Den Blick schärfen für die Zeichen der Zeit

10. Juli 2021 in Spirituelles


Eine Mahnung zur Wachsamkeit in der aktuellen Zeitenwende - Interview mit P. Markus Vogt cb von der Gemeinschaft der Seligpreisungen / VISION2000


Wien (kath.net/Vision2000.at)

Darüber sind sich wohl die meisten Menschen einig: Wir erleben derzeit außergewöhnliche Zeiten. Von Wendezeit, von „Großem Umbruch“ ist die Rede. Auch die Kirche, insbesondere im deutschsprachigen Raum, durchlebt eine Krisenzeit. Die Frage steht im Raum: Was will Gott uns in all dem sagen? Im Folgenden ein  Gespräch über die Zeichen der Zeit:

In der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils "Gaudium et spes" lesen wir, der Kirche obliege „allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten.“ Wie kommt die Kirche heute dieser Aufgabe nach? Wo erfahren wir diese Deutung? Wie sehr hat jeder einzelne Gläubige, als Glied der Kirche, die Aufgabe, die Zeichen der Zeit zu deuten?


P. Markus Vogt cb: Zeichen weisen auf etwas hin, sie wollen gedeutet werden. Paulus schreibt: „Prüft alles, und behaltet das Gute!“ (1 Thess 5, 21) Diese fundamentale Regel der Unterscheidung verpflichtet auf besondere Weise die kirchlichen Hirten, wie Papst, Bischöfe und Priester, die die Aufgabe haben, den Willen und die Wege Gottes zu erforschen und die Kirche zu leiten, aber auch jeder Gläubige ist aufgefordert, die Zeichen der Zeit als Wegweiser für sein persönliches Leben zu erkennen. Jesus schärft uns ein, „Wacht und betet allezeit“ (Lk 21,36), weil Er uns auf das Kommende vorbereiten will. Als wache Christen brauchen wir gerade heute einen klaren geistlichen Sinn, der durch die Heilige Schrift, die Lehre der Kirche, aber auch durch einen gesunden Menschenverstand geprägt ist und der fähig ist, die Geister zu unterscheiden.

In der Endzeitrede Jesu (Mt 24,1-42) fragen die Jünger den Herrn nach den Zeichen, an denen man das bevorstehende Ende und seine Wiederkunft erkennen wird. Jesus spricht von „Geburtswehen", von „Messiassen“, von „ Verfolgung", von der „großen Not": Was heißt diese Antwort für uns heute?

P. Vogt: Es ist interessant, dass diese Fragen der Eschatologie, also der Lehre von den letzten Dingen, in unserer kirchlichen Verkündigung – anders als in manchen Freikirchen – kaum thematisiert werden. Dies hängt wohl auch mit einer weitgehend verlorengegangenen Naherwartung der Wiederkunft Christi zusammen. Jesus drückt sich, wenn er von den schweren Erschütterungen spricht, die seinem zweiten Kommen vorausgehen, nicht in Gleichnissen oder Bildern aus, sondern er kündigt konkrete Ereignisse an. „Denkt daran: Ich habe es euch vorausgesagt.“ (Mt 24,25)
Zeiten von Not oder Verfolgung gab es zwar immer wieder im Laufe der Geschichte, aber gerade das zeitnahe Zusammentreffen all dieser Geschehnisse soll uns als Zeichen dienen. Jesus spricht ausführlich über diese endzeitlichen Ereignisse und mahnt uns zur Wachsamkeit. Wir brauchen einen nüchternen, klaren Blick für diese Zeichen, der aber nichts zu tun hat mit einem nervösen „Endzeitfieber“, bei dem alle Geschehnisse – auch auf dem Hintergrund manch fragwürdiger Untergangsprophetien – nur mehr apokalyptisch gedeutet werden.
 

Bevor Christus wiederkommt, ist im zweiten Brief an die Thessalonicher von einer Apostasie, einem großen Glaubensabfall, die Rede. „Lasst euch durch niemand und auf keine Weise täuschen. Denn zuerst muss der Abfall von Gott kommen“ (2 Thess 2, 3). Ist es übertrieben, angesichts des heutigen rasanten Glaubensschwundes von einer Apostasie zu sprechen?

