"Auch Muslime haben Anspruch auf die Wahrheit"

4. September 2021 in Interview


Über die Notwendigkeit der Mission in unseren Tagen - Interview mit Nadia Piccareta, eine konvertierten Muslimin / VISION2000


Wien (kath.net/VISION2000.at)

Wir leben in einem nicht christlichen Umfeld, das überdies immer mehr von Mitbürgern ge­prägt wird, die dem Islam ange­hö­ren. Viele von ihnen geben un­umwunden zu, es sei ihr Anlie­gen, ihre Kultur nach Europa zu importieren. Dieser Herausforderung gilt es, sich zu stellen und einen neuen missionarischen Elan zu entfalten. Wie das geht und wie selbstverständlich dies zum Christsein gehört, zeigt im Folgenden eine zu Christus bekehrte Muslimin. Sie zeigt ganz allgemein auf, welche Stoßrichtung Mission heute haben muss.  

Ist es Ihrer Erfahrung nach sinnvoll, offen mit unseren muslimischen Mitbürgern über Jesus zu sprechen?

Nadia Piccareta: Wenn man Christus begegnet ist, dann will man Ihn einfach mit anderen teilen! Christus hat den Lauf meiner Lebensgeschichte verändert. Ich bin ein Kind Gottes geworden. Mir wurde klar, dass Christi Verheißungen für jeden von uns bestimmt sind, und dass Er die Wahrheit ist. Daher fühle ich mich verpflichtet, alle zu evangelisieren, zu verkünden, dass unser Reden vergebens ist, wenn Er nicht auferstanden ist. Paulus sagt uns das.  Daher ist es für mich etwas Selbstverständliches, dass ich auf Muslime zugehe. Auch sie haben Anspruch darauf, die Wahrheit kennenzulernen – ich sage das als Konvertitin. Wo es nur geht, muss man diese Gelegenheit nutzen, gibt es doch kein größeres Glück, als die Liebe zu verkünden. Fragt man einen Muslim, woran er glaubt, so wird er antworten: „Ich glaube an Allah, den Allmächtigen.“ Wir Christen wissen, dass Gott die Liebe ist und dass Er Seinen Sohn gesandt hat, um uns zu retten. Wir sind Teil einer Geschichte, sind Kinder Gottes. Das ist doch etwas ganz anderes, wofür ich Gott danke.

Muss man dazu besonders ausgebildet sein?

Piccareta: Gleich nach meiner Taufe hat mich der Pfarrer gefragt, ob ich Katechistin werden möchte. Ich verstand davon nichts, hatte mich einfach nur auf meine Taufe vorbereitet. Wenn man aber dieses Sakrament empfängt, erhält man auch die Gnade, es fruchtbar zu machen. Mit dem christlichen Glauben empfangen wir alles, um in Jesu Schule zu gehen. Ich habe einige Bücher gelesen, vor allem aber habe ich beim Tun gelernt. Während ich unterrichtete, lernte ich selber. Um meinen Glauben zu vertiefen, hatte ich das Bedürfnis, eine dreijährige Ausbildung zur Katechis­tin in Toulon zu machen. Seit 15 Jahren verkündige ich das Evangelium als Katechistin, davon sechs Jahre in der Unterstufe von Privatschulen. In der Pfarre bereite ich Kinder auf die Firmung vor. Mit meinem Mann gemeinsam haben wir uns bei der Ehevorbereitung engagiert. Zuletzt habe ich ein Kinderbuch über die Beichte geschrieben.

Welche Fallen muss man beim Evangelisieren von Muslimen vermeiden?

