionen über einen Nebel und die sinkende Titanic, Teil 1. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as/wb) „Von den Oberhirten der 27 deutschen Bistümer könnten etwa je ein Viertel als „konservativ“ – und das heißt katholisch –, das andere als irrgläubig, nicht mehr katholisch, bezeichnet werden. Der Rest hält sich bedeckt, ist unsicher oder einfach feige. Die Abstimmungsverhältnisse der Bischofskonferenzen erwecken diesen Eindruck“:

Walter Kardinal Brandmüller verfolgt besorgt die Entwicklung der Kirche in Deutschland, die sich geschüttelt auf einen „synodalen Weg“ begeben hat, der sich immer mehr als Irrweg, Abweg und ideologische Sackgasse offenbart. Er tut dies aus der römischen Perspektive des Priesters und Bischofs, der zu den bedeutendsten Kirchengeschichtlern der Gegenwart gehört. kath.net veröffentlicht Teil 1 seines wichtigen Aufsatzes.

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Deutsche Nationalkirche im Eilmarsch „Los von Rom“, Teil 1. Von Walter Kardinal Brandmüller

Dafür könnte Heinrich VIII. von England ein Modell geliefert haben. Als der Papst die Ehescheidungswünsche des Königs nicht erfüllen konnte, brach Heinrich VIII. mit Rom – und es entstand die Church of England.

Könnte heute nicht auch aus der Kirche in Deutschland eine „Deutsche Kirche“ werden?

Konfliktstoff gibt es heute wie damals, und es ging damals wie heute wieder um die Ehe.

Nicht auch in Frankfurt? Nur, heute fordert man sogar die „Ehe“ für gleichgeschlechtliche Partner. Und - es ging damals wie heute auch um „den Papst“. Man wollte und will heute wieder eine nicht vom jenseits der Berge liegenden welschen Rom gesteuerte Kirche, eine Deutsche Kirche soll es sein! Hermann, der Sieger über Roms Legionen hätte seine Freude daran!

„Los von Rom“, das war schon der Schlachtruf der „Deutschkatholiken“ des Vormärz – und ist heute wieder die Parole. Das heißt im Klartext: Los, auch vom katholischen Glauben.

Beweis für diese zunächst übertrieben erscheinende Behauptung ist eine Fehlanzeige: In all den Frankfurter Papieren fehlen genuin katholische Themen. Da ist vom Dreieinigen Gott, von Jesus Christus dem menschgewordenen Logos, von der Jungfrau und Gottesmutter Maria etc. keine Rede. Erlösung, Sünde, Gnade, Gericht und Ewiges Leben kommen schon gar nicht vor. Eben das aber waren und sind wesentliche Elemente des katholischen Glaubens – und heute wie je aktuell.

Was also bedeutet diese auffallende Fehlanzeige?

Zusammengeschaut mit der kirchlichen Statistik gleicht die Situation jener der sinkenden Titanic, auf der die Musikkapelle unverzagt muntere Weisen spielt. Die Frage ist: Wie lange noch?

Es dürfte schwer sein, diese Diagnose als Hirngespinst engstirniger Traditionalisten und Fortschrittsverweigerer zu disqualifizieren. Es genügt ein nüchterner Blick auf die nicht einmal mehr 10% der Teilnehmer an der sonntäglichen Eucharistiefeier. Wie also ist die wirkliche Lage?

Dem Minimum an „praktizierenden“ Katholiken steht ein Maximum an aufgeblähter kirchlicher Bürokratie gegenüber, einem Apparat, der die einzelnen Bischöfe entmachtet und zu Funktionären degradiert. Von den Oberhirten der 27 deutschen Bistümer könnten etwa je ein Viertel als „konservativ“ – und das heißt katholisch – , das andere als irrgläubig, nicht mehr katholisch, bezeichnet werden. Der Rest hält sich bedeckt, ist unsicher oder einfach feige. Die Abstimmungsverhältnisse der Bischofskonferenzen erwecken diesen Eindruck.

Werfen wir sodann einen Blick auf die theologischen Fakultäten, an denen die wenigen Priesteramtskandidaten samt den Lehramtsstudenten ausgebildet werden. Dabei fällt auf, dass von den Professoren der Theologie, anders als ehedem, die wenigsten Priester sind. Das ist natürlich keine Aussage über deren wissenschaftliche Qualität. Es ist jedoch nicht zu übersehen, welche Bedeutung das Eingebundensein in das sakramentale, liturgische Leben der Kirche, etwa gar die seelsorgliche Tätigkeit eines Priesters für sein theologisches Forschen und Lehren besitzt.

