"Ich suche den Beifall nicht, Christus hat uns anderes vorgelebt"

29. April 2021 in Interview


Churer Bischof Joseph Bonnemain im kath.net-Exklusiv-Interview: "Ich möchte alle, die – wie Sie sagen – 'einfach nur katholisch sein und treu zur Lehre der Kirche stehen wollen', ermutigen, auch diese Haltung allen gegenüber zu leben". Von Roland Noé


Chur (kath.net)

kath.net: Vorweg herzliche Gratulation zur Ernennung als Bischof von Chur, verbunden mit der Bitte um Gottes Segen für Ihr Wirken. Sie sprachen bei Ihrem Schlusswort von einem "anspruchsvollen Weg der Synodalität", den Sie wagen möchten. Mit der Synodalität ist ja das Ernstnehmen der Ortskirche gemeint. Die Vertretung der Ortskirche, d.h. das Domkapitel, hat Sie ja vor einigen Wochen nicht gewählt. Wie werden Sie mit diesem Dilemma umgehen bzw. wie werden Sie mit den Mitgliedern des Domkapitels jetzt umgehen, von denen Sie keine Stimme bekamen?

Bischof Joseph Bonnemain:  Kirchliche Synodalität ist sehr anspruchsvoll. Sie hat wenig zu tun mit einem rein demokratischen Denken. Wie Papst Franziskus wiederholt erklärt, wird die Synodalität erst verwirklicht, wenn man zusammen bereit ist, das zu tun, wozu der Heilige Geist uns anregt. Es braucht Offenheit, ein offenes Zuhören, ohne vorgefasste Entscheidungen. Es ist ein Ringen, um die Stimme Gottes wahrzunehmen, nicht zuletzt durch das Ernstnehmen der Stimmen der anderen Beteiligten.

Ein synodales Vorgehen erfordert eine gemeinsame Zeit der Kontemplation. Und dies immer in Einheit mit der Universalkirche, was bedeutet, auch in Einheit mit dem Papst zu entscheiden. Die Entscheidung des Domkapitels, keine Wahl vorzunehmen, wurde sehr rasch getroffen, ohne all diese Merkmale der Synodalität. Dennoch: Nachdem der Papst eine Ernennung vorgenommen hat, hoffe ich sehr, dass die Mitglieder des Kapitels aufgrund ihrer Kirchlichkeit diese Entscheidung unterstützen und mittragen. Ich werde dafür mein Bestes tun. So werden wir uns alle wieder in einer wahrhaften Synodalität begegnen können.

kath.net: Sie sprachen auch davon, dass die Kirche dorthin gehen soll, wo unter anderem die Kranken, Leidenden, die Einsamen, Suchenden, Entmutigten, die Randständigen, Ausgegrenzten und Armen sind. Nicht wenige Katholiken in der Kirchen fühlen sich derzeit - nicht nur in der Schweiz - von der Kirche und ihren Vertretern ausgegrenzt, weil sie einfach nur katholisch sein wollen und treu zur Lehre der Kirche stehen wollen, auch in unbequemen Fragen. In welcher Art und Weise werden Sie sich um diese Katholiken kümmern?

Bischof Bonnemain: Die Lehre der katholischen Kirche ist sehr „katholisch“. Gott will, wie Paulus schreibt, „dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass sich alle gläubigen Katholikinnen und Katholiken darum bemühen, treu zur Kirche zu stehen. Allerdings wird diese Treue bisweilen sehr unterschiedlich verstanden und gelebt. Niemand darf ausgegrenzt werden, in der Kirche gibt es Platz für alle.

Wir sind eine bunte, katholische, vielseitige Familie, in der alle geschätzt, unterstützt und geliebt werden müssen. Ich kann Ihnen garantieren, dass ich immer darum ringen werde, diese Art des Umgangs mit allen zu pflegen. Hier möchte ich auch alle, die – wie Sie sagen – „einfach nur katholisch sein wollen und treu zur Lehre der Kirche stehen wollen“ ermutigen, auch diese Haltung allen gegenüber zu leben.

kath.net: In einem Interview haben Sie mitgeteilt, dass Sie mit Priestern, die ein gleichgeschlechtliches Paar gesegnet haben, darüber sprechen würden, ob diese Entscheidung gut "pastoral abgewogen" wurde. Das klingt ein wenig, als ob Sie doch eine Segnung eines gleichgeschlechtlichen Paares bei guter Begründung im Einzelfall gutheißen wollen - oder wie ist das zu verstehen? Möchten Sie in dieser Frage auf der Seite von Papst Franziskus stehen, der sich einerseits wohlwollend gegenüber Homosexuellen geäußert hat, gleichzeitig aber klare Grenzen gesetzt hat, was nicht möglich ist, wie z.B. die Segnung von homosexuellen Paaren?