Piccareta: Man darf nicht den Propheten kritisieren und auch nicht die sozial-politischen Aspekte des Islam anschneiden, etwa das Thema Schleier. Der Islam ist hoch komplex und voller Widersprüche. Ich sollte auch noch hinzufügen: Man vermeide das Moralisieren. Muslime sind oft sehr in ihrer Lehre verhaftet. Und das verhindert die Reflexion. Denken wir daran, dass Islam „Unterwerfung“ bedeutet. Wir bringen eine gute Nachricht für alle. Unsere Botschaft muss sich um das Herzstück unseres Glaubens bewegen: Liebe, Barmherzigkeit und Vergebung. Diese drei Themen ziehen die Muslime an. Um sie zu erreichen, können wir ihnen einfach sagen, dass auch wir beten, denn der Muslim ist ein Beter. Er betet fünfmal täglich. Auch wir beten, fasten und teilen. Das ist dem Muslim oft ganz neu, denn er weiß nicht, dass der Christ betet. Ich selbst habe mich bekehrt, nachdem eine Freundin mich zu einem Lobgebet anlässlich des Geburtstages der heiligen Thérèse von Lisieux eingeladen hatte. Da habe ich erstmals entdeckt, dass Christen beten! Man kann auch von Maria sprechen. Sie ist auch im Koran unter dem Namen Maryam zu finden. Muslime lieben sie sehr. Man muss sie in die Marienheiligtümer einladen, Rue du Bac, nach Lourdes, nach Notre-Dame-des-Victoires. Maria erwartet sie.

Kann die Verkündigung von Jesus Gewaltreaktionen auslösen?

Piccareta: Wenn wir weder provozieren noch arrogant sind – warum sollten sie gewalttätig werden? Wir heben einfach die Person Jesu Christi hervor, der unseretwegen auf die Welt gekommen ist. Wir können über Seine guten Werke reden, Seine Güte, von den Zeichen sprechen, die Er für uns gewirkt hat. Wirksamer als Gleichnisse sind Worte wie: „Seid allezeit fröhlich und betet ohne Unterlass“ oder „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater außer durch mich.“
Diese Worte sind für einen Muslim wie für einen Atheisten unmittelbar verständlich. Was mich betrifft, so hat mich folgender Satz getroffen, ich kenne ihn auswendig: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen einzigen Sohn hingab…“ Christus zu begegnen, ist wunderbar. Man muss die Getauften aufwecken, alle Getauften einladen, Christus zu verkündigen!

Ist es eine vorrangige Aufgabe für Katholiken, ihre muslimischen Mitbürger zu evangelisieren?

Piccareta: Papst Franziskus spricht von der Freude des Evangeliums, die auf dem Gesicht jedes Christen durchscheinen muss. Und das fängt mit unserer persönlichen Bekehrung an: Man muss sie erbitten, wie Jesus sagt. Und beten wie der heilige Paulus.

Warum haben einige den Glauben und andere bleiben verhalten?

Piccareta: Ich weiß es nicht. Aber das weiß ich: Wenn man evangelisiert, dann evangelisiert man sich selbst. Wir brauchen keine Angst zu haben, denn der Heilige Geist ist mit uns. Übrigens hat sich der heilige Paulus nicht damit begnügt, durch Hananias wieder die Sicht geschenkt zu bekommen und dann getauft zu werden. Seine Bekehrung war erst dann vollständig, als er zu evangelisieren begann.

Glauben Sie, dass sich Muslimen in der derzeit so angespannten Lage bekehren können?

Wir alle haben rund um uns Muslime, Atheisten, Leute, die noch nie etwas von Jesus gehört haben. Wir müssen Ihn am Arbeitsplatz, in der Pfarre, auf der Straße verkündigen. Spontane Zeugnisse – das funktioniert besonders gut. Erst vorige Woche trug eine Kassiererin im Supermarkt eine Medaille mit einem Totenkopf am Hals. Ich sagte zu ihr: „Jesus wäre besser.“ Sie gab mir zur Antwort, sie wisse nicht, wer das sei. Ich habe es ihr erklärt und ihr gesagt, dass ich bete und gläubig sei… Dann gab ich ihr eine wundertätige Medaille und sie sagte, sie würde sie tragen. Ich habe keine Ahnung, ob sie es getan hat. Immerhin aber hat sie etwas über Jesus gehört!

 

Das Interview hat Olivia de Fournas für Famille Chrétienne v. 24.4.21 geführt. Nadia Piccareta, eine konvertierte Muslimin, ist Katechistin, Hausfrau und Mutter.

 


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