Georg May hat mit seinem 2017 erschienenen magistralen Werk 300 Jahre gläubige und ungläubige Theologie auf 1115 Seiten eine ebenso umfassende wie kritische Theologiegeschichte vorgelegt, die die Hintergründe der gegenwärtigen Theologie- und Kirchenkrise ausleuchtet. Dieses Werk lässt das Ausmaß erkennen, in welchem theologischer Irrtum bis heute publiziert und gelehrt werden konnte, ohne dass außer in seltenen Fällen seitens der Inhaber des kirchlichen Lehramts, d.h. der Bischöfe, dagegen eingeschritten worden wäre.

Die Folge davon ist, dass die Studenten die authentische Lehre der Kirche vielfach gar nicht mehr kennenlernen, sondern nur noch deren zeitgeistgemäße Verzerrungen. Zu den Opfern einer solchen theologischen Ausbildung gehören auch in den letzten Jahrzehnten ausgebildete Bischöfe, wie aus der Frankfurter „Synodenaula“ bekannt gewordene Äußerungen zeigen. Gott sei’s gedankt, dass so manche der Lehre der Kirche treue wie wissenschaftlich anerkannte Theologen sich unbeirrt dem Mainstream entgegenstellen, mag man sie auch als Ewiggestrige ablehnen.

Ein wesentliches für den deutschsprachigen Katholizismus charakteristisches Element war das seit dem frühen 19. Jahrhundert entstandene Vereinswesen. Angefangen hatte es mit der Gründung der katholischen Casinos während des frühen Kulturkampfes in Baden. Es folgten namentlich nach 1848 die beliebten Pius-Vereine, und andere mehr.

Bis zur Unterdrückung durch den NS-Staat und dann wieder bis nach dem II. Vaticanum waren diese Vereine die Art und Weise der Präsenz der Katholiken in der Gesellschaft. Ihrem Wirken – man denke besonders an den „Volksverein für das katholische Deutschland“, der, 1890 gegründet, bald nahezu eine Million Mitglieder zählte – war großer Erfolg vor allem in der Sozialpolitik beschieden.

Es war eben diese katholische Soziallehre, die nach dem II. Weltkrieg von CDU und CSU übernommen wurde, und die Anfänge der Bundesrepublik maßgeblich prägte.

Diese Art katholischer Organisationen gab es nahezu für jede gesellschaftliche Gruppe. Bald aber begann gegen Ende des 2. Vatikanischen Konzils namentlich in der Jugendbewegung, besonders in den Frauengemeinschaften ein emanzipatorischer Impuls wirksam zu werden. Verf. erinnert sich an einen Slogan des Frauenbundes: „Früher war’n wir selbstlos – heute geh’n wir selbst los!“

Das war der Abschied von den ursprünglichen katholischen Grundsätzen und Programmen. Es genüge, die CAJ, Christliche Arbeiterjugend, zu nennen, die nach dem Tode ihres Gründers, des belgischen Kardinals Joseph Cardijn im Jahre 1967, alsbald sich als Organ kommunistischer Infiltration erwies. Der Verf. selbst erinnert sich auch, in den 80er-Jahren ein Heft der Zeitschrift für die Führer der Pfadfinderschaft St. Georg in Händen gehabt zu haben, das ausführliche, mit Zeichnungen illustrierte Anweisungen für homosexuelle Praktiken enthielt.

So vollzog sich die fortschreitende Entfernung von den ehedem katholischen Gründungsprinzipien von Verbänden. Dies gilt besonders für den BDKJ – Bund der deutschen katholischen Jugend, der nicht nur an den von der Sowjetunion organisierten Friedenskonferenzen regelmäßig teilgenommen hat, sondern auch bis heute Forderungen erhebt, die in schroffem Gegensatz zur Lehre der Kirche stehen, wie entsprechende Wortmeldungen auf dem Frankfurter „Synodalen Weg“ beweisen.

Der Essener Katholikentag von 1968 – vom ehedem sehr verdienten Zentralkomitee der deutschen Katholiken veranstaltet – machte schließlich das Ende jenes Verbandskatholizismus offenkundig, der namentlich nach dem Ersten wie auch nach dem Zweiten Weltkrieg einen wesentlichen Anteil am Neuaufbau der Weimarer wie auch der Bonner Bundesrepublik hatte.