P. Vogt: Schon 1958, als die Kirchen noch voll waren, schrieb Joseph Ratzinger in einem Aufsatz von einem weit verbreiteten Heidentum in der Kirche. Über viele Jahre hat eine noch verbreitete Tradition des Kirchgangs diese innere Realität eines massiven Glaubensschwundes jedoch überdeckt. Was wir heute deutlich wahrnehmen, sind die Folgen dieser fortgeschrittenen Entwurzelung. Sicherlich haben die kirchlichen Skandale der letzten Jahre, insbesondere die Miss­brauchskrise, als Brandbeschleuniger gewirkt, aber sie sind nicht die eigentliche Ursache für das Leerwerden der Kirchen.
Wir erleben nicht nur eine Kirchenkrise, sondern eine echte Glaubenskrise, ja Gotteskrise epochalen Ausmaßes. Wie weit wir uns bereits in der Phase einer Apostasie befinden, lässt sich nicht an aktuellen statistischen Austrittszahlen ablesen, sondern wird erst die Zukunft zeigen. Der Brand der Basilika Notre Dame in Paris kann dabei durchaus als warnendes Zeichen für die Situation der Kirche, insbesondere in Europa, gedeutet werden.
 

Der englische Schriftsteller Lord Hugh Benson lässt seinen berühmten Roman "Der Herr der Welt", in dem es um das Auftreten des Antichristen am Ende der Zeit geht, mit der allgemein eingeführten Euthanasie beginnen. Erst vor wenigen Monaten wurde der sogenannte „assistierte Suizid“ von den Verfassungsgerichten in Deutschland und Österreich erlaubt. Fraglos ein Dammbruch im Lebensschutz. Wie interpretieren Sie diese Gesetzesänderung?

P. Vogt: Parallel zum Verschwinden von Gott und Glaube aus dem gesellschaftlichen Leben, erleben wir, wie auch der christlich geprägte Verfassungsgrundsatz, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, immer mehr an Bedeutung verliert. Wie rasant diese Entwicklung verläuft, zeigt die aktuelle Rechtsprechung der Verfassungsgerichte, die erstmals von einem Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben und auf Sterbehilfe sprechen. Das Leben gilt nicht länger als unverfügbare Gabe Gottes, sondern der Mensch nimmt nun diesen „leergewordenen“ Platz als höchste Instanz ein.

Es dürfte wohl nur eine Frage der Zeit sein, dass aus diesem „Recht auf den eigenen Tod“ auch ein äußerer Erwartungsdruck entsteht, davon Gebrauch zu machen, z.B. bei kranken und alten Menschen. Diese Entwicklung ist ein weiteres Zeichen einer wachsenden „Kultur des Todes“ in unserer Gesellschaft. Unter dem Deckmäntelchen, Leben zu schützen, die Menschenwürde zu respektieren und die Selbstbestimmung zu fördern, hat sie in Wirklichkeit das Ziel, Leben zu vernichten, die Menschenwürde zu relativieren und Ungeborene sowie Sterbende, die der Gesellschaft zur Last fallen, zu entsorgen.

Erinnern wir uns an die Worte Jesu: „Weil die Missachtung von Gottes Gesetz überhandnimmt, wird die Liebe bei vielen erkalten.“ (Mt 24,12)
 

Manche interpretieren die zahlreichen Marienerscheinnngen der letzten zwei Jahrhunderte als Zeichen für das Kommen Christi in Herrlichkeit. Maria sozusagen als Prophetin, die wie Johannes der Täufer das Kommen des Herrn ankündigt. Ist diese Interpretation berechtigt? Gibt es Erscheinungsorte oder Botschaften der Muttergottes, die das nahelegen?

P. Vogt: „Ein großes Zeichen erschien am Himmel“ (Offb 12,1), so kündigt schon die Offenbarung des Johannes Maria als Zeichen der Endzeit an. Die Häufigkeit ihrer Erscheinungen in unserer Zeit lässt keinen Zweifel daran, dass sie uns auf etwas Großes vorbereitet. Bereits vor über 300 Jahren prophezeit der hl. Ludwig Maria Grignion von Montfort: „Während der Endzeit wird Maria mehr als je hervortreten durch ihre Barmherzigkeit, Macht und Gnade.“

Die Parallelen ihrer Erscheinungen zum Auftreten Johannes des Täufers als Vorläufer Christi sind nicht zu übersehen. Maria zeigt sich an abgelegenen Orten und ihre Botschaften sind, wie bei Johannes, im Wesentlichen Aufrufe zu Umkehr und Buße. Die noch nicht anerkannten Erscheinungen in Medjugorje, die bereits 40 Jahre andauern, haben interessanterweise am 24. Juni 1981, dem Hochfest Johannes des Täufers, begonnen.

