„Wer die in Ordinatio Sacerdotalis vorgelegte Lehre immer wieder zur Diskussion stellt“

1. Juni 2021 in Kommentar


„Wer diese Lehre beharrlich leugnet oder beharrlich in Zweifel zieht, ist noch keine Häretiker, gleichwohl denkt er häretisch. Der Gesetzgeber fordert eine Strafverfolgung…“ Kirchenrechtliche Klärung. Gastkommentar von Dr. iur. can. Gero P. Weishaupt


Aachen (kath.net) „Sehr geehrter Herr Dr. Weishaupt,

in Ihrem aktuellen Beitrag auf kath.net schreiben Sie, dass Papst Johannes Paul II. das Verbot der Frauenordination als unfehlbare, definitive und damit unveränderliche Glaubenswahrheit festgestellt hat. Wenn er dies tat, dann ist diese Lehre doch automatisch de fide, also ein Dogma, eine von Gott geoffenbarte Wahrheit und von der Kirche (dem Papst) als solche vorgelegt, nicht wahr? Wieso soll bei einem beharrlichen Zweifel oder einer Leugnung dann KEINE Häresie vorliegen, wie Sie kurz darauf schreiben?“
MfG
N.N.

Folgendes habe ich geantwortet:

Sehr geehrte(r) N.N.!

Die Kirche unterscheidet:
1.    formal von Gott geoffenbarte und von der Kirche zu glauben vorgelegte Glaubenswahrheiten (de fide credenda et catholica) und

2. Glaubenswahrheiten, die zwar noch nicht als von Gott formal geoffenbart von der Kirche erkannt sind, aber doch als mit ihnen aufs Engste innerlich verbunden sind und sie erklären (de fide tenenda ecclesiastica). Sie hängen organisch mit den formal geoffenbarten Glaubenswahrheiten zusammen und können nicht von ihnen getrennt werden.

Bei den ersteren spricht man von den Primärwahrheiten, bei den anderen von Sekundärwahrheiten. Beide gehören zum Glaubensgut (despositum fidei) der Kirche.

Entwicklung in der vom Heiligen Geist der Kirche vermittelten vertieften Erkenntnis einer Glaubenswahrheit

Entsprechend unterscheidet man zwischen einem engen Begriff von Dogma und einem uneigentlichen, weiten Begriff. Dogma im engen, eigentlichen Sinn sind die Primärwahrheiten, die im weiten, uneigentlichen Sinn die Sekundärwahrheiten. Die eigentlichen Dogmen werden vom außerordentlichen allegemeine Lehramt, die uneigentlichen vom ordentlichen allgemeinen Lehramt in Form eines päpstlichen Schreibens verkündet.

Das schließt auf Zukunft aber nicht aus, dass die Lehre von Ordinatio sacerdotalis auch als formales Dogma verkündet wird. Es gibt nämlich eine legitime Entwicklung in der Erkenntnis von Glaubenswahrheiten. Nicht die Glaubenswahrheiten an sich entwickeln sich, in ihrer Substanz sind sie unveränderlich – etwas anderes zu behaupten wäre hegilianisch – sondern die Erkenntis der Wahrheiten, die zu einem vertieften Verstehen im Heiligen Geist hinführt. Darum ist es nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft auch die Aussage von Ordinatio sacerdotalis zu einem formalen Dogma erhoben wird. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Lehre zu einem späteren Zeitpunkt der Kirchen- und Dogmengeschichte als von Gott formal geoffenbart von der Kirche im Heiligen Geist erkannt und zu glauben vorgelegt worden ist. So steht das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes am Endpunkt einer Entwicklung der Erkenntnis dieser Glaubenswahrheit durch die Kirche, die in der Heiligen Schrift und in der Tradition immer schon gelehrt worden ist.

Strafrechtliche Unterscheidung

Den Tatbestand der Härese erfüllt, wer eine kraft göttlichen und katholischen Glaubens zu glaubende Wahrheit (Primärwahrheit) beharrlich leugnet oder beharrlich in Zweifel zieht (can. 751). Wer die Sekundärwahrheiten beharrlich leugnet oder beharrlich in Zweifel zieht, ist zwar formal gesehen noch kein Häretiker, wenngleich er jedoch häretisch denkt.

Entsprechend sind auch die kanonischen Strafe gestuft: Der formale Häretiker (hartnäckiger Leugner und Zweifler der Primärwahrheiten) verfällt der Tatstrafe der Exkommunikation (can. 1364 § 1), der häretisch Denkende, aber noch nicht Häretiker im eigentlichen Sinn (beharrlicher Leugner und Zweifler der Sekundärwahrheiten) zieht sich nicht die Tatstrafe der Exkommunikation zu nach can. 1364 § 1, soll aber nach can. 1371, 1° nach Verwarnung mit einer gerechten Strafe (die die Exkommunikation als Spruchstrafe durch Urteil oder Dekret nicht ausschließt) belegt werden.
Anwendung auf die Lehre von Ordinatio Sacerdotalis

Angewandt auf das Apostolische Scheiben Ordinatio sacerdotalis mit seiner als unfehlbar, definitiv und unveränderlich verkündeten Lehre über den Ausschluss der Frau vom Priestertum: Diese Glaubenslehre gehört zu den Sekundärwahrheiten (siehe oben). Es ist ein Quasi-Dogma, also ein Dogma im weiten, uneigentlichen Sinne, verkündet vom Papst in Ausübung seines ordentlichen und allgemeinen Lehramtes. Wer diese Lehre beharrlich leugnet oder beharrlich in Zweifel zieht, ist noch keine Häretiker, gleichwohl denkt er häretisch. Die Sanktion wäre folglich die nach can. 1371, 1°. Der Delinquent ist also nicht automatisch exkommuniziert, kann aber nach vorheriger Warnung exkommuniziert werden oder je nach Fall mit einer anderen gerechten Strafe durch Dekret des Bischofs oder Urteil eines Kirchengerichtes belegt werden.

Diesen Tatbestand erfüllt nach außen hin, wer die in Ordinatio Sacerdotalis vorgelegte Lehre immer wieder zur Diskussion stellt, so wie das manche Bischöfe und Vertreter des Synodalen Weges tun. Die Sanktion ist verpflichtend. Der Gesetzgeber fordert also eine Strafverfolgung der zuständigen kirchlichen Autorität (für Bischöfe der Apostolische Stuhl, für andere Gläubige der Ordinarius ihres Wohnortes oder der, in dessen Diözese die Straftat begangen worden ist). Dabei müßte freilich jeder Einzelfall darauf hin geprüft werden, ob tatsächlich die gebetsmühlenartigen Forderungen nach dem Priestertum der Frau die Folge einer beharrlichen Leugnung oder eines beharrlichen Zweifels der betreffenden Person ist und ob diese zurechnungsfähig war, d.h. die Schuldfrage müsste geklärt werden. Gegebenenfalls wären Strafausschluss- und Strafmilderungsgründe von der strafverfolgenden kirchlichen Instanz zu berücksichtigen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gero P. Weishaupt“

Grafik (c) kath.net


© 2021 www.kath.net