22. Juni 2021 in Kommentar
Der Nationale Synodalismus sollte "am toten Punkt" davon ablassen, den wesentlich irreversiblen Charakter der Kirche zu verleugnen - Kommentar von Franz Norbert Otterbeck
Köln (kath.net)
Die Unterscheidung der politischen Welt in ein rechtes und ein linkes Lager ist nicht ohne weitere Unterscheidungen auf die Kirche zu übertragen. Es gibt allerdings Ähnlichkeiten und Schnittmengen. In vielen Ländern der Welt werden Christen, speziell Katholiken, politisch relativ weit "links" stehende Positionen vertreten, besonders in der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Das Lehramt der Päpste bevorzugt seit langem den Internationalismus gegenüber dem Nationalismus. Rassismus gab es in der katholischen Kirche nie. Aber heute steht bereits "rechts", wer 'Familie' sagt und damit die Familie meint, die auch das Bonner Grundgesetz von 1949 in Art. 6 so meinte. Auf einigen Gebieten kommen kirchlich gesinnte Menschen nicht aus der "rechten Ecke" heraus, selbst wenn sie es wollen. Von Abtreibung bis Zölibatsbruch gibt es so manches, was ein frommer Katholik nicht unterstützen kann. Eine Gesellschaft, die ihre Freiheit auf Abtreibung, Unfruchtbarkeit und selbstbestimmten Tod gründet, fordert den Widerspruch der Christen heraus, immer.
Daran erkennen wir bereits, dass unsere Religion bestimmte unverhandelbare Werte nicht preisgeben wird. Diese Einsicht führt zu der Schlussfolgerung, dass die Religion als solche nicht "auf links" gewendet werden kann. Der gegenteilige Eindruck wird heute von manchen kirchlichen Stellen vor allem deshalb erweckt, weil die linke Weltanschauung mit ihren Prämissen und Schlussfolgerungen an sich kaum mehr mit voller Härte vertreten wird. Der Sozialismus, mehr noch der Kommunismus vertrat die Auffassung, dass die Enteignung des Privateigentums zu materiellem Überfluss für alle führen wird. Dieser Ansatz wurde grausam widerlegt. Doch die Millionen Menschenopfer zählen nicht. Man sucht unverdrossen weiter nach Gesellschaftsmodellen, die alle beglücken sollen, oder doch zumindest die, die den andern ihre Glücksportionen zuteilen werden. Anstelle der Weltrevolution wird allerdings derzeit besonders gern die Sprachpolizei empfohlen, mit demselben Fanatismus, der früher verkündete: "Friede den Hütten, Krieg den Palästen".
Manche ahnen, wie sehr explizit linke Strategien insgesamt an Glaubwürdigkeit verloren haben, entnehmen daraus also nur noch "Impulse" für ihre Haltung. Insoweit tritt eine zivilreligiöse Gesinnung an die Stelle früheren, linken Engagements, das ja auch mühsam war und nicht immer profitabel. Gleichheit zu fordern ist billig, wenn es nichts kostet. Wer die soziale Frage für sich selber günstig beantwortet hat, kann dann wieder zur 'Zeichensetzung' (an andere) übergehen.
Zur linken, emanzipatorischen Gesinnung gehörte immer ein antiklerikaler Affekt. Das Hineinregieren der "Pfaffen" in die Familien, die Gesellschaft, den Staat war und bleibt der politischen Linken verhasst. Sie hat aufs Ganze gesehen, unterstützt vom Liberalismus, jedoch unverdrossen einen "Zivilklerus" aufgebaut, in Politik, Wissenschaft und Medien, der heute nachhaltig in die kirchlichen Angelegenheiten hineinregiert, jedenfalls in unseren Breiten. Die Kirchenleute kritisieren heute ihre eigene Kirche, zumindest ihre Vergangenheit, manchmal heftiger als es die Kirchenfeinde noch tun, für die "das Problem" mangels öffentlichen Gewichts der Religion eigentlich schon erledigt ist. Auch ein wesentlicher Teil der Geistlichkeit, die strukturell immer noch nicht "links" orientiert sein kann, wählt den bequemen Weg und verstärkt die Kirchenkritik von außen nach innen. Man möchte ja nicht mit den bösen oder dummen Elementen aus dem eigenen Stall verwechselt werden. Inzwischen erscheint es sogar für Bischöfe opportun, sich deutlich von den 'populistischen' Lebensschützern abzugrenzen.
