"Bischof" darf nicht zum Schimpfwort werden!

11. Mai 2021 in Kommentar


Gehorsam oder Ungehorsam als Strukturprinzip der Kirche? - Ein Gastkommentar von Franz Norbert Otterbeck


Köln (kath.net)

Unterwerfung unter die Konvention hat in der "deutschen Kirche" fraglos zentrale Bedeutung. Wer die moderne Priesterausbildung hinter sich hat, wirft sich nicht selten mit letzter Kraft vor den Weihealtar, als gebrochene, fast pulverisierte Persönlichkeit. Man verspricht dem Bischof vollen Gehorsam des Intellekts und des Willens. "Bischof" kommt von ἐπίσκοπος, griechisch für "Aufseher", sozusagen "Wachtmeister". Wie diese Aufsicht vor Ort im Bistum geführt wird, das ist nachkonziliar schwer zu umschreiben. Für manche Bischöfe scheint der erste und letzte Glaubenssatz zu sein: "Ich habe den Hut auf". Sie beginnen jeden Satz mit "ich" und würden ihn wohl auch noch mit "ich" beenden, wäre das grammatikalisch nur möglich. Andere bevorzugen den immer heiteren, kollegialen Stil, möglichst konfliktfrei, möglichst ergebnisoffen. Die Entourage darf nur nie vergessen: Der Chef kann auch anders!

Seit Jahrzehnten verdichten sich jedoch die Anzeichen: Der Bischof kann nicht mehr "anders". Aus scheinbar unerschöpflichen Geldquellen wurden Personalbestände aufgebaut, die sich weitgehend selber führen. Wie in jeder Behörde müssen Beförderungen und Versetzungen entschieden werden, manchmal auch Konflikte gelöst werden. Doch eigentlich ist es egal, wer das tut. Der Bischof schwebt über dem Apparat und segnet alles ab. So gut wie. Sollte wider Erwarten auch mal ein origineller Typ einen Bischofsstuhl ergattert haben, so dauert es meist nur Monate, bis sich das Chamäleon an die Umgebung angepasst hat. Die meisten "Aufsteiger" haben ja jahrelang in bischofsnahen Positionen einüben können, wie man als Bischof spricht, wie man auftritt, welche Gesten und welches Grinsen üblich sind. Die Mitarbeiter bilden die Kulisse für das bischöfliche Wohlgefühl, bedeutend zu sein. In den Bistümern sind auch noch knapp genügend Leute aufzubieten, sodass dem Bischof hier oder dort noch eine Bühne geboten wird, um Kontakt zu den "Kläubigen" zu simulieren. Stellen wir uns aber ein 'Ministerium für Staatssicherheit' vor ohne Volk drumherum, das noch bespitzelt werden könnte. Das ist die deutsche Diözese der Zukunft!

Der vielzitierte Gehorsam als Strukturprinzip der katholischen Kirche ist in unseren Breiten auf einen funktionalen Teilaspekt reduziert. Solange der Mitarbeiter keinen Sand ins Getriebe streut, die Betriebsabläufe nicht stört, keinen öffentlichen Unmut erregt, gewährt die Bistumsspitze ganz gern eine unbestimmte Narrenfreiheit, sogar dem Priester. Er darf in der Liturgie persönlichen Vorlieben frönen. Er darf die Glaubenslehre aus der Verkündigung ausklammern, falls eine solche überhaupt noch stattfindet. Er darf predigen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Aber diese Freiheiten bleiben unbestimmt, damit die Sheriffs des Bischofs notfalls auch ohne Vorwarnung scharf schießen können.

Die "Segenskrawalle" rund um den 10. Mai sind bislang gewaltfrei verlaufen. Aber so weit wie friedliche Demonstrationen von Rassenkrawallen entfernt sind, so weit ist die Liturgie der Kirche von dieser kirchenpolitischen Agitation entfernt. An manchen Orten traten segenspendende Simulanten vor segenempfangende Simulanten. Nichtbrautpaare, die zu normalen Zeiten gar nicht auf die Idee gekommen wären, um einen falschen "Brautsegen" zu bitten, waren gern bereit, hier falsche Signale zu setzen. Die üblichen Organe der deutschkatholischen Mehrheitspartei liefern die passenden Sprachregelungen gleich mit. Wenn die Sirene Schüller das Wort ergreift, "spricht" sie fast immer für ihre Interessen, die sie mit den Erfordernissen für die Kirche einigermaßen konsequent verwechselt. Ihr würden sicherlich deftige Schimpfwörter einfallen, entzöge ihr der Bischof die Lehrerlaubnis in Münster. Oder wie heißt das bei Sirenen? Heulerlaubnis?

Mehrere Bischöfe haben sich schon im Vorfeld der Ereignisse beeilt, solche Seelsorger*innen von Sanktionen freizustellen, die dem Publikum eine Vollmacht vortäuschen, die Kirche könne widereheliche Verbindungen so ähnlich segnen wie Brautpaare. Man beruft sich auf eine Offenheit der Diskussion, die es nicht gibt (theologische Argumente, humanwissenschaftliche Erkenntnisse, bla bla). Der Segen "für alle" nehme niemandem etwas weg. Als ob die Beigesellung von Sankt Nikolaus zur Dreifaltigkeit dieser nichts "wegnehme" ... Es gibt keine acht Sakramente, sondern nur sieben. Das Ehesakrament ist nicht analog anwendbar auf anders geartete Verbindungen, unabhängig vom moralischen Urteil, das immer dem Einzelfall gerecht werden soll. Einiges spricht dafür, dass ein Verhalten, das in der Ehe als Ehebruch bezeichnet wurde, für die homosexuelle Identität nicht selten konstitutiv ist. Nicht selten gehen Paare eine "Homo-Ehe" ein, ohne dass eheliche Treue beabsichtigt wird. Auch bei "guten Absichten" scheitern diese Verbindungen auffällig oft. Mann und Mann oder Frau und Frau können einander das Ehesakrament nicht spenden, weil kein "ehelicher Akt" möglich ist. Wer also in unzulässiger Analogie die Möglichkeit eines kirchenamtlichen Segens über diese Paare behauptet, spricht damit dem "segnenden" Seelsorger überdies die Funktion eines Quasi-Sakramentenspenders zu, die nicht einmal für die Ehe gegeben ist. Wie soll man einen Bischof nennen, der sowas seinen Segen gibt? "Bischof" darf nicht zum Schimpfwort werden.

