Synodaler Weg? „In der Tat beleidigen und erstaunen solche Einstellungen unsere Gläubigen“

31. Mai 2021 in Interview


Kardinal Vinko Puljić im Interview: „Wir können eine Kirche nicht verstehen, in der das Opfer zu einem Fremdwort wird und es einen Jesus ohne Kreuz gibt.“ Von Clara Steinbrecher / Maria 1.0


Sarajevo (kath.net/Maria 1.0) Als ihn der heilige Papst Johannes Paul II. am 26. November 1994 in das Kardinalskollegium aufnahm, war der 49-jährige Vinko Puljić der jüngste Kardinal. Heute ist Vinko Kardinal Puljić Erzbischof von Vrhbosna (Sarajevo). Das Erzbistum Sarajevo hat seine Ursprünge im 7. Jahrhundert. 1881 wurde es wieder als Bischofssitz etabliert. Das Erzbistum liegt im Osten des Landes Bosnien und Herzegowina und grenzt im Norden an Kroatien, im Osten an Serbien und im Süden an Montenegro. Das Bistum umfasst Landesteile der Föderation BiH und der Serbischen Republik. Erzbischof Puljić ist nicht nur Hirte seiner Diözese, sondern als Kardinal auch Mitglied der Kongregation für die Evangelisierung der Völker und des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog. Im Dezember 2020 überstand der mittlerweile 75-Jährige eine schwere COVID-19-Erkrankung. „Maria 1.0“ hat mit Kardinal Puljić gesprochen. Das Interview wurde von Thommy M. Schott vermittelt und von Dinka Mihic übersetzt. Die Fragen stellt Clara Steinbrecher, Leiterin der Initiative Maria 1.0.

Maria 1.0: Eminenz, im Dezember 2020 mussten Sie sich aufgrund einer Corona-Infektion im Krankenhaus behandeln lassen. Wie geht es Ihnen heute?

Kardinal Puljić: Ich bin Gott dankbar, dass ich pünktlich ins Krankenhaus gegangen bin. Ich bin auf sehr engagierte Ärzte und medizinisches Personal gestoßen. Ich habe Corona zwar gut überstanden, trage aber immer noch die Folgen. Ich habe das medizinische Personal bewundert, das trotz der starken Belastung immer geduldig mit allen Patienten war. Ich bin nicht mehr derselbe wie vor Corona, aber ich bin Gott dankbar, dass ich meine Pflichten regelmäßig erfüllen kann.

Maria 1.0: Die katholischen Kroaten sind die kleinste der drei staatstragenden Ethnien Ihrer Heimat. Wie würden Sie die Situation der Katholiken Bosnien-Herzegowinas ein Vierteljahrhundert nach Kriegsende beschreiben?

Kardinal Puljić: Das Dayton-Abkommen hat zwar den Krieg beendet, aber keinen gerechten Frieden geschaffen. Dayton teilt Bosnien und Herzegowina in zwei Teile. In einem Teil, der Republika Srpska (Serbische Republik, Anm. d. Red.), ist die ethnische Säuberung legalisiert und es gibt dort fast keine katholischen Kroaten. Im anderen Teil (Föderation Bosnien und Herzegowina, Anm. d. Red.), in dem Kroaten und Bosniaken leben, ist eine Mehrheit der Bosniaken über die Kroaten entstanden. Die Menschen sind unsicher und frustriert. Selbst diejenigen, welche den Krieg ertragen haben, verlassen jetzt das Land. Leider wurde die Gleichberechtigung aller drei konstituierenden Völker nicht etabliert und es gelten nicht die gleichen Rechte auf allen Gebieten.

Maria 1.0: Besucht man in Deutschland die heilige Messe einer kroatischen Gemeinde, fällt auf, dass die Kirchen voll und nahezu alle Generationen unter den Gläubigen vertreten sind. Ist die katholische Kirche in Ihrem Land vitaler, als sie es beispielsweise in Deutschland ist?

Kardinal Puljić: Im Laufe der Geschichte haben unsere Katholiken im Glauben Halt und eine Quelle der Stärke gefunden. Wenn sie jetzt das Land ihrer Vorfahren verlassen, tragen sie den Glauben ihrer Väter mit sich, in dem sie aufgewachsen sind und für den sie besonders in der kommunistischen Ära sehr viel ertragen haben. Die ältere Generation wird diesen Glauben leben, aber die Jüngeren werden sich schnell an die Umgebung anpassen, in die sie gekommen sind, weil sie dort zur Schule gehen und die öffentliche Meinung ihre Weltanschauung beeinflusst.

Maria 1.0: Die Jungfrau Maria, so sagen viele, hat Bosnien durch ihre Gegenwart in Međugorje eine große Gnade erwiesen. Was bedeutet Ihnen ganz persönlich dieser Wallfahrtsort?