Bischof Bonnemain: Ich habe von Papst Franziskus sehr viel gelernt und ich lerne von ihm täglich Neues. Er hat sehr differenziert erklärt, dass es in komplexen Situationen besonders erforderlich ist, sorgfältig zu begleiten, zu integrieren und zu unterscheiden. Die Glaubenskongregation hat neuerdings bekanntlich erklärt, dass gleichgeschlechtliche Paare keine kirchliche Segnung empfangen dürfen. Solche Richtlinien sind hilfreich. Wenn man diese aber dann für die konkrete Situation einzelner Menschen anwendet, muss man die konkrete Situation dieser Menschen berücksichtigen, um ihnen gerecht zu werden. Es gibt viele Faktoren, die im einzelnen Fall mitspielen. Seelsorgliche Entscheidungen sind immer sehr anspruchsvoll. Es darf nicht billig vorgegangen werden und sich dabei nur auf Normen stützen, dann lässt man den konkreten Menschen unter Umständen im Stich. Ich bin überzeugt, dass hier Papst Franziskus mit mir 100prozentig einverstanden wäre.

Vor einigen Jahren vertraute mir ein Mann, den ich sehr gut kenne und mit seinem Freund zusammenlebt, unter anderem an: „Zwischen uns beiden läuft sexuell seit Jahren nichts mehr. Mein Freund leidet unter einer ganz schweren Depression. Wenn ich ihn verlasse, würde er verzweifeln. Das darf ich nicht tun!“ Wer würde eine solche Haltung nicht segnen?

kath.net: Bei Ihrer Bischofsweihe wurde von Ihnen der Repräsentantin der Schweizer Reformierten, Frau Famos, und dem Präsident der Zürcher Reformierten die Heilige Eucharistie gereicht. Sie sprachen am Ende Ihrer Rede davon, dass es nicht christlich sei, andere zu provozieren. Können Sie nachvollziehen, dass so eine Handlung Katholiken, die eben zur Lehre der Kirche stehen, durchaus als Provokation gesehen wird?

Joseph Bonnemain: Ich kann gut nachvollziehen, dass gläubige Menschen, welche die Umstände einer Situation nicht im Einzelnen kennen, diese als Provokation empfinden können. Ich kann Ihnen versichern, dass ich niemals die Absicht gehabt habe, jemanden zu provozieren, auch nicht treue Katholiken. Immer habe ich versucht und werde weiterhin versuchen, die Kriterien betreffend den Kommunionempfang von Andersgläubigen, welche im Direktorium für die Ökumene und im Kanon 844 des CIC aufgeführt werden, treu anzuwenden. Bezüglich des Kommunionempfangs von bestimmten Menschen – in diesem Fall anlässlich meiner Bischofsweihe – ist ein Interview nicht der richtige Ort, um es zu kommentieren.

kath.net: Kardinal Koch sprach in seiner Predigt davon, dass die heutige Bischofsweihe eine dringende Einladung an alle Diözesanen ist, über die Brücke aufeinander zu zugehen und sich die Hand der Versöhnung zu reichen, aber er rief aber auch dazu, für den Glauben der Kirche, wie er im Evangelium Jesu Christi vorgegeben ist, einzustehen und ihn zu bezeugen, und zwar gelegen oder ungelegen. In der katholischen Kirche hat man aber oft das Gefühl, dass auch nicht wenige Kirchenvertreter oft lieber den einfachen und bequemen Weg gehen wollen oder - anders gesagt - einen Weg, mit dem man medial mit Beifall rechnen kann. Welchen Weg möchten Sie als Hirte des Bistums gehen?

Joseph Bonnemain:  Wenn ich den einfachen oder bequemen Weg gewählt hätte, hätte ich - als ich die Mitteilung bekam, dass der Papst mich zum Bischof von Chur ernannt habe - bestimmt nein gesagt. Ich war mir sehr bewusst, dass ich mit einem Ja einen Weg wählte, der mit grossen Beschwernissen einhergehen würde. Ich kenne unser Bistum sehr gut und wusste deswegen von Anfang an, dass ich es nicht allen werde recht machen können. Ich suche den Beifall nicht, Christus hat uns anderes vorgelebt. Mein Bischofsspruch lautet: „Der Mensch ist der Weg der Kirche“. Diese Überzeugung, welche ich aus der ersten Enzyklika vom hl. Papst Johannes Paul II. entnommen habe, führt uns eher zum Kreuz. Die Entschlossenheit Christi, Heil für alle Menschen zu sein, für die, die ihm zujubelten, aber auch die, die ihn kreuzigten, hat ihn das Leben gekostet.


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