Missbrauchsopfer: EKD hofft, „dass sich Aufmerksamkeit weiter auf katholische Kirche richtet“

26. Mai 2021 in Deutschland


Missbrauchsopfer Katharina Kracht: „Die EKD fährt schon seit 2010 eine Strategie der Vermeidung. Sie hofft einfach, dass der Kelch an ihnen vorübergeht und sich die Aufmerksamkeit weiterhin auf die katholische Kirche richtet.“


Hannover (kath.net) Scharfe Kritik an der Missbrauchsaufarbeitung der Evangelischen Kirche in Deutschland kommt von Katharina Kracht, Mitglied des EKD-Betroffenenbeirats und Opfer von Missbrauch durch einen evangelischen Pastor. Die EKD hat die Zusammenarbeit mit dem von ihr erst im September 2020 eigens eingerichteten Betroffenenbeirats inzwischen aufgekündigt, kath.net hatte berichtet. Gegenüber dem feministischen Magazin „Emma“ erläuterte Katharina Kracht im Interview, dass die EKD „schon seit 2010“ eine „Strategie der Vermeidung“ fahre. Dabei hoffe sie darauf, „dass der Kelch an ihnen vorübergeht und sich die Aufmerksamkeit weiterhin auf die katholische Kirche richtet. Und dass die evangelische Kirche mit ein paar kosmetischen Maßnahmen durchkommt.“

Die EKD habe sich der Zusammenarbeit mit dem Betroffenenbeirat stark verweigert, kritisierte Kracht. „Die Bischöfe reden ja immer ganz viel von Augenhöhe. Für mich ist das aber keine Augenhöhe, sondern Augenwischerei. Ich habe den Eindruck, wir Betroffenen sollen vor allem dankbar sein.“ Auch sei man nicht zur Synode im Herbst 2020 eingeladen worden, die coronabedingt im digitalen Format abgehalten worden war. es habe geheißen, „man könne uns nicht zumuten, an einer Synode im digitalen Format teilzunehmen. Dabei hätten wir gern selbst eingeschätzt, was wir uns zumuten können und was nicht. Man hat uns aber gar nicht erst gefragt. Und ich hätte mir das durchaus zugemutet. Ich denke: Man wollte uns einfach nicht dabeihaben.“

Kracht schilderte, dass man im Kontext von Missbrauchsvorwürfen oft Vertuschungsstrategien begegne. „Ich höre immer wieder von Aufarbeitungsprozessen, die bis zu zehn Jahre dauern. Ich höre immer wieder von Betroffenen, die sich gemeldet haben, und deren Daten irgendwo rumliegen, ohne dass damit etwas passiert.“ Schon seit langem fordere sie „eine unabhängige Ombudstelle“, sagte Kracht, denn die evangelische Kirche müsse „an dieser Stelle das Heft aus der Hand geben“.

Sexuelle Übergriffe seien im evangelisch-landeskirchlichen Kontext seit den 70er und 80er Jahren „unter dem Deckmantel der Progressivität und der Befreiung“ geschehen und dies sei „sehr spezifisch evangelisch“. Es dauere deshalb immer wieder „mal sehr lange, bis so ein Mädchen begreift: Das war keine tragische Liebesgeschichte, die ich mit dem verheirateten Pastor mit den fünf Kindern hatte – das war Missbrauch!“ Auch sie selbst habe Jahre gebraucht, bis sie begriffen habe, dass ihre Erlebnisse als 13-Jährige „eine Missbrauchsbeziehung“ gewesen seien. Als sie mit Mitte zwanzig Symptome einer Traumafolgestörung hatte, konnte sie das immer noch nicht einordnen.

Foto: Symbolbild


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