Kardinal Puljić: Im Laufe der Geschichte war unser Volk besonders fromm gegenüber der Heiligen Jungfrau Maria. Ich glaube, dass es nicht auch nur ein Haus ohne ein Bild von Unserer Lieben Frau an der Wand gibt. Wir haben mehrere Orte, die im Laufe der Geschichte zu Heiligtümern der Muttergottes wurden. Die Menschen tun dort gern Buße und erfüllen ihre Gelübde. Medjugorje ist vielleicht der größte Beichtstuhl in der EU, da viele kommen, um zu Unserer Lieben Frau zu beten, zu beichten und ein persönliches Gelübde abzulegen. Dort finden sie durch den Glauben Trost und die Fähigkeit ihr Kreuz im Leben zu tragen.

Maria 1.0: Die katholische Kirche in Westeuropa befindet sich in einer großen Krise. Einige Sakramente, wie beispielsweise das Bußsakrament, liegen regelrecht am Boden. Insbesondere in Deutschland stehen sich sogenannte Reformer und lehramtstreue Katholiken gegenüber. Wie bewerten Sie als Kardinal der Weltkirche die aktuellen Entwicklungen?

Kardinal Puljić: Der auferstandene Christus ist das Zentrum unseres Glaubens. Der heilige Paulus rief uns dazu auf, uns Christus anzupassen. Leider wurden in diesem säkularisierten Geist die Dinge verdreht. Wir fordern von Christus, sich uns anzupassen. Es gibt ein Sprichwort bei uns: Wenn du nicht so handelst wie du denkst, beginnst du zu denken wie du handelst. Genau dies geschieht im Geiste des Relativismus und Säkularismus. Wir erinnern uns noch sehr gut, wie die Kommunisten forderten, dass wir uns von der einen heiligen katholischen und apostolischen Kirche trennen. Einen hohen Preis hat der selige Alojzije Stepinac dafür gezahlt, weil er der Einheit der Kirche treu blieb.

Maria 1.0: In Deutschland befasst sich der „Synodale Weg“ mit Fragen wie dem Priesteramt für Frauen oder der Abschaffung des Pflichtzölibats. Bewegen diese Fragen auch die Katholiken in Sarajevo?

Kardinal Puljić: Eine Kirche, die die Herausforderung des Kommunismus überstanden hat, hat keine solchen exotischen Ideen. In der Tat beleidigen und erstaunen solche Einstellungen unsere Gläubigen. Wir können eine Kirche nicht verstehen, in der das Opfer zu einem Fremdwort wird und es einen Jesus ohne Kreuz gibt. Es kann über alle Themen Diskussionen geben, allerdings auf Grundlage des Evangeliums und nicht basierend auf Säkularismus und Relativismus. Die religiöse Beliebigkeit hat es sich im Leben der Kirche bequem gemacht, aber wir müssen zum ursprünglichen Evangelium zurückkehren.

Maria 1.0: Die Auseinandersetzung zwischen den deutschen Ortskirchen und dem Vatikan über die Formulierung der Lehre wird in der Öffentlichkeit als Streit empfunden. Viele Katholiken sorgen sich vor einer Kirchenspaltung. Sie selbst waren auch mal Vorsitzender einer Bischofskonferenz. Was würden Sie Ihren deutschen Mitbrüdern empfehlen?

Kardinal Puljić: Es bleibt mir nur zum Heiligen Geist zu beten, damit er jeden persönlich und alle zusammen erleuchtet, insbesondere diejenigen, die die Kirche in Deutschland führen. Möge das Göttliche an erster Stelle sein. Ich würde mich nicht als Richter ausgeben, aber ich kann solche Ansichten nicht akzeptieren.

Maria 1.0: Wird sich Papst Franziskus eines Tages noch einmal persönlich ein Bild machen von der Kirche in Deutschland?

Kardinal Puljić: Was der Papst tun wird, kann ich weder vorhersehen noch beeinflussen. Falls er mich nach meiner Meinung fragen sollte, werde ich ihm deutlich die Meinung der leidenden Kirche vor Augen führen.

Maria 1.0: Eminenz, Sie sind Mitglied der Kongregation für die Evangelisierung der Völker. Bedarf es in Europa einer Neuevangelisierung oder ist nicht längst Mission gefordert, angesichts des umgreifenden Atheismus?

Kardinal Puljić: Aufgrund meines Gesundheitszustands nehme ich nicht mehr an Kongregationen teil. Ich habe mich sowohl dieser Ortskirche als auch der Kirche in Bosnien und Herzegowina gewidmet. Gleichzeitig geht meine Amtszeit langsam zu Ende und ich hoffe, dass ich dem wahren Glauben treu bleiben werde, den ich seit über 75 Jahren lebe.

Maria 1.0: Der Heilige Vater hat ein Jahr des heiligen Josef ausgerufen. Was bedeutet Ihnen der heilige Josef?

Kardinal Puljić: In dieser Krise der Familien, insbesondere der Krise der Vaterschaft, ist das Jahr des heiligen Josefs ein wunderbarer Anreiz dafür, die Würde der Vaterschaft innerhalb der Familie und der Gesellschaft wiederherzustellen. Insbesondere soll sich jedes Elternteil des Vertrauens würdig erweisen, das Gott ihm gibt, solange er diese Erde bereist.

Maria 1.0: Vielen Dank für das Gespräch.

Kardinal Puljić: Vielen Dank für Ihr Vertrauen.

 

 

Foto: (c) kath.net

 


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