Brandmüller: deutsche Nationalkirche im Eilmarsch „Los von Rom“

21. April 2021 in Aktuelles


Reflexionen: Teil 2. Untreue, Schismen und Häresie. Das Horrorszenario der kirchlichen Wiedervereinigung von einem evangelisch-katholischen Nationalkonzil auf der Basis des kleinsten gemeinsamen theologischen Nenners. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as/wb) Walter Kardinal Brandmüller verfolgt besorgt die Entwicklung der Kirche in Deutschland, die sich geschüttelt auf einen „synodalen Weg“ begeben hat, der sich immer mehr als Irrweg, Abweg und ideologische Sackgasse offenbart. Er tut dies aus der römischen Perspektive des Priesters und Bischofs, der zu den bedeutendsten Kirchengeschichtlern der Gegenwart gehört. kath.net veröffentlicht Teil 2 seines wichtigen Aufsatzes. Der erste Teil wurde am 20. April 2021 veröffentlicht

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Deutsche Nationalkirche im Eilmarsch „Los von Rom“, Teil 2. Von Walter Kardinal Brandmüller

Blicken wir also zurück auf das sich dem Betrachter seit einigen Jahren bietende Bild des deutschen Katholizismus, dann kann die spätestens seit dem Frankfurter Geschehen nicht mehr verstummende Rede von einem deutschen Schisma nicht länger als Schwarzmalerei verharmlost werden. Es gilt sich der Realität zu stellen.

Die seit langem sich aufbauende Spannung zwischen der Deutschen Bischofskonferenz samt dem – mit welchem Recht? – so genannten „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ und dem kirchlichen Lehramt hat mittlerweile einen Grad erreicht, dass selbst ausländische Beobachter seit einiger Zeit von einem drohenden Schisma sprechen. In der Tat, „Schisma“ bedeutet Aufkündigung der kirchlichen Gemeinschaft mit Papst und Kirche. Das ist ein Akt, ein Zustand, der die Einheit der Kirche betrifft. Das gab es in der Vergangenheit immer wieder. In der Kirche der Antike hatten Teilkirchen sich von Rom getrennt – im Akazianischen Schisma (484-519), im Dreikapitelstreit (6./7. Jahrhundert) und schließlich im 11./12. Jahrhundert im Morgenländischen Schisma zwischen Ost und West. Vor allem aber war da das Große abendländische Schisma, das die Kirche von 1378-1417 erst in zwei, dann gar in drei Teile zerriss.

Die Schismen der Antike betrafen weniger im eigentlichen Sinn Irrlehren, und im Großen Schisma ging es gar nur um Politik. Der wahre Glaube stand außer Frage. Wenn aber heute von Schisma die Rede ist, so ist dies sogar eher eine verharmlosende Rede, denn in Wirklichkeit geht es in unseren Tagen um viel mehr: Es geht um den genuinen, auf Göttlicher Offenbarung beruhenden Glauben der Kirche.

Was wir seit längerem, besonders aber seit dem Zusammentreten der Frankfurter Versammlung erleben, ist also nicht mehr und nicht weniger als Häresie. Diese besteht im bewussten und öffentlich bekundeten Nein zu bestimmten Glaubenswahrheiten.

Es ist müßig, hier jene Lehren aufzuzählen, die von Teilnehmern an der Frankfurter Versammlung abgelehnt oder bezweifelt wurden. Die Frage wäre zu stellen, ob es sich im einen oder anderen Fall nicht sogar um Apostasie, d. i. Abfall vom Glauben an Gott und seine Offenbarung überhaupt handelte. So jedenfalls sagt der Codex des Kanonischen Rechts in can. 1364§1: „Der Apostat, der Häretiker, oder der Schismatiker ziehen sich die Exkommunikation als Tatstrafe zu…“.

Das aber heißt, dass hierzu nicht einmal ein kirchlicher Richterspruch notwendig ist.