Auf den kath.net-Kommentar "Murx 2.0" antwortete mir der Ex-Priester Thomas O. mit einer Art brüderlicher Zurechtweisung. Er beanstandete 'pubertäre Hasstexte' auf einem 'einschlägig bekannten Pharisäerportal', "auf dem von Gott geschaffene Menschen verächtlich als Karikaturen dargestellt werden" und schlussfolgerte, Gott lasse solche Aussagen gegen seine geliebten Geschöpfe nicht ungestraft: "Sie werden für Ihre menschenverachtenden Hassbotschaften von Gott zur Rechenschaft gezogen werden." Der Kritiker war sogar Regens eines Priesterseminars. Sein Nachfolger ist inzwischen Bischof. Das schmerzt. Der moderne Kleriker distanziert sich zwar vom "überhöhten Priesterbild", aber das Empfinden für die eigene Sonderrolle erreicht im klerikalen Modernismus ungeahnte Höhen. Der Abstieg von dort kann lebensgefährlich sein. Die Menschen bleiben für den modernen Kleriker aber immer Objekte der Pastoral. Das Werturteil bleibt dem Amtsträger vorbehalten. Fest im Blick ist auch immer der zivile Stand des Objekts. Es wird stets taxiert, ob da was zu holen ist, für den guten Zweck. Fällt ein Laie unangenehm auf, bemüht man die Psychologie. Auch der Appell, "sachlich" zu diskutieren, wird gern 'ad personam' eingesetzt. Dialog findet dort statt, wo man dogmatisch auf "Dialog" eingeschworen ist, also mit verteilten Rollen die alten Gedichte aufsagt: ökumenische Gastfreundschaft, Priesterweihe für "viri probati", Diakonat der Frau usw. Interessanterweise taugt das "Evangelium" dann noch als Drohbotschaft, wenn man den pastoralen Friedensstörer irrtümlich "rechts" vermutet.
Ich gebe also zu, dass ich gegenüber dem typisch deutschen Kleriker (oder Laienkleriker) inzwischen etwas zur Verachtung neige; und das nicht nur aus religiösen Gründen, sondern aus Erfahrung. Es überwiegt jedoch die Trauer um einen Berufsstand, der sich in so kurzer Zeit selbst versenkt hat. Seit Jahrzehnten begegne ich immer denselben Argumenten, Behauptungen, Drohungen, Eitelkeiten. Trotz oder wegen einer anspruchsvollen Ausbildung hat der moderne Priester den Leuten von heute nichts zu sagen. Also äfft er den modernen Journalismus nach. Bei einer etwas schwierigeren Frage schaltet der Theologe auf Störung. Mit besonderem Nachdruck wird dementiert, was die Kirche früher lehrte. Die positive Darstellung der neuen Lehre überzeugt aber niemanden. Im höheren Klerus herrscht überdies immer noch die Vorstellung, dass man über die etwas altmodischen, frommen, nostalgischen Leute ungeniert verfügen kann. Da ist jede Zumutung erlaubt, sogar geboten. Denn diese Leute müssen umerzogen, angepasst werden. Warum? Ihre bloße Existenz erinnert den modernen Kleriker auf unvorteilhafte Weise an einige ewige Wahrheiten, beispielsweise an die 'in sich böse Tat' (intrinsice malum), nein, nicht nur in der Sexualmoral, auch bei der Wahrhaftigkeit. Die Lüge ist im kirchlichen Alltag weit häufiger anzutreffen als die sexuelle Belästigung. Man spricht beispielsweise von "Unschuldsvermutung", obwohl man mit dem bezichtigten Täter befreundet war.
Das Thema heute ist allerdings nicht die alltägliche Unwahrhaftigkeit innerhalb des gesamten kirchlichen Apparats, sondern die wahrscheinlich größte öffentliche Jllusion der "deutschen Kirche" überhaupt. Sie scheint von der Welt draußen ernsthaft zu erwarten, ihr dann Vertrauen zu schenken, wenn sie sich selber als eine Art "Lifestyle links 2.0" neu erfinden wird. Das ist ein aussichtsloses Unterfangen. Mit vollem Recht hat daher Katharina Westerhorstmann im Gespräch mit Claudia Kaminski auf die Chance verwiesen, die entsteht, wenn der "Synodale Weg" sich sistiert, also eine Pause macht. Man wird ihr kein Gehör schenken. Auch sie wurde "rechts" verortet, ist also im aktuellen Diskurs relativ unerwünscht. Als Moraltheologin hat sie vorzügliche Veröffentlichungen erarbeitet. Aber eine zaghafte Opposition gegenüber der Schockenhoff-Moral, von der viele deutsche Bischöfe abhängen, schränkt ihre Möglichkeiten in der deutschen Universitätstheologie erheblich ein. Hier wird Moralautonomie gelehrt, die offen begehrlich und bequem ist. Sie hat ihren Vorschlag mit aller Vorsicht vorgebracht. Es wird nichts nützen. Die Mehrheitler sind wild entschlossen, eine Revolution vom Zaun zu brechen, ohne Rücksicht auf das Selbstverständnis der katholischen Kirche.
