Murx 2.0: Der Krampf geht weiter ...

16. Juni 2021 in Kommentar


Neuevangelisierung bedeutet, das sakramentale Leben der Kirche wieder ins öffentliche Licht zu bringen - Ein Kommentar von Franz Norbert Otterbeck


Köln (kath.net)

Soll man über Marx noch nachdenken, den Münchner Kardinal? Sein vom Papst verfügter Rücktritt vom Versuch des Rücktritts wurde quer zur üblichen Parteilichkeit kommentiert, wie schon das Rücktrittsangebot. Freunde wie Gegner sind teils einverstanden, teils nicht. Die Exegese des Papstbriefs an Marx bereitet einige Schwierigkeiten, wie zuvor schon die Auslegung des perplexen Marxschreibens an Seine Heiligkeit. Man ist geneigt, zur Tagesordnung überzugehen. Viel Lärm um nichts? Einige Kommentatoren deuten die Weisung an Marx, "das Fleisch auf den Grill" zu legen, allerdings als Rückenwind für den Nationalen Synodalismus. Da hört der Spaß dann auf. Thomas Sternberg (ZdK) würde inzwischen von jeder Briefmarke behaupten, die von der Vatikanpost neu herausgegeben wird, dass diese seine Reformation unterstütze. Das mag noch ernstnehmen, wer will. Aber auch seriöse Stimmen fühlen sich berufen, die widerborstigen Passagen aus dem Papstbrief vom 10. Juni einfach umzudeuten. Stil und Inhalt sind der "deutschen Mentalität" so krass entgegengesetzt, dass doch endlich ein Nachdenken einsetzen müsste. Reform? Ja! Aber wohin? Auch die Freunde der "alten Messe" wollen nicht, dass die 'deutsche Kirche' so bleibt, wie sie sich in den jüngsten Jahrzehnten etabliert hat. Je mehr die Liturgie des "novus ordo" von 1970 hierzulande rasant zerfällt, desto fröhlicher könnten die Altliturgiker abwarten, bis die "Neuerer" null Priesterweihen haben, null Fakultäten und irgendwann null Diözesen. Aber so selbstgerecht denkt man dort nicht. Was Sternberg + Co. einfach ignorieren: Auch dort ist man in Sorge um die Kirche, allerdings aus religiöser Perspektive, nicht aus administrativ-soziologischer Sicht. Man hat übrigens noch von keinem Anhänger des Messbuchs von 1962 (oder älter) gehört, dass er modern frommen Menschen den Zutritt zu ihrem Erlebnisgottesdienst verwehren will.

 

Mir selber blieb die "alte Messe" fremd. Ich habe erstmals in Salzburg 2004 überhaupt eine miterlebt. Das Motuproprio von 2007 habe ich zunächst als Akt der Toleranz gedeutet, als Entgegenkommen gegenüber einer Minderheit. Allmählich leuchtete mir die tiefere, fast kulturtheoretische Wahrheit ein: Die Kirche hat keine Zukunft, wenn sie dasselbe verdammt, was ihr bis gestern noch das Heiligste war. Auch die Erneuerung der Liturgie läuft sich tot, wenn sie es nicht ertragen kann, den älteren Gebrauch ihrer selbst in ihrer Mitte zu dulden. Während liberale Juden zumeist Respekt vor der Orthodoxie haben, auch wenn sie selber anders leben, fühlt sich der deutsche Katholik erst wohl, wenn er die Frommen "von gestern" so richtig aus Herzenslust verachten kann. Joseph Ratzinger hat 2007 die "alte Messe" nicht rehabilitiert, besser: zurückgeholt in die Mitte der Kirche, um einer persönlichen Vorliebe für Antiquitäten zu frönen, sondern um die Zukunft der wahren Religion auf bessere Fundamente zu stellen. Interessierte Kreise wollen jetzt die Agonie des derzeitigen Pontifikats nutzen, sagt man, um das "Toleranzedikt" von 2007 aus der Welt zu schaffen. Nur zu! Wenn die nachkonziliare Mehrheitspartei unter den Bischöfen es wirklich nötig hat, die altliturgischen Oasen auszurotten, dann gibt sie damit das völlige Scheitern ihrer Weltanschauung zu Protokoll. Ein besonders unglaubwürdiger Weihbischof äußerte neulich, er wolle keine "sektiererische Kirche". Die Kirche sei "für alle" da. Kirche für alle! Nur kommen "alle" die nicht, die man da haben will, sondern: fast niemand. Wird die Praxis der "deutschen Messe" noch weiter verflacht, dann wird erst recht niemand mehr kommen, speziell: "nach Corona". Zum evangelischen Gottesdienst geht ja auch niemand hin, da er keine sakramentale Bedeutung hat. Wer das unbefleckte Herz Mariä verehrt, der ist kein Sektierer. Da kann sich der Volontär von katholisch.de noch so anstrengen, das "Ideenfest" zu verunglimpfen. Jedoch ist die Kommunikation zwischen den römischen Katholiken, Papst Franziskus inbegriffen, und der deutschen "Staatsreligion" nahezu abgerissen, wie inzwischen sogar Walter Kasper bemerkt. Seit über fünf Jahrzehnten haben unsere Bischöfe es vermieden, zwischen Tradition und Zukunft zu vermitteln, zwischen Identität und Dialog. Diese Strategie ist am "toten Punkt" angelangt, aber nicht die Kirche. In vielen Weltgegenden blüht sie, besonders nachkonziliar. Aber aufgrund ihres Glaubens, nicht wegen des Geldes oder der Medienmacht.

