Ein Rücktritt als Kampfmittel?

9. Juni 2021 in Kommentar


Ist Kirche anders? Warum soll dann die forcierte Anpassung an "die Welt" ihr den Ausweg bieten? Auftrag des Evangeliums ist der Aufbau und Ausbau der Kirche, nicht Abriss und Zerstörung. Ein Kommentar von Franz Norbert Otterbeck


Köln (kath.net)

"Weiterkämpfen", ruft einer aus der Menge dem Kardinal zu. "Ja, der Kampf geht weiter", antwortet Reinhard Marx. So zitierte SPIEGEL online ihn am 6. Juni. Wessen Kampf soll da weitergehen? Hat der Rücktrittskandidat damit seinen ehrlichsten Kommentar abgegeben? Ein Rücktritt als Kampfmittel? Wahrscheinlich ist es für München-Freising ein Glücksfall, wenn der Hirte entflieht, der dort immer fremd blieb. Die bayerische Residenzstadt bietet viel Gelegenheit zu Genuss und Selbstgenuss, doch wird das Heimweh nach der noch deftigeren südwestfälischen Küche und den weniger weltberühmten Bieren den vollschlank katholischen Ehrgeizling aus Geseke immer geplagt haben, schon im weinseligen Trier. Aber warum ist die Aktion des ambitionierten "Vizepapstes" so wenig plausibel? Die weitschweifige Selbstkommentierung vernebelte mehr als sie erläuterte. "Ich bin nicht amtsmüde. Ich will ein Zeichen setzen." Gesundheitsgründe könnte man offen nennen. Moralische oder vielleicht sogar juristische Gründe könnte man zumindest andeuten. Aber nein, der selbsternannte Herkules des "Synodalen Wegs" empfiehlt sich selber zur Weiterverwendung! Rente mit 67 in Rom? Oder doch noch zu Höherem berufen?

Petrus Canisius würde in der "deutschen Kirche" heute keinen Lehrauftrag an einer Fakultät bekommen, der heilige Norbert würde nicht Erzbischof werden und Hildegard von Bingen würde an Dr. Lütz zur Therapie überstellt. Insofern überrascht es nicht, wer in diesen Kirchenprovinzen zur Karriere geeignet erscheint. Auch das Büro Meisner, auch das Vorzimmer Ratzinger sind von Ermessensfehlern nicht so ohne weiteres freizusprechen. Wer damals die "Flucht nach oben" antrat, der wusste, wie er sich zu verkaufen hatte. Das ist inzwischen weniger berechenbar. Vielleicht dürstet es viele Priester gar nicht mehr so sehr nach Mitra und Krummstab, angesichts der katastrophalen Zustände heute. Einige Anspielungen in der Marx'schen Selbstdeutung ließen aber doch durchblicken, dass möglicherweise ein geistlicher Schiffbruch größeren Ausmaßes der halbherzigen Abdankung vorausging: Er bemühte auf obskure Weise den "österlichen Glauben" für sein Schritt, das "Leben zu verlieren", um es zu gewinnen. Die offizielle Lesart war doch immer, dass die klerikale Laufbahn ein Dienst sei, ein Opfer, um sich für das "Haus des Herrn" zu verzehren? Plötzlich ist die aberwitzige Ämterhäufung nicht mehr dem Evangelium gemäß? Aber der gärende Drang nach Verzicht ist dann doch nicht so stark, um unzweideutig sich selber zu demütigen - anstatt: andere? Sondern: Der Kampf geht weiter! So schwor schon 1974 der Studentenführer Dutschke am Grabe eines RAF-Terroristen. Marx wird sich erinnern. Er war damals 21 und studierte die heilige Theologie, sogar mit Erfolg. Über psychische Aspekte wird selbst ein Experte nicht aus der Ferne urteilen wollen. Aber es wird seine Gründe haben, dass Reinhard Marx, wo auch immer er sich bewegte, insgesamt wenig Begeisterung für die "Sache Jesu" zu entfachen vermochte. Mir ist kein Hirtenwort, keine Predigt und keine Veröffentlichung bekannt, die irgendwo einen bleibenden Eindruck hinterlassen hätte. Die Laudatio von Blabla-Bätzing bedarf keines weiteren Kommentars. Sowas hätte auch ein bezahlter Trauerredner am offenen Grabe zustandegebracht. Die beiden Herren kraulen einander schon seit langem die Bäuche.