Aus der "befreienden Botschaft" Jesu Christi lässt sich die allgemeine Berufung zur Keuschheit überhaupt gar nicht herausoperieren. Die Ehe ist buchstäblich eine Institution der "Zucht" und nicht der Unzucht. Das Wort Christi fordert von allen Mäßigung der Leibeskräfte. Auch die Aufhebung des Zölibats würde es keinem Priester erlauben, in freier Selbstbestimmung innerhalb und außerhalb der Seelsorge nach sexueller Ausschweifung zu streben. Kirchlichen Segen kann nur das Bestreben finden, auch "nach Leibeskräften" die Gebote Gottes zu befolgen. In der heutigen Diskussion ist allerdings nicht nur der Ehebegriff verdunkelt, man versteht auch "die Sünde" nicht mehr. Diese beim Namen zu nennen lässt niemanden "tief verletzt" zurück, denn die Kirche verkündet nicht die Sünde, sondern die Erlösung von ihr.

Bischof Overbeck hat zwar in der Fernsehsendung 2010 die Lehre der Kirche etwas verzerrt wiedergegeben. Es bestand jedoch kein Anlass, seine Position derart zu revidieren, wie er es seither wieder und wieder bekräftigt. Er bildet mit seinem Generalvikar inzwischen fast ein Traumpaar der Emanzipation "los von Rom". Bischof Bätzing beruft sich unterdessen auf ein "Subsidiaritätsprinzip". So schlau war noch nicht einmal Martin Luther. Anstatt das Papsttum, die Juden und auch die Muslime als vom Teufel besessen zu beschimpfen, hätte der Reformator doch auch einfach sagen können: Wir in Wittenberg nehmen für uns das Subsidiaritätsprinzip in Anspruch.

Die deutschen Bischöfe tun seit ungefähr 50 Jahren so, als ob die Distanzierung von Rom, erst zaghaft, dann immer offener, irgendeinen Segen gebracht hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn ihre Konzepte irgendeinen pastoralen Erfolg gezeigt hätten, dann könnte man in Rom auftrumpfen. Stattdessen zählt diese reiche Kirchenregion zu den armseligsten weltweit. Diese Erfahrung hat der heutige Papst Franziskus bereits 1986 in Sankt Georgen machen müssen. Seither ist nichts besser geworden. Die Vermögen wachsen noch. Alle anderen Zahlen gehen zurück: Priester, Ordensleute, Theologen, lebendige Gemeinden; ein Ausverkauf im Namen der Subsidiarität! Man könnte es ja auch mal mit Gehorsam "nach oben" versuchen, zumindest in wesentlichen Fragen. Das boykottierte Responsum der Glaubenskongregation ist zu befolgen, weil es die Lehre der Kirche wiedergibt. Für manche bedeutet "Lehre der Kirche" aber nur noch eine Momentaufnahme unter Vorbehalt, die geradezu erfordere, "weiter entwickelt" zu werden. Ins Gegenteil? Die Unfähigkeit mancher Bischöfe zum Gehorsam könnte auf einer falschen Philosophie, einem falschen Bild von der Geschichte beruhen. Irrtümer im Vorfeld des Glaubens sind vielleicht schwerer zu diagnostizieren als explizite Abweichungen von bestimmten Glaubenssätzen. Eine Nebenfolge der falschen Philosophie besteht dann darin, dass berechtigte Einsprüche nicht mehr als berechtigt erkannt werden, nur weil sie "von gestern" sind. Die deutsch-bischöfliche Selbstermächtigung, zum Experiment mit dem Glauben, wurde von Anfang an (Königstein, 1968) von beherzten Persönlichkeiten kritisiert, völlig wirkungslos. Die Berechtigung dieser Kritik tritt für vernünftige Zeitgenossen immer deutlicher zutage. Sie kann aber im "Arbeiter- und Bischofsparadies" der Deutschen Demokratischen Kirche nicht mit Aussicht auf Erfolg vorgetragen werden, schon gar nicht von Klerikern. Denn dann ist er plötzlich wieder da, der totale Gehorsamsanspruch. Da man keine Kirche auf Ungehorsam gründen kann, nicht einmal die allerreformierteste, feiert sich die deutsche Kirche für ihren lizenzierten, bischöflich beglaubigten Ungehorsam; und nennt das ihren besseren Gehorsam, zugunsten der zukünftigen Kirche. Demütige Ordensschwestern im Bischofshaus irgendwo sollten sich aber nur einmal herausnehmen, dem Bischof wenigstens freitags keine üppige Kuchenplatte zu servieren, im Blick auf seine zukünftige Gesundheit. Sie würden sofort begreifen, was ein Bischof im eigenen Haus unter "Subsidiarität" versteht: den Durchgriff! Denn dann ist der Aufseher plötzlich hellwach, wenn's um Versorgung geht und nicht um die Moral.


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