Der "Synodale Weg" ist keine Synode, aber auch kein Weg, sondern Sitzungskarneval. Das unter falschem Namen segelnde Internetportal hat dennoch die "jüngste Synodalin" interviewt. Die 17-jährige aus Marienfeld bei Münster wurde vom BDKJ entsandt und hat ihren Text gelernt. Nicht ein einziger religiöser Begriff wird erwähnt, außer: "Ich verteidige meinen Glauben, aber keine kirchlichen Strukturen". Es geht nur um Kirche und ihre Akzeptanz in der Zukunft. Wäre denn Waschmittelwerbung wirksam, wenn sie das Wäschewaschen ohne Waschmittel empfiehlt? Aber Religion ohne Gott, die soll die Kirchen füllen? Eine Religiosität ohne Gott hat den Vorteil, dass sie das Ungleichheitsproblem zwischen Gott und den Menschen abmildert. Den Gottesgehorsam kann man dann selber nicht mehr verfehlen, wohl aber anderen aufzeigen, die noch am überlieferten Gottesbild festhalten. Auch wer das Wort "Gott" noch als Waffe oder Werkzeug einsetzt, in der kirchlichen Verkündigung, kann im Innern bereits Atheist sein. In den meisten schweren Missbrauchsfällen wird der Tod Gottes in der Seele des Priesters dem Entschluss zur Missetat vorangegangen sein. Aber auch andere Zölibatsbrüche können Folge des aufgekündigten Gottesgehorsams sein, etwa dann, wenn der Priester die Abtreibung seines Kindes erwirkt.
Karin Kortmann (ZdK) hat gegenüber Martin Lohmann behauptet, der "Synodale Weg" agiere aus der Perspektive der Opfer. Das ist ziemlich unglaubwürdig. Man diskutiert einen alten Wunschzettel innerkirchlicher Reformen. Keins dieser Projekte konnte bislang mit der "Opferperspektive" begründet werden. Denn auch die protestantischen Kirchen haben ein Problem mit sexuellen Übergriffen, wenn auch der Anteil homosexueller Täter dort geringer zu sein scheint. Dort sind alle "Reformen" verwirklicht. Nicht einmal die Verlagerung kirchlicher Macht vom Küchenkabinett rund um einen Bischof hin zu Gremien behaupteter Partizipation "aller" hat irgendeinen Nutzen für potenzielle Opfer. Macht aber nichts! Man zieht das Programm trotzdem durch und nutzt den Enthusiasmus einiger Jugendlicher überdies als Werbemittel für das zwecklose Spektakel aus.
Die Zielvorstellung des Nationalen Synodalismus für die "deutsche Kirche" der Zukunft ist mit 'lifestyle links' gewiss unzureichend umschrieben. Man müsste noch differenzieren. Selbstverständlich muss ein Hans Maier (90) nicht mehr aus der CSU austreten, um sich bei den 'Klerikalsozialisten' beliebt zu machen. Einzelne strukturkonservative Typen dürfen weiter mitlaufen, vor allem wenn sie Strukturen der 1970-er Jahre konservieren wollen. Sogar der Häuptling 'Toter Punkt' hat bis vor kurzem noch eine "Aufklärung der Aufklärung" gefordert, also eine Antikritik der Kritik. Er hat sich nur hinsichtlich eines Buchtitels in Kontinuität zu seinem Namensvetter aus Trier begeben, nicht aber vollends in der Mentalität. "Mann der Arbeit" war er nie. Der große Irrtum besteht allerdings darin, dass die bloße Diskreditierung zentraler Inhalte der katholischen Glaubens- und Lebensauffassung schon genüge, um Platz für "neues Vertrauen" zu schaffen. Die Andersdenkenden vertrauen der Kirche auch dann nicht, wenn sie jetzt inhaltsleer von der "Frohen Botschaft" redet, aber zu den wesentlichen Fragen katholischer Theologie nur noch schweigt. Verschweigen ist nunmal keine Verkündigung.
Wir erleben derzeit die totale Pleite der "pastoralen Linken". Eine Abiturientin von heute wird noch wissen, dass Jesus gelebt hat: Seine Gemeinde hat behauptet, dass er nach dem Tod wieder auferstanden sei. Die Anhänger haben ihn nach und nach vergöttlicht. Die römischen Kaiser haben irgendwann eine Staatsreligion erfunden, deren Chef in Rom sich dann auf Petrus berufen hat, um seinen Vorrang zu behaupten. Die Macht der Papstkirche hat die Kreuzzüge verschuldet, Inquisition und Hexenverfolgung, bis die Reformation die Menschenrechte und die Aufklärung gebracht hat. Die katholische Kirche hat bis vor kurzem den modernen Fortschritt abgelehnt, aber lernt jetzt ganz allmählich dazu. Ihr Religionslehrer ist jedenfalls bei 'Fridays for future' dabei und auch sonst ganz nett!