Das Beispiel der Liturgie bringt das Desaster besonders sichtbar an den Tag. Wir erleben aber auf allen Ebenen unserer Diözesen immer wieder Beispiele: Was soll man von einem - durchaus wohlmeinenden - Bischof denken, der beinahe die Fassung verliert, weil eine junge Frau ihn an "Rom" erinnert? Eine Studentin wagt es, in wenigen, klaren Worten an den Sinn unserer Religion zu erinnern, während der Bischof herummeiert und sich vor allem die Sympathie der übrigen, kritischen Debattenteilnehmer sichern will. Man konnte im Bayerischen Fernsehen fast sehen, wie die "Schere im Kopf" des Bischofs arbeitet: nur bloß keinen Ärger erregen! Der fast schon selbstverständliche bischöfliche Lobgesang auf die vorbildliche Treue und Verantwortung, die homosexuelle "Ehepaare" uns überall vorleben, fiel etwas zaghafter aus als anderswo. Man müsste noch die selbstlose Fürsorge für die zukünftigen Generationen hervorheben oder ihre heroische und hochstehende Gesinnung, der kein Opfer zu groß ist, im Einsatz für das Klima, für die Menschenrechte, für die ganze Zivilisation und für alles, was Gottes Segen verdient. Wie konnte die Menschheit nur existieren, vor Einführung der "Ehe für alle"? Jedenfalls weiß die "Kirche am toten Punkt", wem sie bedingungslosen Gehorsam schuldet. Jedenfalls nicht: Rom.

Die tote Kirche in Deutschland wird ihren Murx jetzt 'auf höherem Niveau' fortsetzen. Sie kämpft nicht, sie krampft. Die konfessionelle Mehrheit hier ist nicht an der Verkündigung des Evangeliums interessiert. Sonst hätte sie es verkündet. Ihr "Evangelium" ist: die Veränderung der Kirche! Es kommt angeblich nicht darauf an, die Welt zu verändern, sondern die Kirche. Hierarchie? Weg damit! Sieben Sakramente? Weg damit! Heiligste Dreifaltigkeit? Weg damit!