Für Marx sprach, dass er sich nicht in der Priesterausbildung herumgetrieben hat, um sich zu profilieren. Er schien echtes Interesse an der Kirche gehabt zu haben, vielleicht sogar an ihrer Soziallehre. Seine fundamentaltheologische Doktorarbeit fragte: "Ist Kirche anders?" Es ging um Möglichkeiten und Grenzen einer soziologischen Betrachtungsweise derselben. Vielleicht nagte diese Fragestellung weiter. Ohne ihm besondere Empathie für die Opfer zu unterstellen, erscheint es doch glaubhaft, dass Marx die vielen Erfahrungen mit dem Klerus als Hort von Eitelkeit, Korruption und Missbrauch in seinem Selbstverständnis erschüttert haben. Aber warum soll dann die forcierte Anpassung an "die Welt" den Ausweg bieten? Anstatt das Profil zu schärfen, dass die katholische Kirche wirklich "anders" ist als Staatsverwaltung, Stadtverwaltung, Gesundheitsverwaltung, Rundfunkanstalten, Gewerkschaften oder Parteien? Die Architekten des fälschlich so genannten "Synodalen Wegs" konnten ihren Kritikern bislang keine Begründung dafür liefern, dass sexuelle Freizügigkeit den Priesterstand bessern kann, schon gar nicht als offene "gay profession". Wenn die "Frauenfrage" im Kontext von Machtfragen diskutiert wird, dann tritt zutage, dass kirchlicher Dienst insgesamt allzuoft nicht selbstloser Dienst ist. Legitime Autorität hat sich in der Kirche jeden Tag durch tugendhafte Ausübung derselben zu beweisen und wird gewiss nicht eingehegt, wenn weitere tugendarme Gremien an ihr beteiligt werden. Die Themen der Synodalforen sind zwar allesamt diskutierbar, allerdings auf dem Boden der katholischen Überlieferung kaum je umsetzbar. Wären die dort erhobenen Forderungen umsetzbar, so würden sie dennoch nichts zum Aufbau und Ausbau der Kirche beitragen. Die Kritiker sind, wie Martin Lohmann sagte, also Gegner einer "Deform", nicht einer Reform. Die katholische Reform sucht nämlich die Nähe zu Christus, nicht aber die Verweltlichung seiner Kirche.

Insbesondere die inzwischen verschärfte Forderung nach "fundamentalen Reformen" entspricht nicht dem Evangelium Jesu Christi. Denn der Stifter der Kirche selber hat ihre Fundamente und ihre wesentliche Struktur vorgegeben. Wer das nicht mehr glaubt, vielleicht weil er selber nur administrativ mit der Kirche "gearbeitet" bzw. von ihr gelebt hat, hat den göttlichen und katholischen Glauben bereits preisgegeben. Wer überdies die eigene Glaubenskrise in einen Erfahrungsfortschritt umzudeuten pflegt, hin zu einer neuen Epoche des Christentums, bei dem, sogar im Namen des 'Evangeliums', in der Kirche "kein Stein auf dem andern" bleibt, der überschritte doch, falls bewusst betrieben, schon die Grenze zu offener Gotteslästerung.

Die göttliche Offenbarung in Schrift und Tradition enthält reichliche Wegweisung dafür, wie die Kirche in der Zeit aufgebaut und ausgebaut werden soll. Allein die nachkonziliaren Päpste haben ein fruchtbares Lehramt ausgeübt, das tausende Druckseiten an ungehobenen Schätzen enthält. In Deutschland und anderswo beschränkte man sich darauf, die Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls als Druckschriften herauszugeben, später auch "online" zu stellen, um sie der sofortigen Vergessenheit zu überlassen. Irgendwelche Theologen haben bisweilen spitze Kommentare abgegeben. Sogar "Evangelii gaudium" und "Amoris laetitia" blieben weithin ungelesen. Wie sollen denn die Erzeugnisse des deutschnationalen Synodalbetriebs irgendeine positive Resonanz irgendwo finden, wenn hier nicht einmal die "fortschrittlichsten" Dokumente aus Rom beachtet werden? Mehr noch: Jahrhunderte bewährter christlicher Gelehrsamkeit werden, immer noch, im Namen der Zukunft "gewissenhaft" in die Luft gesprengt, obwohl diese "deutsche Zukunft" niemals kommen wird. Deutsch sein heiße, eine Sache um ihrer selbst Willen tun, meinte schon Richard Wagner, bekanntlich kein Katholik. Hauptsache, der Kampf geht weiter!

 

Foto: (c) kath.net


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