Das also ist die Rechtslage, und es ist sehr zu bezweifeln, dass „die Frankfurter“ in ihrer Mehrheit sich dieser Situation überhaupt bewusst sind.

So etwa dürfte es sich einst – mutatis mutandis – auch in den Jahren nach 1520 begeben haben. Die Folgen sind bekannt – und dauern fort.

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Nun aber ist die Frage zu beantworten, wie sich die durch die Frankfurter Ereignisse geschaffene Situation weiter entwickeln wird, und welche Folgerungen sich daraus ergeben. Die von Frankfurt ausgehenden Signale verheißen nichts Gutes. Von Einsicht sind Ideologen meist weit entfernt.

Es ist Papst Franziskus selbst, der wohl als erster in jüngster Zeit von einem möglichen Schisma, einer Kirchenspaltung, gesprochen hat. Hat er damals schon an Bischöfe, Priester, Katholiken des deutschen Sprachraums gedacht? Tatsächlich stehen wir hier vor einem Gegenwarts- und Zukunftsszenario, das den die Zeitläufte beobachtenden Christen zutiefst beunruhigt, ja erschrecken lässt, ist ein Schisma doch wie ein Schwert, das der Kirche – die Heilige Schrift nennt sie „Leib“, auch „Braut“ Christi – tiefe Wunden schlägt.

Indes hat schon der Apostel Paulus sich mit Spaltungen in der Kirche von Korinth auseinandersetzen müssen: „Seid alle einmütig und duldet keine Spaltung unter euch“ (1 Kor 1,10). Und dann schreibt der nüchterne Realist: „Zunächst höre ich, dass es Spaltungen unter euch gibt, wenn ihr als Gemeinde zusammenkommt; zum Teil glaube ich das auch. Denn es muss Parteiungen geben unter euch, damit die Bewährten unter euch offenkundig werden.“ Wie klar hat der Apostel gesehen!

Und nun sehen wir – wenn wir die Augen vor der Realität nicht verschließen – auch uns mit dieser dem Wesen der Kirche schroff widersprechenden Realität konfrontiert.

Ein Rückblick auf die Geschichte der Kirche mag helfen, die Gegenwart besser zu verstehen.

Übergehen wir dabei die eher komplizierten Schismen in der Kirche der Antike. Da fällt der Blick auf das sogenannte Große Abendländische Schisma, das nach der Wahl eines Gegenpapstes gegen Urban VI. am 8. April 1378 für vierzig Jahre ins Unglück stürzen sollte. Alsbald war die Kirche des Westens in zwei Teile errissen, deren einer dem regierenden Papst Urban VI. treu blieb, während der andere dem Gegenpapst folgte. Doch damit nicht genug, ereignete sich 1409 eine neue Spaltung, als das Konzil von Pisa diese beiden als abgesetzt erklärte und Alexander V. als „wahren“ Papst erklärte. Erst das Konzil von Konstanz konnte nach vierzig Jahren des Ringens die Einheit der Kirche wiederherstellen.

Was aber war dieses Schisma? Besser fragen wir, worum es dabei ging: mit Sicherheit nicht um die Wahrheiten des Glaubens! Es ging um Macht, um den Besitz des Kirchenstaates. Im Glauben waren die schärfsten Gegner einig. Und so standen sich erst zwei, dann drei „Päpste“ in – von Ausnahmen abgesehen – geschlossenen Territorien einander gegenüber. So England bei Urban VI., Schottland bei Clemens VII. und das Reich im Wesentlichen bei dem von den Pisanern gewählten Johannes XXIII. Die Iberische Halbinsel samt Teilen Frankreichs bekannten sich zu Clemens VII. etc.