Die Erscheinungen Marias sind Zeichen der Hoffnung, Gott hat einen Plan für unsere Zeit. Maria verheißt uns in Fatima: „Am Ende wird mein unbeflecktes Herz triumphieren.“ Übrigens, man sollte auch die Offenbarung des Johannes zu Ende lesen – es geht gut aus! Jesus sagt uns: „Seht, ich mache alles neu.“ (Offb 21,5)

Sie sprechen von einer Glaubens- und Kirchenkrise, von der die deutschsprachigen Länder besonders betroffen erscheinen. Durch das Geschehen rund um den Synodalen Weg und damit einhergehenden Äußerungen von Theologen, Laiengremien und Bischöfen sind nunmehr auch kirchentreue Gläubige zunehmend verunsichert. Was raten Sie diesen?
P. Vogt: Es würde den Rahmen sprengen, hier auf inhaltliche Punkte einzugehen, deshalb möchte ich mich auf drei geistliche Aspekte beschränken.

1. In der Kirche spielt sich aktuell ein geistlicher Kampf ab, bei dem wir nicht nur passive Zuschauer sein dürfen. Lassen wir uns nicht entmutigen, sondern vertrauen wir insbesondere auf die große Kraft der Fürbitte und auch des Fastens.

2. In einer Zeit, in der vieles ins Wanken geraten ist, brauchen wir ein festes Fundament. Dazu gehört vor allem, unseren eigenen Glauben zu vertiefen, aus den Sakramenten zu leben und treu zu bleiben im persönlichen Gebet.

3. Vertrauen wir darauf, dass Jesus seine Kirche nie verlässt. Er bewahrt uns zwar nicht vor Prüfungen, aber die Kirchengeschichte lehrt uns, dass die großen geistlichen Neuaufbrüche oft gerade in den schlimmsten Krisenzeiten der Kirche geschehen sind.
 

Von einer möglicherweise in absehbarer Zeit bevorstehenden Wiederkunft Christi zu sprechen, ist heute in der Kirche tabu. Dabei handelt es sich doch um ein Geschehen, von dem wir uns die Fülle aller Seligkeiten zu erwarten haben. Wie kann man heute auf gute Art und Weise über die Naherwartung sprechen, ohne in Endzeitfieber zu verfallen?

P. Vogt: Es mag seltsam klingen, angesichts der seit 2000 Jahren ausgebliebenen Wiederkunft Christi, noch von Naherwartung zu sprechen. Aber es ist Jesus selbst, der uns eindringlich mahnt: Haltet euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet. (Lk 12,40) – Eine Kirche, die seine Worte nicht mehr ernstnimmt, ist in Gefahr einzuschlafen und zu verweltlichen.

Auch eine von Angst oder Neugier bestimmte Endzeiterwartung ist eine Verzerrung der christlichen Hoffnung auf sein Kommen. Als Petrus Jesus auf dem Wasser entgegengeht, bekommt er Angst und beginnt unterzugehen, sobald er auf den Sturm und die Wellen, aber nicht mehr auf Jesus blickt. Auf Ihn zu schauen und Ihm voll Vertrauen entgegenzugehen, ist der besondere Auftrag der Kirche.

Naherwartung ist keine fromme Träumerei, sondern die wach gebliebene Sehnsucht nach dem Tag Seines Kommens in Herrlichkeit, wenn die Heilsgeschichte an ihr Ziel gelangt und das Geheimnis der Kirche als Braut Christi sich erfüllt. Bis dahin beten wir: Komm, Herr Jesus! Maranatha!

P. Markus Vogt leitet seit 2008 die Niederlassung der Gemeinschaft der Seligpreisungen in Uedem. Das Gespräch führte Michaela Fürst für Feuer und Licht, April 2021. Die beiden letzten Fragen stellte Christof Gaspari an P. Vogt.


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