Waren einst die Katholikentage weithin beachtete Gelegenheiten, den katholischen Beitrag zur Gestaltung der Nach-Weltkriegs-Bundesrepublik darzustellen, so sind sie seit geraumer Zeit zum ideologischen Jahrmarkt geworden, auf dem die fragwürdigsten und moralisch verwerflichsten Ideen vertreten werden können, genuin Katholisches hingegen ungern zugelassen wird. Ist da gleichwohl von „katholisch“ die Rede, so ist das da und dort nur mehr Fassade, hinter der sich Irrtum und Unglaube verbergen. Man hat sich auf weite Strecken hin „gleichförmig dieser Welt“ gemacht (Röm 12,2).

Zugleich hat sich mittlerweile ein Graben zwischen dem organisierten „weltoffenen, zukunftsorientierten“ Katholizismus und den an einem bodenständigen, an volksfrommen Traditionen festhaltenden „Ewiggestrigen“ aufgetan, der sich auch in gegensätzlichen Haltungen gegenüber „Rom“ und dem Papst zeigt. Da nun ist seit einiger Zeit auch von Häresie und Schisma die Rede. Hat es nicht auch mit Luther 1520 ähnlich angefangen?*

Ein nüchterner Blick auf die kirchliche Landschaft unserer Tage zeigt in der Tat, dass das „vinculum symbolicum, liturgicum, hierarchicum“ – jenes Band des gemeinsamen Glaubens, der Sakramente und des Hirtenamtes – landauf, landab in verschiedenster Weise aufgelöst, zerrissen wird. Beinah ist es so, das selbst grobe Missachtung des kirchlichen Rechts, ja sogar der Glaubens- und Sittenlehre nicht nur nicht geahndet, sondern selbst von Bischöfen begangen wird. Folge davon, und der weitverbreiteten Unkenntnis der kirchlichen Lehre wie auch des kanonischen Rechts, ist es, dass Bischöfe und Priester nicht selten meinen, tun zu können was ihnen beliebt. Die Kategorien wahr und falsch, gut und böse sind im Mainstream des Pragmatismus und Relativismus weithin untergegangen. Die Warnungen Benedikts XVI. waren wohl vergebens.

Dementsprechend ist von einheitlicher, an Schrift und Tradition – das sind die Quellen des katholischen Glaubens – orientierter Verkündigung und Katechese weithin nicht mehr die Rede. Gleiches gilt von der Verwaltung der Sakramente, die da und dort verschieden gehandhabt wird. Willkür, Missbrauch im heiligsten Zentrum des Lebens der Kirche. Häufig werden auch die liturgischen Bücher, Missale, Rituale durch dilettantische Eigenprodukte in Form von „Ringbüchern“ ersetzt. Zugleich schreiten Generalvikare und Bischöfe gar nicht mehr dagegen ein. Dass auch Verletzungen des Zölibats, homosexuelle Verhältnisse im Klerus kaum mehr geahndet werden, kommt hinzu. Es wurde mehrfach in der Presse von Fällen berichtet, dass lauter Applaus der Gemeinde die Antwort war, als Priester am Ende des Gottesdienstes ihre zivile Trauung ankündigten.

Mit diesem Rückblick ist freilich keineswegs das ganze Spektrum erfasst. Von einem Bistum z. B. wird von kundiger Seite etwa die Hälfte der Priester als glaubenstreu und eifrig bezeichnet. Zudem entfalteten in letzter Zeit Wallfahrtsorte oder andere religiöse Zentren zunehmende Anziehungskraft. So bilden sich eher unabhängige und vom „offiziellen Apparat“ nicht gern gesehene Inseln im „katholischen“ Mainstream, wo gesundes kirchliches Leben Stützpunkte findet.

Bemerkenswert ist der Zustrom zu den heiligen Messen der Petrus-Bruderschaft, aber auch zu der von Erzbischof Lefebvre gegründeten, in einem immer noch ungeklärten Verhältnis zum Heiligen Stuhl stehenden Bruderschaft S. Pius X.

Nicht wenige Gläubige, die sich von den liturgischen Eskapaden ihrer Pfarreien enttäuscht fühlen, finden hier ihre Zuflucht.

 


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