Dabei ist jedoch nicht zu vergessen, dass dieses Schisma eher Sache der fürstlichen, bischöflichen Kanzleien, der Universitäten, war, während es im kirchlichen Alltag wohl gewusst, aber kaum von Bedeutung war. Für den einfachen Priester, Gläubigen, war der eigene Bischof die maßgebliche Autorität – Rom, Avignon waren weit entfernt. Bezeichnend hierfür ist es, dass der heilige Bernhardin von Siena – einer der großen Volksprediger des 15. Jahrhunderts – in seinem mehrere Bände umfassenden Predigtwerk das Schisma mit keinem Wort erwähnt.

Nur hundert Jahre später schlägt Martin Luther seine Thesen an, wirft 1520 seine drei berühmten Kampfschriften in Großauflage unters Volk, in denen er – von allem anderen abgesehen – fundamentale Glaubenswahrheiten verwirft, und dann Bannbulle, Corpus Iuris Canonici und anderes spektakulär ins Feuer wirft. Das war Schisma und Häresie – Irrlehre – in einem. Das war eine flächendeckende Spaltung, waren es doch alsbald die einzelnen Fürsten oder Städte, die Luther folgten. Fortan bestimmte der Landesherr die Religion. „Dissidenten“ blieb der Weg zur Auswanderung. Damit war die konfessionelle Landkarte Deutschlands bis zum 2. Weltkrieg bestimmt. Auch hier handelte es sich um ein territoriales Phänomen.

Einer besonderen den Glauben selbstbedrohenden Gefahr begegnen wir im 11./12. Jahrhundert im Katharismus, der sich im Untergrund metastasenähnlich ausgebreitet und sich zu einer existentiellen Bedrohung für den genuin christlichen Glauben, ja für die gesamte auf diesem Fundament beruhende Gesellschaftsordnung entwickelt hat. Jahrhunderte später hat sich der Kryptoprotestantismus in Österreich im Untergrund gegen die katholische Herrschaft des Hauses Habsburg ähnlich organisiert: Man nahm am katholischen religiösen Leben pro forma teil, hielt aber an den protestantischen Überzeugungen fest. Und schließlich haben die Modernisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts und beginnenden 20. Jahrhunderts es ebenso verstanden, katholische Formen stillschweigend mit einem Inhalt zu füllen, der den auf göttlicher Offenbarung beruhenden Glauben überhaupt vergessen hatte.

In all diesen Fällen zeigt sich ein soziologisch interessantes Phänomen: Durch äußere Anpassung wollte man bewusst den inneren Abschied vom katholischen Glauben verbergen.

Ein besonderes Verhalten, dem eine gewisse Bedeutung für unsere Gegenwart zukommen dürfte, zeigte sich in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts in Deutschland. Gleichsam im Niemandsland zwischen katholischem und lutherischem „Kirchenwesen“ bildeten sich Mischformen von Elementen aus beiden Glaubensrichtungen heraus.

So begegnete man je nach der Einstellung der einzelnen Pfarrer/Priester geradezu bizarren konfessionellen Mischformen. Da lebte einer zölibatär, betete Brevier, predigte aber protestantisch, ein anderer zelebrierte und predigte katholisch, hatte aber Weib und Kinder, und so fort. Die Folge davon war ein Chaos, dem erst die seit der Mitte des Jahrhunderts mit dem Konzil von Trient einsetzende konfessionelle Klärung und Grenzziehung ein Ende setzte.

Dann aber begann ein Prozess der – nicht nur – religiösen Individualisierung: der Einzelne traf seine konfessionelle Entscheidung. Dies führte dazu, dass die konfessionelle Landkarte bald einem vielfarbigen Fleckenteppich glich. Dieser Prozess hat mittlerweile heute auch die kirchlichen Strukturen selbst erfasst und eine Situation geschaffen, die durch extreme Überdehnung des Bandes der Glaubenslehre, der Sakramente und der Leitung charakterisiert ist. Mancherorts ist das Band bereits gerissen.

In solchen Fällen ist für nicht wenige – darunter selbst Bischöfe, vor allem „katholische“ Funktionäre, bereits der Tatbestand von Häresie und Schisma erfüllt – und die Exkommunikation eingetreten.