Der Wendepunkt der katholischen Erneuerung wird allerdings die Liturgie sein, das Gebet der Kirche, Quelle und Höhepunkt ihres Lebens. Welches andere Ziel könnte die Neuevangelisierung denn sonst haben? Möglichst viele Menschen zu Theologen machen? Alle in ein Weltkloster sperren? Es muss doch vor allem darum gehen, die sakramentale Praxis zu erneuern. In meiner Heimat war die Religion als öffentliches Phänomen sichtbar. Menschen strömten sonntags zu den Kirchen, einige gingen auch werktags hin. Die Kirche war auch ein Lebensraum, ein Ort der Begegnung und des Miteinanders, aber nie ohne Gebet, nie ohne Gottesdienst, nie ohne erlebbare Frömmigkeit. Neuevangelisierung würde bedeuten, das sakramentale Leben der Kirche wieder ins öffentliche Licht zu bringen. Man trifft sich beim Kirchgang. Die Kirche lebt nicht ohne Kirchen, ohne ihre Gotteshäuser. Man geht aber den entgegengesetzten Weg: Wenn ihre Beschäftigten die Kirchen nicht mehr betreten, dann muss aus ihrem Arbeitsleben auch alles entfernt werden, was noch störend auf die Pflichten vor Gott hinweist. Damit wird den einfachen Mitarbeitern doch nur gestattet, was sich Bischöfe, Weihbischöfe, Generalvikare, Domkapitulare usw. zuvor schon herausgenommen haben: Leichtfertigkeit im Umgang mit den heiligen Geheimnissen, eine Verniedlichung Gottes, Versüßung seines Wortes. Krise der Kirche? Wir schnallen den Gürtel weiter! Diät? Mit Alkohol, Fett und Zucker! Aber: kein Fleisch auf dem Grill ...

Vielleicht könnte empirische Sozialforschung einmal herausarbeiten, wieviele Gespräche einfacher Leute mit Priestern oder anderen Kirchenleuten letztlich nur dem Abwimmeln dienen. Das Gespräch ist beendet, bevor auch nur irgendein religiöser Aspekt berührt werden konnte. Großspender machen vielleicht andere Erfahrungen, fühlen sich "ermutigt". Der eine Generalvikar verabredet sich lieber mit älteren Adelspersonen, der andere bevorzugt Jugendliche aus dem Kosovo. Geschenkt. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Aber ist das die Kirche, die "an die Ränder geht"? Die Befürworter des deutschen Sonderwegs zitieren Papst Franziskus dann, wenn ihnen irgendein Bonmot ins Konzept passt. Wie sehr sich seine radikale, fast archaische Spiritualität vom längst als untauglich erwiesenen "Reformprogramm" hiesiger Synodalisten unterscheidet, das wird konsequent ausgeblendet. Die nicht selten provokativen, sogar chaotischen Methoden, die der Papst anwendet, haben traditionsnahe Katholiken schwer irritiert. Sie sind insgesamt auch nicht von Erfolg gekrönt. Doch zeigt er immer wieder auf, dass er keine der Kirche von außen aufgezwungene Agenda abarbeiten will, sondern für die Erneuerung der Kirche auf ihre eigenen, geistlichen Quellen vertraut. Kein Papst des 20. Jahrhunderts hat die historisch-kritische Exegese der Bibel so wenig beachtet wie Bergoglio. Er nimmt das Wort Gottes ganz wörtlich, Gott sei Dank. Die Liturgie ist für den Jesuiten kein bevorzugtes Thema der Theologie, aber er lebt aus ihr, ganz selbstverständlich. Er verehrt die Gottesmutter und die Heiligen, besonders den hl. Joseph. Papst Franziskus ist meilenweit von der "deutschen Tagesordnung" entfernt. Er wird dieses für Gott verlorene Land, das seinen Amtsvorgänger so maßlos gekränkt hat, nicht besuchen. Er wird keine deutschen Kardinäle mehr ernennen. Er hat die deutschen Beschwerden sehr nachsichtig behandelt. Aber jetzt ist Schluss. Ich kann mich irren, aber ich verstehe den spanischen Brief vom 10. Juni so: als definitive Absage an deutsche Allüren, deutsches Denken, deutsches Wesen. Kardinal Marx bleibt uns zwar erhalten, aber nur noch als Symbol des toten Punkts. Denn der synodale Weg selbst ist der tote Punkt, angezettelt um seiner selbst willen.

Die Bewegung katholischer Erneuerung wird hingegen, auch bei uns, ihren Ausgangspunkt nehmen von Lernorten des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, abseits von der Kirchenpolitik, aber ganz nah bei Jesus Christus, wie er selber sich uns in der Liturgie seiner Kirche mitteilt. Belehrt aus seinem Wort, genährt an seinem Tisch können wir dazu beitragen, dass er zu den Menschen kommt und die Menschen zu ihm, immer wieder neu.


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