Die 'Kirche der Zukunft' soll ungefähr, um nicht anzuecken, nach 'lifestyle links' aussehen, aber ohne so leben zu können. Als die Hierarchie noch offen "autoritär und rechts" agierte, war der interne Totalitarismus wahrscheinlich geringer ausgeprägt als heute, weil alle wussten, wozu die Kirche dient: dem Heil der Seelen. Im Binnenklima wird unter scheinprogressiven Vorzeichen immer die gehässige Verschlagenheit vorherrschend bleiben, die nur etwas weniger offen ausgetragen wird als in einer Schulbehörde oder bei einer Krankenkasse. Die "deutsche Kirche" ist, nach dem Vorbild der EKD, inzwischen auch kaum mehr als ein Stellenplan fast ohne Leistungspflicht. Eine Betätigung ohne Erfolgsdruck hat den Vorteil, solange die Bezüge es ermöglichen, einen Lifestyle ganz links, eher grünlinks oder eher schwarzgrün zu pflegen, manchmal auch gänzlich unpolitisch. Religiöse Ansprüche der dunklen Vergangenheit haben aber auf das Personal keine Auswirkung mehr. Damit hat die Kirche noch nicht jeden Sinn verloren, aber doch den Sinn, den Christus ihr eingestiftet hat. Auf der politischen Ebene darf der Katholik, innerhalb der Koordinaten des christlichen Menschenbildes, sich eher links oder eher rechts einordnen. Die Groteske, die wir heute erleben, besteht jedoch darin, dass uns halboffiziell ein unreflektiert "irgendwie progressives" Weltbild als Religionsersatz feilgeboten wird. Als ob Jesus nur an den Ufern des Sees Genezareth gesessen hätte und nichts anderes deklamiert hätte als "Freiheit, Gleichheit, Solidarität". Auch den Feminismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf: Mit einem Tempo, das jede Systemtheorie staunen lässt, wird jeder aktuell anmutende Trend vom kirchlichen Apparat aufgegriffen, ein wenig mit christlich anmutendem Design umwölkt und penetrant auf die nur noch wenigen Adressaten im kirchlichen Raum abgefeuert. Es fehlt jede sorgfältige Unterscheidung. Die Kirche Christi wird aber, auch nachkonziliar, ganz langsam und abwägend aus den neuesten Angeboten der Mode auswählen. In grünen Zeiten darf sie nicht unterwürfig grün umdekorieren wie in roten nicht rot und in braunen nicht braun. Sie ist immer Mitläuferin und Widerstandsbewegung zugleich.
Sie kann nicht aus der Zeit fallen, darf aber auch nicht aus ihrer Funktion herausfallen, immer alles und alle auf die ewige Ordnung hinzuweisen. Insoweit akzeptiere auch ich jeden Warnhinweis auf die 'Letzten Dinge', sogar wenn er von einem glücklosen Ex-Kleriker kommt, der damit nicht dienen will, sondern nur sich selbst erhöhen. Jeder noch so unwürdige Priester, mag er weltberühmt sein wie Hans Küng oder anderswo am Neckar vergessen werden, erinnert uns in eigener Person daran, dass die Kirche, bis vor kurzem auch hierzulande, sakramental Jesus Christus vergegenwärtigte in seinem Volk. Da aber die Heilstat Christi die einzige, wesentliche Innovation seit dem Sündenfall der ersten Menschen ist, kommt es Seiner Kirche zu, über die Zeit zu urteilen, nicht aber der Geschichte, über Ihn zu urteilen. In diesem Sinne bleibt die Kirche immer eine notwendig konservative Institution. Die deutsche Filiale sollte "am toten Punkt" davon ablassen, den wesentlich irreversiblen Charakter der Kirche zu verleugnen. Anderenfalls können keine ihrer etwaigen Reformen erfolgreich sein, weder nach innen noch nach außen. Die DDR plakatierte: 'Der Marxismus wird siegen, weil er wahr ist'. Bekanntlich ein Irrtum. Auch die deutschkatholischen Plakate feiern einen nachkonziliaren Murxismus, der längst widerlegt ist. Was tun? Insistieren. Auch dem einfachen, ohnmächtigen Gläubigen stehen so viele Quellen aus der Lehrverkündigung der Kirche zur Verfügung, dass er immer und immer wieder dem scheinsynodalen Politbüro der 'Einheitspartei deutscher Christen' vor Augen halten kann, wie die katholische Welt denkt. Nicht zuletzt: wird es den Betern gelingen, das Schwert über unsern Köpfen aufzuhalten, in der Kraft des Heiligen Geistes, der das Angesicht der Erde erneuern wird; dieser Erde.
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