Damit befindet sich der deutschsprachige Katholizismus in akuter lebensbedrohlicher Krise. Ein Katholik, der zu den noch maximal zehn Prozent der Sonntags-Messbesucher zählt, wird nun zusehen müssen, wo die Liturgie ehrfürchtig, den kirchlichen Normen entsprechend gefeiert wird, die Predigt den authentischen Glauben der Kirche vermittelt und die Sakramente nach der Ordnung der Kirche gespendet werden. Nicht wenige tun dies bereits und nehmen dafür auch manchen Wegkilometer in Kauf. Das könnte dazu führen, dass sich hierarchische Strukturen auflösen, und sich im Verlauf eines Klärungsprozesses ein Netz von authentisch katholischen Zentren bildet.

Damit ergibt sich sogleich ein schwer, wenn überhaupt, zu lösendes Problem, denn auch diese „treuen“ Priester würden ihrem Bischof unterstehen, der womöglich selbst mit dem Glauben und dem Recht der Kirche gebrochen hat, und deshalb bemüht ist, „seinen“ Klerus auf die „Frankfurter Linie“ einzuschwören. Unter solchen Umständen wird ein Priester, der „katholisch“ bleiben will, auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen. Der „Apparat“ wird alles tun, ihm das Leben schwer zu machen. Dies ist wohl das schwierigste Problem, das in diesem Zusammenhang zu lösen wäre.

In erster Linie müssten sich freilich die Bischöfe selbst entscheiden. Nun aber ist offenbar der Episkopat geteilt. Der eine, bekanntermaßen rom- und lehramtstreue Teil dürfte wohl ein Viertel ausmachen, ein anderes aus jenen bestehen, die sich bereits durch Wort und Tat vom authentischen Glauben der Kirche entfernt haben. Zwischen diesen beiden „Lagern“ bewegt sich alsdann die bislang nur durch Passivität und Stillschweigen aufgefallene andere Hälfte des Episkopats.

Die bedrängende Frage ist nun, wie diese sich entscheiden wird, wenn es endlich zum Schwur kommt.

Sollte die weitere Entwicklung tatsächlich dahinführen, wird auch die Frage nach den Konkordaten aktuell. Dabei ist nicht zu vergessen, dass Partner dieser völkerrechtlichen Verträge der Heilige Stuhl und die Bundesrepublik Deutschland bzw. die einzelnen Bundesländer sind, keineswegs aber die Deutsche Bischofskonferenz. Sollte es also tatsächlich dazu kommen, dass die Rufe des Papstes, zur Einheit des Glaubens zurückzukehren, in den Wäldern Germaniens ungehört verhallen, wäre dann der Tatbestand von Häresie und Schisma erfüllt.

Was also geschieht dann mit dem Konkordat? Und was geschieht dann mit der in den Konkordaten verankerten Kirchensteuer? Ein Band, das sich groteskerweise bisher als haltbarer erwiesen hat als jenes des katholischen Glaubens…

Wie unter solchen horrenden Umständen zu verfahren wäre, ist kaum vorstellbar. Eine in diesem Fall unumgängliche Entflechtung von Institutionen und Vermögen wäre eine überaus dornenvolle Aufgabe, die sich – was der Himmel fügen möge – niemals stellen wird.

Das Horrorszenario wäre, im anderen Falle, vollkommen, wenn tatsächlich die Träume – nicht nur – des einstigen deutschen Protestantenvereins aus den Jahren um 1860 in Erfüllung gingen, und die kirchliche Wiedervereinigung von einem evangelisch-katholischen Nationalkonzil auf der Basis des kleinsten gemeinsamen theologischen Nenners vollzogen würde.

Davor jedoch möge der Himmel uns dank der Fürsprache aller deutschen Heiligen gnädig bewahren.

 


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